L 7 AS 635/05 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 26 AS 866/05 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 635/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 10. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1978 geborene Antragsteller war von Oktober 1999 bis März 2004 als Student an der Technischen Universität F. im Studiengang Betriebswirtschaft immatrikuliert. Im März 2004 wurde er wegen des endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung exmatrikuliert. Für dieses Studium erhielt der Antragsteller bis Februar 2002 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), deren Zahlung wegen fehlender Leistungsnachweise eingestellt wurde. Seit dem 1. September 2004 ist der Antragsteller an der Fachhochschule N. wiederum im Studiengang Betriebswirtschaft eingeschrieben. Er beantragte beim zuständigen Studentenwerk E. erneut die Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG. Dieser Antrag wurde im November 2004 mit der Begründung abgelehnt, dass die Förderungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 3 BAföG für eine weitere Ausbildung nicht vorlägen, da er die Entscheidung zur Aufnahme des Studienganges an der Fachhochschule N. nicht innerhalb der vom Gesetzgeber maximal eingeräumten drei Semester getroffen habe und auch kein unabweisbarer Grund für eine andere Ausbildung ersichtlich sei. Darauf hin beantragte der Antragsteller am 5. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Die Antragsgegnerin lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Februar 2005 mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, da die derzeitige Ausbildung des Antragstellers im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005 zurück. Am 4. April 2005 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Altenburg einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt. Seit Januar 2005 erhalte er keinerlei Leistungen mehr für seinen Lebensunterhalt, da selbst sein Kindergeld als Einkommen seiner Mutter bei deren Alg II angerechnet werde und ihm damit nicht zur Verfügung stehe. Seine Zweitausbildung sei entgegen der Meinung der Antragsgegnerin nach dem BAföG grundsätzlich nicht förderungsfähig. Dieses sehe auch die Wohngeldstelle A. im Hinblick auf einen Wohngeldanspruch so. Für ihn ergebe sich daher die Frage, wieso Behörden in diesem Punkt verschieden entschieden. Mit 26 Jahren habe er keine Chance auf einem anderen Wege eine berufliche Erstausbildung abzuschließen. Durch den Bezug von Alg II sei seine Mutter auch nicht mehr in der Lage, ihm das Studium zu finanzieren und von seinem Vater habe er noch nie Unterhalt erhalten. Ohne Berufsabschluss habe er auf dem jetzigen Arbeitsmarkt keinerlei Chancen und werde dauerhaft auf Arbeitslosengeld II angewiesen sein.

Das Sozialgericht Altenburg hat den Antrag mit Beschluss vom 10. August 2005 (zugestellt am 13. August 2005) abgelehnt, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Auch eine Ausbildung, die von ihrem Typus her förderungsfähig sei, schließe Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB unabhängig davon aus, ob der Auszubildende keine Förderung erhalte, weil er bestimmte Voraussetzungen nicht erfülle. Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II könne nicht angenommen werden.

Hiergegen richtet sich der Antragsteller mit der am 22. August 2005 bei Gericht eingegangenen Beschwerde. Zur Begründung verweist er auf seine bisherigen Ausführungen und erneut darauf, dass er ohne Leistungen sein Studium abbrechen müsse und damit über keine Ausbildung verfüge.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 10. August 2005 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1, Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2, Regelungsanordnung). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung geltend entsprechend (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG). Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG).

Ein Anordnungsantrag ist – im Rahmen einer Regelungsanordnung – begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch (materiell-rechtlicher Hilfeanspruch, wie er im SGB II normiert ist) und ein Anordnungsgrund (nötig erscheinen eine Regelung zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils) bejahen kann (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt/Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 1996, § 123 Rdzif. 62 ff).

Der Antragsteller hat, wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zur Beantwortung der Frage, wer dem Grunde nach BAföG-berechtigt im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II ist, kann auf die Erläuterungen und Entscheidungen zur wortgleichen Vorschrift des § 22 SGB XII bzw. der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden, ebenfalls wortgleichen Vorschrift des § 26 BSHG zurückgegriffen werden. Auch der Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II bezweckt, keine Ausbildungsförderung auf einer "zweiten Ebene" über die Leistungen zur Grundsicherung von Arbeitssuchenden zu gewähren, sondern diese abschließend im BAföG bzw. dem SGB III zu regeln. Dem würde es nicht gerecht, eine Ausbildung nur dann als dem Grunde nach förderungsfähig anzusehen, wenn sie wie eine Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG und anders als eine weitere Ausbildung nach § 7 Abs. 2 bis 4 BAföG grundsätzlich förderungsfähig ist, da das BAföG abschließend festlegt, wann eine Ausbildung förderungsfähig ist mit der Folge, dass ohne diese Voraussetzungen Ausbildungsförderung nicht – auch nicht auf einer "zweiten Ebene" - über andere Sozialleistungen zustehen soll (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 13. Mai 1993, FEVS 44, 138 bis 140, Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rz ... 43, Radüge in Juris PK SGB II, § 7 Rz. 46, LSG Sachsen-Anhalt vom 15. April 2005, Az.: L 2 B 7/05 AS ER). Dem steht nicht entgegen, dass nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Wohngeldgesetzes 2002 die Bestimmung des § 41 Abs. 3 Wohngeldgesetz (WoGG) so anzuwenden ist, dass ein Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem BAföG dem Grunde nach auch dann nicht zusteht, wenn wie beim Antragsteller der Abbruch der Ausbildung ohne wichtigen oder unabweisbaren Grund (§ 7 Abs. 3 BAföG) erfolgt ist, da über das Wohngeld eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Ersatzfinanzierung einer Ausbildung nicht möglich ist (so auch LSG, Sachsen-Anhalt vom 15. April 2005, Az.: L 2 B 7/05 AS ER).

Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (vom 14. Oktober 1993, BVerwGE 94, 224 - 229) war eine besondere Härte im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG nur anzunehmen, wenn die Folgen des Anspruchsauschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Hilfebedürftige, die eine Ausbildung der in § 26 Satz 1 BSHG genannten Art betrieben und nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert würden, seien in der Regel gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluss von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden. Der Grund des Anliegens des Gesetzgebers, durch die Sozialhilfe keine Ausbildung zu ermöglichen, die dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG oder dem SGB III sei, gestatte auch nicht, über die Härteregelung die Ausschlussvorschrift dann für unanwendbar zu halten, wenn eine mittelloser Hilfesuchender nach Abbruch oder Unterbrechung seiner Ausbildung aus persönlichen Gründen (z.B. Behinderung, Krankheit, Kinderbetreuung oder Schwangerschaft), in Folge eines allgemeinen Arbeitsplatzmangels oder aus rechtlichen Gründen (z.B. Beschäftigungsverbot) seine Hilfebedürftigkeit durch Einsatz seiner Arbeitskraft nicht beseitigen könne. Dies möge als hart empfunden werden, sei aber als vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems grundsätzlich hinzunehmen. Ein "besonderer" Härtefall im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG liege erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lasse. Selbst wenn man mit Teilen der Literatur und Rechtsprechung (Brühl in LPK-SGB XII, § 22 Rz. 24 ff; OVG Saarland vom 28. August 2001, FEVS 53, 326 bis 336) davon ausginge, diese Rechtsprechung sei zu eng, da sie ein wesentliches Ziel des BSHG und nunmehr des SGB II, Bedürftigen Hilfe zu einer Selbsthilfebefähigung zu leisten, außer Acht lasse, so ist jedoch grundsätzlich auch nach diesen Auffassungen im Rahmen der Härteregelung darauf abzustellen, dass die fehlende Möglichkeit des Arbeitseinsatzes auf besonderen Belastungen des Auszubildenden (z.B. einer Behinderung oder einem zu betreuenden Kleinkind) beruht. Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller in einer besonderen Situation befindet. Auch wenn der Antragsteller aufgrund des Abbruchs seines Studiums an der Technischen Universität F. in Folge seiner Exmatrikulation derzeit über keinen erlernten Beruf verfügt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Studium an der Fachhochschule seine letzte Chance ist eine Ausbildung zu durchlaufen und sich damit eine eigene Existenzgrundlage zu verschaffen. Es erscheint dem Senat nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller trotz seines Alters die Möglichkeit hat eine betriebliche Berufsausbildung zu absolvieren. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, mit steigendem Alter sinken mag, ist dieses keine Besonderheit für einen Studenten der wegen im BAföG angeordneter Leistungsausschlüsse (z.B. wegen Überschreitung der Förderungshöchstdauer oder der Altersgrenze, fehlen eines wichtigen Grundes für einen Fachrichtungswechsel) keine Förderung nach diesem Gesetz mehr erhält. Diese Leistungsausschlüsse würden ins Leere gehen, würden die mit ihnen einhergehenden Umstände zur Annahme eines "besonderen Härtefalles" führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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