L 1 KR 130/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 KR 1498/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 130/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2004 wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. 3. Der Streitwert wird auf 7.300,16 EUR festgesetzt. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Beitragsforderung der Beklagten zur Kranken- und Rentenversicherung für die Beigeladene zu 1) für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 31. März 2001 in Höhe von insgesamt EUR 7.300,16.

Die Beigeladene zu 1) ist Mitglied der Beklagten und war seit dem 1. Oktober 1987 bei der Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 1. Oktober 1996 bis 30. September 2001 bezog sie von der Beigeladenen zu 2) eine Altersrente für Frauen als Teilrente. Hierüber erhielt die Beklagte am 25. November 1996 von der Beigeladenen zu 2) eine Mitteilung. Der Steuerberater der Klägerin, der Beigeladene zu 4), erstellte am 28. Oktober 1996 für die Beigeladene zu 1) eine berichtigte Meldung zur Sozialversicherung mit vollen Beiträgen zur Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, einem ermäßigten Beitrag zur Krankenversicherung und einem halben Beitrag (Arbeitgeberanteil) zur Rentenversicherung. Die Lohnabrech-nungen führte er entsprechend durch.

Unter dem 9. September 1997 und dem 19. August 1998 teilte die Beklagte der Klägerin zur Summenabstimmung für die Jahre 1996 und 1997 mit, dass der Abgleich der Sozialversicherungsmeldungen mit den Beitragsnachweisen keine Abweichung ergeben habe. Am 9. November 1999 führte die LVA Hamburg bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch und teilte dieser unter dem 12. November 1999 mit, dass die Prüfung für die Jahre 1995 bis 1998 keine Feststellungen ergeben habe.

Mit Schreiben vom 6. April 2001 machte die Beigeladene zu 2) die Beklagte darauf aufmerksam, dass für die Beigeladene zu 1) trotz versicherungspflichtiger Beschäftigung seit 1. Oktober 1996 kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt zur Rentenversicherung gemeldet worden sei. Mit Bescheid vom 12. April 2001, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Meldungen für die Beigeladene zu 1) zu korrigieren und Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung ab Dezember 1996 nachzuzahlen. Die Beiträge für Oktober und November 1996 seien verjährt.

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 29. August 2001 Widerspruch ein. Die Betriebsprüfung der LVA Hamburg habe keine Beanstandungen ergeben. Die Beklagte hielt mit Bescheiden vom 2. November 2001, 29. Januar 2002 und 9. April 2002 und mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2002 an der Beitragsforderung fest. Mit Bescheid vom 29. Januar 2002 bezifferte sie die Forderung für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 31. März 2001auf insgesamt DM 14.277,87 (das entspricht EUR 7.300,16).

Dagegen hat die Klägerin am 25. Juli 2002 beim Sozialgericht Klage erhoben. Sie beruft sich auf Vertrauensschutz. Die Beiträge seien vom Beigeladenen zu 4) zusammen mit der Beklagten errechnet worden. Sowohl die Betriebsprüfung der LVA Hamburg als auch die Beitragsabstimmung der Beklagten hätten bestätigt, dass die Beitragsberechnung richtig sei.

Das Sozialgericht hat die Arbeitnehmerin H., die BfA, die BA und den Steuerberater M. mit Beschluss vom 17. Februar 2004 beigeladen. Mit Urteil vom 27. September 2004 hat es die Klage abgewiesen. Vertrauensschutz könne die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, da ein Verwirkungsverhalten der Beklagten nicht vorgelegen habe.

Gegen das Urteil hat die Klägerin am 25. November 2004 fristgerecht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass das Recht zur Beitragsnachforderung verwirkt sei. Das Sozialgericht habe die Summenabstimmungen der Beklagten und die Betriebsprüfung der LVA Hamburg nicht ausreichend gewürdigt. Die Beklagte treffe das Verschulden an der fehlerhaften Beitragsentrichtung, da ihr bekannt gewesen sei, dass die Beigeladene zu 1) eine Teilrente bezog, und sie daher die Unstimmigkeiten bei der Beitragsabführung leicht hätte erkennen können.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2004 und die Bescheide der Beklagten vom 12. April 2001, 2. November 2001, 29. Januar 2002 und 9. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält der Auffassung der Klägerin entgegen, dass aus dem Summenabgleich nach § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) kein Vertrauenstatbestand hergeleitet werden könne. Denn dabei erfolge nur eine Abstimmung der Beiträge mit den gemeldeten Arbeitsentgelten. Der gemeldete Beitragsschlüssel werde nicht überprüft.

Der Beigeladene zu 4) schließt sich dem Antrag der Klägerin an. Die übrigen Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und zusammen mit den Prozessakten S 28 KR 1315/02 ER, S 28 KR 1498/02 und L 1 KR 130/04 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin ist zur Nachzahlung der geltendgemachten Beiträge für die Beigeladene zu 1) verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen.

Die Beigeladene zu 1) unterlag im streitigen Zeitraum der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Nach § 241 SGB V waren die Beiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz zu entrichten. Der ermäßigte Beitragssatz nach § 243 SGB V kam nicht in Betracht, weil die Beigeladene zu 1) als Teilrentenbezieherin weiterhin Anspruch auf Krankengeld hatte (vgl. § 50 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Rentenversicherungs-pflicht bestand nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, da Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 4 SGB VI nur für Bezieher einer Vollrente wegen Alters besteht. Nach § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist der volle Beitrag zu zahlen (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil).

Die Beitragsforderung ist nicht verjährt. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Nach § 17 der Satzung der Beklagten sind laufende Beiträge, die geschuldet werden, spätestens am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den der Beitrag gilt. Die Beiträge für Dezember 1996 waren daher am 15. Januar 1997 fällig. Verjährung wäre für diese Beiträge erst ab dem 1. Januar 2002 eingetreten. Die Beiträge sind aber bereits mit Bescheid vom 16. Juli 2001 geltend gemacht worden.

Die Beitragsforderung ist auch nicht verwirkt. Die Klägerin konnte aufgrund des Verhaltens der Beklagten oder der LVA Hamburg nicht darauf vertrauen, dass die in den Jahren 1996 bis 2001 entstandenen Beitragsforderungen für die Beigeladene zu 1) innerhalb der Verjährungsfristen nicht mehr geltend gemacht werden. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt (BSG 14. 7. 04 - B 12 KR 1/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Danach entfällt die Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände des Einzelfalles hinzukommen, die das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungssverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG 1. 4. 93 - 1 RK 16/92, USK 9334). Diese zur Verwirkung führenden Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin wurde nicht in den Glauben versetzt bzw. gelassen, dass die für die Beigeladene zu 1) entrichteten Beiträge richtig berechnet worden seien.

Aus den Summenabstimmungen der Beklagten lässt sich dies nicht herleiten. Denn aus den Schreiben der Beklagten vom 19. August 1998 und 9. September 1997 ergibt sich lediglich, dass die Arbeitsentgelte aus den Sozialversicherungsmeldungen verglichen worden sind mit den Entgelten, die aus den nachgewiesenen Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung errechnet worden sind. Eine Aussage dazu, dass der gemeldete Beitragsschlüssel korrekt ist, ergibt sich daraus nicht.

Auch aus dem Ergebnis der Betriebsprüfung – dessen Wirkung sich die Beklagte zurechnen lassen müsste – ergibt sich nichts anderes. Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28 p SGB IV selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet (BSG 14. 7. 04 - B 12 KR 10/02 R, SozR 4-5375 § 2 Nr. 1). Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen (BSG 30. 11. 78 - 12 RK 6/76, BSGE 47, 194). Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben das Recht, in Zweifelsfällen nach § 28 h Abs. 2 Satz 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Einzugsstelle durch Verwaltungsakt herbeizuführen, an den die Versicherungsträger gebunden sind (BSG 29. 7. 03 - B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr. 1 m. w. N.). Von diesem Recht hat die Klägerin vorliegend keinen Gebrauch gemacht. Die hier streitige Frage ist auch nicht ausdrücklich Gegenstand der Betriebsprüfung bei der Klägerin gewesen.

Es gibt gegenüber der Klägerin keine konkrete Aussage der Beklagten oder eines anderen Versicherungsträgers, dass die Beiträge für die Beigeladene zu 1) im streitigen Zeitraum von der Klägerin richtig berechnet worden sind. Entsprechende schriftliche Zusagen konnte die Klägerin nicht vorlegen. Telefonische Zusagen werden von der Beklagten bestritten und konnten von der Klägerin nicht nachgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG. Die Klägerin trägt nur die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind von ihr nicht zu tragen, da dies nicht Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung entspricht.

Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus der Höhe der Forderung der Beklagten. Die Festsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 72 Nr. 1 Gerichtskosten-gesetz in der Fassung ab 1. Juli 2004.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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