S 11 AS 38/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 38/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller über die bereits gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 64,26 EUR hinaus für die Zeit ab 21.04.2005 (Eingang des Antrages bei Gericht) bis zum 26.05.2005 monatlich 195,60 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu einem Drittel.

Gründe:

Die Kammer entnimmt dem schriftsätzlichen Vorbringen des Antragstellers (§ 123 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) den Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm über die bislang gewährten Leistungen hinaus für die Zeit ab 21.04.2005 (Eingang des Antrages bei Gericht) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des Eckregelsatzes von 345,00 EUR einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie einen befristeten Zuschlag nach § 24 Abs. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches – SGB II - zu gewähren.

Der so verstandene Antrag hat in der Sache lediglich insoweit Erfolg, als für die Zeit vom Eingang des Antrages bei Gericht bis zum 26.05.2005 ein befristeter Zuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB II in Höhe von 195,60 EUR zuzusprechen war. Im Übrigen war der Antrag abzulehnen.

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung des streitigen Rechtsverhältnisses voraus, aus dem der Antragsteller eigene Rechte – insbesondere Leistungsansprüche – ableitet (Anordnungsanspruch). Ferner ist erforderlich, dass die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden. Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu bestimmen (vgl. Grieger, ZfSH/SGB, 2004, 579 [583], Berlit, info also 2005, 3 [4 f.]).

Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Zwar ist ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.02.2005, mit dem dem Antragsteller für die Zeit vom 01.02.2005 bis zum 28.02.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 64,26 EUR zuerkannt worden sind, nicht aktenkundig, so dass insoweit Bestandskraft (§ 77 SGG) eingetreten ist. Allerdings hat er einen Weiterzahlungsantrag gestellt, der am 04.04.2005 noch nicht beschieden worden war (vgl. E-Mail Korrespondenz zwischen der Arbeitsagentur Gelsenkirchen und der Antragsgegnerin). Die für die zulässige Erhebung eines Antrages nach § 86b Abs. 2 SGG erforderliche Vorbefassung des Verwaltungsträgers (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage 2003, § 123 Rdnr. 22 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte; Krodel, Das Sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage 2005, Rdnr. 29; Berlit, info also, 2005, 3 [4]) ist somit gegeben.

Der Antragsteller hat bereits einen Anordnungsanspruch nur insoweit glaubhaft gemacht glaubhaft gemacht, als ihm ein befristeter Zuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB II zuzusprechen war. Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarf des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer unter anderem seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II).

Soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld bezieht, erhält er in diesem Zeitraum einen monatlichen Zuschlag (§ 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Nach Ablauf des ersten Jahres wird der Zuschlag um 50 vom Hundert vermindert (§ 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Entscheidend für den Beginn des Zuschlages ist nicht der Beginn des Bezuges von Arbeitslosengeld II, sondern das Ende des Arbeitslosengeldbezuges. Die Frist beginnt am Tag nach dem letzten Tag des Arbeitslosengeldbezuges und läuft unabhängig davon, ob tatsächlich Arbeitslosengeld II bezogen wird (Brünner in LPK-SGB II, § 24, Rn. 7). Der Antragsteller hat zuletzt am 26.05.2003 Arbeitslosengeld bezogen. Die Frist begann hier somit am 27.05.2003 und endet am 26.05.2005.

In der Sache besteht nach summarischer Prüfung bei einer Differenz zwischen 797,77 EUR monatlichem Arbeitslosengeld (184,10/Woche - 13/3 = 797,77 EUR - vgl. zur Berechnung des monatlichen Arbeitslosengeldes bis zum 31.12.2004 und ab 01.01.2005 Sauer in Jahn, SGB II, § 24, Rn. 14) und 64,26 EUR monatlichem Arbeitslosengeld II ein weitergehender monatlicher Anspruch von 244,50 EUR, der sich wie folgt errechnet: Die Differenz zwischen Arbeitslosengeld II und Arbeitslosengeld beläuft sich auf 733,51 EUR. Nach § 24 Abs. 2 SGB II beträgt der Zuschlag zwei Drittel des Unterschiedsbetrages zwischen dem vom Hilfebedürftigen zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltenen Wohngeld (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB II), und dem an den Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen zu zahlenden Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB II), hier also 489,00 EUR (Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller Wohngeld bezogen hat, liegen ausweislich des Antrages vom 11.01.2005 nicht vor). Von diesem Betrag sind gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 50 v.H. abzuziehen, da das erste Jahr seit dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges bereits abgelaufen ist, so dass ein Betrag von 244,50 EUR verbleibt (dieser Betrag ist – wie nachstehend zu erörtern ist - im Rahmen einstweiliger Anordnung auf 80 v.H. zu begrenzen).

Einen – weitergehenden - Anordnungsanspruch im Hinblick auf die Gewährung des Eckregelsatzes von 345,00 EUR nach § 20 Abs. 2 SGB II zuzüglich anteiliger Kosten für Unterkunft und Heizung hat der Antragsteller bereits deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil kein Hilfebedarf besteht. Der Antragsteller ist in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partnerin – mit der er eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II bildet – sowie aus den ihm zuerkannten Leistungen zu bestreiten. Dass der Antragsteller mit seiner Partnerin eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne der genannten Vorschrift bildet, wird von ihm nicht bestritten und wurde auch im Leistungsantrag vom 11.01.2005 so angegeben.

Die Einbeziehung von Partnern aus eheähnlichen Lebensgemeinschaften und die Außerachtlassung homosexueller eheähnlicher Lebensgemeinschaften verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG -. Insofern teilt die Kammer nicht die Auffassung des Sozialgerichts – SG – Düsseldorf in dem Beschluss vom 16.02.2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER -. Zwar gebietet Artikel 3 Abs. 1 GG im Grunde eine Gleichbehandlung von wesentlich gleichen Sachverhalten und erlaubt eine Differenzierung lediglich aus sachlichen Gründen (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG vom 07.10.1980 – Az.: 1 BvL 50/79, BVerfGE, 55, 72 ff). Die beiden zu vergleichenden Sachverhalte sind aber nicht wesentlich gleich. Denn insofern sind nicht jegliche Gemeinschaften heterosexueller und homosexueller Prägung zu vergleichen, weil der Gesetzgeber auch die Partner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes zur Bedarfsgemeinschaft und damit zur Einkommensanrechnung herangezogen hat (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II und § 33b des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB I -). Als Vergleichsgruppen sind daher nur die Mitglieder eheähnlicher und partnerschaftsähnlicher Lebensgemeinschaften heranzuziehen. Eine Gleichbehandlung dieser beiden Lebensgemeinschaften ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber generalisieren, typisieren und pauschalieren (BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 – Az.: 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 ff). Er darf bei bedarfabhängigen Sozialleistungen – die auch vom Einkommen eines Partners abhängig gemacht werden – zwischen eheähnlicher und partnerschaftsähnlicher Gemeinschaft differenzieren, weil erstere in weitaus größerer Zahl vorkommt und sich als sozialer Typus deutlicher herausgebildet hat als letztere (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – Az.: 1 BVL 8/87, BVerfGE, 87, 234 ff). An diesen Gesichtspunkten hat sich seit der zitierten Entscheidung des BVerfG nach Ansicht der Kammer nichts grundlegendes geändert; insbesondere hat die partnerschaftsähnliche Lebensgemeinschaft noch keinen vergleichbaren sozialen Stellenwert erlangt, wie die eheähnliche Lebensgemeinschaft (vgl. auch Landessozialgericht – LSG – Sachsen, Beschluss vom 14.04.2005 – Az.: L 3 B 30/05 ASER; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.04.2005 – Az.: S 4 AS 31/05 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 31.03.2005 – Az.: S 31 AS 82/05 ER, zu recherchieren unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; Hänlein, Juris PR-SozR 9/2005, Anmerkung 1). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei einer homosexuellen partnerschaftsähnlichen Gemeinschaft nicht um eine völlig atypische Lebensform handelt. Gleichwohl lässt sich wenig bestreiten, dass heterosexuelle eheähnliche Gemeinschaften eine sehr viel größere praktische Rolle spielen, als homosexuelle partnerschaftsähnliche Gemeinschaften (vgl. Hänlein aaO.), so dass die bislang vorgenommene Typisierung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

Auch wenn das BVerfG in seinem Urteil vom 17.07.2002 – Az.: 1 BvF 1/01, 2/01 den Gesetzgeber indirekt aufgefordert hat, bei der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung auch Einkommen des homosexuellen – eingetragenen – Lebenspartners zu berücksichtigen, kann angesichts der obigen Ausführungen hieraus nicht zwingend gefolgert werden, dass eine Anrechnung auch bei partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften vorzunehmen ist.

Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass die Nichteinbeziehung von partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften in die Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt, kann die Lösung nicht darin bestehen, eheähnliche Gemeinschaften aus der Bedarfsgemeinschaft herauszunehmen. Denn diese Lösung liefe auf eine verfassungswidrige Benachteiligung der Ehe hinaus, sofern man auch nicht dort die Anrechnung untersagen will (Hänlein, a.a.O.). Würden nämlich die Mittel des Partners allein in der Ehe, nicht aber in der eheähnlichen Gemeinschaft bedarfsmindernd angerechnet, wäre Artikel 3 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 6 Abs. 1 GG verletzt. Die durch das Grundgesetz besonders geschützte Ehe wäre in einem solchen Fall besonders benachteiligt, weil sie neben der Lebenspartnerschaft als einzige Lebensgemeinschaft zur vorrangigen Unterstützung des Arbeitssuchenden herangezogen würde (LSG Sachsen, a.a.O.; Hänlein, a.a.O.).

Im Hinblick auf den befristeten Zuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB II ist ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein solcher liegt vor, wenn Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht, glaubhaft gemacht worden ist (vgl. hierzu Verwaltungsgericht – VG – Gelsenkirchen, Beschluss vom 06.11.2000 – Az.: 3 L 2178/00 und Beschluss vom 23.01.2003 – Az.: 2 L 2994/02, m.w.N.). Aufgrund der derzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers ist dieser offensichtlich auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich des befristeten Zuschlages nach § 24 Abs. 1 SGB II dringend angewiesen.

Da im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Vorwegnahme der Hauptsache in der Regel nicht zulässig ist, erscheint es in Anlehnung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung als angemessen und ausreichend, den ihm zu zahlenden befristeten Zuschlag auf 80 v.H. des Betrages von 244,50 EUR, mithin 195,60 EUR zu begrenzen. Die vom Gericht vorgenommene Befristung auf den 26.05.2005 ergibt sich bereits daraus, dass der Anspruch auf den befristeten Zuschlag nur bis zu diesem Zeitpunkt besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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