L 6 RA 925/04

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 RA 126/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 RA 925/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Kläger, der am 30. Juni 1990 in einer LPG Pflanzenproduktion arbeitete, gehört nicht zu dem Kreis der obligatorisch in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben Einzubeziehenden; es fehlt an der betrieblichen Voraussetzung (vgl. BSG vom 18. Juni 2003 - Az.: B 4 RA 1/03 R, 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 32/01 R, 10 April 2002 - Az.: B 4 RA 10/02 R).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 14. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.

Die Klage gegen den Verwaltungsakt vom 19. Juli 2005 wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr. 1 bis 26 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) nach § 8 AAÜG die Beschäftigungszeiten vom 2. September 1963 bis zum 17. November 1967 und vom 1. Juli 1978 bis zum 31. März 1987 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und die in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.

Der 1941 geborene Kläger hat nach Besuch der Ingenieurschule für Kraftfahrzeugbau Z. vom 1. September 1959 bis zum 13. Juli 1963 die staatliche Ingenieurprüfung erfolgreich abgelegt. Vom 2. September 1963 bis zum 17. November 1967 war er als Ingenieur und zuletzt als Assistent des Technischen Direktors bei dem VEB Gelenkwellenwerk S. tätig. Ab dem 18. November 1967 bis zum 31. Dezember 1974 arbeitete er als technischer Leiter bei der LPG B., vom 1. Januar 1975 bis zum 31. Dezember 1977 in dieser Funktion bei dem genossenschaftlichen Betrieb K. E. Danach war er vom 1. Januar 1978 bis zum 31. März 1987 als Produktions-Bereichs-Leiter zunächst bei dem KLI E., danach bei dem VEB Kreisbetrieb für Landtechnik S. tätig. Ab dem 1. April 1984 bis zum 30. Juni 1990 und darüber hinaus arbeitete er als Abteilungsleiter bei der LPG Pflanzenproduktion B.

Eine Versorgungszusage erhielt der Kläger vor Schließung der Versorgungssysteme nicht. Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zahlte er nicht.

Am 21. Januar 2000 beantragte er, die Beschäftigungszeiten vom 2. September 1963 bis zum 17. November 1967 und vom 18. November 1967 bis zum 30. Juni 1990 nach § 8 AAÜG als Zeit der Zugehörigkeit zu dem entsprechenden Zusatzversorgungssystem festzustellen und die darauf bezogene Versorgungsanwartschaft zu überführen.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2002 lehnte die Beklagte die Feststellung der Zeit vom 2. September 1963 bis zum 17. November 1967 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz ab. Es habe weder eine positive Versorgungszusage zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch habe er am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Das AAÜG sei nicht anwendbar. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2002).

Mit Urteil vom 14. Oktober 2004 hat das Sozialgericht Gotha die Klage auf Feststellung der Zeiten vom 2. September 1963 bis zum 17. Juni 1967 und vom 1. Juli 1978 bis zum 31. März 1987 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz abgewiesen. Der Kläger habe am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb, sondern in einem genossenschaftlichen Betrieb - der LPG Pflanzenproduktion B. - ausgeübt. Das AAÜG sei daher auf ihn nicht anwendbar. Das Sozialgericht hat dem Kläger nach § 192 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Kosten in Höhe von 300 EUR auferlegt.

Mit seiner Berufung trägt er vor, der Anerkennung der streitigen Zeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem nach der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG stehe nicht entgegen, dass er am 30. Juni 1990 nicht mehr in einem VEB oder gleichgestellten Betrieb gearbeitet habe. Sein Ausschluss von der Zusatzversorgung nach Bundesrecht sei, weil auch die jetzt nachträglich Einbezogenen nicht auf die Zuerkennung hätten vertrauen dürfen, unter Vertrauensgesichtspunkten völlig willkürlich. Einschränkungen bei der nachträglichen Einbeziehung, wie das genaue Datum 30. Juni 1990 führten zu einer (rechtlich) unerträglichen Schlechterstellung der Gruppe des Klägers gegenüber verschiedenen vergleichbaren Gruppen, die rein zufällig die vom Bundessozialgericht nun zusätzlich aufgestellten Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Datum erfüllten. Eine solche Handhabung widerspreche den Zielen, die das Bundessozialgericht selbst verfolge. Statt eine ehemals willkürliche Handhabung der einschlägigen DDR-Vorschriften nach Bundesrecht zu korrigieren, werde der willkürliche Ausschlusses von der Zusatzversorgung nach Bundesrecht gerade fortgesetzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 14. Oktober 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2002 und den Verwaltungsakt vom 19. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen die Beschäftigungszeiten vom 2. September 1963 bis zum 17. November 1967 und vom 1. Juli 1978 bis zum 31. März 1987 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 (zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz) nach Anlage 1 zum AAÜG und die in dieser Zeit erzielten tatsächlichen Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung und die Klage sind unbegründet.

Der mündliche Verwaltungsakt der Beklagten vom 19. Juli 2005 ist aus prozessökonomischen Gründen nach § 153 SGG i.V.m. § 96 SGG analog Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Insoweit war der Senat abweichend von § 29 SGG berechtigt, über diesen erstinstanzlich zu entscheiden.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte für den streitigen Zeitraum Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einschließlich der in diesem Zeitraum nachgewiesenen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Die Vorschriften des AAÜG sind auf den Kläger nicht anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG gilt, war ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, dieser als nicht eingetreten.

Der Kläger erfüllt nach dem Wortlaut der Vorschrift beide Voraussetzungen nicht. Er war am 1. August 1991, dem Datum des Inkrafttretens des AAÜG, nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden war, liegt nicht vor. Er hat weder eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt, noch hatte er eine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Er war auch nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen worden. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Ein Anwendungsfall einer gesetzlich fingierten Anwartschaft ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer Beschäftigung in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt hatte, sondern der Betroffene muss nach den Regeln des Versorgungssystems tatsächlich einbezogen worden und nach erfolgter Einbeziehung später ausgeschieden sein (vgl. Bundessozialgericht (BSG) vom 29. Juli 2004 - Az.: B 4 RA 12/04 R, nach juris). Nach § 3 Abs. 5 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (nachfolgend: 2. DB z. ZAVO-techInt GBl Nr. 62, S. 487) erfolgte die Erteilung einer Versorgungszusage ausschließlich durch Aushändigung eines "Dokuments über die zusätzliche Altersversorgung". Ein solches Dokument (Versicherungsurkunde) ist dem Kläger nicht ausgehändigt worden. Mangels vorheriger Einbeziehung konnte der Kläger daher nicht aus einem Versorgungssystem in diesem Sinne ausscheiden (vgl. BSG, a.a.O.).

Der Kläger war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft, wie sie sich aus der vom 4. Senat des Bundessozialgerichts vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG herleitet.

Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht in ein Versorgungssystem einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht aufgrund originären Bundesrechts (z. B. Art. 17 EV) einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 31/01 R, Az.: B 4 RA 41/01, Az.: B 4 RA 3/02 R, BSG vom 10. April 2002 Az.: B 4 RA 34/01 R, Az.: B 4 RA 10/02 R, nach juris).

Der Kläger hat am 1. August 1991 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (ZAVO-techInt GBl. Nr.93 S. 844) nicht erfüllt.

Dies ist nur dann der Fall, wenn nach § 1 ZAVO-techInt i. V. m. § 1 Abs. 1 der 2. DB z. ZAVO-techInt drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss am 30. Juni 1990 eine bestimmte Berufsbezeichnung (persönlichen Voraussetzung) und eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung). Die Tätigkeit oder Beschäftigung muss am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (oder in einem gleich gestellten Betrieb) verrichtet worden sein (betriebliche Voraussetzung – vgl. BSG vom 18. Juni 2003 - Az.: B 4 RA 1/03 R; ebenso z.B.: BSG vom 9. April 2002 –Az.: B 4 RA 32/01 R und vom 10. April 2002 – Az.: B 4 RA 10/02 R oder vom 18. Juni 2003 – Az.: B 4 RA 50/02 R, nach juris).

Aufgrund seiner beruflichen Ausbildung zum Ingenieur hatte der Kläger zwar den Titel eines Ingenieurs nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl. II S. 278) und hätte ausgehend von der beruflichen Qualifikation grundsätzlich in das Versorgungssystem der technischen Intelligenz aufgenommen werden können. Es fehlt jedoch an der betrieblichen Voraussetzung. Der Kläger war am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens, sondern in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) beschäftigt. Diese war kein VEB und firmierte auch nicht als "VEB" (§ 31 Abs. 3 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979, GBl. Teil I Nr. 38). Ein Betrieb dieser Rechtsform unterliegt nicht dem Anwendungsbereich der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (vgl. BSG vom 10. April 2002 – Az.: B4 RA 34/01 R, nach juris).

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der LPG um einen gleichgestellten Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. DB z. ZAVO-techInt handelte, liegen nicht vor und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen.

Eine Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG ist nicht geboten.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) liegt gegenüber denjenigen die mit entsprechender Qualifikation in das Zusatzversorgungssystems einbezogen wurden und gegenüber den Personen, die diese drei Voraussetzungen nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage erfüllten, nicht vor.

Das Bundessozialgericht hat § 1 Abs. 1 AAÜG verfassungskonform ausdehnend so ausgelegt, dass eine Versorgungsanwartschaft "aufgrund der Zugehörigkeit" bei am 30. Juni Nichteinbezogenen nicht nur in den Fällen der Gleichstellung durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG und der Versorgungsanwartschaften aus Systemen ohne konkreten Einbeziehungsakt besteht, sondern auch dann, wenn jemand auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 31. Juli 1991 gegebenen bundesrechtlichen Rechtslage einen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme gehabt hätte, wenn derjenige also am 30. Juni 1990 kraft Gesetzes Leistungen aus dem Versorgungssystem hätte beanspruchen können, das heißt obligatorisch im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" und ohne Entscheidung des Versorgungsträgers in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen (vgl. stellvertretend hierzu: vgl. BSG vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 31/01 R, nach juris).

Eine Gleichstellung weiterer Personengruppen, die - wie etwa der Kläger - am 30. Juni 1990 die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt haben und deshalb nach den zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen die Voraussetzungen für eine (fiktive) Versorgungsanwartschaft Nichteinbezogener nicht erfüllten, ist nach dem Grundgesetz nicht geboten (vgl. BSG vom 8. Juni 2004 - Az.: B 4 RA 56/03 R, nach juris).

Die Entscheidung des Sozialgerichts dem Kläger Gerichtskosten in Höhe von 300 EUR nach § 192 SGG aufzuerlegen ist nicht zu beanstanden. Insoweit wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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