L 4 B 154/05 ER SO

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 56 SO 232/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 B 154/05 ER SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Juni 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen der häuslichen Pflege für einen dreimonatigen Auslandesaufenthalt zu Ausbildungszwecken nach § 63 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) zu verpflichten, zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die das Beschwerdegericht Bezug nimmt, abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Die Antragstellerin hat auch hiernach keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen, weil ihr tatsächlicher Aufenthalt während des Leistungsbezuges im Ausland läge.

Dem Recht der Sozialhilfe des SGB XII liegt – ebenso wie demjenigen des außer Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) – das in § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – normierte Territorialitätsprinzip zugrunde, wonach die sozialstaatliche Einstandspflicht nur für Personen besteht, deren Bezug zum räumlichen Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches bestimmten Anforderungen genügt. Für den Bereich der Sozialhilfe kommt es nunmehr vorrangig in § 24 SGB XII zum Ausdruck, wonach Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, außer in bestimmten außergewöhnlichen Notlagen vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind. Als Ausprägung dieses Prinzips ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. vom 22. Dezember 1998 – 5 C 21/97 – juris) aber auch § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG anzusehen gewesen. Nach dieser Vorschrift war für die Sozialhilfe derjenige Träger zuständig, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhielt. Nach der erwähnten Rechtsprechung war dieser Regelung – über die bloße Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers hinaus – aber auch zu entnehmen, dass bei fehlender örtlicher Zuständigkeit eines Trägers der Sozialhilfe infolge Auslandsaufenthalts gleichzeitig ein entsprechender Leistungsanspruch zu verneinen war. Dieser Rechtsprechung folgt der beschließende Senat für die inhaltsgleiche Vorschrift des § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Die Antragstellerin ist vom Bezug der begehrten Leistung ausgeschlossen, weil der Anspruch erst entsteht, wenn sie ihren tatsächlichen Aufenthalt nach Madagaskar und damit aus dem Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin hinaus verlegt haben wird. Dass die Antragstellerin bereits vom Heimatland aus Verträge mit einem auf Madagaskar ansässigen Hilfeträger geschlossen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn Zahlungen muss die Antragstellerin erst leisten, wenn sie sich im Ausland befindet und die Hilfe dort tatsächlich in Anspruch nimmt. Erst der Aufenthalt dort begründet den sozialhilferechtlichen Bedarf.

Auch das Beschwerdegericht vermag einen Verstoß gegen das Grundrecht der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG oder das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu erkennen. Ebenso wenig kann die Antragstellerin aber mit ihrer im Beschwerdeverfahren wiederholten Berufung auf das aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG folgende Benachteiligungsverbot für Behinderte durchdringen. Zwar liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. vom 8. Oktober 1997 – 1 BvR 9/97 – juris) eine Benachteiligung nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern, indem ihm etwa der tatsächlich mögliche Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird oder Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustehen, verweigert werden. Vielmehr kann nach dieser Rechtsprechung eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird. Wann ein solcher Ausschluss durch Förderungsmaßnahmen so weit kompensiert ist, dass er nicht benachteiligend wirkt, lässt sich nicht generell und abstrakt festlegen. Ob die Ablehnung einer von dem Behinderten erstrebten Ausgleichsleistung und der Verweis auf eine andere Entfaltungsalternative als Benachteiligung anzusehen ist, wird regelmäßig von Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und prognostischen Einschätzungen abhängen. Nur aufgrund des Gesamtergebnisses dieser Würdigung kann darüber befunden werden, ob eine Maßnahme im Einzelfall benachteiligend ist. Bei dieser Wertung ist schließlich auch die Haushaltslage zu berücksichtigen, weil jede Förderung unter dem Vorbehalt des Machbaren und finanziell Möglichen steht (vgl. BVerfG a.a.O.).

Bei der in dem vorliegenden Eilverfahren vorzunehmenden überschlägigen Prüfung der angegriffenen Entscheidung der Antragsgegnerin ergibt sich indessen ein Verstoß gegen das so umgrenzte Benachteiligungsverbot nicht. Die Antragstellerin hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Teilnahme an einem durch die Studienordnung nicht vorgeschriebenen, lediglich freiwilligen Auslandspraktikum für Studenten der Betriebswirtschaftslehre in einer Weise zwingend wäre, dass ohne diese die spätere Suche nach einer Beschäftigungsstelle von vornherein aussichtslos erschiene und sie deshalb gegenüber den nicht behinderten Studenten benachteiligt wäre. Denn ein Auslandspraktikum dürfte auch für nicht behinderte Studenten regelmäßig mit erheblichen Kosten verbunden sein und eine Teilnahme an einem solchen Praktikum deshalb auch für eine große Anzahl dieser Studenten wegen fehlender Mittel ausscheiden. Auch sie wären darauf verwiesen, die fehlende Auslandserfahrung bei der Stellensuche – etwa durch einen besseren Abschluss oder andere im Inland erworbene Zusatzqualifikationen – zu kompensieren. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat eine Benachteiligung der Antragstellerin im Sinne des Art. § Abs. 3 Satz 2 GG nicht zu erkennen, wenn diese wegen der Endlichkeit der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel ausschließlich auf die von der Antragsgegnerin bereits geförderte Inlandsausbildung verwiesen wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt aus § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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