L 5 B 116/05 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 56 AS 168/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 116/05 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Mai 2005 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zukünftig - vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache - Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung der ihm gezahlten Eigenheimzulage zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Die am 10. Mai 2005 durch den Antragsteller gegen den am 7. Mai 2005 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom 3. Mai 2005 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz -SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).

Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu Unrecht abgelehnt.

Das Begehren der Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ohne Anrechnung der Eigenheimzulage zu gewähren, ist in Würdigung seines Rechtsschutzziels dahingehend zu verstehen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufig weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) in Höhe der Differenz zwischen den - nach Anrechnung der Eigenheimzulage als zu berücksichtigendes Einkommen des Antragstellers im Bescheid vom 26. April 2005 - ausgezahlten und den ohne diese Anrechnung zu beanspruchenden Leistungen zu bewilligen.

Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Maßgeblich für die Beurteilung insbesondere des Anordnungsgrundes ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz. Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen der vorliegenden Art ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig - noch - bestehender Notlagen notwendig sind. Regelungen über die einstweilige Bewilligung laufender Geldleistungen können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 4. April 1990 - Bs IV 8/90 -, NVwZ 1990, 975 m.w.N.; ebenso Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RdNr. 259 m.w.N.).

Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht die dem Antragsteller in Höhe von Euro 468, 68 gezahlte Eigenheimzulage als seinen Anspruch gemäß § 19 Satz 2 SGB II minderndes Einkommen angerechnet.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II haben erwerbsfähige Personen nur Anspruch auf Leistungen nach diesem Buch, soweit sie hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Bei grundsätzlich bestehender Hilfebedürftigkeit mindert (u.a.) das zu berücksichtigende Einkommen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit (§ 19 Satz 2 SGB II).

Als Einkommen sind gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, zu denen grundsätzlich auch die dem Antragsteller gezahlte Eigenheimzulage gehört, zu berücksichtigen. Ausgenommen sind allein die in § 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 aufgeführten Sozialleistungen sowie die in § 11 Abs. 3 SGB II und in § 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung aufgeführten Einkommensarten.

Von den geregelten Ausnahmefällen ist § 11 Abs. 3 Ziffer 1 Buchstabe a SGB II einschlägig. Danach sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Bei der Eigenheimzulage handelt es sich um eine zweckbestimmte Leistung dieser Art (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. April 2005, L 8 AS 39/05 ER; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 8. Juni 2005, L 10 B 99/05 ER AS; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II – Kommentar, § 11 RdNr. 235; a.A. Brühl in LPK-SGB II, § 11 RdNr. 43).

Zweckbestimmt im Sinne der Vorschrift ist eine Leistung dann, wenn ihr eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die nicht in der Bestreitung des Lebensunterhalts besteht, so dass sie verfehlt würde, wenn der Empfänger durch eine Einkommenanrechnung gehindert wäre, sie ihrer eigentlichen Bestimmung zufließen zu lassen (Hengelhaupt a.a.O., § 11 RdNr. 213 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG).

Der Zweck des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1783) ergibt sich aus dessen Leistungsvoraussetzungen. Gemäß § 2 Satz 1 EigZulG ist begünstigt die Herstellung oder Anschaffung einer Wohnung in einem im Inland belegenen eigenen Haus (bzw. einer Eigentumswohnung). Ein Anspruch auf die Eigenheimzulage setzt voraus, dass die Einkommensgrenzen des § 5 EigZulG nicht überschritten werden. Er entsteht mit Beginn der Nutzung der hergestellten oder angeschafften Wohnung zu eigenen Wohnzwecken (§ 10 EigZulG) und besteht nur für die Kalenderjahre, in denen der Anspruchsberechtigte die Wohnung zu eigenen Wohnzwecken nutzt (§ 4 Satz 1 EigZulG). Zweck des Gesetzes ist somit die Förderung der Anschaffung eines selbst genutzten ´Eigenheims`.

Dass das EigZulG diesen Zweck nicht ausdrücklich nennt, ist unschädlich, da § 11 Abs. 3 Ziffer 1 Buchstabe a SGB II nicht voraussetzt, dass der Empfänger die Leistung nur zu einem durch Gesetz oder Vereinbarung ausdrücklich genannten Zweck verwenden darf (Hengelhaupt a.a.O., RdNr. 215, m.w.N.). Ebenso wenig erforderlich ist, dass der Leistende ein Kontrollrecht oder Einfluss hinsichtlich der Verwendung hat (Hengelhaupt a.a.O.).

Gegenteiliges ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus den Gesetzesmaterialien. Gerade die in der Gesetzesbegründung (abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB II - Kommentar, M 010 S. 100) angeführte Orientierung am Sozialhilferecht hätte eine Übernahme der Formulierung des § 77 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) a.F. erwarten lassen, wenn der Gesetzgeber – wie dort geregelt - eine ausdrückliche Zweckbestimmung gewollt hätte.

Dem steht auch die vom Sozialgericht angezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – (Urteil vom 28. Mai 2003, 5 C 41/02 = NVwZ-RR 2004, 112) nicht entgegen.

Nach altem Recht wurde die Frage der Berücksichtigung der Eigenheimzulage als Einkommen in den Bereichen des Sozialhilferechts bzw. der Arbeitslosenhilfe unterschiedlich beurteilt. Während die Sozialgerichte eine Anrechnung auf die Arbeitslosenhilfe wegen der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 194 Abs. 3 SGB III alter Fassung verneinten (strittig war lediglich eine Anrechnung des Steuerfreibetrages nach § 10e Einkommensteuergesetz), hatte das BVerwG zu § 77 BSHG entschieden, dass die Eigenheimzulage mangels ausdrücklicher Zweckbestimmung als ´zweckneutrale ` Leistung auf die Sozialhilfe anzurechnen sei (a.a.O.).

Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob er dieser Entscheidung unter der Geltung des § 77 BSHG gefolgt wäre. Unter der Geltung des SGB II ist dies jedenfalls nicht der Fall.

Einer Übertragung auf § 11 Abs. 3 SGB II steht bereits entgegen, dass § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG einen anderen Wortlaut hatte. Er privilegierte lediglich Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt wurden, während § 11 Abs. 3 SGB II lediglich zweckbestimmte Einnahmen voraussetzt.

Die Landessozialgerichte Niedersachsen (Beschluss vom 25. April 2005, L 8 AS 39/05 ER) und Schleswig-Holstein (Beschlusses vom 8. Juni 2005, L 10 B 99/05 ER AS) haben in Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des BVerwG mit weiteren beachtlichen Gründen eine Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen verneint. Der Senat schließt sich diesen Entscheidungen im Wesentlichen an und nimmt zur weiteren Begründung auf sie Bezug.

Hervorzuheben ist, dass es in Bezug auf den von § 11 SGB II betroffenen Personenkreis geradezu befremdlich erscheint, eine Zweckbestimmung mit der Begründung zu verneinen, dass die Eigenheimzulage unabhängig davon gewährt werde, ob bzw. in welchem Umfang sie tatsächlich zur Finanzierung eines Eigenheims verwendet werde. Sicherlich steht es einem gutsituierten, Grundbesitz erwerbenden Empfänger der Eigenheimzulage frei, ob er diese für den intendierten Zweck verwendet oder zu völlig anderen Zwecken. Der Arbeitnehmer mit Familie, den die Eigenheimzulage überhaupt erst in die Lage versetzt, bei äußerst angespannter finanzieller Situation ein Eigenheim zu erwerben, hat - sofern ein nachfolgender ALG II-Bezug nicht ohnehin in die Zwangsvollstreckung mündet - gar keine andere Wahl, als die Eigenheimzulage zweckgerichtet zu verwenden. Insofern ergibt sich eine Zweckerfüllung hier bereits aus der finanziellen Situation der Empfänger.

Dem steht nicht entgegen, dass die Bundesregierung die Auffassung vertritt, das SGB II sehe eine Privilegierung der Eigenheimzulage nicht vor, so dass sie als Einkommen anzurechnen sei, sofern sie nicht nach § 46 Abs. 2 Abgabenordnung wirksam abgetreten sei (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 15/5547 S. 2). Hierbei handelt es sich um eine bloße Rechtsmeinung, die weder im Gesetzeswortlaut noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze findet. Dass es nicht Gegenstand einer aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzierten Fürsorgeleistung sei, den Vermögensaufbau des Einzelnen zu fördern (a.a.O. S. 3), greift zu kurz. Abgesehen davon, dass es auch nicht Gegenstand einer aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzierten staatlichen Leistung zur Förderung des Eigenheimerwerbs ist, den Staatshaushalt von Fürsorgeleistungen zu entlasten, wird mit der Eigenheimzulage ausschließlich die Bildung selbst genutzten Vermögens gefördert, welches seinerseits privilegiert wäre (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II).

Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob es für die Anerkennung der Eigenheimzulage als zweckbestimmte Leistung unabdingbar erforderlich ist, dass ein konkreter Verwendungsnachweis darüber geführt werden kann, dass diese tatsächlich zur Herstellung oder Anschaffung des selbst genutzten Wohnraums eingesetzt wird (so LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O.; LSG Schleswig a.a.O.; Hengelhaupt a.a.O., § 11 RdNr. 236). Denn der Antragsteller hat diesen Nachweis durch Vorlage entsprechender Unterlagen erbracht.

Nach dem mit der D. Bank AG abgeschlossenen Darlehnsvertrag (´Eigenheimzulagedarlehen`) vom 8. Februar 2000 erfolgt die Tilgung des Darlehns in jährlichen Raten zu DM 11.000.- (umgerechnet Euro 5.624,21), die jeweils am 31. März zu zahlen sind. Der Tilgungsbetrag entspricht exakt der Höhe der mit Bescheid vom 8. Februar 2002 für die Jahre 2002 bis 2007 gewährten Eigenheimzulage (DM 11.000.- bzw. Euro 5.624,21 jährlich). Zudem hat der Antragsteller Kontoauszüge vorgelegt, die eine Zahlung der Eigenheimzulage am 16. März und eine Überweisung eines identischen Betrages an die D. Bank AG am 22. März eines Jahres belegen.

Die Eigenheimzulage dient auch einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II und beeinflusst die Lage des Empfängers nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Dass die Eigenheimzulage einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dient, bedarf keiner näheren Begründung. Eine Zweckidentität liegt vor, wenn die Leistung dem Grunde nach denselben Bedarf decken soll wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hengelhaupt a.a.O., § 11 RdNr. 217). Dies ist nicht der Fall, da die Grundsicherung für Arbeitsuchende – neben Leistungen zur Eingliederung in Arbeit – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt (vgl. § 19 SGB II), während die Eigenheimzulage dem Zweck dient, die Anschaffung eines selbst genutzten ´Eigenheims` zu fördern.

Die Eigenheimzulage beeinflusst die Lage des Antragstellers auch nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Nach Sinn und Zweck der Regelung ist unter Berücksichtigung der Höhe und Dauer der Einnahmen eine Abwägung zu treffen, ob bei Beachtung des fiskalischen öffentlichen Interesses und einem Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen ungekürzte Leistungen nach dem SGB II noch als gerechtfertigt erscheinen (Jahn, SGB II, § 11, Anm. 24 - Sauer-; Hasske in Estelmann, SGB II, Rdnr. 48). Wenn man bedenkt, dass es einerseits im öffentlichen – auch fiskalischen – Interesse liegt, nicht besonders einkommensstarke Bürger bei der Anschaffung von eigenem Wohnraum als Teil einer privaten Altersvorsorge zu unterstützen, und dass bei diesen andererseits die Zahlung der Eigenheimzulage einen reinen Durchlaufposten darstellt und sie dadurch keinen Cent mehr zum Leben haben, so gibt es keinen Grund, die Leistungen zu kürzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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