Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 5 RA 1337/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 536/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein steuerrechtlicher Verlust bei einer selbständigen Tätigkeit ist kein Arbeitseinkommen im Sinne der §§ 15, 18a SGB IV.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Januar 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte einen Bescheid zurücknehmen muss, mit dem die Bewilligung einer großen Witwerrente zugunsten des Klägers teilweise aufgehoben und ein Erstattungsbetrag in Höhe von 691,77 EUR geltend gemacht wurde.
Die Ehefrau des 1951 geborenen Klägers verstarb am 22. September 2001. Der Kläger beantragte am 24. Oktober 2001 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die Bewilligung einer großen Witwerrente. Er bezog bis zum 30. September 2001 Überbrückungsgeld durch das Arbeitsamt Suhl. Darüber hinaus war er selbständig tätig. Die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2001 und 2002 weisen diesbezüglich allerdings nur Verluste aus. Letztlich erzielte der Kläger noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Mit Bescheid vom 5. Dezember 2001 bewilligte die BfA eine große Witwerrente ab dem 22. September 2001, durch Bescheid vom 6. Februar 2002 erfolgte eine Neufeststellung unter Berücksichtigung von Nachversicherungszeiten. Ab dem 1. Juli 2002 kamen monatlich 695,96 EUR zur Auszahlung. Einkommen des Klägers wurde nicht berücksichtigt.
Der Kläger wies die BfA schriftlich darauf hin, dass er ab dem 1. November 2002 arbeitslos gemeldet sei. Das Arbeitsamt S. teilte auf Nachfrage mit, dass er ab dem 1. November 2002 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 320,32 EUR erhalte. Daraufhin brachte die BfA dieses Einkommen zur Anrechnung und setzte mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 die Höhe der großen Witwerrente neu fest. Sie zahlte ab 1. Februar 2003 lediglich 465,37 EUR an den Kläger aus, für die Zeit vom 1. November 2002 bis 31. Januar 2003 machte sie einen Erstattungsanspruch in Höhe von 691,77 EUR geltend. Der Kläger nahm einen gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch vom 5. Januar 2003 zurück. Er bezog bis zum 10. Mai 2003 Arbeitslosengeld.
Durch Schreiben vom 20. November 2003 teilte der Kläger der BfA mit, dass die Festsetzung der Rentenhöhe für die Zeit vom 1. November 2002 bis 10. Mai 2003 bemängelt werde und dass "hierzu ( ) bereits ein Widerspruch" laufe. Die BfA wertete dies als Überprüfungsantrag und lehnte mit Bescheid vom 10. Dezember 2003 eine Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2002 ab. Das negative Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit sei zutreffend berücksichtigt worden. Die geminderte Rente ergebe sich aus der Anrechnung des Arbeitslosengeldes. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 15. Dezember 2003 wies die BfA mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2004 zurück.
Mit seiner am 24. August 2004 beim Sozialgericht Meiningen eingegangenen Klage hat der Kläger die Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2002 begehrt und die Ansicht vertreten, dass das negative Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit mit dem positiven Einkommen aus dem Arbeitslosengeld zu verrechnen sei, so dass im Ergebnis keine Einkommensanrechnung erfolgen könne. Selbst wenn eine Berücksichtigung möglich sei, dürfte dies erst zum 1. Juli 2003 Wirkung haben. Zu diesem Zeitpunkt habe er jedoch schon kein Arbeitslosengeld mehr bezogen. Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 29. Januar 2009 verpflichtet, den Bescheid vom 11. Dezember 2002 zurückzunehmen. Es liege hier eine Änderung in den Einkommensverhältnissen vor. In diesem Fall könne eine Anpassung frühestens zum 1. Juli 2003 erfolgen. Dann habe die Einkommensänderung aber schon nicht mehr vorgelegen.
Mit ihrer am 26. Juni 2009 eingegangenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Entscheidung des Sozialgerichts. Nach ihrer Auffassung liege ein erstmaliges Zusammentreffen von Renten wegen Todes mit eigenem Einkommen vor. In diesem Fall müsse die Rentenanpassung mit dem Zeitpunkt der Änderung erfolgen und nicht zum 1. Juli 2003.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Januar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Meinung, dass das Sozialgericht zu Recht entschieden habe, dass eine Änderung der Einkommensverhältnisse vorliege und daher eine Neufestsetzung der Rente frühestens zum 1. Juni 2003 hätte erfolgen können. Im Übrigen berufe er sich auf Vertrauensschutz. Der Senat hat durch seinen Berichterstatter am 13. September 2010 einen Erörterungstermin durchgeführt. Zum genauen Inhalt des Termins wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen (Bl. 112 f. der Gerichtsakte).
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist durch die Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme des Bescheids vom 11. Dezember 2002 der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750 EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) überschritten. Die BfA hatte mit diesem Bescheid nicht nur eine Erstattungsforderung von 691,77 EUR für die Zeit vom 1. November 2002 bis 31. Januar 2003 geltend gemacht, sondern auch die Rentenhöhe ab 1. Februar 2003 um mehr als 200 EUR monatlich reduziert.
Die Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Rücknahme des Bescheids vom 11. Dezember 2002 verurteilt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) liegen nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die BfA ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Sie hat auch nicht das Recht unrichtig angewandt. Der Bescheid vom 11. Dezember 2002 ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage der teilweisen Aufhebungsentscheidung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X. Hiernach soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
Die ursprüngliche Bewilligung der großen Witwerrente mit Bescheid vom 5. Dezember 2001 in der Fassung des Bescheids vom 6. Februar 2002 war ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Durch den Bezug des Arbeitslosengeldes trat in den tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung ein. Der Kläger erzielte dann Einkommen, das ab dem 1. November 2002 zur Minderung des Anspruchs auf große Witwerrente führte.
Nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wird Einkommen von Berechtigten, das mit einer Witwerrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Es gelten die §§ 18a bis 18e des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt im Fall des Klägers keine Änderung des zu berücksichtigenden Einkommens nach § 18d SGB IV in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung vor. Nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift wären solche Einkommensänderungen erst vom Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung (hier 1. Juli 2003) an zu berücksichtigen. Es ist vielmehr ein erstmaliges Hinzutreten von Einkommen mit der großen Witwerrente gegeben. § 18d SGB IV a.F. findet keine Anwendung. Einkommensänderungen sind Abweichungen des Einkommens von dem jeweils zuletzt berücksichtigten Einkommen (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 1. Juni 2012, § 18d SGB IV Rn. 2). Es ist hierfür erforderlich, dass bereits Einkommen bei der Leistungsfestsetzung angerechnet wurde, ansonsten kann schon nach dem Wortsinn keine "Änderung" erfolgen. Bei dem Kläger wurde aber zu Recht kein Einkommen bei der ursprünglichen Bewilligung berücksichtigt.
Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind zwar ab 1. Januar 2002 als Einkommen zu berücksichtigen (§ 18a Abs. 4 Nr. 2 SGB IV). Bei dem Kläger kommt aufgrund der Übergangsvorschrift des § 114 Abs. 1 SGB IV aber ab diesem Zeitpunkt keine Anrechnung in Betracht.
Einkommen aus selbständiger Tätigkeit war ebenfalls nicht vorhanden. § 18a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV bestimmt, dass Erwerbseinkommen bei Renten von Todes wegen als Einkommen zu berücksichtigen ist. Zum Erwerbseinkommen zählt nach § 18a Abs. 2 Satz 1 SGB IV auch Arbeitseinkommen. Bis zum 31. Dezember 2001 definierte § 18a SGB IV nicht, was unter Arbeitseinkommen zu verstehen ist, es galt damit die allgemeine Vorschrift des § 15 SGB IV. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Ein steuerrechtlicher Verlust kann damit kein Einkommen im Sinne der §§ 15, 18a SGB IV sein.
An dieser Bewertung hat sich durch das Inkrafttreten des § 18a Abs. 2a SGB IV zum 1. Januar 2002 nichts geändert. Nunmehr definiert dieser selbst, was unter Arbeitseinkommen zu verstehen ist. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/4595 S. 59) war eine von § 15 SGB IV abweichende Neuregelung notwendig, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Arbeitseinkommen nach § 15 SGB IV eine eigene Tätigkeit des Betroffenen voraussetzte, so dass beispielsweise bei Kommanditisten Arbeitseinkommen nicht vorliege. Ein solches Ergebnis sei im Rahmen der Einkommensanrechnung nicht sachgerecht (BT-Drs, a.a.O.). § 18a Abs. 2a SGB IV bestimmt das Arbeitseinkommen als "die positive Summe der Gewinne oder Verluste" aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit. Gerade aus der Formulierung, dass für eine Qualifizierung als Arbeitseinkommen eine positive Summe verbleiben muss folgt, dass eine negative Summe, also ein Verlust, kein Arbeitseinkommen im Sinne des § 18a Abs. 2a SGB IV sein kann.
Die selbständige Tätigkeit des Klägers wies in den Jahren 2001 und 2002 einen Verlust aus. Sowohl nach der bis zum 31. Januar 2001 geltenden Rechtslage, als auch danach handelt es sich nicht um "negatives" Einkommen, sondern schlicht um kein Einkommen. Mangels vorhandenen Einkommens konnte sich dieses auch nicht ändern, weswegen das Arbeitslosengeld das erste überhaupt zu berücksichtigende Einkommen war.
Auch aus Sinn und Zweck des § 18d SGB IV ergibt sich keine andere Auslegung. Die Vorschrift dient der Verwaltungsvereinfachung. Insbesondere bei stark schwankendem Einkommen soll keine ständige Änderung der Bewilligung erfolgen, die nur zu Nachzahlungen oder Erstattungen in kurzen Intervallen führt. Beim erstmaligen Anrechnen von Einkommen besteht diese Gefahr gerade nicht.
Das Einkommen aus dem Arbeitslosengeld kann letztlich auch nicht mit den Verlusten aus der selbständigen Tätigkeit verrechnet werden. Eine entsprechende Rechtsgrundlage ist nicht vorhanden. Die Verluste aus der selbständigen Tätigkeit sind lediglich für die Feststellung maßgeblich, ab aus dieser Tätigkeit ein zu berücksichtigendes Einkommen erwächst. Nur innerhalb dieser Einkommensart sind die Verluste von Bedeutung, eine Übertragung auf andere Einkommensarten ist nicht vorgesehen, auch nicht in § 18b Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Hiernach werden zwar mehrere zu berücksichtigende Einkommen zusammengerechnet. Die Vorschrift setzt aber voraus, dass mindestens zwei zu berücksichtigende Einkommen vorhanden sind. Bei dem Kläger ist nur ein anrechenbares Einkommen vorhanden, nämlich das Arbeitslosengeld.
Die Aufhebungsentscheidung ist auch nicht wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung rechtswidrig. Das Wort "soll" in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Bei der Prüfung, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist (st. Rsp. des BSG, vgl. Urteil vom 1. Juli 2010 - Az.: B 13 R 77/09 R, nach juris Rn. 57 ff. m.w.N.). Es sind hier keine Umstände ersichtlich, die einen atypischen Fall begründen könnten. Der Kläger hat eine einkommensabhängige Leistung bezogen, die entsprechend angepasst wurde. Eine allgemeine und unspezifische Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes ändert hieran nichts.
Die Erstattungsentscheidung folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte einen Bescheid zurücknehmen muss, mit dem die Bewilligung einer großen Witwerrente zugunsten des Klägers teilweise aufgehoben und ein Erstattungsbetrag in Höhe von 691,77 EUR geltend gemacht wurde.
Die Ehefrau des 1951 geborenen Klägers verstarb am 22. September 2001. Der Kläger beantragte am 24. Oktober 2001 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die Bewilligung einer großen Witwerrente. Er bezog bis zum 30. September 2001 Überbrückungsgeld durch das Arbeitsamt Suhl. Darüber hinaus war er selbständig tätig. Die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2001 und 2002 weisen diesbezüglich allerdings nur Verluste aus. Letztlich erzielte der Kläger noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Mit Bescheid vom 5. Dezember 2001 bewilligte die BfA eine große Witwerrente ab dem 22. September 2001, durch Bescheid vom 6. Februar 2002 erfolgte eine Neufeststellung unter Berücksichtigung von Nachversicherungszeiten. Ab dem 1. Juli 2002 kamen monatlich 695,96 EUR zur Auszahlung. Einkommen des Klägers wurde nicht berücksichtigt.
Der Kläger wies die BfA schriftlich darauf hin, dass er ab dem 1. November 2002 arbeitslos gemeldet sei. Das Arbeitsamt S. teilte auf Nachfrage mit, dass er ab dem 1. November 2002 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 320,32 EUR erhalte. Daraufhin brachte die BfA dieses Einkommen zur Anrechnung und setzte mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 die Höhe der großen Witwerrente neu fest. Sie zahlte ab 1. Februar 2003 lediglich 465,37 EUR an den Kläger aus, für die Zeit vom 1. November 2002 bis 31. Januar 2003 machte sie einen Erstattungsanspruch in Höhe von 691,77 EUR geltend. Der Kläger nahm einen gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch vom 5. Januar 2003 zurück. Er bezog bis zum 10. Mai 2003 Arbeitslosengeld.
Durch Schreiben vom 20. November 2003 teilte der Kläger der BfA mit, dass die Festsetzung der Rentenhöhe für die Zeit vom 1. November 2002 bis 10. Mai 2003 bemängelt werde und dass "hierzu ( ) bereits ein Widerspruch" laufe. Die BfA wertete dies als Überprüfungsantrag und lehnte mit Bescheid vom 10. Dezember 2003 eine Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2002 ab. Das negative Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit sei zutreffend berücksichtigt worden. Die geminderte Rente ergebe sich aus der Anrechnung des Arbeitslosengeldes. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 15. Dezember 2003 wies die BfA mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2004 zurück.
Mit seiner am 24. August 2004 beim Sozialgericht Meiningen eingegangenen Klage hat der Kläger die Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2002 begehrt und die Ansicht vertreten, dass das negative Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit mit dem positiven Einkommen aus dem Arbeitslosengeld zu verrechnen sei, so dass im Ergebnis keine Einkommensanrechnung erfolgen könne. Selbst wenn eine Berücksichtigung möglich sei, dürfte dies erst zum 1. Juli 2003 Wirkung haben. Zu diesem Zeitpunkt habe er jedoch schon kein Arbeitslosengeld mehr bezogen. Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 29. Januar 2009 verpflichtet, den Bescheid vom 11. Dezember 2002 zurückzunehmen. Es liege hier eine Änderung in den Einkommensverhältnissen vor. In diesem Fall könne eine Anpassung frühestens zum 1. Juli 2003 erfolgen. Dann habe die Einkommensänderung aber schon nicht mehr vorgelegen.
Mit ihrer am 26. Juni 2009 eingegangenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Entscheidung des Sozialgerichts. Nach ihrer Auffassung liege ein erstmaliges Zusammentreffen von Renten wegen Todes mit eigenem Einkommen vor. In diesem Fall müsse die Rentenanpassung mit dem Zeitpunkt der Änderung erfolgen und nicht zum 1. Juli 2003.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Januar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Meinung, dass das Sozialgericht zu Recht entschieden habe, dass eine Änderung der Einkommensverhältnisse vorliege und daher eine Neufestsetzung der Rente frühestens zum 1. Juni 2003 hätte erfolgen können. Im Übrigen berufe er sich auf Vertrauensschutz. Der Senat hat durch seinen Berichterstatter am 13. September 2010 einen Erörterungstermin durchgeführt. Zum genauen Inhalt des Termins wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen (Bl. 112 f. der Gerichtsakte).
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist durch die Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme des Bescheids vom 11. Dezember 2002 der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750 EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) überschritten. Die BfA hatte mit diesem Bescheid nicht nur eine Erstattungsforderung von 691,77 EUR für die Zeit vom 1. November 2002 bis 31. Januar 2003 geltend gemacht, sondern auch die Rentenhöhe ab 1. Februar 2003 um mehr als 200 EUR monatlich reduziert.
Die Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Rücknahme des Bescheids vom 11. Dezember 2002 verurteilt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) liegen nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die BfA ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Sie hat auch nicht das Recht unrichtig angewandt. Der Bescheid vom 11. Dezember 2002 ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage der teilweisen Aufhebungsentscheidung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X. Hiernach soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
Die ursprüngliche Bewilligung der großen Witwerrente mit Bescheid vom 5. Dezember 2001 in der Fassung des Bescheids vom 6. Februar 2002 war ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Durch den Bezug des Arbeitslosengeldes trat in den tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung ein. Der Kläger erzielte dann Einkommen, das ab dem 1. November 2002 zur Minderung des Anspruchs auf große Witwerrente führte.
Nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wird Einkommen von Berechtigten, das mit einer Witwerrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Es gelten die §§ 18a bis 18e des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt im Fall des Klägers keine Änderung des zu berücksichtigenden Einkommens nach § 18d SGB IV in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung vor. Nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift wären solche Einkommensänderungen erst vom Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung (hier 1. Juli 2003) an zu berücksichtigen. Es ist vielmehr ein erstmaliges Hinzutreten von Einkommen mit der großen Witwerrente gegeben. § 18d SGB IV a.F. findet keine Anwendung. Einkommensänderungen sind Abweichungen des Einkommens von dem jeweils zuletzt berücksichtigten Einkommen (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 1. Juni 2012, § 18d SGB IV Rn. 2). Es ist hierfür erforderlich, dass bereits Einkommen bei der Leistungsfestsetzung angerechnet wurde, ansonsten kann schon nach dem Wortsinn keine "Änderung" erfolgen. Bei dem Kläger wurde aber zu Recht kein Einkommen bei der ursprünglichen Bewilligung berücksichtigt.
Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind zwar ab 1. Januar 2002 als Einkommen zu berücksichtigen (§ 18a Abs. 4 Nr. 2 SGB IV). Bei dem Kläger kommt aufgrund der Übergangsvorschrift des § 114 Abs. 1 SGB IV aber ab diesem Zeitpunkt keine Anrechnung in Betracht.
Einkommen aus selbständiger Tätigkeit war ebenfalls nicht vorhanden. § 18a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV bestimmt, dass Erwerbseinkommen bei Renten von Todes wegen als Einkommen zu berücksichtigen ist. Zum Erwerbseinkommen zählt nach § 18a Abs. 2 Satz 1 SGB IV auch Arbeitseinkommen. Bis zum 31. Dezember 2001 definierte § 18a SGB IV nicht, was unter Arbeitseinkommen zu verstehen ist, es galt damit die allgemeine Vorschrift des § 15 SGB IV. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Ein steuerrechtlicher Verlust kann damit kein Einkommen im Sinne der §§ 15, 18a SGB IV sein.
An dieser Bewertung hat sich durch das Inkrafttreten des § 18a Abs. 2a SGB IV zum 1. Januar 2002 nichts geändert. Nunmehr definiert dieser selbst, was unter Arbeitseinkommen zu verstehen ist. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/4595 S. 59) war eine von § 15 SGB IV abweichende Neuregelung notwendig, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Arbeitseinkommen nach § 15 SGB IV eine eigene Tätigkeit des Betroffenen voraussetzte, so dass beispielsweise bei Kommanditisten Arbeitseinkommen nicht vorliege. Ein solches Ergebnis sei im Rahmen der Einkommensanrechnung nicht sachgerecht (BT-Drs, a.a.O.). § 18a Abs. 2a SGB IV bestimmt das Arbeitseinkommen als "die positive Summe der Gewinne oder Verluste" aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit. Gerade aus der Formulierung, dass für eine Qualifizierung als Arbeitseinkommen eine positive Summe verbleiben muss folgt, dass eine negative Summe, also ein Verlust, kein Arbeitseinkommen im Sinne des § 18a Abs. 2a SGB IV sein kann.
Die selbständige Tätigkeit des Klägers wies in den Jahren 2001 und 2002 einen Verlust aus. Sowohl nach der bis zum 31. Januar 2001 geltenden Rechtslage, als auch danach handelt es sich nicht um "negatives" Einkommen, sondern schlicht um kein Einkommen. Mangels vorhandenen Einkommens konnte sich dieses auch nicht ändern, weswegen das Arbeitslosengeld das erste überhaupt zu berücksichtigende Einkommen war.
Auch aus Sinn und Zweck des § 18d SGB IV ergibt sich keine andere Auslegung. Die Vorschrift dient der Verwaltungsvereinfachung. Insbesondere bei stark schwankendem Einkommen soll keine ständige Änderung der Bewilligung erfolgen, die nur zu Nachzahlungen oder Erstattungen in kurzen Intervallen führt. Beim erstmaligen Anrechnen von Einkommen besteht diese Gefahr gerade nicht.
Das Einkommen aus dem Arbeitslosengeld kann letztlich auch nicht mit den Verlusten aus der selbständigen Tätigkeit verrechnet werden. Eine entsprechende Rechtsgrundlage ist nicht vorhanden. Die Verluste aus der selbständigen Tätigkeit sind lediglich für die Feststellung maßgeblich, ab aus dieser Tätigkeit ein zu berücksichtigendes Einkommen erwächst. Nur innerhalb dieser Einkommensart sind die Verluste von Bedeutung, eine Übertragung auf andere Einkommensarten ist nicht vorgesehen, auch nicht in § 18b Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Hiernach werden zwar mehrere zu berücksichtigende Einkommen zusammengerechnet. Die Vorschrift setzt aber voraus, dass mindestens zwei zu berücksichtigende Einkommen vorhanden sind. Bei dem Kläger ist nur ein anrechenbares Einkommen vorhanden, nämlich das Arbeitslosengeld.
Die Aufhebungsentscheidung ist auch nicht wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung rechtswidrig. Das Wort "soll" in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Bei der Prüfung, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist (st. Rsp. des BSG, vgl. Urteil vom 1. Juli 2010 - Az.: B 13 R 77/09 R, nach juris Rn. 57 ff. m.w.N.). Es sind hier keine Umstände ersichtlich, die einen atypischen Fall begründen könnten. Der Kläger hat eine einkommensabhängige Leistung bezogen, die entsprechend angepasst wurde. Eine allgemeine und unspezifische Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes ändert hieran nichts.
Die Erstattungsentscheidung folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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