L 6 KR 993/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 1891/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 993/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. Januar 2014 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2011 verurteilt, dem Kläger ab dem 22. November bis 14. Dezember 2010 Krankengeld in Höhe von 1.218,54 EUR netto zu zahlen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger für die Zeit vom 22. November 2010 bis 14. Dezember 2010 Anspruch auf Zahlung von Krankengeld hat.

Der 1967 geborene Kläger ist seit dem 1. März 2008 bei der Beklagten als Arbeitsloser pflichtversichert und war ab dem 22. Mai 2009 aufgrund der Diagnose ICD-10-GM Version 2009 (im Folgenden: ICD-10) M51.9 (Bandscheibenschaden, nicht näher bezeichnet) arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab dem 3. Juli 2009 Krankengeld. Die Beklagte holte zur Prüfung des Leistungsbildes ein Gutachten des Thüringen e.V. (MDK) - Dr. R. - vom 25. November 2009 ein, wonach Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Diagnosen ICD-10 M54.9 (Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet) und F32.9 (Sonstige depressive Episode, nicht näher bezeichnet), die im Text als reaktiv depressive Verstimmung mit Somatisierung bezeichnet wurde, vorlag. Der Kläger sei am Untersuchungstag in Begleitung seiner Ehefrau erschienen und klage über weitgehend therapieresistente Wirbelsäulenbeschwerden und diffuse Befindlichkeitsstörungen mit deutlichen Einschränkungen im Alltag. Dr. R. führte aus, aus ihrer Sicht liege bei dem Kläger zusätzlich eine deutlich depressive Verstimmung mit Antriebsminderung und Somatisierungstendenz vor. Diesbezüglich werde fachärztliche Mitbehandlung, gegebenenfalls Einleitung einer Psychotherapie empfohlen. Soweit keine OP-Indikation vorliege empfehle sie die Durchführung einer psychosomatisch orientierten Rehabilitationsmaßnahme. Im Ergebnis dieser Maßnahme könnten das endgültige Leistungsbild und die Erwerbsprognose beurteilt werden. Das Begutachtungsergebnis wurde dem Kläger laut Vermerk in dem Gutachten mitgeteilt.

Am 10. Februar 2010 beendete der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K. die Arbeitsunfähigkeit. Vom 11. bis 12. Februar 2010 war der Kläger erneut als Arbeitsloser bei der Beklagten pflichtversichert. Am 12. Februar 2010 bescheinigte ihm der Facharzt für All-gemeinmedizin Dr. T. Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose ICD-10 Version 2010 R53G (Unwohlsein, Ermüdung). Ab dem 26. Februar 2010 erfolgte die Bescheinigung der Arbeits-unfähigkeit auch aufgrund der Diagnose ICD-10 R16.1 (Splenomegalie), ab dem 26. August 2010 auch wegen ICD-10 F43.2 (Anpassungsstörungen, hier bezeichnet als: Depressiv-getönte Anpassungsstörung nach beruflicher und privater Überforderung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung).

Vom 1. Juni bis 6. Juli 2010 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der Re-habilitationsklinik - Abteilung Psychosomatik -. Laut Rehabilitationsentlassungsbericht vom 29. Juli 2010 wurden folgende Erkrankungen diagnostiziert: Gedrückte Stimmung, Grübelneigung, Konzentrationsdefizit und Schlafstörungen bei depressiv getönter Anpassungsstörung aufgrund beruflicher und privater Überforderung ICD-10 F43.2, Vermehrtes Schmerzerleben in der Lendenwirbelsäule und im Kopf bei somatoformer Schmerzstörung ICD-10 F45.4 (dort definiert als: Anhaltende Schmerzstörung), Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibendegeneration L5/S1 ICD-10 M54.9 (dort definiert als: Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet) und Schwerhörigkeit ICD-10 H91. Ihm wurde eine intensive psychotherapeutische Weiterbehandlung dringend empfohlen.

Mit Bescheid vom 17. August 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Anspruch auf Krankengeld ende am 21. November 2010. Er habe nach § 48 des Fünften Buches Sozialge-setzbuch (SGB V) einen begrenzten Anspruch auf Krankengeld für längstens 78 Wochen (546 Tage). Dieser Anspruch werde durch hinzugetretene Krankheiten nicht verlängert. Für seinen Anspruch auf Krankengeld sei die Arbeitsunfähigkeit vom 22. Mai 2009 bis 10. Februar 2010 - 264 Tage mit Anspruch auf Krankengeld - zu berücksichtigen; der Anspruch auf Krankengeld für die laufende Arbeitsunfähigkeit ende zum 21. November 2010. Die Beklagte holte zur Überprüfung des Leistungsbildes ein Gutachten des MDK vom 26. August 2010 ein, wonach die Diagnosen ICD-10 F43.21 (Anpassungsstörungen) und F45.4 (Anhaltende somatoforme Schmerzstörung) seine Arbeitsunfähigkeit weiterhin begründen. Seit dem 12. Februar 2010 sei der Kläger wegen einer depressiv-getönten Anpassungsstörung arbeitsunfähig. Diagnostik und Therapie seien bei dem noch akuten Krankheitsverlauf nicht abgeschlossen. Es bestehe Behandlungsbedürftigkeit und ein vorübergehend aufgehobenes erwerbsbezogenes Leistungsvermögen. Die weitere Arbeitsunfähigkeit sei bis zum Ende der Leistungspflicht begründet.

Gegen den Bescheid vom 17. August 2010 erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, seine Arbeitsunfähigkeit sei erstmals am 22. Februar 2009 durch die Fachärztin für All-gemeinmedizin Dipl.-Med. H. aus orthopädischen Gründen ICD-10 M54.4 (Bandscheiben-syndrom) festgestellt worden; sie habe am 10. Februar 2010 geendet. Vom 1. Juni bis 8. Juli 2010 sei er in der Rehabilitationsklinik aufgrund der tatsächlich gezeigten Symptome nach drei Tagen Aufenthalt von der orthopädischen auf die psychosomatische Station verlegt und durch psychosomatische Heilverfahren behandelt worden. Die Beklagte zog eine "Gesamtauskunft Leistungen" vom 13. Oktober 2010 bei. Am 23. November 2009 (= Tag des Gutachtens des MDK) ist dort die Diagnose ICD-10 F32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) vermerkt. Mit Schreiben vom 27. Oktober 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Diagnose "Depressive Episode" sei am 23. November 2009 zu den bestehenden Erkrankungen hinzugetreten. Sei eine Krankheit, wegen der aktuell Arbeitsunfähigkeit bestehe, schon einmal zu einer weiteren Krankheit hinzugetreten, so sei der gesamte vorangegangene Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit als Vorerkrankung auf die Leistungsdauer innerhalb der Blockfrist anzurechnen. Für die hinzugetretene Erkrankung werde ein Dreijahreszeitraum gebildet, der mit dem Dreijahreszeitraum der zuerst eingetretenen Erkrankung identisch sei. Die Erkrankung "Bandscheibenschaden" sei am 22. Mai 2009 erstmals eingetreten, der Drei-jahreszeitraum verlaufe vom 22. Mai 2009 bis zum 21. Mai 2012. Innerhalb dieses Dreijahreszeitraums habe er Anspruch auf Krankengeld für 78 Wochen. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 22. Mai 2009 bis 10. Februar 2010 (264 Tage) seien auf die Höchstanspruchsdauer anzurechnen. Für die weitere Arbeitsunfähigkeit habe er Anspruch auf Krankengeld bis zum 21. November 2010. Hiergegen wandte der Kläger ein, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 23. November 2009 mit der Diagnose "Depressive Episode" sei nicht erstellt worden. Es lägen ihm auch keine medizinischen Unterlagen vom 23. November 2009 mit einer derartigen Diagnose vor. Zudem sei er ab dem 12. Februar 2010 nicht aufgrund dieser Diagnose arbeitsunfähig erkrankt. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit erfolge nach § 78 Abs. 2 Nr. 9 SGB V durch die hausärztliche bzw. die fachärztliche Versorgung und nicht durch den MDK. Die vom Gutachter festgestellte depressive Verstimmung sei angesichts seiner Arbeitslosigkeit nachvollziehbar. Die Diagnose sei jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Krankheit, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führe. Letztendlich sei es auch unerheblich, dass in dem Gutachten des MDK vom 25. November 2009 die Diagnose ICD-10 F32.9 erwähnt werde, weil diese Krankheit sich nicht in der Arbeitsunfähigkeit ab 12. Februar 2010 wiederhole. Mit Wi-derspruchsbescheid vom 24. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, während der Arbeitsunfähigkeit sei keine weitere Krankheit, die eine Arbeitsunfähigkeit begründe, hinzugetreten. Das Vorliegen eines psychosomatischen Befundes - hier ICD-10 F32.9 - führe in der Regel nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit bzw. gesundheitlichen Unfähigkeit zur Ausübung von Arbeiten. Allein bei einer depressiven Stimmung wäre er durchaus in der Lage gewesen, seine Berufstätigkeit als Maurer auszuüben. Das Gutachten des MDK vom 23. November 2009 sei ihm erst im Widerspruchsverfahren zur Kenntnis gegeben worden und habe auch nicht zu einer Behandlung geführt, weil weder ihm noch seinem behandelnden Arzt die Diagnose bekannt gewesen sei. Das Gutachten des MDK vom 26. August 2010 bestätige dagegen die Auffassung, dass eine neue Erkrankung am 12. Februar 2010 eingetreten sei. Die psychosomatische Erkrankung sei nicht hinzugetreten, sondern habe für den zweiten Zeitraum von Anfang an bestanden. Die Beklagte hat eingewandt, sowohl während der Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 22. Mai 2009 bis 10. Februar 2010, als auch während der Arbeitsunfähigkeit vom 12. Februar bis 21. November 2010 sei eine psychosomatische Erkrankung als die arbeitsunfähigkeitsbegründende Diagnose zu bereits bestehenden Erkrankungen hinzugetreten. In beiden Gutachten des MDK werde davon ausgegangen, dass die psychische Erkrankung Arbeitsunfähigkeit verursacht habe. Das Sozialgericht (SG) hat u.a. einen Befundbericht der Dipl.-Med. H. vom 15. Juni 2012 angefordert, die als Diagnose u.a. eine Somatisierungsstörung genannt hat. Dr. T. hat in seinem Befundbericht vom 6. Juli 2012 ausgeführt, der Kläger habe ihn erstmals am 6. Januar 2010, zuletzt am 14. Dezember 2010 aufgesucht. Er leide unter einem massiven Erschöpfungssyndrom. Es liege eine Somatisierungsstörung vor. Als Diagnosen hat er u.a. F45.0 (Somatisierungsstörung) und F43.2 (Anpassungsstörungen) genannt. Ob diese Leiden schon bekannt gewesen seien, könne er nicht sagen. In ihrem Arztbrief vom 12. August 2010 hat die Neurologin und Psychiaterin Dr. T. ausgeführt, der Kläger habe sich von 2008 bis 2009 in Behandlung befunden. Damals habe er nach einer Gürtelrose im Kopfbereich unter therapieresistenten Schmerzen gelitten. Im TSD Selbstbeurteilungstest zum Erkennen einer Depression hätten sich valide Werte ergeben. Allerdings hätten Therapieversuche mit Trimipramin und später Mirtazepin keine Änderung der Beschwerden ergeben.

Mit Urteil vom 27. Januar 2014, verkündet nach einer "Beratung am Tisch", hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, es sei zutreffend, dass die Krankenkasse über den gesamten Zeitraum von einem Grundleiden, nämlich Bandscheibenschaden ausgegangen sei. Es spiele keine Rolle, in welchen Bereichen der Wirbelsäule die Beschwerden aufgetreten seien. Von derselben Erkrankung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V sei auszugehen bei Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten, denn sie stellten stets ein einheitliches Grundleiden da. Daran ändere nichts, dass der Hausarzt des Klägers am 12. Februar 2010 eine erneute Erstbescheinigung ausgestellt habe mit der Diagnose "Unwohlsein und Ermüdung". Aus den Diagnosen des Hausarztes sei jedoch keineswegs zu schließen, dass das Grundleiden, nämlich Bandscheibenschaden und Ähnliches ausgeheilt sei.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er könne keine sich überschneidenden Diagnosen erkennen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. Januar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 22. November bis 14. Dezember 2010 Krankengeld in Höhe von 1.218,54 EUR netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass die psychische Erkrankung zu den orthopädischen Erkrankungen im Zeitraum vom 22. Mai 2009 bis 10. Februar 2010 hinzugetreten sei. Dies habe der MDK in seinem Gutachten vom 25. November 2009 festgestellt.

Der Senat hat einen Befundbericht des Dr. T. vom 30. November 2015 eingeholt, wonach kein Kontakt mehr zum Kläger besteht. Er hat eine Übersicht zu den Erkrankungen des Klägers vom 6. Januar 2010 eingereicht, worin als Diagnosen u.a. eine Somatisierungsstörung sowie eine Anpassungsstörung genannt werden. Auf Rückfrage des Senats hat er am 22. August 2017 mitgeteilt, er habe am 6. Januar 2010 bei dem Kläger keine Erkrankung nach ICD-10 F32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) diagnostiziert. Nach seinen Unterlagen habe auch am 12. Februar 2010 keine Arbeitsunfähigkeit aufgrund dieser Diagnose bestanden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Vorab wird darauf hingewiesen, dass das erstinstanzliche Urteil verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Es ist entgegen § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 193 Abs. 1, § 194 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) nicht aufgrund geheimer Beratung und Abstimmung der zur Entscheidung berufenen Richter ergangen. Beratung und Abstimmung unterliegen der Geheimhaltungspflicht nach §§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG). § 193 GVG soll die Einflussnahme Dritter ausschließen und setzt daher grundsätzlich voraus, dass Beratung und Abstimmung in einem nicht öffentlich zugänglichen Raum stattfinden. Unbedenklich ist zwar eine leise Beratung und Abstimmung im Sitzungssaal über einfache Fragen, nicht aber - wie hier - über das Urteil selbst (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 62 Rn. 9a, 10). Laut Niederschrift vom 27. Januar 2014 hat sich die Kammer nicht zur Beratung zurückgezogen und es ist nicht ersichtlich, dass die Vertreterin der Beklagten den Sitzungssaal anlässlich der Beratung des Gerichts verlassen hat. Der Verfahrensfehler wird allerdings durch das Verfahren in der Berufungsinstanz geheilt.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat seinen Krankengeldanspruch (546 Tage) nicht ausgeschöpft. Die Arbeitsunfähigkeit ab 12. Februar 2010 setzte einen neuen Dreijahreszeitraum in Gang.

Rechtsgrundlage des Krankengeldanspruchs sind die §§ 44 ff SGB V. Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden. Für den geltend gemachten Krankengeldanspruch ist dabei jeweils an den in Betracht kommenden Entstehenstatbestand anzuknüpfen, wie er z.B. allgemein in § 46 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB V geregelt ist. § 48 Abs. 1 SGB V bestimmt zur Dauer des Krankengeldes: "Versicherte erhalten Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch längstens für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert."

§ 48 Abs. 1 SGB V enthält drei unterschiedliche Regelungen. Er stellt zunächst den Grundsatz der Krankengeldgewährung ohne zeitliche Begrenzung auf: Anspruch auf Krankengeld besteht danach ohne abstrakte zeitliche Begrenzung, solange die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Nach der in § 48 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 SGB V geregelten ersten Ausnahme führt es zur Rechtsfolge der Begrenzung der Leistungsdauer auf 78 Wochen, wenn "dieselbe Krankheit" die Arbeitsunfähigkeit bedingt. Jede neue Krankheit löst eine Kette von Dreijahreszeiträumen mit entsprechenden Höchstbezugszeiten von 78 Wochen aus. Die zweite Ausnahme ist in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V geregelt und ein der ersten gleichgestellter weiterer Fall der Leistungsbegrenzung, nämlich dass während der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer ersten Erkrankung eine weitere Krankheit hinzutritt.

Keiner der Ausnahmefälle greift hier für den Kläger ein. Weitere sieht das SGB V nicht vor (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 - Az.: B 1 KR 15/10 R, Rn. 12, nach juris).

Der Kläger hatte aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit wegen Bandscheibenschadens vom 22. Mai 2009 bis 10. Februar 2010 noch nicht die 78-Wochen-Frist für seinen Krankengeldanspruch ausgeschöpft. Der Leistungszeitraum umfasste lediglich 264 Kalendertage. Nach § 48 Abs. 3 SGB V werden bei der Feststellung der Leistungsdauer des Krankengelds Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld ruht oder für die das Krankengeld versagt wird, wie Zeiten des Bezuges von Krankengeld berücksichtigt. Zeiten, für die kein Anspruch auf Krankengeld besteht, bleiben unberücksichtigt. Die Dauer von 78 Wochen entspricht einer Gesamtdauer von 546 Tagen, weil das Krankengeld für Kalendertage gezahlt wird (§ 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V). Die Leistungsdauer für den Krankengeldanspruch des Klägers umfasst die Zeit vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit an.

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 22. Mai 2009 bis 10. Februar 2010 beruhten nicht auf "derselben Krankheit" wie die Arbeitsunfähigkeitszeiten ab dem 12. Februar 2010. Dann ist der Dreijahreszeitraum vom 22. Mai 2009 bis 21. Mai 2012 nicht maßgebend. Eine Band-scheibenerkrankung bis zum 10. Februar 2010 und das ab dem 12. Februar 2010 die Arbeits-unfähigkeit begründende Unwohlsein, Ermüdung (R53) sind nicht "dieselbe Krankheit". Bei im Zeitablauf nacheinander auftretenden Erkrankungen handelt es sich im Rechtssinne um dieselbe Krankheit, wenn der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand, der die Krankheitsursache bildet, auf ein medizinisch nicht ausgeheiltes Grundleiden zurückzuführen ist. Hierbei ist eine stark verfeinerte, enge fachmedizinisch-diagnostische Sichtweise zu vermeiden, die die Gefahr begründet, dass dem Merkmal im Kontext des § 48 Abs. 1 SGB V letztlich gar keine eigenständige rechtliche Bedeutung mehr zukommt, obwohl das Gesetz damit gerade eine Einengung des zeitlichen Umfangs der Krankengeldgewährung bezweckt. Diese Begrenzung der Leistungsdauer des Krankengeldes beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass es in erster Linie der gesetzlichen Rentenversicherung obliegt, bei dauerhaft eingetretener Erwerbsminderung des Versicherten Entgeltersatzleistungen zur Verfügung zu stellen, während die gesetzliche Krankenversicherung typischerweise nur für den Ausgleich des entfallenden laufenden Arbeitsentgelts bei vorübergehenden, d.h. behandlungsfähigen Gesundheitsstörungen eintritt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 - Az.: B 1 KR 15/10 R, Rn. 14 ff, m.w.N.). Ein Bandscheibenschaden und Unwohlsein/Ermüdung sind nicht Ausdruck eines einheitlichen Grundleidens. Sie stehen weder in einem ursächlichen Zusammenhang, noch lassen sie sich als Krankheitsbündelung i.S.v. multiplen Unfallverletzungen oder Multimorbidität begreifen. Dies behauptet allerdings auch die Beklagte nicht. Die Ansicht der Vorinstanz, dass die Beklagte zutreffend über den gesamten Zeitraum von einem Grundleiden - nämlich Bandscheibenschaden - ausgegangen ist, stehen dem tatsächlichen Sachverhalt entgegen und sind nicht nachvollziehbar.

Allerdings sieht es der Senat aufgrund des Gutachtens des MDK vom 26. November 2009 sowie der weiteren vorliegenden medizinischen Unterlagen als erwiesen an, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt neben der Bandscheibenerkrankung auch eine psychische Erkrankung des Klägers - hier kann jedoch nur von der dort diagnostizierten Erkrankung F32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) ausgegangen werden -, Arbeitsunfähigkeit begründete. Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Arbeitsunfähigkeit auch durch einen Arzt des MDK festgestellt werden. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V kann Arbeitsunfähigkeit durch je-den Arzt, also auch durch Ärzte des MDK (vgl. Gerlach in Hauck, Sozialgesetzbuch SGB V, Stand: September 2017, § 46 Rn. 20), festgestellt werden. Es muss sich weder um einen Vertragsarzt handeln, noch um den behandelnden Arztes des Versicherten.

§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V stellt die hinzutretende Krankheit bezüglich der Rechtsfolge der Leistungsbegrenzung dem Fall "derselben Krankheit" rechtlich gleich. Das Hinzutreten einer weiteren Krankheit zu einer fortbestehenden und fortlaufend Arbeitsunfähigkeit verursachenden Erkrankung führt weder zur Entstehung eines gänzlich neuen Krankengeldanspruchs, noch bewirkt es die Verlängerung der schon in Ansehung der ersten Krankheit maßgeblichen (begrenzten) Leistungsdauer. Die Regelungen des § 48 Abs. 1 SGB V wollen auf diese Weise sicherstellen, dass die gesetzlichen Höchstbezugsdauer bei Arbeitsunfähigkeit sowohl bei identischen Krankheiten als auch bei bestimmten unterschiedlichen und wechselnden Krankheitsbildern nicht überschritten wird.

Ein "Hinzutreten während der Arbeitsunfähigkeit" i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V liegt unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik sowie nach Sinn und Zweck der Regelung auch dann vor, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen oder Wiedervorliegen einer zu Arbeitsunfähigkeit führenden ersten Erkrankung unabhängig von dieser Krankheit zugleich eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bedingt. Es reicht insoweit aus, dass die Krankheiten zumindest an einem Tag zeitgleich nebeneinander bestanden haben. Eine Krankheit tritt dagegen im Rechtssinne nicht mehr hinzu, sondern ist in ihren Rechtsfolgen eigenständig zu beurteilen, wenn sie erst am Tage nach Beendigung der bisherigen Arbeitsunfähigkeit oder noch später auftritt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011- Az.: B 1 KR 15/10 R, Rn. 18 f., m.w.N). Um die Rechtswirkung als hinzugetretene Krankheit auszulösen, muss sie für sich betrachtet ebenfalls Arbeitsunfähigkeit begründen. Eine oder mehrere weitere Krankheit(en), die nicht Arbeitsunfähigkeit bedingen, sind krankengeldrechtlich ohne Belang; für den Anspruch auf Krankengeld erlangen sie erst Bedeutung, wenn sie Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005 - Az.: B 1 KR 27/04 R, nach juris). Für die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V erlangt die Arbeitsunfähigkeit wegen der hinzugetretenen Krankheit erst Bedeutung, wenn die Arbeitsunfähigkeit wegen der ursprünglichen Krankheit beendet ist. Die hinzugetretene Krankheit kann den Versicherten nicht arbeitsunfähig machen, solange er wegen der zuerst eingetretenen Krankheit noch arbeitsunfähig ist. Erst wenn die ursprüngliche Krankheit bzw. die auf ihr beruhende Arbeitsunfähigkeit behoben ist, kann die nunmehr allein arbeitsunfähigkeitsverursachende Zweiterkrankung ihrerseits einen Anspruch auf Krankengeld auslösen. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V wirkt sich folglich erst von dem Zeitpunkt an aus, von dem an wegen der hinzugetretenen Krankheit allein Arbeitsunfähigkeit besteht. Die Leistungsdauer wurde mit dem Eintritt der ersten Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheit feststellbar (längstens 78 Wochen); diese verändert sich bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht durch den Hinzutritt einer weiteren Krankheit, selbst wenn diese von einem bestimmten Zeitpunkt an die Arbeitsunfähigkeit allein verursacht. Darin erschöpft sich allerdings auch die Rechtswirkung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Die Vorschrift besagt nicht, dass der Leistungsanspruch wegen der hinzugetretenen Krankheit in dem Anspruch wegen der ersten Krankheit "aufgeht", denn es ist nicht geregelt, dass unter "derselben Krankheit" auch die "Hinzugetretene" zu verstehen ist, d.h. die Hinzugetretene mit "derselben" identisch ist (vgl. Gerlach in Hauck, Sozialgesetzbuch SGB V, Stand: September 2017, § 40 Rn. 27, 28).

Letztendlich steht aber nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass diese Erkrankung auch am 10. und 11. Februar bzw. ab dem 12. Februar 2010 weiterhin Arbeitsunfähigkeit des Klägers begründete. Die materielle Beweislast hierfür obliegt der Beklagten.

Dr. T. bescheinigte erst ab dem 12. Februar 2010 Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose ICD-10 R53 (Unwohlsein/Ermüdung, Inklusiva: allgemeiner körperlicher Abbau, Asthenie, Lethargie, Möglichkeit chronische Schwäche und Schwäche ohne nähere Angaben). Die Gruppe R50-R69 wird im ICD-10 mit "Allgemeinsymptome" überschrieben. Demgegenüber handelt es sich bei der Erkrankung "Depressive Episode, nicht näher bezeichnet" (ICD-10 F32.4) um eine affektive Störung, die der Gruppe F30-F39 im ICD-10 zugeordnet ist. Diese enthält laut Definition, Störungen, deren Hauptsymptome in einer Veränderung der Stimmung oder der Affektivität entweder zur Depression - mit oder ohne begleitende(r) Angst - oder zur gehobenen Stimmung bestehen. Dieser Stimmungswechsel wird meist von einer Veränderung des allgemeinen Aktivitätsniveaus begleitet. Die meisten anderen Symptome beruhen hierauf oder sind im Zusammenhang mit dem Stimmungs- und Aktivitätswechsel leicht zu verstehen. Die meisten dieser Störungen neigen zu Rückfällen. Der Beginn der einzelnen Episoden ist oft mit belastenden Ereignissen oder Situationen in Zusammenhang zu bringen. Weitere Ausführungen im ICD-10 finden sich unter F32.-Depressive Episode, wonach der Patient bei den typisch leichten (F32.0), mittelgradigen (F 32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität leidet. Die Fähigkeit zur Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, die Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen.

Eine Begutachtung durch den MDK ist zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt - 10., 11., 12. Februar 2010 - nicht durchgeführt worden.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. T. hat in seinem Befundbericht vom 6. Juli 2012 mitgeteilt, dass der Kläger über ein massives Erschöpfungssyndrom klagte. Weitere Anzeichen für eine Depression sind dem Befundbericht nicht zu entnehmen. Soweit er zugleich eine So-matisierungsstörung (ICD-10 F45.0) und Anpassungsstörungen (ICD-10 F43.2) - keine depressive Episode - bereits am 6. Januar 2010 diagnostizierte, handelt es sich um andere Erkrankungen als die einer Depression, zudem hat er diesbezüglich keine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bescheinigt. Ob die Diagnosen zum damaligen Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit des Klägers für den allgemeinen Arbeitsmarkt begründeten, lässt sich aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr aufklären. Das Gutachten des MDK vom 26. August 2010, das zur Prüfung der Frage des weiteren Vorliegens der Arbeitsunfähigkeit des Klägers - nicht zur Abklärung der Diagnosen - in Auftrag gegeben wurde, nennt als die ab dem 12. Februar 2010 Arbeitsunfähigkeit des Klägers begründenden Diagnosen Anpassungsstörung (F43.21) und anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4). Letztlich kann dahinstehen, ob diese rückwirkenden Feststellungen bezüglich der Arbeitsunfähigkeit begründenden Diagnosen überzeugend sind, weil die Arbeitsunfähigkeit des Klägers aufgrund der Ersterkrankung, dem Bandscheibenschaden, am 10. Februar 2011 beendet war, und ab dem 12. Februar 2011 eingetretene Erkrankungen zu der Ersterkrankung nicht mehr hinzutreten konnten. Der Rehabilitationsentlassungsbericht vom 29. Juli 2010 belegt ebenfalls nicht, dass sie dort genannten Diagnosen bereits vor Beendigung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Ersterkrankung Arbeitsunfähigkeit des Klägers begründeten.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved