L 2 KN 164/04

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 14 KN 2125/02
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 2 KN 164/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Es ist keine Hinderung, das Amt eines (Bundestags-) Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben, wenn die Mandatsausübung nicht den ständigen Arbeiten unter Tage gleichgestellt wird (Art. 48 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 61 Abs. 2 SGB VI).

2. Es verstößt auch nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung, wenn die Mandatsausübung im Deutschen Bundestag nicht einer Betriebsratstätigkeit gleichgestellt wird (§ 61 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI in Verbindung mit Art. 3 GG).
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 11. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Vormerkung von Zeiten der ständigen Arbeiten unter Tage sowie die Gewährung einer Rente für Bergleute wegen Vollendung des 50. Lebensjahres.

Der im Oktober 1951 geborene Kläger erlernte den Beruf des Zerspanungsfacharbeiters. Ab Januar 1974 war er bei dem VEB Schachtbau N. als Schlosser tätig und ab Oktober 1974 bei dem VEB Kalibetrieb S., der späteren Kali S. AG, als Dreher unter Tage. Er verdiente im Jahre 1991 ein Bruttoarbeitsentgelt von 25.307 DM (= 12.939 Euro); ab Januar 1994 bezog er 2.798 DM monatlich nach Vergütungsgruppe 7 und weitere 47 DM als Besitzstandswahrung. Seit 1990 ist er gewähltes Betriebsratsmitglied.

Vom 10. November 1994 bis zum 18. Oktober 2002 war der Kläger Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Während dieses Zeitraumes ruhte sein Arbeitsverhältnis. Ab 1. Dezember 1994 zahlte er freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Anschluss an die Abgeordnetentätigkeit war der Kläger seit dem 18. Oktober 2002 bei der GVV – Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH als Bandschlosser unter Tage (Lohngruppe 7) beschäftigt; zunächst verdiente er dort 1.867 Euro monatlich (zuzüglich Urlaubsgeld und Jahresgratifikation nach den firmentariflichen Vereinbarungen). Seit 1. Januar 2004 ist er als Verwahrer unter Tage/Schlosser tätig.

Im April 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Kontenklärung. Diese stellte mit Bescheid vom 4. Juni 2002 die bis zum 31. Dezember 2001 zurückgelegten Tatbestände rentenrechtlicher Zeiten fest (bis zum 31. Dezember 1995 verbindlich). Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, weil die Beklagte die Zeit seiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag nur als Übertage-Zeit berücksichtigt hatte. Mit Bescheid vom 7. November 2002 wies die Beklagte seinen Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Altenburg Klage erhoben und vorgetragen, ohne die Mandatsausübung im Deutschen Bundestag hätte er die Untertagetätigkeit weiter ausgeübt. Auch während der Zeit als Abgeordneter habe er seine verantwortungsvolle Arbeit als Mitglied des Betriebsrates wahrgenommen und dessen Sitzungen regelmäßig besucht. Er dürfe wegen seiner Mandatsausübung nicht gegenüber anderen Arbeits- und Dienstkollegen schlechter gestellt werden.

Während des Klageverfahrens beantragte er Rente für Bergleute wegen Vollendung des 50. Lebensjahres bei der Beklagten, was diese mit Bescheid vom 14. April 2003 ablehnte, weil der Kläger die Wartezeit von 25. Jahren nicht erfüllt habe.

Der zuständige erstinstanzliche Richter hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Rentenbescheid nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sei, weil die Ablehnung der Rente für Bergleute auf der Nichtberücksichtigung des Zeitraum von 1994 bis 2002 als Zeit der ständigen Arbeiten unter Tage beruhe. Das Sozialgericht hat weiterhin eine Auskunft des Deutschen Bundestages von Juli 2003 zu den Ansprüchen auf Altersversorgung nach dem Abgeordnetengesetz und zu sonstigen Ansprüchen von Abgeordneten, die acht Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages waren, eingeholt.

Mit Urteil vom 11. Dezember 2003 hat es die Klage abgewiesen. Da der Kläger im Zeitraum vom 10. November 1994 bis zum 18. Oktober 2002 tatsächlich keine Arbeiten unter Tage ausgeführt habe und auch kein gleichgestellter Zeitraum nach § 61 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorliege, könne er die begehrte Vormerkung nicht beanspruchen. Ein Anspruch auf Rente für Bergleute wegen Vollendung des 50. Lebensjahres scheitere daran, dass der Kläger die Wartezeit von 25 Jahren mit ständigen Arbeiten unter Tage nicht erfüllt habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Aufgrund der Nichtanrechnung des betroffenen Zeitraumes von acht Jahren könne er die Sonder¬regelungen für Bergleute nicht in Anspruch nehmen. Dies widerspreche dem Benachteiligungsverbot für Mandatsträger im Deutschen Bundestag und verstoße darüber hinaus gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Ebenso verstoße die Ungleichbehandlung gegenüber den in § 61 Abs. 2 SGB VI ausdrücklich genannten Ausnahmetatbeständen gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 11. Dezember 2003 aufzuheben, den Bescheid vom 4. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2002 abzuändern sowie den Bescheid vom 14. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Zeitraum vom 10. November 1994 bis zum 18. Oktober 2002 als Zeitraum mit ständigen Arbeiten unter Tage vorzumerken und ihm eine Rente für Bergleute nach Vollendung des 50. Lebensjahres zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ihr erstinstanzliches Vorbringen sowie die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Mit Verfügungen vom 14. Juli und 2. Dezember 2004 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Berufung unter den gesetzlich festgelegten Voraussetzungen auch durch Beschluss zurückgewiesen werden kann, und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Mit Verfügung vom 18. Oktober 2004 hat der Senat die Beteiligten wegen der umstrittenen Rente für Bergleute um ausführliche Stellungnahme gebeten, weshalb die vom Kläger seit dem 18. Oktober 2002 als Bandschlosser unter Tage (seit 1. Januar 2004 "Verwahrer unter Tage/Schlosser") ausgeübte Tätigkeit nicht mit der früher ausgeübten Tätigkeit als Dreher wirtschaftlich vergleichbar sein soll. Die Beklagte hat dazu zunächst mitgeteilt, dass eine Prüfung zur wirtschaftlich gleichwertigen Beschäftigung durch sie gar nicht erfolgt sei, weil der Kläger schon die Wartezeit nicht erfüllt habe. Später hat sie auch noch die Kopie eines von ihr an den Kläger gerichteten Schreibens vom 13. Dezember 2004 vorgelegt, in dem mitgeteilt wird, dass "ausgehend von dem Beruf als Dreher (Lohngruppe 02 Tarif-Kali)" die jetzt ausgeübte Tätigkeit als Verwahrer nicht wirtschaftlich gleichwertig sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichts- und Beklagtenakte, die Gegenstand der Beratung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liegen unbedenklich vor.

Der Senat kann die Berufung im vorliegenden Fall nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten dazu gehört hat. Auf die nach der Belehrung durchgeführten Ermittlungen stützt der Senat seine Entscheidung nicht.

Das Sozialgericht Altenburg hat zutreffend entschieden, dass der Kläger weder einen Anspruch auf Vormerkung der geltend gemachten Zeiten noch einen Anspruch auf Rente für Bergleute nach Vollendung des 50. Lebensjahres hat. Das Sozialgericht durfte zulässigerweise auch über den Rentenbescheid urteilen, weil er nach § 96 Abs. 1 SGG analog Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist. Der Rentenbescheid beruht auf den im Vormerkungsbescheid getroffenen Feststellungen: Da die Beklagte eine Vormerkung der Mandatstätigkeit als Tätigkeit unter Tage abgelehnt hat, mangelt es dem geltend gemachten Rentenanspruch an der notwendigen Wartezeiterfüllung. Für derartige Fallkonstellationen hat die Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG jedenfalls dann anerkannt, wenn die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes dem Willen der Beteiligten entspricht (BSG, Urteile vom 24. November 1978, Az.: 11 RA 9/78, und vom 17. Juli 1985, Az.: 1 RA 35/84).

Zu Recht hat die Beklagte den Anspruch auf Vormerkung der geltend gemachten Zeiten abgelehnt. Nach § 149 Abs. 1 Satz 2 SGB VI kann der Versicherte nur die Feststellung von Daten beanspruchen, die der Versicherungsträger nach Maßgabe der Vorschriften des SGB VI in einem Versicherungskonto zu speichern hat. Der Vormerkungsanspruch ist somit ausschließlich auf die Feststellung von Tatsachen gerichtet, die nach dem im Zeitpunkt der Vormerkung gültigen Recht in einem künftigen Leistungsfall möglicherweise rechtserheblich und nach Maßgabe des deutschen Rentenversicherungsrechts im Versicherungskonto vorzumerken sind.

Die vom Kläger als Mandatsträger im Deutschen Bundestag ausgeübte Arbeit ist - ohne dass es weiterer Erläuterungen bedarf – keine ständige Arbeit unter Tage im Sinne von § 61 Abs. 1 SGB VI gewesen, weil sie nach ihrer Natur nicht ausschließlich unter Tage ausgeübt wird.

Ein Gleichstellungstatbestand nach § 61 Abs. 2 SGB VI liegt ebenfalls nicht vor; insbesondere wurde der Kläger nicht im Sinne des § 61 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI wegen der Betriebsratstätigkeit von seiner Arbeit unter Tage freigestellt, sondern wegen der Mandatsausübung im Deutschen Bundestag.

Eine Gleichstellung der Tätigkeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages sieht das Gesetz nicht vor.

Der Kläger hat auch keinen aus Art. 3 oder Art. 48 Abs. 2 GG herleitbaren Anspruch auf Gleichstellung seiner Tätigkeit im Bundestag mit den ständigen Arbeiten unter Tage.

Nach Artikel 48 Abs. 2 GG darf niemand gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder eine Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig. Die Vorschrift will gewährleisten, dass der Abgeordnete bei der Annahme und Ausübung seines Amtes nicht durch Dritte behindert wird. Daher wird der Anwendungsbereich des Art. 48 Abs. 2 GG nur dann berührt, wenn die Intention einer Regelung oder eines Verhaltens auf die Erschwerung oder Verhinderung der Übernahme oder Ausübung des Abgeordnetenmandats gerichtet ist. Nicht verboten ist daher eine in eine ganz andere Richtung zielende Regelung oder Handlung, die nur unvermeid¬licherweise die tatsächliche Folge oder Wirkung einer Beeinträchtigung der Freiheit hat, das Mandat zu übernehmen oder auszuüben (BVerfGE 42, 312 ff.). Es ist daher beispielsweise mit Art. 48 Abs. 2 GG vereinbar, wenn ein Arbeitgeber einem durch das Mandat an der Erbringung seiner vertraglichen Leistung gehinderten Abgeordneten während dieser Zeit nicht das vertraglich zugesicherte Entgelt zahlt. Ebenso wenig verbietet Art. 48 Abs. 2 GG sozialadäquate Behinderungen (BVerfG, a.a.O.). Es ist aber verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 61 SGB VI keine Privilegierung von Mandatsträgern vorsieht.

Auch aus Art. 3 GG folgt kein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung insbesondere mit den Betriebsratsmitgliedern. Wie im erstinstanzlichen Urteil zutreffend ausgeführt wird, erwirbt der durch seine Betriebsratstätigkeit an der Tätigkeit unter Tage gehinderte Bergmann keinen eigenständigen Versorgungsanspruch, so dass die Regelung des § 61 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI zur Vermeidung von Nachteilen für den betroffenen Personenkreis notwendig war. Eine Privilegierung des Klägers als Mandatsträger hingegen widerspräche dem formalisierten Gleichheitssatz, weil dieser als Abgeordneter angemessen alimentiert wird (BVerfGE 40, 296). Auf die Regelungen zur Entschädigung und Versorgung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages hat die Vorinstanz bereits zutreffend hingewiesen. Eine Benachteiligung des Klägers ist danach nicht erkennbar.

Ergänzend sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Kläger für den streitigen Zeitraum auch keine Pflichtbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet hat.

Damit war die Klage gegen den Bescheid vom 4. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2002 unbegründet und die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente für Bergleute wegen Vollendung des 50. Lebensjahres nach § 45 Abs. 3 SGB VI. Ausweislich des Bescheides vom 4. Juni 2002 hatte der Kläger bis November 1994 240 Kalendermonate mit ständigen Arbeiten unter Tage (diese Feststellung wurde vom Kläger nicht angefochten); bis zum 31. Januar 2003 kamen nach dem Bescheid vom 14. April 2003 weitere 15 Monate hinzu (nach eigener Zählung: 16 Monate); seither dürften nochmals 22 Monate angefallen sein. Damit hat der Kläger die Wartezeit von 300 Kalendermonaten bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung eindeutig nicht erfüllt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved