L 5 VG 700/01

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 8 VG 1165/01
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 5 VG 700/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 26. September 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) als Folge einer tätlichen Auseinandersetzung am 29. Juli 1997.

Am 24. Oktober 1997 stellte die Klägerin einen Antrag nach dem OEG. Sie und ihr Mann (der Zeuge K. D.) seien durch ihren Schwager, den Zeugen A. D., angegriffen worden. Als Körperschaden gab sie den linken Oberarm und den rechten Daumenballen an.

Der Beklagte zog die Akten der Staatsanwaltschaft Gera () bei. Dort befanden sich die Protokolle der Zeugenvernehmungen des Zeugen K. D., der Klägerin, des Zeugen A. D. und der Zeugin M. D. Nach der protokollierten Aussage des Zeugen K. D. vom 30. Juli 1997 habe die Klägerin am Tattag, dem 29. Juli 1997, gegen 15.45 das Tor des gemeinsam mit dem Zeugen A. D. bewohnten Doppelhauses geöffnet, da um diese Zeit die behinderte Tochter von einem Fahrdienst nach Hause gebracht werde. Der Zeuge A. D. habe es wieder zugemacht. Daraufhin habe die Klägerin das Tor erneut geöffnet. Der Zeuge A. D. sei wie eine Bestie auf ihn zugekommen. In diesem Moment habe die Klägerin Reizgas gegen den Zeugen A. D. gesprüht. Dieser sei zurückgegangen und habe mit einer Holzbohle nach beiden geschmissen, was habe abgewehrt werden können. Danach habe er (der Zeuge A. D.) eine Kartoffelgabel, welche messerscharf sei, genommen und auf die Klägerin eingestochen. Ziel sei ihr Gesicht gewesen. Die Klägerin habe reagiert und die Arme hochgenommen und sei hingefallen. Der Zeuge A. D. sei ein zweites Mal mit der Kartoffelgabel auf ihn zugekommen. Nun habe er eingreifen müssen. Er habe noch vom Öffnen des Tores das Rundeisen in seiner Hand gehabt und den Zeugen A. D. außer Gefecht gesetzt. Dann sei seine Schwägerin, die Zeugin M. D., gekommen und auf die Klägerin zugegangen und habe ihr das Gesicht zerkratzen wollen, was er vermute. Die Klägerin habe wieder das Gas benutzt.

Die Klägerin hat im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung am 19. August 1997 zunächst den Hergang des Toröffnens, wie vom Zeugen K. D. geschildert, bestätigt. Anschließend erklärte sie, dass der Zeuge A. D. auf sie zugekommen sei und ihr gesagt habe, dass das Tor zubleibe. Sie, die Klägerin, habe erwidert, dass das Tor aufbleibe. Er habe die Hand erhoben, als habe er sie schlagen wollen, wahrscheinlich weil sie widersprochen habe. Sie habe mit dem Reizgas gesprüht, das sie in der Hand gehabt habe. Er habe angefangen, sie zu beschimpfen. Er habe sich umgedreht und mit einem Brett nach ihr geworfen. Das Brett habe niemanden getroffen. Anschließend habe der Zeuge A. D. nach einer Gabel gegriffen und nach ihr geworfen. Sie sei rückwärts getreten und gestürzt und benommen gewesen. Ihr Mann habe ihr später erzählt, dass der Zeuge A. D. mit der Gabel neben ihr gestanden habe. Als sie wieder aufgestanden sei, sei die Zeugin M. D. auf sie zugekommen, als habe sie ihr das Gesicht zerkratzen wollen. Sie habe die Zeugin D. mit Reizgas besprüht.

Der Zeuge A. D. hat in seiner Aussage vom 30. Juli 1997 den Hergang im Zusammenhang mit dem Öffnen des Hoftores ebenfalls bestätigt. Er sagte aus, dass er zu diesem Zeitpunkt mit dem Scheren von Schafen beschäftigt gewesen sei. Aus diesem Grund habe er das Hoftor geschlossen. Er habe der Klägerin, die das Tor wieder geöffnet habe, erklärt, dass sie das Hoftor wegen der Schafe geschlossen halten solle. Als er kurz vor dem Tor gewesen sei, sei sie ihm entgegen gekommen und habe ihm mit Reizgas in sein Gesicht gesprüht. Da er nichts mehr habe sehen können, habe er das in seiner Nähe befindliche Holz genommen, um sich gegen die Klägerin zu wehren. Er habe es gegen sie geworfen, um sie von sich zu halten. In diesem Moment sei seine Frau, die Zeugin M. D., zur Klägerin gekommen. Die Klägerin habe in diesem Moment die Zeugin M. D. ebenfalls mit Reizgas besprüht. Sie habe nicht aufgehört, die Zeugin M. D. zu besprühen. Daraufhin habe er das nächste, was greifbar gewesen sei, eine Kartoffelgabel, genommen und habe sie gegen die Klägerin geworfen, damit sie aufhöre zu sprühen. Plötzlich habe sein Bruder, der Zeuge K. D., neben ihm gestanden und mit einem Gegenstand auf ihn eingeschlagen. Sein Bruder habe schon des Öfteren erwähnt, er wolle "ihn kaltmachen".

Schließlich hat die Zeugin M. D. in ihrer Vernehmung am 30. Juli 1997 ausgesagt, dass sie die Aussage des Zeugen A. D. bestätigen könne. Die Klägerin habe ihren Mann, den Zeugen A. D., mit Reizgas besprüht. Sie sei dann auf die Klägerin zugegangen, um mit ihr zu reden, sei aber dann selbst mit Reizgas besprüht worden.

Im Rahmen der Ermittlungsakte lagen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Dr. W. für die Zeugin M. D. und den Zeugen A. D. vor.

Mit Beschluss vom 18. Februar 1998 wurde im Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin und den Zeugen K. D. auf den Weg der Privatklage verwiesen. Mit Beschluss vom selben Tag wurde im Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen A. D. ebenfalls auf den Weg der Privatklage verwiesen.

Unter dem 21. Januar 1999 erhob die Klägerin beim Amtsgericht Stadtroda gegen den Zeugen A. D. und die Zeugin M. D. Schadensersatzklage. Diese erhoben unter dem 21. März 1999 Widerklage. Mit Urteil vom 22. Februar 2000 verurteilte das Amtsgericht Stadtroda die Klägerin und den Zeugen K. D. dazu, an den Zeugen A. D. und die Zeugin M. D. Schadensersatz zu zahlen. Ferner wurde der Zeuge A. D. verurteilt, der Klägerin Schadensersatz zu zahlen.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2000 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem OEG ab.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2001 zurück. Aus den polizeilichen und gerichtlichen Ermittlungsunterlagen gehe hervor, dass die Klägerin durch ihren Schwager (den Zeugen A. D.) am 29. Juli 1997 verletzt worden sei. Die Klägerin habe nach den Feststellungen des Amtsgerichts Stadtroda die Ursache für den Angriff des Zeugen A. D. selbst gesetzt, indem sie ihn vorher mit Reizgas besprüht habe. Sie habe die ganze weitere Auseinandersetzung einschließlich ihrer körperlichen Schädigung damit herausgefordert.

Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht Altenburg Klage erhoben, die das Sozialgericht mit Urteil vom 26. September 2001 abgewiesen hat.

Die Klägerin trägt in ihrer hiergegen eingelegten Berufung vor, dass sie von dem Zeugen A. D. vorsätzlich und rechtwidrig angegriffen worden sei. Ihre erheblichen Verletzungen seien nicht wegen des von ihr zuvor geführten Reizgasangriff durch Notwehr des Zeugen A. D. gerechtfertigt gewesen. Sie mache als Schädigungsfolgen Narben am linken Arm, zeitweise Taubheit des ganzen Armes (kurzzeitig) und des rechten Handballens sowie den Verlust ihres Geruchssinns geltend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 26. September 2001 und den Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr Narben am linken Arm, zeitweise kurzzeitige Taubheit des ganzen Armes und des rechten Handballens sowie den Verlust des Geruchssinns als Schädigungsfolgen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriffs vom 29. Juli 1997 i. S. d. OEG anzuerkennen und ihr eine Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 25 v. H. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Krankenunterlagen des "R"-Krankenhauses vom 11. August 1997 beigezogen. Danach hat bei der Klägerin eine tiefe und stark verschmutzte Stichverletzung im Bereich des linken Oberarmes und des rechten Tenars vorgelegen. Ferner hat der Senat die Unterlagen der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten der FSU J. vom 28. Juni 1999 beigezogen. Der Senat hat daneben einen Befundbericht des Dipl.-Mediziners D.r vom 6. Mai 2003 angefordert. Schließlich hat der Senat Unterlagen der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten der FSU J., beginnend mit dem 7. Dezember 2000, beigezogen.

Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2005 angehört. Sie behauptete nunmehr, sie habe den Zeugen A. D. nicht mit Gas besprüht, das Spray habe nicht funktioniert. Ferner hat der Senat in dieser Sitzung die Zeugen A. und K. D. und die Zeugin M. D. vernommen. Bezüglich der weiteren Angaben der Klägerin und des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2005 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die die Klägerin betreffende Akte des Beklagten lag vor und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem OEG. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff i. S. d. OEG ist nicht erwiesen.

Wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach § 1 Abs. 1 OEG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in der entsprechenden Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Wie das Bundesversorgungsgesetz, auf das in dieser Vorschrift verwiesen wird, geht auch das OEG von einer dreigliedrigen Kausalkette aus. Das erste Glied ist der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff, das zweite Glied bildet die durch diesen schädigenden Vorgang hervorgerufene Schädigung (Primärschaden), das dritte Glied stellt die Folgen der gesundheitlichen Schädigung (Schädigungsfolge) dar, also das Versorgungsleiden, dessen Feststellung ein Antragsteller durch die Versorgungsverwaltung begehrt. Wie nach dem Bundesversorgungsgesetz müssen auch nach dem OEG diese drei Glieder der Kausalkette als anspruchsbegründende Tatsachen nachgewiesen werden. Das heißt, dass auch der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff nachgewiesen werden muss (vgl. Urteil des BSG vom 28. Juni 2000 Az.: B 9 VG 3/99 R). Für den Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt. Dabei können nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG - , der auch über das Inkrafttreten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X - hinaus noch Geltung hat (Artikel 2 § 16 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl I S. 1469) und auch auf dem Gebiet des OEG Anwendung findet (BSG a.a.O. m.w.N.), die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen in den Fällen, in denen Unterlagen nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu beschaffen, oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt der Grad der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Hiernach ist jede Möglichkeit wahrscheinlich, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt. Diese wird auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 7. Auflage 2002, § 118 Rdnr. 5 a).

Vorliegend fehlt es bereits an dem Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen die Klägerin oder an einer rechtmäßigen Abwehr eines solchen Angriffs. Darüber hinaus liegt auch ein Versagensgrund nach § 2 Abs. 1 S. 1 OEG vorliegt, weil der Senat auch davon überzeugt ist, dass die Klägerin ihre Schädigung provoziert und hierdurch selbst verursacht hat.

Ein Angriff i.S.d. OEG setzt grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus (BSG NJW 1988, 925 m. w. N.). Die Verletzungshandlung im OEG ist dabei eigenständig und ohne Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt (vgl. BSG SozR 3–3800 § 1 Nr. 1). In aller Regel wird die Angriffshandlung aber den Tatbestand einer versuchten oder vollendeten vorsätzlichen Straftat gegen das Leben i. S. d. §§ 211 ff. StGB oder gegen die körperliche Unversehrtheit i. S. d. § 223 ff. StGB erfüllen. Deshalb ist – für den inneren Tatbestand (Vorsatz) – i. d. R. auch das Wissen und Wollen des strafrechtlich relevanten Erfolges (Verletzung, Tötung) von Belang.

Im Rahmen des OEG wird nicht jede Gewalttat entschädigt, sondern nur der wesentliche Bereich der so genannten Gewaltkriminalität, die zu Körperverletzungen und Tod führen kann. Soweit das OEG von einem vorsätzlichen Angriff spricht, muss sich der Vorsatz nur auf den Angriff als solchen beziehen, nicht auf den entstandenen Körperschaden (BSG SozR 3–3800 § 1 Nr. 1). Der tätliche Angriff muss rechtswidrig gewesen sein. Die Rechtswidrigkeit bezeichnet das, den Widerspruch zu den generellen, für Jedermann verbindlichen Sollens-Anforderungen des Rechts ausdrückende, negative Werturteil über die Tat. Ein Angriff ist damit dann rechtswidrig, wenn er objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Verletzt ist die Rechtsordnung aber erst, wenn der Angriff rechtlichen Verhaltensnormen widerspricht und somit die Verletzung rechtlich geschützter Interessen aus einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten droht. Ein Angriff, der den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt, ist grundsätzlich rechtswidrig. Denn Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Rechtfertigungsgrund i. S. d. OEG ist u. a. die Notwehr nach § 32 StGB. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich (Notwehr) oder von einem anderen (Nothilfe) abzuwehren. Der Gesetzgeber hat den Rechtfertigungsgrund für besonders gewichtig gehalten und ihn in den Gesetzeswortlaut aufgenommen ("oder durch dessen rechtsmäßige Abwehr"; vgl. Kunz OEG, Kommentar, 2. Auflage 1989 § 1 Rn. 18).

An einer Rechtswidrigkeit des Angriffs des Zeugen A. D. fehlt es. Nach der Vernehmung der Zeugen und der Anhörung der Klägerin ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin durch ihren Reizgasangriff auf den Zeugen A. D. und die Zeugin M. D. den Wurf mit der Kartoffelgabel als Notwehr bzw. Nothilfe erforderlich gemacht hat, um den weiteren Reizgasangriff der Klägerin zu unterbinden. Dabei war die Notwehrhandlung insbesondere erforderlich. Erforderlich ist die Notwehrhandlung, wenn und soweit sie einerseits zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und andererseits das relativ mildeste Gegenmittel darstellt. Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs bestimmen dabei Art und Maß der Abwehr (BGH MDR 55, 649).

Der Senat ist davon überzeugt, dass der von dem Zeugen A. D. und der Zeugin M. D. geschilderte Tathergang der Wahrheit entspricht. Die Aussagen waren glaubhaft, die Zeugen waren im Gegensatz zur Klägerin und ihrem Ehemann, dem Zeugen K. D., auch glaubwürdig. Danach ist für den Senat folgender Tathergang erwiesen: Am Tattag, dem 29. Juli 1997, öffnete die Klägerin zwischen 15.00 Uhr und 15.30 Uhr das Tor des gemeinsam mit den Zeugen bewohnte Doppelhauses, weil sie die Ankunft eines Behindertentransportes erwartete, der üblicherweise um 15.45 Uhr die Tochter der Klägerin nach Hause bringt. Der Zeuge A. D., der zu diesem Zeitpunkt seine Schafe hat scheren lassen und das Entweichen der Schafe durch das offene Tor befürchtete, war mit dem Öffnen nicht einverstanden. Er begab sich zum Tor, an dem die Klägerin noch stand, um dieses wieder zu schließen. Ob es hierbei zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen ist, ließ sich nicht klären. Der Zeuge K. D. stand wenige Meter vom Tor entfernt. Zu einer tätlichen Auseinandersetzung ist es bis dahin nicht gekommen. Insoweit stimmen auch die Angaben der Klägerin und des Zeugen K. D. mit diesen Angaben überein. Zu dem Zeitpunkt, als der Zeuge A. D. das Tor wieder schließen wollte, begab sich die Klägerin eilig in das Haus, holte das Reizgas und wartete, bis der Zeuge A. D. die zweite Torhälfte geschlossen hatte. In diesem Moment besprühte die Klägerin ihn mit dem Reizgas. Die Zeugin M. D., die in Erwartung einer Auseinandersetzung zum Tor gelaufen war, wurde von der Klägerin ebenfalls und ohne ersichtlichen Grund mit Reizgas besprüht. In diesem Moment warf der Zeuge A. D. zur Abwehr weiterer Angriffe der Klägerin zuerst ein Holzstück und anschließend eine Kartoffelgabel nach ihr, die sie mit der rechten Hand (teilweise) abwehrte und sich dabei unter anderem am rechten Handballen verletzte. Die Klägerin stürzte zwar, fiel aber weder auf den Kopf noch wurde sie bewusstlos. Schließlich schlug der Zeuge K. D. den Zeugen A. D. mit einer Eisenstange vorsätzlich auf den Kopf.

Diese in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemachten Angaben der Zeugen A. und M. D. stimmen im Wesentlichen mit der polizeilichen Vernehmung vom 30. Juli 1997 überein. Ferner sind sie im Hinblick auf den Einsatzbericht der Polizei vom 7. August 1997, dem Notarzteinsatzprotokoll vom 29. Juli 1997 und dem Befund des Krankenhauses "R." vom 11. August 1997 schlüssig.

Für den Senat steht demgegenüber fest, dass die Klägerin und der Zeuge K. D. falsche Angaben gemacht haben. Die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2005 sowie die Aussage des Zeugen K. D. waren offensichtlich abgesprochen. Beide versuchten, den Hergang so zu schildern, als seien sie an der Auseinandersetzung schuldlos und hätten selbst keine Veranlassung zu einer Notwehrhandlung gegeben. Die Angaben waren jedoch nicht glaubhaft. Zusätzlich sollten der Zeuge A. D. und die Zeugin M. D. in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert werden. Auch die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Behauptungen wie Alkoholsucht und Aggressivität der Zeugen ist nicht glaubhaft.

So behauptete die Klägerin erstmals in der Verhandlung vom 2. Juni 2005, dass das Spray nicht funktioniert habe, obwohl sie selbst noch bis zum Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 22. November 2004 eingeräumt hatte, das Reizgas gegen ihren Schwager eingesetzt zu haben. Auf ihre unterschiedlichen Angaben angesprochen erklärte sie, sie habe sich falsch ausgedrückt. Der Senat hält hier aber wegen der Eindeutigkeit der ursprünglichen und stets in den verschiedenen Verfahren wiederholten Erklärung Missverständnisse nicht für möglich. Die Klägerin hat offensichtlich deshalb einen bis dahin völlig neuen Sachverhalt geschildert, weil sie im Rahmen des Termins vom 22. November 2004 darauf hingewiesen wurde, dass das Werfen mit der Kartoffelgabel durch A. D. möglicherweise als Notwehr gegen den Reizgasangriff gerechtfertigt war, was Ansprüche nach dem OEG ausschließt. Ebenso hat der Zeuge K. D. falsch ausgesagt, als er nunmehr, entgegen seiner polizeilichen Vernehmung vom 30. Juli 1997, behauptete, die Klägerin habe seinen Bruder nicht mit Reizgas besprüht. Dabei hat sich der Zeuge im Rahmen der weiteren Vernehmung immer mehr in Widersprüche verwickelt. Obwohl die Zeugin M. D., die von der Klägerin ebenfalls mit Reizgas besprüht wurde, anschließend ärztlich behandelt werden musste, was beiden nicht entgangen sein kann, haben die Klägerin und der Zeuge K. D. bekundet, wegen der Windverhältnisse hätte die Zeugin "nicht viel abbekommen". Die Klägerin blieb dabei eine Erklärung schuldig, weshalb das Spray bei ihrem Schwager nicht funktioniert habe, während sie unmittelbar anschließend ihre Schwägerin besprühen konnte.

Auch hinsichtlich des zeitlichen Ablaufes hat die Klägerin nicht die Wahrheit gesagt. Denn sie hat vor dem Wurf mit der Kartoffelgabel sowohl den Zeugen A. D. als auch die Zeugin M. D. mit dem Gas besprüht. Das ergibt sich nicht nur aus den glaubwürdigen Aussagen der hierdurch Geschädigten, sondern auch aus dem medizinischen Befund der Klägerin. Ihre Erklärung, sie habe (nach dem Wurf) das Spray noch in der Hand gehalten, sei verkrampft gewesen, habe es dann hochgehoben und diesmal habe es (bei der Schwägerin) funktioniert, ist auch wegen ihrer Verletzungen nicht glaubhaft. Denn sie wurde durch die Kartoffelgabel beim Abwehren am rechten Handballen verletzt. Dabei kann sie das Spray sprühbereit in der rechten Hand nicht mehr gehalten und anschließend ihre Schwägerin besprüht haben. Zumindest wäre das Spray dabei aus ihrer Hand gefallen. Schlüssig wird der Ablauf, wenn die Klägerin zuerst beide Zeugen besprüht hat und dann von der Gabel getroffen wurde. Der Senat ist von diesem Ablauf überzeugt. Im Übrigen hat der Zeuge K. D. ebenfalls bekundet, der Wurf mit der Kartoffelgabel sei nach dem Gasangriff erfolgt und dabei offensichtlich beide Gasangriffe gemeint.

Die Klägerin und der Zeuge K. D. haben sich auch insoweit widersprochen, als sie behaupteten, die Auseinandersetzung hätte mit dem Gassprühen zu dem Zeitpunkt eskaliert, als sie das Tor wieder hätten öffnen wollten. Der Zeuge K. D. behauptete zwar, sie wollten gerade das Tor öffnen, als der Zeuge A. D. auf sie zutrat, wusste aber nicht mehr, ob das Tor zu diesem Zeitpunkt noch geschlossen beziehungsweise ganz oder nur teilweise bereits geöffnet war. Dies ist insoweit von Bedeutung, als insbesondere die Klägerin ihren Gasangriff damit rechtfertigte, dass der Zeuge A. zu diesem Zeitpunkt handgreiflich habe werden wollen. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen A. D. und der Zeugin M. D. hingegen, wollte der Zeuge A. D. gerade das Tor schließen, als seine Schwägerin das Reizgas einsetzte, das heißt er hat der Klägerin überhaupt keinen Anlass gegeben, das Gas zu benutzen. Abgesehen davon hat die Klägerin behauptet, ihr Schwager habe sie in diesem Moment mit der flachen Hand schlagen wollen, während der Zeuge K. D. behauptete, sein Bruder habe mit der Faust zuschlagen wollen. Insgesamt haben weder die Klägerin noch ihr Ehemann einen unmittelbar bevorstehenden Angriff durch den Zeugen A. D. oder die Zeugin M. D. glaubhaft vorgetragen, der sie zu einer Notwehr oder Nothilfehandlung berechtigt hätte.

Die Klägerin hat im Rahmen des Berufungsverfahrens ihren Vortrag auch insoweit abgeändert, als sie als Schädigungsfolge nunmehr noch den Verlust des Geruchssinns, den sie aber erst im Jahre 2000 bemerkt haben will, auf den Wurf mit der Kartoffelgabel zurückführt. Abgesehen davon, dass ein Zusammenhang abwegig ist, beruht der veränderte Vortrag offensichtlich darauf, dass die ansonsten feststehenden, geringfügigen Schädigungsfolgen, nämlich Narben am linken Arm, von vornherein keinen Rentenanspruch nach dem OEG gerechtfertigt hätten. Für die außerdem vorgetragenen Schädigungsfolgen einer Taubheit des linken Armes oder des rechten Handballens gibt es keinen medizinischen Anhalt. Selbst wenn die Klägerin an solchen Gesundheitsstörungen leiden würde, was der Senat bezweifelt, ist ein Zusammenhang nicht ersichtlich. Der Senat ist anhand der Zeugenaussagen und vorliegenden Befunde im Übrigen davon überzeugt, dass die Klägerin nach dem Wurf mit der Gabel weder mit dem Hinterkopf aufgeschlagen noch bewusstlos geworden ist, was angeblich den drei Jahre später eingetretenen Verlust des Geruchssinnes bewirkt habe. So hat die Klägerin bei der Polizei nichts von einem Aufschlagen des Kopfes oder gar von Bewusstlosigkeit mitgeteilt, sondern nur davon gesprochen, dass sie "benommen" gewesen sei. Eine Bewusstlosigkeit wäre so schwer wiegend, weil die damit in der Regel verbundene Gehirnerschütterung eine erhebliche Verletzung darstellt, dass zu erwarten gewesen wäre, dass sie insbesondere noch zu einem Zeitpunkt mitgeteilt wird, als das Geschehen zeitnah vor Augen liegt. Auch ihr Ehemann gab bei der Polizei nur an, dass die Klägerin gefallen sei und dabei ihre Brille verloren habe, was sicher von geringerer Bedeutung ist als das Aufschlagen mit dem Kopf und anschließender Bewusstlosigkeit. Daneben stimmt die Aussage des Ehemannes vor der Polizei auch mit seinen späteren Angaben, selbst mit den Angaben der Klägerin, nicht überein. So gab er dort noch an, dass sein Bruder auf die Klägerin mit der Kartoffelgabel eingestochen habe und nach dem Sturz mit der Kartoffelgabel ein zweites Mal auf sie zugegangen sei, was ihn zum Handeln veranlasst hätte.

Schließlich sind die Aussagen der Klägerin und des Zeugen K. D. auch nicht glaubhaft, soweit sie die Glaubwürdigkeit des Zeugen A. D. oder der Zeugin M. D. in Frage stellen wollten. Insbesondere die Klägerin behauptete, der Zeuge A. D. hätte am Tattag Alkohol getrunken, möglicherweise auch die Zeugin M. D ... Hierfür hat der Senat keinen Anhalt. Beide sind ärztlich behandelt worden, der Verdacht auf Alkoholkonsum wurde nicht geäußert. Auch aus dem Polizeibericht ergibt sich kein entsprechender Hinweis. Die Behauptung, dem Zeugen A. D. sei (gegen seinen Willen) Blut abgenommen worden und es sei eine Blutalkoholkonzentration von 2,0 Promille festgestellt worden, ist dabei absurd. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Blutentnahme überhaupt nach § 81a Strafprozessordnung – StPO – zulässig gewesen wäre. Denn jedenfalls hätte dies wegen des massiven Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit einer richterlichen Anordnung bzw. einer Anordnung durch den Staatsanwalt oder der Ermittlungspersonen (bei Gefährdung des Untersuchungserfolges) nach § 81b StPO bedurft, die in den Ermittlungsakten ebenso wie das Ergebnis der Untersuchung festgehalten worden wäre. Für eine solche Blutentnahme finden sich in der Ermittlungsakte aber keinerlei Anhaltspunkte. Auch im Ermittlungsbericht findet sich kein Hinweis auf eine Alkoholisierung des Zeugen A. D. oder seiner Ehefrau. Der Senat hatte auch nicht den Eindruck, dass der Zeuge A. D. Alkoholiker ist, wie dies die Klägerin darzustellen versuchte. Der Senat ist auch nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Zeuge A. D. ständig aggressiv verhält, was die Klägerin berechtige, Reizgas mitzuführen. Die Auseinandersetzung zwischen den Familien besteht seit Jahren, die Klägerin konnte nicht plausibel erklären, aus welchem Grund sie gerade zu dem Zeitpunkt ihres Gasangriffes das Gas bei sich führte, jedoch weder zuvor noch danach. Selbst die Körperverletzung im Jahre 1984 macht den Zeugen A. D. nicht unglaubwürdig. Er hat das Ereignis nachvollziehbar dargelegt, das letztlich nur die Konflikte innerhalb der Familie belegt. Anhand der vorliegenden Sachlage liegt vielmehr der Schluss nahe, dass die Klägerin und ihr Ehemann die hier streitige Auseinandersetzung gesucht, provoziert und zu verantworten haben.

Diese Provokation führt gleichzeitig zu einem Versagungsgrund nach § 2 Abs. 1 OEG, wonach Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Geschädigte – wie hier die Klägerin - den Angriff schuldhaft herausgefordert hat (BT-Drucks 7/2506).

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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