L 2 KN 780/03 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 14 KN 999/03 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 2 KN 780/03 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Nach Erlass eines Widerspruchsbescheides und nach der Erklärung, ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs habe sich erledigt, darf das Gericht nicht mehr die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnen. Ein entsprechender Antrag ist unzulässig.

2. Ist in einem Verfahren nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage angeordnet worden, kann daneben nicht kumulativ nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt werden.
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichtes Altenburg vom 20. Juni 2003 aufgehoben, soweit dieses Gericht 1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 3. Februar 2003 angeordnet hat, 2. die Aufhebung der Vollziehung des Aufhebungsbescheides vom 3. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2003 angeordnet hat, 3. die Beschwerdeführerin verurteilt hat, den Nachzahlungsbetrag aus dem Rentenbescheid vom 26. März 2002 in Höhe von 3.894,92 EUR an die Beschwerdegegnerin auszuzahlen, und 4. der Beschwerdeführerin Missbrauchskosten in Höhe von 350,00 EUR auferlegt hat.

Die entsprechenden Anträge der Beschwerdeführerin zu 1. und 2. werden als unzulässig abgelehnt; der Antrag zu 3. wird als unbegründet abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdegegnerin.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich vor allem gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches und der Anfechtungsklage und gegen die Verurteilung zur Auszahlung eines Nachzahlungsbetrages aus dem Altersrentenbescheid der Beschwerdegegnerin.

Die Beschwerdeführerin bewilligte der Beschwerdegegnerin unter dem 13. April 1999 eine große Witwenrente ab dem 5. Juli 1998 nach dem an diesem Tag verstorbenen Ehemann der Beschwerdegegnerin I. Sr. Sie berücksichtigte dabei Beitragszeiten des Versicherten in der ehemaligen Sowjetunion nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Am 26. März 2002 erließ die Beschwerdeführerin einen Rentenbescheid über eine Altersrente für Frauen für die Beschwerdegegnerin, wobei sie ebenfalls Beitragszeiten in der ehemaligen Sowjetunion nach dem FRG berücksichtigte. Es ergab sich ein monatlicher Zahlbetrag ab 1. Mai 2002 in Höhe von 486,82 EUR. Für die Zeit vom 1. September 2001 bis 30. April 2002 wurde eine Nachzahlung in Höhe von 3.894,52 EUR ausgewiesen.

Im Oktober 2002 hörte die Beschwerdeführerin die Beschwerdegegnerin zur beabsichtigten Neufeststellung der Witwenrente an. Sie führte im Wesentlichen aus, da die Beschwerdegegnerin ab 1. September 2001 einen Anspruch auf Rente aus eigener Versicherung habe, seien die auf das FRG entfallenden Entgeltpunkte nach § 22 b FRG auf eine gemeinsame Höchstzahl von 25 Entgeltpunkten zu begrenzen. Die zwischenzeitliche Bewilligung einer Versichertenrente mit 25 FRG-Entgeltpunkten habe zur Folge, dass der Bescheid über die Zuerkennung der Witwenrente mit Wirkung vom 1. Mai 2002 an aufzuheben sei.

Am 3. Februar 2003 erging ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Beschwerdeführerin führte hierin aus, der Bescheid vom 13. April 1999 über die Zuerkennung der großen Witwenrente werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 1. Mai 2002 aufgehoben.

Hiergegen erhob die Beschwerdegegnerin Widerspruch und beantragte, den Bescheid vom 3. Februar 2003 aufzuheben und ihr weiterhin große Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen sowie die Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 26. März 2002 in Höhe von 3.894,52 EUR auszuzahlen. Die Begrenzung der anrechenbaren Zeiten nach dem FRG auf 25 Entgeltpunkte nach § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG finde keine Anwendung, wenn ein Begünstigter neben einem Recht aus eigener Versicherung ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente habe (BSG, Urteil vom 30. August 2001, Az.: B 4 RA 118/00 R).

Unter dem 25. März 2003 beantragte die Beschwerdegegnerin beim Sozialgericht Gotha festzustellen, dass ihr Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. Februar 2003 aufschiebende Wirkung habe, sowie die Beschwerdeführerin zu verpflichten, ihr ab dem 1. Oktober 2002 monatlich fortlaufend die große Witwenrente und die Nachzahlung von 3.894,52 EUR aus der zuerkannten Altersrente für Frauen auszuzahlen.

Am 31. März 2003 erließ die Beschwerdegegnerin in Unkenntnis des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz am 31 März 2003 einen Widerspruchsbescheid.

Mit Beschluss vom 15. April 2003 wurde der in Gotha anhängige Rechtsstreit an das Sozialgericht Altenburg verwiesen.

Unter dem 30. April 2003 hat die Beschwerdegegnerin – nunmehr beim Sozialgericht Altenburg - Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 31. März 2003 erhoben und mit Schriftsatz vom 7. Mai 2003 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. In diesem Zusammenhang wurde der Antrag vom 25. März 2003 für erledigt erklärt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2003 hat sie beantragt, (1.) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 3. Februar 2003 und der Anfechtungsklage gegen den Widersruchsbescheid vom 31. März 2003 anzuordnen und (2.) die Aufhebung der Vollziehung des Aufhebungsbescheides vom 3. Februar 2003 in der Gestalt des Widersruchsbescheides vom 31. März 2003 anzuordnen und die Beschwerdeführerin zu verurteilen, den Nachzahlungsbetrag aus dem Rentenbescheid der Antragstellerin über die Altersrente für Frauen vom 26. März 2002 in Höhe von 3.894,92 EUR an sie auszuzahlen.

Das Sozialgericht Altenburg hat mit Beschluss vom selben Tage antragsgemäß entschieden und der Beschwerdeführerin darüber hinaus Missbrauchskosten nach § 192 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Höhe von 350,00 EUR auferlegt.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. Sie hat nochmals ihre Rechtsauffassung dargelegt und ergänzend ausgeführt, dass mit Bescheid vom 12. Juni 2003 eine Nachzahlung in Höhe von 2.199,03 EUR festgestellt worden sei. Das Sozialamt habe einen Erstattungsanspruch in Höhe von 233,07 EUR geltend gemacht. Der verbleibende Betrag in Höhe von 1.965,96 EUR sei am 10. Juli 2003 angewiesen worden.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 20. Juni 2003 aufzuheben.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auch im Beschwerdeverfahren auf die Rechtsprechung des BSG, die ihren Standpunkt stütze.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 28. August 2003) und sie dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beschwerdeführerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Bei dem Begehren der Beschwerdegegnerin handelte es sich in erster Instanz um einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Klage nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Beschwerdegegnerin geht es zunächst darum, ihre Witwenrente, wie sie mit Bescheid vom 13. April 1999 festgestellt wurde, ausgezahlt zu bekommen. Dieses Ziel ist durch eine Aufhebung des Bescheides vom 3. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2003 zu erreichen, so dass es sich in der Hauptsache um eine darauf gerichtete Anfechtungsklage handelt. Diese Klage hat keine aufschiebende Wirkung, denn die aufschiebende Wirkung entfällt in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder wie hier entziehen (§ 86 a Abs. 2 Nr. 3 SGG). Die Vorschrift bezieht sich allerdings nur auf die Anfechtungsklage. Für den Widerspruch vom 12. Februar 2003 gilt hingegen § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Widerspruch hat danach aufschiebende Wirkung. Des Ausspruches der Anordnung der aufschiebenden Wirkung hätte es demnach nicht bedurft. Hierfür fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. Das Begehren hatte sich im Übrigen durch die zwischenzeitliche Erteilung eines Widerspruchsbescheides erledigt: Weil damit das Verwaltungsverfahren abgeschlossen wurde, machte die nachträgliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ohnehin keinen Sinn mehr. Dementsprechend hat die Beschwerdegegnerin selbst den auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 12. Februar 2003 gerichteten Antrag (Nr. 1 der Antragsschrift vom 26. März 2003) unter dem 7. Mai 2003 für erledigt erklärt. Den im Sitzungsprotokoll wiederum aufgenommenen Antrag hätte das Sozialgericht daher ablehnen müssen, denn infolge der Erledigterklärung war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Der entsprechende Antrag war unzulässig und darum abzulehnen. Damit ist auch klargestellt, dass der Bescheid vom 3. Februar 2003 nicht Gegenstand zweier unterschiedlicher Anordnungen sein kann (so aber der Tenor der Vorinstanz).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage war indessen rechtmäßig. Das Gericht entscheidet über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nach Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung, bei der insbesondere auch die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen sind. Lassen sich die Erfolgsaussichten der Klage nicht abschätzen, ist eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen. Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil an der Vollziehung eines solchen Verwaltungsaktes kein überwiegendes öffentliches Interesse besteht (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86 b Rdnr. 12). Der Bescheid vom 3. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2002 erweist sich - im Rahmen der für das vorliegende Eilverfahren gebotenen vorläufigen Prüfung - als rechtswidrig. Zu Unrecht hat die Beschwerdeführerin die bewilligte Witwenrente der Beschwerdegegnerin ab 1. Mai 2002 nach § 48 SGB X aufgehoben.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach Satz 2 der Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Nr. 1), der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3), oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakte ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

Eine derartige sowohl für die Aufhebung des Ausgangsbescheides für die Zukunft als auch für die Vergangenheit erforderliche wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ist durch die Bewilligung einer Altersrente für Frauen ab dem 1. September 2001 nicht eingetreten. § 22 b FRG, auf den sich die Beschwerdeführerin insoweit beruft, rechtfertigt eine Aufhebung nicht. Diese Vorschrift ist durch Artikel 3 Nr. 5 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz – WFG -) mit Wirkung vom 7. Mai 1996 eingefügt worden. Für Berechtigte, die nach dem 6. Mai 1996 ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben, werden hiernach für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugrunde gelegt (§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG). Hierbei sind zuvor die Entgeltpunkte der knappschaftlichen Rentenversicherung mit dem Wert 1,3333 zu multiplizieren (Satz 2). Entgeltpunkt aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor sind nach Satz 3 vorrangig zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat mit dieser Neuregelung der Tatsache Rechnung getragen, dass die den Spätaussiedlern gezahlten Renten nicht auf eigener Beitragsleistung beruhen. Die Höhe dieser Renten orientiert sich deshalb an Bedürftigkeitsgesichtspunkten. Für einen Berechtigten werden daher lediglich 25 Entgeltpunkte als Grenze angenommen. Unterhalb dieser Grenze handelt es sich aber nach wie vor um eine aus der Anrechnung rentenrechtlicher Zeiten zu ermittelnden Rente und nicht um eine von der konkreten Bedürftigkeit abhängige Sozialleistung. Wäre § 22 b Abs. 1 FRG dahingehend auszulegen, dass ein Berechtigter als Inhaber mehrerer Rechte auf Rente ausnahmslos nur die Berücksichtigung von 25 Entgeltpunkten nach dem FRG begehren könnte, wären hinterbliebene Spätaussiedler - anders als alle anderen Hinterbliebenen von Versicherten - nur Inhaber eines letztlich leeren Rechtes auf Hinterbliebenenrente und blieben im Ergebnis auf den Wert ihrer eigenen Rente und die hieraus monatlich erwachsenden Einzelansprüche beschränkt. Dem Zweck von Hinterbliebenenrenten würde damit nicht hinreichend Rechnung getragen. Diese haben nämlich die Funktion, einen gesetzlich unterstellten und nicht konkret nachzuweisenden Ausfall der Unterhaltsleistungen durch den verstorbenen Versicherten zu kompensieren.

Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 30. August 2001 (Az.: B 4 RA 118/00 R) unter anderem ausgeführt, dass eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte nach § 22 b FRG allein beim Zusammentreffen mehrerer eigener Rentenrechte eines Berechtigten, nicht aber beim Zusammentreffen von Versicherten- und Hinterbliebenenrente in Betracht komme. Bereits der Wortlaut des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG ("anrechenbare Zeiten", "Berechtigte") stehe seiner Anwendung auch im hier maßgeblichen Zusammenhang der Wertbestimmung von Hinterbliebenenrente durchgreifend entgegen. Der Wert von Hinterbliebenenrenten beruht im Gegensatz zu demjenigen von Versichertenrenten, die den Ersatz entfallenen Erwerbseinkommens bezwecken, gerade nicht auf einer individuellen Rangstelle und dem Maß, in dem der Rentner selbst während seiner aktiven Erwerbsphase im jährlichen Vergleich mit den zeitgleich Versicherten zum damaligen Beitragsaufkommen beigetragen hat. Sie leiten sich vielmehr entsprechend ihrer anders gearteten Funktion, Ersatz für den – bei Witwen stets gesetzlich unterstellten und nicht konkret nachzuweisenden - Unterhalt durch den Verstorbenen zu leisten, ohne eigene Vorleistung des Rentners beziehungsweise ohne besondere Vorleistung des Versicherten nach den Gesichtspunkten des Unterhaltsersatzes aus der Rente des Versicherten ab (BVerfGE 48, 346, 347 und BVerfGE 97, 271). Aus demselben Grund kann auf Sachverhalte der vorliegenden Art auch § 22b Abs. 1 Satz 3 FRG keine Anwendung finden. Danach sind Entgeltpunkte aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen. Entgeltpunkte als verwaltungstechnischer Ausdruck einer individuell erworbenen Rangstelle sind allein bei einer Rente aus eigenem Recht von Belang.

Der Senat folgt der skizzierten Rechtsprechung, die im Übrigen auch durch den 13. Senat des Bundessozialgerichts im Ergebnis bestätigt wird (BSG, Urteil vom 11. März 2004, Az.: B 13 RJ 44/03 R, B 13 RJ 52/03 R und B 13 RJ 56/03 R).

Ist damit schon mangels des Vorliegens einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine Aufhebung nach § 48 SGB X nicht angezeigt, kann auch die auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützte Erstattungsentscheidung keinen Bestand haben. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin ausweislich der Ausführungen im Widerspruchsbescheid eine wesentliche Änderung ab 1. September 2001 angenommen hat, eine Aufhebungsentscheidung aber erst ab 1. Mai 2002 getroffen hat. Soweit sie für Zeiten vor dem 1. Mai 2002, nämlich für den Zeitraum vom 1. September 2001 bis 30. April 2002, eine Erstattung ihrer Ansicht nach zu Unrecht gezahlter Witwenrente verlangt, ist diese schon nach der Bescheidlage nicht durch eine vorhergehende Aufhebungsentscheidung gedeckt.

Das weitere Begehren der Beschwerdegegnerin war als "Aufhebung der Vollziehung des Bescheides vom 3. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2002" beschrieben. Insoweit handelt es sich um einen Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen kann, wenn der in Rede stehende Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist. Vorliegend ist jedoch mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage dem Begehren der Beschwerdegegnerin bereits voll entsprochen. Die Aufhebungsentscheidung wurde nicht vollzogen. Die Beschwerdegegnerin bezieht vielmehr durchgängig seit 1. Mai 2002 sowohl Witwenrente als auch Altersrente. Abgesehen davon, dass auf denselben Sachverhalt die Regelungen des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGG nicht kumulativ angewendet werden können, fehlte mangels Befolgung des Aufhebungsbescheides auch das Rechtsschutzbedürfnis für eine entsprechende Anordnung. Auch der darauf gerichtete Antrag war daher als unzulässig abzulehnen.

Schließlich begehrte die Beschwerdegegnerin die Verurteilung der Beschwerdeführerin, den Nachzahlungsbetrag aus dem Altersrentenbescheid in Höhe von 3.894,92 EUR auszuzahlen. Für dieses Leistungsbegehren findet § 86 b Abs. 2 SGG und nicht, wie das Sozialgericht meint, § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG Anwendung. Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht in der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Im Rahmen der hier gegebenen Regelungsanordnung ist ein Anordnungsantrag dann begründet, wenn das Gericht aufgrund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Dabei ist der Anordnungsanspruch identisch mit dem in der Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiell-rechtlichen Anspruch. Der Anordnungsgrund ist in der Verhinderung wesentlicher Nachteile zu sehen.

Hier fehlt es jedenfalls an einem Anordnungsgrund. Die Gefahr des Eintrittes wesentlicher Nachteile durch den Einbehalt der Nachzahlung aus dem Altersrentenbescheid ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdegegnerin ist durch den Bezug zweiter Renten finanziell gesichert; es besteht auch keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin nach Abschluss des Hauptverfahrens im Falle ihres Unterliegens die Nachzahlung nicht vornimmt. Der Antrag der Beschwerdegegnerin war daher als unbegründet abzulehnen.

Die Auferlegung von Kosten nach § 192 SGG kam hier nicht in Betracht. Eine missbräuchliche Rechtsverteidigung seitens der Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Sozialgerichtes nicht ersichtlich. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob die Gesetzeslage einfach und eindeutig ist und ob die interessierenden Rechtsfragen durch höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG geklärt sind. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Sozialgerichtes hatte das Bundessozialgericht lediglich in seiner Entscheidung vom 30. August 2001 (B 4 RA 118/00 R) entschieden, § 22 b FRG sei auf die hier zugrundeliegende Fallkonstellation nicht anwendbar. Demgegenüber gab es zahlreiche sozial- und landessozialgerichtliche Entscheidungen, die entgegen dem BSG der Auffassung waren, § 22 b Abs. 1 FRG sei auch beim Zusammentreffen von Hinterbliebenenrenten mit Renten aus eigener Versicherung anzuwenden (so zum Beispiel LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juli 2003, Az.: L 8 RJ 64/03, LSG Schleswig-Holstein vom 12. Dezember 2002, Az.: L 5 KN 2/02, SG Mannheim vom 27. November 2002, Az.: S 9 RJ 2074/02, SG Freiburg vom 29. April 2003, S 9 RJ 2625/02, LSG Baden-Würtemberg vom 29. Oktober 2003, Az.: L 3 RJ 2585/03). Da insoweit von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Sozialgerichtes noch nicht gesprochen werden konnte, war die Auferlegung von Rechtsmissbräuchlichkeitskosten nicht gerechtfertigt. Im Übrigen war die Rechtsverteidigung der Beschwerdeführerin angesichts der unzulässigen oder unbegründeten Anträge der Beschwerdegegnerin auch weitgehend geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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