L 1 KR 121/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 32 KR 374/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 121/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 16. August 2004 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Pflichtversicherung des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens streitig.

Auf seinen Rentenantrag vom 13. Februar 1996 teilte die Beklagte dem Kläger ausweislich ihrer Verwaltungsakte mit Bescheid vom 14. März 1996 mit, er erfülle nicht die Voraussetzungen der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR, weil er nicht neun Zehntel des Zeitraums vom 30. Juli 1980 bis 13. Februar 1996 (nur 4920 statt der erforderlichen 5104 Tage) Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenkasse gewesen sei. Auf eine Anfrage des Klägers, warum er nicht pflichtversichert sei, holte die Beklagte von der LVA Oberfranken/Mittelfranken eine Auskunft ein, in der dargelegt wurde, dem Kläger sei auf den Rentenantrag vom 13. Februar 1996 mit Bescheid vom 25. November 1999 ab 1. Januar 1999 Rente gewährt worden. Daraufhin lehnte die Beklagte die Pflichtversicherung in der KVdR erneut mit Bescheid vom 30. Dezember 1999 ab und blieb auch im Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2000 bei ihrer Auffassung.

Unter dem 21. Dezember 2000 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2001 ablehnte. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2001 zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, den Bescheid vom 14. März 1996 nicht erhalten zu haben. Mit Beschluss vom 12. März 2003 hat das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens abgelehnt und ausgeführt, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, weil der Kläger die Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der KVdR nicht erfülle und ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch schon deswegen nicht gegeben sein könne, weil die Beklagte mit Bescheid vom 14. März 1996 den Kläger über diese fehlenden Voraussetzungen informiert habe. Der behauptete Umstand, der Kläger habe diesen Bescheid nicht bekommen, beruhe jedenfalls nicht auf einer Pflichtverletzung der Beklagten. Mit seiner Beschwerde hat der Kläger geltend gemacht, zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nur im Falle eines Verschuldens der Beklagten gegeben sei. Vielmehr reiche es, dass die Beklagte zwar mit Bescheid vom 14. März 1996 ihre Beratungspflicht habe erfüllen wollen, aber tatsächlich nicht erfüllen konnte, weil der Kläger diesen Bescheid nicht erhalten habe. Mit Beschluss vom 19. Januar 2004 hat der Senat die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage bestätigt. Zu Recht sei das Sozialgericht davon ausgegangen, dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht gegeben sei. Daraufhin hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. August 2004 unter Verweis auf den Senatsbeschluss vom 19. Januar 2004 abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Da er nicht verstehe, warum die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vorlägen und auch die Entscheidung des Sozialgerichts dazu nichts hergebe, müsse er das Verfahren weiterführen. Er müsse zumindest sein Recht erklärt bekommen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 16. August 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Aufhebung des Bescheides vom 14. März 1996 und des Bescheides vom 30. Dezember 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2000 in der Krankenversicherung der Rentner pflichtzuversichern.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die erstinstanzliche Entscheidung bestätige zutreffend die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 18. Mai 2005 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist nicht begründet.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, so weit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und so weit Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Obwohl § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht ausdrücklich vor einer erneuten Sachprüfung das Durchlaufen zweier formaler Prüfungsabschnitte verlangt, wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch das Rücknahmeverfahren in der allgemeinen Verwaltung in Anlehnung an das Wiederaufnahmeverfahren für rechtskräftige Urteile (vgl. § 179 SGG) als dreistufiges Verfahren angesehen. Daraus folgt, dass die Verwaltung in eine erneute Sachprüfung erst dann eintreten muss, wenn Gründe geltend gemacht werden, die ihrer Art nach geeignet sind, die Verwaltungsentscheidung in Frage zu stellen (erster Schritt) und diese Gründe tatsächlich vorliegen sowie der bestandskräftige Verwaltungsakt auf einen Umstand gestützt ist, welcher infolge der geltend gemachten Überprüfungsgründe nunmehr zweifelhaft geworden ist (zweiter Schritt). Ergibt sich also im Rahmen eines Antrages auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des ursprünglichen Bescheides berufen (vgl. ständige Rechtsprechung BSG 3.2.88 - 9/9a RV 18/86, 22.3.89 - 7 RAr 122/87 und 3.4.01 - B 4 RA 22/00 R).

Ein neuer Sachverhalt wurde im Überprüfungsverfahren nicht vorgetragen, denn weder wurden weitere Versicherungszeiten geltend gemacht noch ein anderes Datum der Rentenantragstellung dargelegt. Der Kläger behauptet lediglich, er sei im Rahmen eines sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als wäre er von der Beklagten auf die fehlende Erfüllung der Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der KVdR rechtzeitig hingewiesen worden. Das sei er nämlich nicht, denn den Bescheid vom 14. März 1996 habe er nicht erhalten. Bei einem rechtzeitigen Hinweis hätte er seinen Rentenantrag zurückgenommen und die Rente erst später beantragt.

Die Bescheide, mit denen eine Pflichtversicherung in der KVdR abgelehnt wurde, sind jedoch weder unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers noch aus sonstigen Gründen rechtswidrig.

Zu Recht legen sie dar, dass der Kläger die erforderliche Vorversicherungszeit für die Pflichtversicherung in der KVdR nicht erfüllt. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der hier noch anzuwendenden Fassung ab 1. Januar 1993 (Änderungsgesetz vom 10.5.95) sind Personen in der KVdR versicherungspflichtig, welche die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte dieses Zeitraums aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung oder aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert waren. Dies ist beim Kläger nicht der Fall, wie die bestandskräftigen Bescheide der Beklagten zutreffend ausführen und auch der Kläger nicht bestreitet. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 15. März 2000 (1 BvL 16/96 u.a., BVerfGE 102, 68) die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V für verfassungswidrig erklärt hat, ist sie bis zum 31. März 2002 weiter anwendbar (BSG 7.12.00 – B 12 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 5 Nr. 44).

Da die Rahmenfrist für die Vorversicherungszeit in der KVdR selbst dann mit der Rentenantragstellung endet, wenn der Rentenantrag erst abgelehnt und später die bestandskräftige Ablehnung aufgehoben und Rente bewilligt wird (BSG 25.2.97 – 12 RK 4/96, BSGE 80, 102), ist im Falle des Klägers die Antragstellung im Jahre 1996 maßgeblich, obwohl die Rente erst ab 1999 gewährt wurde. Eine Einschränkung oder nachträgliche teilweise Rücknahme des Rentenantrages ist nicht möglich.

Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind nicht gegeben. Diese setzen u.a. voraus, dass eine objektive Pflichtverletzung vorliegt. Ein Verschulden ist nicht erforderlich (BSG 4.9.79 - 7 RAr 115/78, BSGE 49, 30). Die Beklagte hat den Bescheid vom 14. März 1996 gefertigt, mit der zutreffenden Adresse des Klägers versehen und ausweislich der Verwaltungsakte auch ab- gesandt. Sie war weder verpflichtet, diesen Bescheid formell zuzustellen, noch seinen tatsächlichen Zugang zu überprüfen. Selbst unterstellt, der Bescheid hätte den Kläger nicht erreicht, sondern sei auf dem Postweg verloren gegangen, wäre der Beklagten eine Pflichtverletzung nicht vorzuwerfen. Für ein Verhalten der Post hätte sie auch nicht einzustehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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