L 1 B 7/05 ER KR

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 32 KR 1207/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 B 7/05 ER KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Dezember 2004 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens zu verpflichten ist, dem Antragsteller eine ambulante neuropsychologische Therapie zu gewähren.

Der Antragsteller erlitt am 14. Oktober 2003 einen Schlaganfall. Nach einem Krankenhausaufenthalt wurde er zunächst stationär in einer Rehabilitationseinrichtung behandelt. Dort wurde eine Weiterbehandlung mit Mitteln der Neuropsychologie und Logopädie in einer Tagesklinik empfohlen und unter dem 20. Januar 2004 für den Antragsteller eine entsprechende Maßnahme beantragt. Die von Dr. B. unter dem 13. Februar 2004 für den Antragsteller beantragte ambulante Weiterbehandlung lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. März 2004 ab, gewährte stattdessen eine teilstationäre Maßnahme im Reha-Zentrum B. T. (Bescheid vom 1. April 2004). Diese Maßnahme verlängerte sie mit Bescheid vom 6. Mai 2004. Ausweislich des Abschlussberichts des Reha-Zentrums vom 10. August 2004 waren dort neuropsychologische Komplexbehandlungen, logo- und ergotherapeutische Maßnahmen sowie Krankengymnastik zur Anwendung gekommen. Die Ausfallerscheinungen aufgrund des Schlaganfalls seien wesentlich gebessert worden. Der Antragsteller, der zuletzt vor der Erkrankung acht Stunden wöchentlich einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sei, habe einen Wiedereinstieg in eine selbständige Tätigkeit vorgenommen und sei fünfmal wöchentlich jeweils vier Stunden tätig. Verblieben seien diffuse neuropsychologische Restsymptome, hinsichtlich derer eine Fortführung des neuropsychologischen Trainings, eventuell auch logopädische Therapie empfohlen werde. Unter dem 7. September 2004 beantragte Dr. B. erneut für den Antragsteller eine ambulante neuropsychologische Therapie im Umfang von 20 Stunden in seiner neuropsychologischen Praxis. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. September 2004 ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2005 zurückwies.

Im Oktober 2004 hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin zur Gewährung neuropsychologischer Therapie bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens jedoch für 25 (nicht 20) Sitzungen, im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens zu verpflichten. Hierzu hat er den Behandlungsplan von Dr. B. über 20 Stunden vorgelegt.

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2004 hat das Sozialgericht dem Antrag stattgegeben und die Antragsgegnerin verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, längstens jedoch für 25 Sitzungen, die Kosten einer neuropsychologischen Therapie zu tragen. Die beantragte Therapie nach der neuen Behandlungsmethode sei zu gewähren. Die Nichtberücksichtigung dieser Methode in den NUB-Richtlinien stelle ein Systemversagen dar. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe bis heute keine Entscheidung getroffen, obwohl bereits im Juni 2000 ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie bei der Bundesärztekammer die Methode für den Indikationsbereich "cerebraler Insult" (Hirninfarkt) befürwortet habe. Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei hier zur Vermeidung gesundheitlicher Nachteile ausnahmsweise gerechtfertigt. Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt.

II

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 1. Dezember 2004, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und begründet.

Der Antragsteller hat im einstweiligen Anordnungsverfahren keinen Anspruch auf Gewährung einer ambulanten neuropsychologischen Therapie.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 (einstweiliger Rechtsschutz bei Anfechtungsklagen) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Es fehlt an einem Anordnungsanspruch. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Gewährung der beantragten Leistungen, denn es liegt kein Systemversagen vor. Eine neue Behandlungsmethode wie die ambulante neuropsychologische Therapie, für die bislang der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine positive Entscheidung getroffen hat, kann grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werden. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung (Bundessozialgericht 16.9.97 – 1 RK 28/95, BSGE 81, 54) nur anerkannt, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Ein solcher liegt vor, wenn das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für die Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird und die Wirksamkeit der Methode festgestellt wird bzw. wenn sich die Wirksamkeit aus medizinischen Gründen nur begrenzt objektivieren lässt, sich die Methode zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat. Zwar hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie bei der Bundesärztekammer bereits im Juni 2000 in einem Gutachten die Methode für den Indikationsbereich "cerebraler Insult" (Hirninfarkt) befürwortet, jedoch war der Gemeinsame Bundesausschuss nicht gehalten, aufgrund dieses Umstandes ein Anerkennungsverfahren durchzuführen. Aus Anlass des genannten Gutachtens hatte sich allerdings der Rechtsvorgänger des Gemeinsamen Bundesausschusses, der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Arbeitsausschuss "Psychotherapie-Richtlinien"), in der Sitzung vom 6. September 2000 mit dem Gutachten aus eigener Initiative befasst und eine Überprüfung der Neuropsychologie als neues Psychotherapieverfahren mit der Begründung abgelehnt, dass ausweislich des Gutachtens keine hinreichenden Wirksamkeitsbelege für den Anspruch einer therapeutischen Abdeckung des gesamten psychosozialen Raumes eines Menschen nach Hirnschädigung vorlägen und das Verfahren nicht für die vertiefte Ausbildung als wissenschaftlich anerkannt gelten könne, weil es insoweit an ausreichenden Wirksamkeitsbelegen fehle. Gemäß § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gibt der Gemeinsame Bundesausschuss seine Empfehlungen auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen ab. Ein diesbezüglicher Antrag wurde von dem Verband der Angestelltenkrankenkassen jedoch erst im August 2003 gestellt. Auf diesen Antrag hin ist der Gemeinsame Bundesausschuss tätig geworden und hat den Antrag angenommen sowie eine Arbeitsgruppe gebildet. Unter diesen Umständen besteht kein Anhalt für ein willkürliches oder aus sachfremden Erwägungen erfolgtes Blockieren oder Verzögern der Prüfung und damit für das Vorliegen eines Systemmangels.

Es kann unentschieden bleiben, ob noch weitere Gesichtspunkte (wie die Frage, ob der Antragsteller der angestrebten Therapie bedarf, und ob nicht die Vielzahl der bisher bei Schlaganfallpatienten angewandten anderen (anerkannten) Verfahren zur Behandlung der noch vorliegenden Restsymptome geeignet ist) gegen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sprechen. Die Stichhaltigkeit des Einwands der Antragsgegnerin, sie könne nicht zur Bewilligung der begehrten Maßnahmen verpflichtet werden, weil sie im Rahmen der Auftragsverwaltung für den zuständigen Sozialhilfeträger tätig werde und der Antragsteller nicht ihr Mitglied sei, braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Der Senat macht nur darauf aufmerksam, dass aus den gegenüber dem Antragsteller erlassenen Ablehnungs- wie Bewilligungsbescheiden kein Auftragsverhältnis erkennbar ist, sondern die Antragsgegnerin in eigenem Namen handelte. Offen bleiben kann auch, ob schon die fehlende Zulassung Dr. B. zur vertragsärztlichen Versorgung dem geltend gemachten Anspruch entgegensteht. Ebenso kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund gegeben sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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