L 3 RJ 63/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 RJ 10/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 RJ 63/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Mai 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte der Klägerin als geschiedener Ehegattin Witwenrente zu zahlen hat.

Die im Jahre 1946 geborene Klägerin stammt aus Slowenien. Sie lebt seit 1968 in Deutschland. Am 24. Dezember 1969 heiratete die Klägerin vor dem Standesamt in H.-V. den ebenfalls in Slowenien geborenen und inzwischen (am X.XXXXXXXXX 2001) verstorbenen Versicherten L. P., der wie die Klägerin jugoslawischer Staatsangehöriger war. Beide Eheleute hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Aus der Ehe ging der im XXXXXX 1972 geborene Sohn N. hervor.

Die Ehe der Klägerin wurde durch sofort rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Hamburg vom XX.XXXXXX 1977 geschieden. Dabei wandte das Landgericht jugoslawisches Eherecht an und sah von einem Schuldausspruch im Tenor der Entscheidung ausdrücklich ab, da die Eheleute einen entsprechenden Antrag nach Artikel 407 der jugoslawischen Zivilprozessordnung nicht gestellt hätten. Am selben Tage (XX.XXXXXX 1977) schlossen die Eheleute "für den Fall der rechtskräftigen Scheidung ihrer Ehe ohne Schuldausspruch" einen Auseinandersetzungs-Vergleich, wonach beide Parteien wechselseitig auf Unterhalt verzichteten, einschließlich des Falles des Notbedarfs. Die elterliche Gewalt über das Kind N. wurde der Klägerin zugestanden. Keiner der früheren Eheleute, die zum Zeitpunkt der Scheidung beide berufstätig waren, heiratete später wieder.

Am 12. Dezember 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Hinterbliebenenrente: Sie beziehe seit August 2001 Arbeitslosengeld. Der Versicherte habe ihr im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt gewährt. Zum Zeitpunkt seines Todes habe er aus Erwerbstätigkeit ungefähr 2.800 bis 3.000 DM monatliches Einkommen erzielt. Zum Zeitpunkt der Ehescheidung habe er ungefähr 1.500 bis 1.600 DM monatlich verdient. Ihr eigenes Einkommen sei damals fast genauso hoch gewesen. Außerdem habe sie den gemeinsamen Sohn erzogen.

Mit Bescheid vom 7. Februar 2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Witwenrente nach § 243 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) ab, da die Klägerin im Rahmen der Scheidungsvereinbarungen auch für den Fall des Notbedarfs auf Unterhalt verzichtet habe. Ein Anspruch der Klägerin als vor dem 1. Juli 1977 geschiedener Ehegattin auf Witwenrente gemäß § 243 Abs. 2 SGB VI sei daher nicht gegeben.

Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, der angefochtene Bescheid verneine zu Unrecht einen Anspruch auf die große Witwenrente, indem er allein auf § 243 Abs. 2 SGB VI Bezug nehme. Ein solcher Anspruch ergebe sich jedenfalls aus § 243 Abs. 3 SGB VI. Nach dieser Vorschrift genüge es, wenn Ehegattenunterhalt aufgrund ausreichenden eigenen Einkommens der Witwe – wie hier – nicht geschuldet gewesen sei. Sie, die Klägerin, habe zum Zeitpunkt der Scheidung und sodann bis zum Tode des geschiedenen Ehemannes eigene Erwerbseinkünfte erzielt, vereinzelt krankheitsbedingt auch entsprechende Ersatzleistungen im Sinne des § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI, weshalb eine unterhaltsrechtlich bedeutsame Bedürftigkeit zu keiner Zeit entstanden sei. Der Unterhaltsverzicht aus dem Auseinandersetzungsvertrag vom XX.XXXXXX 1977 habe demnach bestehende Unterhaltsansprüche nicht vernichten können, sondern stelle sich vielmehr als "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil v. 30. September 1996, 8 RKN 17/95) dar. Sie sei im Übrigen erwerbsgemindert im Sinne von § 243 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b SGB VI.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. In der Begründung des Bescheides heißt es, Anspruch auf eine kleine Witwenrente nach § 243 Abs. 1 oder auf große Witwenrente nach § 243 Abs. 2 SGB VI bestehe nicht, weil deren jeweilige Nr. 3 nicht erfüllt sei: die Klägerin habe weder im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten, noch habe sie Anspruch auf Unterhalt im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod am X.XXXXXXXXX 2001 gehabt. Denn mit der Auseinandersetzungsvereinbarung vom XX.XXXXXX 1977 habe sie auf Unterhalt einschließlich des Notbedarfs verzichtet. Ein Anspruch auf Witwenrente bestehe auch nicht gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI, wonach unter anderem die in § 243 Abs. 2 Nr. 3 genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten nicht vorliegen müssten. Ein derartiger Anspruch könnte sich nur dann ergeben, wenn der Unterhaltsverzicht eine sogenannte "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des BSG darstelle, d.h. wenn die Klägerin zu keiner Zeit einen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten gehabt hätte. So liege es jedoch nicht, zumindest nicht im Jahre 1998. In diesem Jahr hätten sich die Einkünfte der früheren Eheleute so stark unterschieden, dass sich für die Klägerin einen Unterhaltsanspruch errechnet hätte.

Der Widerspruchsbescheid ist der Klägerin am 3. Dezember 2002 zugestellt worden. Am 3. Januar 2003 hat sie vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ausgeführt, die Beklagte sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass für das Jahr 1998 ein Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann jedenfalls nicht an ausreichenden eigenen Einkünften gescheitert wäre. Auch habe die Beklagte zu Unrecht festgestellt, dass deshalb der Unterhaltsverzicht von 1977 für diesen Zeitraum keine "leere Hülse" gewesen sei. Nach hier anzuwendendem jugoslawischem Recht hätten ihr seit der Ehescheidung nie Unterhaltsansprüche zugestanden. Ein Unterhaltsanspruch nach Artikel 67 des jugoslawischen Ehegrundgesetzes sei auch nicht an der Verschuldensfrage gescheitert. Das Scheidungsurteil enthalte einen Schuldausspruch nicht. Die Ehe sei 1977 auf ihr, der Klägerin, Betreiben hin geschieden worden. Wegen ihres eigenen Einkommens als Krankenschwester habe sie trotz der Erziehung des gemeinsamen Sohnes keine Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Ehemann gehabt. Aus diesem Grunde, und weil dies die Scheidung unnötig erschwert hätte, habe sie davon abgesehen, einen Schuldausspruch zu erwirken. Ein solcher wäre gerechtfertigt gewesen, da der Ehemann durch sein Verhalten verschiedene Ursachen für das Scheitern der Ehe gesetzt habe. Darüber könne Zeugenbeweis erhoben werden. Bei der Frage, ob der Unterhaltsverzicht "leere Hülse" im Sinne der zu § 243 Abs. 3 SGB VI ergangenen Rechtsprechung des BSG darstelle, sei zu berücksichtigen, dass in ihrem Falle dieser Verzicht nicht notwendig gewesen sei, um einen Schuldausspruch zu ihren Lasten abzuwenden. Vielmehr habe sie sich mit der gewählten Vorgehensweise in der Verschuldungsfrage eher geschadet. Der Verzicht sei daher für den streitgegenständlichen Anspruch unschädlich.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Rentenanspruch der Klägerin scheitere an § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI, da sie nicht allein aus den dort genannten Gründen keinen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Vielmehr habe dem entgegengestanden, dass beide Ehepartner in gleicher Weise die Schuld an der Ehescheidung getragen hätten. Damit habe nach § 67 Abs. 1 des jugoslawischen Ehegrundgesetzes kein Unterhaltsanspruch der Klägerin bestanden. Im Übrigen lasse es der Schutzzweck des § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI nur im Ausnahmefall zu, einen umfassenden Unterhaltsverzicht als unbeachtlich anzusehen, und zwar in Fällen, in denen sich ein solcher Verzicht von Anfang an und auch mit Blick auf den in unbekannter Zukunft liegenden Versicherungsfall des Todes des Versicherten als Verfügungsvertrag ohne rechtliche und wirtschaftliche Substanz und Auswirkung darstelle. Diese Voraussetzung sei aber regelmäßig dann nicht gegeben, wenn der Unterhaltsverzicht Vertragsteil einer Scheidungsvereinbarung im Rahmen einer sogenannten Konventionalscheidung gewesen sei. So liege es hier. Beide Parteien hätten bewusst zur Erleichterung des gerichtlichen Ausspruchs der Scheidung auf Unterhalt verzichtet. Diese Konstellation unterliege nicht dem Schutzzweck der Norm.

Mit Urteil vom 13. Mai 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes L. P ... Ein Anspruch gemäß § 243 Abs. 2 SGB VI scheitere schon daran, dass die Klägerin und ihr damaliger Ehemann wechselseitig wirksam auf nachehelichen Unterhalt verzichtet hätten. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf große Witwenrente nach § 243 Abs. 3 SGB VI, denn sie erfülle nicht die Erfordernisse nach Nr. 1 dieser Bestimmung. Sie habe im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode (§ 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI) nicht allein wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn gehabt, sondern auch deswegen nicht, weil sie nach dem Scheidungsurteil des Landgerichts Hamburg nicht ohne Schuld am Scheitern der Ehe gewesen sei. Maßgeblich für die Frage, ob die Klägerin einen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt haben könne, sei hier das zur Zeit der Ehescheidung im Jahre 1977 geltende jugoslawische Unterhaltsrecht. Danach habe die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung und auch danach keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gegen den Ehemann gehabt, denn nach Artikel 67 des jugoslawischen Ehegrundgesetzes habe ein Unterhaltsanspruch nur für den "unversorgten Ehegatten, der arbeitsunfähig oder arbeitslos ist, an der Ehescheidung aber keine Schuld trägt", bestanden. Selbst wenn die Klägerin unversorgt im Sinne des jugoslawischen Unterhaltsrechts zu gewesen wäre, hätte sie deswegen keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt, weil sie nicht "an der Scheidung keine Schuld" getragen habe. Nach dem Scheidungsurteil des Landgerichts Hamburg und insbesondere nach der Auseinandersetzungsvereinbarung der Eheleute sowie dem Vortrag beider Beteiligten, den das Landgericht ausführlich im Tatbestand des Urteils referiert und den Entscheidungsgründen zugrunde gelegt habe, habe die Schuld an der Scheidung der Ehe bei beiden Eheleuten gelegen. Daran ändere sich nichts aufgrund des Vortrages der Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren zu den tatsächlichen Verhältnissen gegen Ende der Ehe. Den Sozialgerichten sei im Verfahren auf Geschiedenenwitwenrente eine eigenständige Prüfung der Schuldfrage im Zusammenhang mit der Ehescheidung nicht gestattet. Das gelte auch, soweit eine Scheidung ohne Schuldausspruch erfolgt sei. Auf die Frage, wie sich der Unterhaltsverzicht im Rahmen von § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI auswirke, komme es daher nicht mehr an.

Das Urteil des Sozialgerichts ist der Klägerin am 19. Juni 2004 zugestellt worden. Am 19. Juli 2004 hat sie Berufung eingelegt.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, dass im Scheidungsverfahren allein aus Vereinfachungsgründen kein Schuldausspruch zu Lasten des Ehemannes angestrebt worden sei; ein solcher wäre jedoch gerechtfertigt gewesen. Zu Unrecht habe das Sozialgericht die Vernehmung von Zeugen darüber abgelehnt. Es sei angesichts der Willkürlichkeit, mit der bis 1977 mit dem Scheidungsverschulden hantiert worden sei, nicht hinnehmbar, dass im sozialgerichtlichem Verfahren eine Beweiserhebung zu dieser Frage nicht möglich sein solle. Daran ändere auch der Hinweis des Sozialgerichts auf den Tod des geschiedenen Ehemannes nichts. Es liege in der Natur der Hinterbliebenenrente, dass der geschiedene Ehegatte zu den fraglichen Vorgängen im Prozess keine Angaben mehr machen könne. Dies dürfe nicht zu Lasten des Rentenberechtigten gehen. Auf die Beweisantritte (Zeugenbeweis) in der ersten Instanz werde Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Mai 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab 1. Dezember 2001 die große Witwenrente nach § 243 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Mai 2004 zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Sachakten der Beklagten, die Akten S 11 RA548/02 (Sozialgericht Hamburg) sowie die Akten des Ehescheidungsverfahrens (Landgericht Hamburg) haben – soweit noch vorhanden – vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die auf Zuerkennung einer so genannten Geschiedenenwitwenrente gerichtete Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf große Witwenrente nach der Vorschrift des § 243 Abs. 2 SGB VI. Zwar ist ihre Ehe vor dem Juli 1977 geschieden worden (Nr. 1), auch hat sie nicht wieder geheiratet (Nr. 2), und es spricht manches dafür, dass sie erwerbsgemindert bzw. berufsunfähig im Sinne von Nr. 4 Buchst. c und d der Bestimmung ist; im Verfahren S 11 RA 548/02 beim Sozialgericht Hamburg, in welchem um diese Frage gestritten wurde, ist ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 2 SGB VI) anerkannt worden. Der Anspruch scheitert jedoch an § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, da die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten weder Unterhalt von diesem erhalten hat noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode darauf einen Anspruch hatte. Einem Unterhaltsanspruch stand bereits der Unterhaltsverzicht der Klägerin in der Auseinandersetzungsvereinbarung vom XX.XXXXXX 1977 entgegen. An der rechtlichen Wirksamkeit dieses vor dem Landgericht geschlossenen Vergleiches zu zweifeln, besteht kein Anlass. Der Vertrag über den gegenseitigen Unterhaltsverzicht war nicht nichtig. Er verstieß insbesondere nicht gegen die guten Sitten. Der gegenseitige Unterhaltsverzicht war Bestandteil einer Vereinbarung, die die früheren Eheleute zur Regelung der Ehescheidungsfolgen trafen. Dass er die Scheidung möglicherweise erleichtert oder gar erst möglich gemacht hat, macht ihn nicht nichtig. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist nicht zu sehen. Dem Unterhaltsverzicht der Klägerin stand als Gegenleistung des Versicherten jedenfalls dessen im Wesentlichen rechtlich gleichwertiger eigener Unterhaltsverzicht gegenüber (vgl. BSG, Urteil v. 15.12.1988, NJW 1989 S. 2012).

Ebenso wenig hat die Klägerin einen Anspruch auf große Witwenrente gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI. Voraussetzung für die Anwendung dieser Härteregelung (vgl. BSG, aaO), die einen Anspruch auf große Witwenrente auch ohne Vorliegen der in § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten ermöglicht, wäre unter anderem (Nr. 1), dass die Klägerin einen Unterhaltsanspruch nach § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (nur) wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatte. An dieser Voraussetzung fehlt es.

Das Sozialgericht, auf dessen Ausführungen Bezug genommen wird (§ 153 Abs. 2 SGG), hat zu Recht ausgeführt, dass einem Unterhaltsanspruch der Klägerin hier Artikel 67 des auf das Unterhaltsverhältnis der geschiedenen Ehegatten anzuwendenden jugoslawischen Grundgesetzes über die Ehe vom 3. April 1946 im bereinigten Wortlaut vom 23. April 1965 (dt. Übersetzung in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Loseblattsammlung) entgegensteht, wonach Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch unter anderem wäre, dass die Klägerin "an der Ehescheidung keine Schuld trägt". Nach dem Scheidungsurteil im Verfahren vor dem Landgericht Hamburg, nach dem Auseinandersetzungsvergleich der Eheleute sowie nach ihrem Vorbringen beim Landgericht lag die Schuld am Scheitern der Ehe bei beiden Eheleuten. Von diesen Voraussetzungen ist hier auszugehen, obwohl die Klägerin unter Beweisantritt ausführt, dass der Versicherte aufgrund seines Verhaltens tatsächlich die alleinige Schuld am Scheitern der Ehe getragen habe. Dem ist hier nicht nachzugehen. Im Rahmen des auf Zuerkennung auf Witwenrente gerichteten Verfahrens ist es den Sozialgerichten nämlich nicht gestattet, die Schuldfrage zu prüfen. Die Entscheidung über die Schuldfrage ist Teil der Scheidung und kann daher wie diese nur durch den Scheidungsrichter getroffen werden. Das Scheidungsurteil ist Gestaltungsurteil, so dass es für und gegen alle wirkt, also auch von den Behörden und Gerichten zu beachten ist. Sie müssen den Scheidungsausspruch ihren Entscheidungen zugrunde legen, wobei der Schuldausspruch untrennbarer Teil des Scheidungsurteils ist, so dass für ihn nichts anderes gelten kann als für den Scheidungsausspruch selbst; auch er wirkt daher für und gegen alle (BSG, Urteil v. 15.07.1959, BSGE Bd. 10 S. 171; Urteil v. 15.12.1967, BSGE Bd. 27 S. 256, 257). Auch soweit eine Scheidung ohne Schuldausspruch erfolgt, sind die im Ehescheidungsverfahren geschaffenen, für den Unterhaltsanspruch bedeutsamen Grundtatsachen allein maßgeblich, ohne dass insoweit weitere Prüfungen angestellt werden dürften. Die Gründe liegen nicht zuletzt in den besonderen Schwierigkeiten und Unsicherheiten der Ermittlung und wohl auch im Bereich des Persönlichkeitsschutzes der früheren Eheleute (BSG, Urteil v. 21.1.1993, NJW 1993 S. 3285). Die Tatbestandswirkung des Scheidungsausspruchs schließt es daher aus, die Frage nach der Unterhaltspflicht des Versicherten aufgrund einer hypothetischen Beurteilung des Scheidungsverschuldens zu beantworten. Daran ändert nichts der hier gegebene Auslandsbezug, der sich daraus ergibt, dass beide Eheleute keine deutschen Staatsangehörigen sind bzw. waren. Denn das Scheidungsurteil ist von einem bundesdeutschen Gericht gefällt worden (vgl. BSG, Urteil v. 22.7.1992, Sozialrecht 3-2200 § 1265 RVO Nr. 8).

Allerdings dürfen solche Umstände berücksichtigt werden, die ohne weitere Ermittlungen aus vorhandenen Unterlagen des Ehescheidungsverfahrens eindeutig ablesbar sind (BSG, Urt. v. 21.1.1993, aaO). Einen Anhaltspunkt dafür, dass die Entscheidung des Landgerichts Hamburg zur Schuldfrage etwa durch den von den Beteiligten erklärten Unterhaltsverzicht beeinflusst worden sein könnte, gibt es jedoch nicht. Dafür genügt nicht der Umstand, dass der Auseinandersetzungsvergleich lediglich für den Fall der rechtskräftigen Scheidung der Ehe ohne Schuldausspruch geschlossen wurde.

Weitere Ermittlungen des Gerichts zur Schuldfrage verbieten sich im Übrigen deswegen, weil das Vorbringen der Klägerin hierzu, berücksichtigt man zusätzlich ihre Angaben im Verwaltungsverfahren, wenig schlüssig ist. Während sie heute behauptet, der Versicherte habe sie in der Zeit des ehelichen Zusammenlebens häufig betrogen und geschlagen und sich zum Unterhalt der Familie beizutragen geweigert, hat sie in der Anlage Nr. 9 zum Antrag auf Witwenrente am 21. Dezember 2001 gegenüber der Beklagten angegeben, sie habe mit dem Versicherten "ein gutes Miteinander" gehabt, und er habe für das Kind bis zu dessen 25. Lebensjahr Unterhalt gezahlt.

Ein Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI ist ferner auch deswegen ausgeschlossen, weil der Annahme, ein Unterhaltsanspruch nach § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI habe (nur) aus den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten gesetzlichen Gründen nicht bestanden, der umfassende Unterhaltsverzicht der Klägerin aus der Auseinandersetzungsvereinbarung vom XX.XXXXXX 1977 entgegensteht. Fehlte nämlich die Unterhaltspflicht des Versicherten aus anderen als den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten Gründen, ist der Rentenanspruch nicht begründet.

Ein Unterhaltsverzicht kann allerdings aus Billigkeitsgründen dann als unschädlich für den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI angesehen werden, wenn er nur deklaratorischen Charakter hatte, weil der Verzicht sich nicht nur von Anfang an, sondern auch im Blick auf den in unbekannter Zukunft liegenden Versicherungsfall des Todes des Versicherten als Verfügungsvertrag ohne rechtliche oder wirtschaftliche Substanz und Auswirkung, also als "leere Hülse" darstellt und deshalb ungerechtfertigt die Anwendung der gesetzlichen Regelung hintanhält (vgl. BSG, Urteil v. 15.12.1988, NJW 1989 S. 2012; Urteil v. 21.01.1993, NJW 1993 S. 3285; Urteil v. 30.09.1996, HVBG Info 1997 S. 566).

Es kann offen bleiben, ob die Annahme eines leeren Verfügungsgeschäfts hier schon deswegen ausscheidet, weil der Unterhaltsverzichtsvertrag Teil einer Scheidungsvereinbarung im Rahmen einer so genannten Konventionalscheidung gewesen ist (vgl. BSG, Urteil v. 15.12.1988, aaO). Im Falle der Klägerin war die im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens getroffene Vereinbarung nämlich nicht dadurch gekennzeichnet, dass der Versicherte für von ihm übernommene Schuld an der Scheidung von der Unterhaltsverpflichtung freigestellt wurde (vgl. BSG, Urteil v. 23.11.1988, NJW 1989 S. 2009). Es ist nicht einmal klar, ob der Unterhaltsverzicht der Klägerin Gegenleistung für ein prozessuales Entgegenkommen des Versicherten zur Erleichterung eines gerichtlichen Ausspruches im Zusammenhang mit der Schuldfrage war (vgl. BSG, Urteil v. 15.12.1988, aaO) und dadurch eine dem Sachstand des Ehescheidungsverfahrens widersprechende Entscheidung in der Schuldfrage herbeigeführt wurde (vgl. BSG, Urteil v. 21.01.1993, aaO). Der Unterhaltsverzichtsvertrag ist jedenfalls deswegen keine "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des BSG, weil es sich nicht so verhält, dass nach den bei Abschluss der Unterhaltsverzichts gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise in Zukunft mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau nicht gerechnet werden konnte (vgl. BSG, Urteil v. 21.01.1993, aaO). Ein Unterhaltsverzicht ist nur dann unbeachtlich, wenn er lediglich die Konsequenzen aus einer ohnehin bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Situation gezogen hat. Wer jedoch einen Unterhaltsanspruch hat oder auch nur zu erwarten hat und darauf verzichtet, schafft willentlich einen neuen Tatbestand. Er kann nicht erwarten, zu Lasten der Rentenversicherung so behandelt zu werden, als hätte er den Unterhaltsanspruch immer noch. Nur wer keinen Unterhaltsanspruch hatte oder zu erwarten hatte, verändert durch einen erklärten Verzicht nichts, so dass der Verzichtsvertrag als "leere Hülse" anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil v. 30.09.1996, aaO).

Bei einem endgültigen und umfassenden Unterhaltsverzicht kann typischerweise nicht davon ausgegangen werden, dass er ohne rechtliche und wirtschaftliche Substanz und Auswirkung sei. Denn üblicherweise haben die Vertragsparteien über die bei Vertragsschluss vorliegenden aktuellen Gegebenheiten hinaus die von Wechselfällen des Lebens abhängigen künftigen Veränderungen in ihrem Unterhaltsrechtsverhältnis vor Augen gehabt und dafür privatautonom eine rechtsgeschäftliche Regelung, nämlich die Vernichtung des Unterhaltsrechtsverhältnisses bereits dem Grunde nach, getroffen (BSG, Urteil v. 15.12.1988, aaO). So lag es auch hier. Dem steht nicht entgegen, dass nach dem zum Zeitpunkt der Ehescheidung auf das Unterhaltsverhältnis der Klägerin zu ihrem Ehemann anzuwendenden jugoslawischen Recht ein Unterhaltsanspruch der Klägerin wohl nicht bestanden hat und vermutlich auch bis zum Tode des Versicherten nicht mehr entstanden ist. Damit ist nicht gesagt, dass bei objektiver Betrachtung bei Abschluss des Verzichtsvertrages vernünftigerweise in Zukunft nicht mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau habe gerechnet werden können. In der Person des im Jahre 1940 geborenen Versicherten bestand kein Grund, der es tatsächlich (z.B. wegen Alters, Krankheit oder Arbeitslosigkeit) ausgeschlossen hätte, der Klägerin Unterhalt zu gewähren. Auch wenn es dazu eine rechtliche Verpflichtung zunächst nicht gab, so war doch bei objektiver Betrachtung eine diesbezügliche rechtliche Unsicherheit und außerdem für die Lebenszeit der geschiedenen Eheleute eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse in Betracht zu ziehen. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Ehescheidung erst 30 Jahre alt, und sie hatte ein kleines Kind zu erziehen. Da beide Eheleute seinerzeit jugoslawische Staatsangehörige waren, aber ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hatten, und da die Ehe vor einem deutschen Standesamt geschlossen wurde und das Ehescheidungsverfahren vor einem deutschen Gericht lief, mag schon eine durch den Vergleich auszuräumende Ungewissheit bestanden haben, ob überhaupt jugoslawisches Unterhaltsrecht anzuwenden sei. Jedenfalls war nicht vorherzusehen, ob sich das jugoslawische Recht zu Gunsten eines Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Ehefrau mit der Folge auch für das Unterhaltsrechtsverhältnis der Klägerin zu dem Versicherten ändern, ja ob überhaupt in Folge der Auflösung des jugoslawischen Staatenverbundes für die in Deutschland lebenden slowenischen Eheleute fürderhin das den Unterhaltsanspruch der nicht schuldlos geschiedenen Ehefrau ausschließende jugoslawische Unterhaltsrecht gelten werde.

Unter diesen Voraussetzungen kann nicht davon gesprochen werden, dass der Unterhaltsverzichtsvertrag lediglich eine "leere Hülse" darstelle, weil er nur deklaratorischen Charakter gehabt habe; vielmehr trug er als Vergleichsvertrag offenbar auch bestehenden rechtlichen Unsicherheiten im Unterhaltsrechtsverhältnis der Eheleute Rechnung.

Schließlich besteht kein Anspruch der Klägerin auf kleine Witwenrente gemäß § 243 Abs. 1 SGB VI. Dem steht schon, wie im Falle des Anspruchs gemäß § 243 Abs. 2 SGB VI, entgegen, dass die Klägerin nicht im letzten Jahr vor dem Tode des geschiedenen Ehegatten Unterhalt von diesen erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatte (§ 243 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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