L 1 KR 45/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 1314/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 45/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 45/03
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2003 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. 3. Die Revision wird zugelassen. 4. Der Streitwert wird auf 2.579,05 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über von der Klägerin nach Ablauf der Zwölf-Monats-Frist des § 111 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angemeldete Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 2579,05 Euro.

Die Klägerin hat die Kosten eines Arzneimittels in Höhe von 2.375,71 EUR für die am XX.XXXXX 2000 verstorbene E. S. übernommen. Die Verordnung des Medikaments durch die Klinik und Poliklinik für Urologie in Bonn wurde unter dem 26. April 2000 registriert und seine Abgabe am 18. Mai 2000 durch die Apotheke bestätigt, so dass die vollständige Leistungserbringung – hinsichtlich derer die Klägerin über keine Unterlagen mehr verfügt – jedenfalls vor dem 31. Mai 2000 erfolgte. In diesem Zeitraum war Frau S. bei der Beklagten versichert. Nachdem der Klägerin die fehlende Mitgliedschaft von E. S. am 17. November 2000 bekannt geworden war, machte sie mit Schreiben vom 31. Mai 2001 (Eingang bei der Beklagten: 1. Juni 2001) einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der Arzneimittelkosten dem Grunde nach geltend.

Für E. W. gewährte die Klägerin eine kieferorthopädische Behandlung, die in den Quartalen II bis IV/2000 Kosten in Höhe von insgesamt 224,18 EUR verursachte, obwohl diese ab 18. Februar 2000 bei der Beklagten familienversichert war. Hinsichtlich dieser Kosten meldete sie einen Erstattungsanspruch unter dem 10. Januar 2002 (Eingang bei der Beklagten: 11. Januar 2002) an. Später beschränkte sie den geltend gemachten Anspruch auf 203,34 Euro (zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2004).

Die Beklagte lehnte die Erstattung in Sachen S. mit Schreiben vom 18. Oktober 2001, in Sachen W. mit Schreiben vom 19. März 2002 ab und blieb im Schreiben vom 15. Juli 2002 bei ihrer Entscheidung.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 14. April 2003 abgewiesen und die Berufung hiergegen zugelassen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zu Unrecht habe die erste Instanz die Klage abgewiesen. § 111 SGB X gelte für alle im 2. Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB X normierten Erstattungsansprüche, also für die §§ 102 – 105 SGB X. Der hier streitige Anspruch gemäß § 105 SGB X werde deswegen auch erfasst. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs ergebe sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den Gesetzesmaterialien. Zwar habe die erstattungspflichtige Krankenkasse den Leistungsanspruch nicht mehr zu bescheiden, müsse aber nach Zugang des Erstattungsanspruchs entscheiden, ob und in welchem Umfang Ansprüche auf Sozialleistungen des Versicherten bestünden. Es gebe also auch hier eine Entscheidung im Sinne des § 111 Satz 2 SGB X, der – in Einschränkung des Satzes 1 – einen späteren Fristbeginn ermögliche. Die Ausschlussfrist beginne deswegen erst ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung von dieser Entscheidung.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2.579,05 Euro zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGBX versäumt. Die Regelung des § 111 Satz 2 SGB X könne bei sachgerechter Betrachtung nur diejenigen Erstattungsfälle betreffen, bei denen nach dem allgemein üblichen Geschehensablauf eine Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem Versicherten über dessen Anspruch zu erwarten sei. Eine solche Entscheidung erfolge in den Fällen des § 105 SGB X jedoch nicht, weil bereits der unzuständige Leistungsträger in Anspruch genommen worden sei. Bei anderer Auffassung ginge die Ausschlussfrist für Erstattungsfälle nach § 105 SGB X völlig ins Leere.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 16. Juni 2004 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist nicht begründet.

Die Beklagte ist zur Erstattung der streitigen Kosten nicht verpflichtet, weil die Klägerin ihre gemäß § 105 SGB X grundsätzlich bestehenden Erstattungsansprüche nicht rechtzeitig bei der Beklagten angemeldet hat. Zwischen dem Zeitpunkt, in dem die jeweiligen Leistungen vollständig erbracht waren (vgl. insoweit Bundessozialgericht (BSG) 23.2.99 – B 1 KR 6/97 R, SozR3-1300 § 111 Nr. 7), und dem Zugang der Schreiben vom 31. Mai 2001 und 10. Januar 2002 lag in beiden Fällen mehr als ein Jahr. Damit ist die Erstattung aufgrund des Versäumnisses der Frist von zwölf Monaten für die Anmeldung des Erstattungsanspruchs dem Grunde nach gemäß § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen.

Der Beginn der Ausschlussfrist wird nicht durch § 111 Satz 2 SGB X hinausgeschoben. Zwar ist die durch das Euro-Einführungsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 111 SGB X, die auf alle am 1. Juni 2000 noch nicht abschließend entschiedenen Erstattungsverfahren Anwendung findet (vgl. § 120 Abs. 2 SGB X Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.00, BGBl. I 1983), auf die geltend gemachten Erstattungsforderungen anwendbar, obwohl die Kosten vor ihrem In-Kraft-Treten angefallen sind, denn die Ausschlussfrist war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen (vgl. BSG 11.11.03 – B 2 U 15/03 R, SozR 4-1300 § 111 Nr. 1). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aber § 111 Satz 2 SGB X, der regelt, dass die zwölfmonatige Ausschlussfrist des Satzes 1 frühestens mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat, nicht anwendbar. Er trifft schon von seinem Wortlaut her nicht zu, weil wegen der Entscheidung der Klägerin, gegenüber den jeweiligen Versicherten die Kosten zu übernehmen, keine Entscheidung eines weiteren Leistungsträgers mehr zu erfolgen hat. Die Beklagte muss auch nicht im Rahmen der Erstattungsforderung über einen Anspruch der Versicherten entscheiden, denn die Befriedigung des Erstattungsanspruchs kann sie allein wegen des Fristablaufs ablehnen. Die Vorschrift des § 111 Satz 2 SGB X stellt von ihrem Sinn und Zweck auf Situationen ab, in denen der erstattungsberechtigte Träger seinen Erstattungsanspruch wegen des Fehlens einer Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs noch nicht geltend machen kann. In dieser Konstellation wäre das Ablaufen der Ausschlussfrist für den Erstattungsberechtigten nicht vermeidbar (so auch Begründung in BtDrs. 14/4375 S. 60) und der endgültige Ausschluss von einer Erstattungsmöglichkeit erschiene unbillig. Anders ist dies aber im vorliegenden Fall. Die Klägerin hätte grundsätzlich schon früher ermitteln können, ob die Versicherten weiter bei ihr versichert sind bzw. dies im Behandlungszeitpunkt waren. Dabei hätte sie auch eine zeitnahe Prüfung und Anmeldung des Erstattungsanspruchs verwaltungsintern sicherstellen können. Im Falle der Versicherten S. wäre sogar eine zügige Geltendmachung des Erstattungsanspruchs, nachdem die Klägerin bereits am 17. November 2000 von dem fehlenden Versicherungsverhältnis Kenntnis erlangt hatte, noch ausreichend gewesen. Es entspricht deswegen auch nicht dem Sinn und Zweck des § 111 Satz 2 SGB X, die der Rechtssicherheit dienende Ausschlussfrist hier nicht anzuwenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG sowie § 197a SGG i.V.m. §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 Gerichtskostengesetz.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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