S 11 AS 63/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 63/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – SGB II – in Höhe der zuletzt erhaltenen Arbeitslosenhilfe.

Der am 00.00.1942 geborene Antragsteller bewohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau, seinen zwei Söhnen (geboren am 00.00.1987 und am 00.00.1990) sowie seiner Tochter (geboren am 00.00.1986) eine gemeinsame Wohnung. Bis zum 31.12.2004 bezog er Arbeitslosenhilfe.

Antragsgemäß bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, seiner Ehefrau und den zwei Söhnen – die sie zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammenfasste – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von insgesamt 1.574,31 EUR monatlich (Bescheid vom 10.12.2004).

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wandte sich der Antragsteller gegen die Zusammenfassung zu einer Bedarfsgemeinschaft. Er machte im Wesentlichen geltend, dass die Bedarfsgemeinschaft nunmehr über ein wesentlich geringeres Einkommen verfüge und den derzeitigen Haushaltsbedarf in Zukunft nicht mehr decken könne. Zahlungen der Agentur für Arbeit seien Versicherungsleistungen, die Vorrang vor Sozialhilfe hätten.

Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin zurück; dazu führte sie sinngemäß aus, dass sich in Anwendung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen lediglich ein Gesamtbedarf in Höhe von 1.574,41 EUR ergebe und vor diesem Hintergrund entsprechende Leistungen bewilligt worden seien (Widerspruchsbescheid vom 06.06.2005).

Am 00.00.0000 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er macht geltend, dass durch die bestehenden Änderungen eine Versicherungsleistung der Arbeitslosenversicherung in eine anonyme Leistung an eine Gruppe – der Bedarfsgemeinschaft – verändert worden sei. Er bestehe auf die Trennung der Bedarfsgemeinschaft und Zahlung von Leistungen in Höhe der zuletzt bezogenen Arbeitslosenhilfe.

Der Antragsteller beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe der zuletzt geleisteten Arbeitslosenhilfe zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der den Antragsteller betreffenden Leistungsakte der Antragsgegnerin.

II.

Die Kammer hat das Vorbringen des Antragstellers dahingehend ausgelegt (§ 123 SGG), dass es ihm darum geht, von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe der zuletzt bezogenen Arbeitslosenhilfe zu erhalten.

Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg. Denn es liegt weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung des streitigen Rechtsverhältnisses voraus, aus dem der Antragsteller eigene Rechte – insbesondere Leistungsansprüche – ableitet (Anordnungsanspruch). Ferner ist erforderlich, dass die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden. Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu bestimmen (vgl. Grieger, ZfSH/SGB, 2004, 579 (583), Berlit, info also 2005, 3 (4 f.)).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft dargetan. Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarf des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Die monatliche Regelleistung beträgt für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, in den alten Bundesländern einschließlich Berlin 345,00 EUR (§ 20 Abs. 2 SGB II). Haben demgegenüber zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, beträgt die Regelleistung jeweils 90 v.H. der Regelleistung nach Abs. 2, für den Antragsteller somit 311,00 EUR. Eine gesetzliche Grundlage für die von ihm begehrten Leistungen in Höhe der vormals gezahlten Arbeitslosenhilfe findet sich demgegenüber nicht. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch aus § 190 Abs. 3 Satz 1 des Dritten. Buchs des Sozialgesetzbuches – SGB III – ergibt, dass Arbeitslosenhilfe längstens die Zeit bis zum 31.12.2004 bewilligt werden darf. Wenn jedoch die Leistung Arbeitslosenhilfe nur bis zu diesem Zeitpunkt gewährt werden darf, ergibt sich daraus – abgesehen davon, dass die Regelleistung nach dem SGB II gesetzlich festgeschrieben ist –, dass Leistungen in entsprechender Höhe auch nicht nach dem SGB II gezahlt werden dürfen.

Hieraus ergeben sich auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken,insbesondere ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz – GG – ist nicht gegeben. Ein Verstoß gegen die Eigentumsgewährleistung kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Institut der Arbeitslosenhilfe nicht dem Schutz der Eigentumsgarantie unterlag. Denn die Arbeitslosenhilfe war entgegen der Ansicht des Antragstellers – ebenso wie nunmehr die Leistungen nach dem SGB II – durch das Merkmal der Bedürftigkeit und der Finanzierung aus Steuermitteln geprägt. Insbesondere die Abhängigkeit des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe von der Bedürftigkeit des Arbeitslosen zeigt, dass weniger ein durch eigene Leistung (sprich: Versicherungsleistung) im Sinne der Ausschließlichkeit erworbenes Recht (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 16.07.1985 – Az.: 1 BvL 50/80, 1 BvR 1023/83, 1 BvR 1052/85, 1 BvR 1227/84, BVerfGE 69, 272 – 315) als eine Schutz- und Fürsorgeleistung verwirklicht wurde, die von der "Entwicklung der tatsächlichen und persönlichen Verhältnisse" abhängig (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 04.09.2003 – Az.: B 11 AL 15/03 R, NZA 2004, 200, m.w.N.) und nach ihren Strukturprinzipien der Sozialhilfe vergleichbar war.

Die Kammer kann auch einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht feststellen, das nach der Rechtsprechung des BVerfG ohnehin nicht dazu dienen kann, Einzelregelungen modifizieren, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten und Unbilligkeiten führen mag (BVerfG, Beschluss vom 19.07.1984 – Az.: 1 BVR 1614/83 zu § 1278 Reichsversicherungsordnung – RVO-).

Sofern der Antragsteller geltend macht, dass seiner Auffassung nach die Zusammenfassung zu einer Bedarfsgemeinschaft die Vollstreckung von Forderungen durch etwaige Gläubiger erleichtere, wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass sich die Vollstreckung zivilrechtlich begründeter Forderungen allein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung – ZPO – bestimmt. Ob der Vollstreckungsschuldner Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft ist, hat auf die Zulässigkeit von Vollstreckungshandlungen keinen Einfluss.

Ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist, kann angesichts der obigen Ausführungen an sich dahinstehen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass ein Anordnungsgrund nicht gegeben ist, sofern Leistungen für die Vergangenheit – d.h. für die Zeit vor Erhebung des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – geltend gemacht werden können. Soweit der Antragsteller mithin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen in der beantragten Höhe bereits für die Zeit ab 01.01.2005 geltend machen sollte, fehlt es an einer gegenwärtigen Notlage (vgl. hierzu Verwaltungsgericht – VG – Gelsenkirchen, Beschluss vom 06.11.2000 - Az.: 3 L 2178/00). Im Übrigen ist durch die bereits erfolgte Leistungsgewährung die Existenz des Antragstellers gesichert. Ihm ist somit zuzumuten, die Entscheidung der Hauptsache abzuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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