L 5 B 187/05 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 56 AS 242/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 187/05 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ham¬burg vom 23. Mai 2005 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern auch die Kosten des Beschwerdever¬fahrens zu erstatten.

Gründe:

Die am dem 27. Juni 2005 (Montag) eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den ihr am 25. Mai 2005 zugestellten Beschluss des Sozialge¬richts Hamburg (SG) vom 23. Mai 2005, der das SG nicht abgeholfen und die es dem Landessozialge¬richt (LSG) zur Ent¬schei¬dung vorge¬legt hat, ist statthaft (§ 172 Sozialge¬richts¬gesetz - SGG -), form- und fristge¬recht ein¬gelegt worden (§ 173 SGG) und auch sonst zuläs¬sig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung ver¬pflichtet, der G. R. für ihre Kinder M., geboren am X.XXXXXXX 1994, und J., geboren am XX.XXXXXXXX 1995, vorläufig monatlich Leistungen in Höhe von 306,52 EUR zu gewähren.

Vorab ist klarzustellen, dass Antragsteller im Sinne des § 86b Abs. 2 SGG und damit Beschwerdegegner in diesem Beschwerdeverfahren allein M. und J. R. sind. Sie allein sind legiti¬miert, die Ansprüche auf Leistungen zum Lebensunterhalt in der Form von Sozialgeld und auf anteilige Kosten der Unterkunft, deren vor¬läufiger Realisierung dieses Verfahren dient, im eigenen Namen geltend zu machen, denn diese Ansprüche stehen gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitslose (SGB II) allein ihnen, nicht ihrer vom SG als Antragstellerin angeführten Mut¬ter, zu. Diese macht keine eigenen Ansprüche, sondern als gesetzliche Vertreterin ihrer noch min¬derjährigen Kinder deren Ansprüche geltend. Da auch die Mitglie¬der von Bedarfsgemein¬schaften eigene, selbstän¬dige Ansprüche haben, sind nur sie insoweit aktivlegitimiert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 38 SGB II, der die Vertretung der Bedarfsgemeinschaft durch eine gesetzlich vermutete Bevollmächtigung bestimmt und damit an der Anspruchsin¬haberschaft des jeweili¬gen vertretenen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft eben nichts ändert. Bei verständiger Würdigung ist deshalb anzunehmen, dass (auch) die juristische Konstruktion gewählt werden sollte, welche dem tatsächlichen Begehren am bes¬ten ent¬spricht, also die der Vertretung der Antragsteller zu 1 und 2 (vgl. SG Dortmund 22. Kammer, Beschluss vom 5. April 2005, S 22 AS 22/05 ER – Juris)

Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Der durch den beantragten vor¬läufigen Rechtsschutz zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendig¬keit einer vorläufigen Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen. Dies ist im Falle der Antragsteller geschehen. Der Senat hält die diesbezüglichen Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss für überzeugend und nimmt vollen Umfangs auf sie Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG analog). Die Ausführungen der Antragsgegnerin zur Begründung ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss, die im wesentlichen eine Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführun¬gen im Verfahren vor dem SG beinhalten, gebieten keine andere Einschät¬zung des Sachver¬halts.

Der Senat teilt nach summarischer Prüfung ebenso wenig wie das SG die Auffassung der Antragstellerin, der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei im Wege einer an Sinn und Zweck ori¬entierten Auslegung über seinen Wortlaut hinaus auf den ehegatten¬ähnlichen Part¬ner des erwerbsfähigen Hilfe¬bedürftigen zu erstrecken.

§ 7 Abs. 3 SGB II bestimmt allein die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft, während die sich daraus ergebenden Folgen hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit in § 9 SGB II geregelt wer¬den. Dabei ist es keineswegs so, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft erzieltes Einkom¬men und vorhandenes Vermögen generell berücksichtigt wird. Vielmehr gilt dies nur bei den in § 9 Abs. 2 SGB II besonders aufgeführten Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft. Danach ist das Einkommen des nichtehelichen Lebenspartners der Mutter der Antragsteller nicht auf deren Bedarf anzurechnen. Einstandspflichten, wie sie durch die von der Antragsgegnerin gewünschte Analogie zu seinen Lasten in Bezug auf die Kinder seiner Lebensgefährtin begründet werden sollen, erfordern eine klare gesetzliche Grundlage. Die Berücksichtigung fremden Einkommens stellte und stellt in der Sozialhilfe wie auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Ausnahme von dem Prinzip der individuellen Bedarfs- und Ein¬kommens¬berechnung dar. Eine solche Ausnahme findet ihre Rechtfertigung in der Anknüp¬fung an die zivilrechtlichen Einstandspflichten der Kernfamilie, nämlich zwischen nicht getrennt lebenden Ehegatten sowie in einem Haushalt lebenden Eltern und minderjährigen Kindern. Eine Aus¬weitung bedarf der ausdrücklichen Regelung, da damit Leistungspflichten statuiert würden, die über die zivilrechtlichen Ver¬pflichtungen weit hinausgehen (in diesem Sinne: Hamburgi¬sches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 24. Januar 1996 - Bs IV 13/96 - FamRZ 1996, 977). Soweit ersichtlich, ist es in Rechtsprechung – auch der verwaltungsgerichtlichen zu der Vorgängervorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 2 Bundessozialhilfegesetz – BSHG – (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 – 5 C 37.97BVerwGE 108, 36) – und Literatur (vgl. etwa Peters in Estelmann, SGB II, § 9 Rn. 53; Jahn, SGB II, § 9 Anm. 7 - Sauer -; Radüge in juris-PK SGB II, § 9 Rn. 41 m. w. N.) bislang völlig unstreitig, dass § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auf den nichtehelichen Lebenspartner der Kindesmutter keine Anwendung findet.

Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Nichtnennung des nichtehelichen Lebenspartners auf einem nicht in der Absicht des Gesetzgebers liegenden Versehen beruht und es sich somit um eine planwidrige Lücke handelt. Gegen die Annahme der Antragsgegnerin, dem Gesetzgeber sei das Zurückbleiben der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II hinter dem weitergehenden Regelungszweck des § 7 Abs. 3 SGB II verborgen geblie¬ben, spricht der Umstand, dass die Frage der Berücksich¬tigung des Einkommens eines nicht¬ehelichen Lebenspartners einer Mutter bei der Ermittlung des Bedarfs ihres Kindes sich schon im Sozi¬alhilferecht noch während der Geltung des BSHG in dersel¬ben Weise gestellt hat und Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung war. Vor diesem Hintergrund dürfte es kaum Zufall sein, dass diese Frage in § 9 Abs. 2 SGB II wie im BSHG und jetzt in § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) geregelt ist.

Auch eine – eingeschränkte - Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten der Mutter der Antragsteller bei der Ermittlung des Bedarfs ihrer Kinder gemäß § 9 Abs. 5 SGB II kommt nicht in Betracht. Dieser Bestimmung zufolge wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die mit Verwandten und/oder Verschwägerten in Haushaltsgemeinschaft leben, von ihnen Leis¬tungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Der Anwendung des § 9 Abs. 5 SGB II auf das Verhältnis der Antragsteller zum Lebensge¬fährten ihrer Mutter steht entgegen, dass sie mit ihm nicht verwandt und nicht verschwägert sind. Eine Erstreckung dieser Bestimmung auf Partner eheähnlicher Lebens¬gemeinschaften, wie sie Brühl (LPK SGB II, § 9 Rn. 47) befürwortet, hält der Senat für aus¬geschlossen. Ange¬sichts der vom Gesetzgeber in abweichender Weise von § 36 SGB XII getroffenen Regelung darf das Gericht nicht im Wege der Lückenausfüllung die Rolle des Gesetzgebers überneh¬men, eine unmissverständliche Regelung durch eine inhaltlich andere ersetzen und sich so seiner Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Dass die Vorschriften des SGB II mit denen des SGB XII nicht immer deckungsgleich sind, zeigt sich auch anderen Orts.

Fehler bei der Berechnung des ungedeckten Bedarfs der Antragsteller sind von der Antrags¬gegnerin nicht gerügt worden und auch nicht ersichtlich. Er ergibt sich in Höhe von jeweils 153,26 EUR (insgesamt 306,52 EUR) als Differenz zwischen dem Kindergeld in Höhe von 154 EUR einerseits und dem Bedarf in Höhe von 307,26 EUR, zusammengesetzt aus der Regelleistung in Höhe von 207 EUR (§ 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II: 60 v. H. der nach § 20 Abs. 2 SGB II ma߬gebenden Regelleistung) sowie den anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 100,26 EUR (501,28 EUR geteilt durch 5).

Auch der Anordnungsgrund ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin gegeben. Es ist den Antragstellern nicht zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten, da sie zur Deckung ihres Bedarfs auf die im Streit stehenden Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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