L 3 U 27/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 U 232/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 27/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. März 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 und/oder Nr. 1310 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung – BKVO – im Streit.

Der am XX.XXXXXXX 1924 geborene Kläger war von 1955 bis Oktober 1976 als Einrichter von halbautomatischen Zahnradfertigungsmaschinen bei der Werkzeugmaschinenfabrik H. & H. tätig. Aufgrund Bescheides vom 9. April 1963 bezieht er von der Beklagten bereits eine Verletztenrente als Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – von 20 v.H. wegen einer Verletzung des rechten Kniegelenks. Seit dem 1. Februar 1983 erhält er aufgrund eines vor dem Sozialgericht Hamburg im Verfahren S 16 J 60/81 am 7. November 1984 abgegebenen Anerkenntnisses von der Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Versicherungsfalles vom 1. Januar 1983. Diesem Anerkenntnis war ein durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. am 8. Juni 1984 erstattetes Gutachten vorangegangen. Dr. F. war darin zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger ein körperlich weitgehend gesunder Mann in altersentsprechender Verfassung sei, der jedoch eine Vielzahl von subjektiven Beschwerden erlebe. Dies habe seine Ursache in einem schweren psycho-vegetativen Erschöpfungssyndrom, welches sich seit 1980 entwickelt habe, keine Besserung erwarten lasse und ihn dauerhaft hindere, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten.

In einem im Jahre 1984 anhängig gemachten weiteren Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (24 U 419/84) wegen Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Unfalles vom 16. Dezember 1980 (Bescheid vom 27. Oktober 1983, Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 1984), welches für den Kläger ohne Erfolg blieb, machte der Kläger mit Schreiben vom 5. November 1984 und 5. April 1985 eine Exposition gegenüber Lösemitteln sowie Dioxinen während der Zeit seiner Beschäftigung bei der Firma H. & H. geltend und gab an, dass diese Exposition Ursache seiner mannigfaltigen Erkrankungen sei. Er habe dort Kontakt mit Kühlschmiermitteln - verwendet worden seien im Betrieb S 32, Voltol und Ilobroach -, Waschbenzin und Kaltreiniger gehabt. Die fertigen Zahnräder seien durch ihn von der Maschine abgenommen und in einem Behälter mit Waschbenzin von dem anhaftenden Schneidöl gereinigt worden, damit die erforderlichen Kontrollmessungen durchgeführt werden konnten. Er habe ständig zwei bis drei Maschinen im Akkord bedient, so dass er fast ununterbrochen mit beiden Händen ohne Handschuhe in dem Waschbenzinbehälter gewesen sei und auch die flüchtigen Dämpfe mit vornüber gebeugtem Oberkörper eingeatmet habe. Sehr bald seien Beschwerden aufgetreten in Gestalt von häufigen Fieberanfällen, chronischer Bronchitis, Benommenheit, großer Müdigkeit, Schwindelanfällen, Apathie sowie ständigen Verdauungsstörungen, für die die Ärzte keine Erklärung hätten finden können. Am 2. Oktober 1976 sei er dann wegen erheblicher Betriebseinschränkungen entlassen worden. Anschließend sei er bis zum 30. September 1980 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Während eines Arbeitsversuches habe er aufgrund seiner Vorschädigungen einen Unfall erlitten.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) stellte Ermittlungen zur Schadstoffexposition des Klägers in der Zahnradfertigung an. In dem Bericht vom 5. August 1985 heißt es, es habe ständiger Kontakt mit Ilobroach 11 und Ilocut 372 bestanden. Beide Mittel seien Schneidölprodukte der D. C. GmbH. Ilocut 372 sei werksintern wieder aufgearbeitet worden zu S 32. Voltol sei ein Gleit- und Bettenbahnschmieröl von S., ein reines Maschinenschmieröl, mit dem ein sehr geringer Kontakt bestanden habe. Ferner habe ein ständiger Kontakt zu Waschbenzin bei der Reinigung der Zahnräder bestanden. Es könne eine sehr intensive Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen durch Inhalation und Hautkontakt bestätigt werden. Jedoch seien nach der Auskunft der Herstellerfirma C. Dioxine und Furane in den Schneidölen nicht enthalten. Es könne nicht beurteilt werden, inwieweit Ölnebel oder Öldämpfe bzw. Dämpfe des Waschbenzins in der Luft bei den Erkrankungen des Versicherten eine Rolle gespielt hätten.

Auf Veranlassung des staatlichen Gewerbearztes wurde der Kläger durch Prof. Dr. N. untersucht und arbeitsmedizinisch begutachtet. Hierzu wurde dem Kläger am 8. Dezember 1988 eine Fettgewebsprobe entnommen und durch das Bundesgesund¬heitsamt auf ihren Dioxin/Furan-Gehalt untersucht. Die Untersuchung ergab für die Gesamt-Belastung des Gewebes mit HxCDD (&61523;HxCDD) einen über dem Normbereich von 10 – 300 pg/g liegenden erhöhten Wert von 516, während alle PCDD und PCDF-Werte im Normbereich der nicht belasteten Bevölkerung lagen. Dr. N. gelangte hierauf aufbauend in seinem Gutachten vom 19. Juni 1990 zu der Einschätzung, dass sich bei Rückrechnung aller in der Fettgewebsprobe nachgewiesenen Schadstoffe unter Zugrundelegung einer einheitlichen Halbwertzeit von 5,8 Jahren für das Jahr 1976 als demjenigen mit der höchsten inneren Belastung ein Wert von 2444.63 pg/g HxCDD ergebe, welcher den Wert der nichtexponierten Normalbevölkerung um das 8,2 fache übersteige. Durch die Art der beruflichen Exposition sei ein Einwirken von PCP, PCDD und PCDF möglich gewesen, wenn auch ein eindeutiger Beleg für eine berufliche Verursachung der nachgewiesenen Belastung fehle. Da eine erhöhte körperliche Belastung mit HxCDD nachgewiesen sei, erscheine die geschilderte Symptomatik als Folge einer exogen toxisch verursachten Erkrankung durchaus plausibel. Der Nachweis der erhöhten Schadstoffanreicherung sei als ausreichender Beleg für eine exogene Intoxikation zu werten.

Der staatliche Gewerbearzt schloss sich dieser Einschätzung an und empfahl die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1310 der Anlage zur BKVO.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1992 lehnte die Beklagte das auf die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1310 und 1302 der Anlage zur BKVO gerichtete Begehren ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1994 zurück. Auf die genannten Bescheide wird ergänzend Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die fristgerecht erhobene Klage nach Durchführung weiterer medizinischer Ermittlungen – arbeitsmedizinisch-toxikologisches Gutachten Dr. P. nebst ergänzenden Stellungnahmen, neurologisch-psychiatrisches Gutachten Prof. Dr. V. und epidemiologisches Gutachten Prof. Dr. med. F1 – abgewiesen. Die Annahme einer Berufskrankheit nach Nr. 1310 der Anlage zur BKVO scheitere bereits daran, dass ein beruflicher Kontakt mit Dioxinen und Furanen nicht nachgewiesen sei. Hinsichtlich einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKVO lägen zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen vor, jedoch seien die Beschwerden des Klägers nicht auf eine Lösemittelbelastung zurück zu führen, weil sich das Beschwerdebild nach Beendigung der Exposition verschlechtert habe. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. Juni 2000 zugestellt worden.

Mit seiner am 4. Juli 2000 eingelegten Berufung trägt der Kläger unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens im Wesentlichen vor, er habe auch Kontakt zu wassermischbaren Kühlschmiermitteln gehabt. Diese seien an seinem Arbeitsplatz in gleicher Weise zum Einsatz gelangt wie die nicht wassermischbaren. Ferner habe man Waschbenzin zum Entfetten der Werkstücke angewandt. Die Kühlschmierstoffe seien bis 1971 von der Firma G. AG in L. bezogen worden. Im Jahre 1971 hätten sich dann plötzlich Veränderungen ergeben. So habe man den PCB-gekühlten Netz-Transformator entfernt, die gesamte Beleuchtungsanlage mit PCB-haltigen Kondensatoren ausgetauscht und sämtliche bis dahin verwendeten wasserlöslichen und ölhaltigen Kühlschmierstoffe durch andere ersetzt. Die gesamte Halle sei neu gestrichen, die Maschinen seien umgestellt und in Ölwannen aus Beton gestellt, die Ölabsaugvorrichtungen im Bereich der Zahnradschleiferei erneuert und nun ständig gewartet und die Arbeitskleidung regelmäßig auf Kosten der Firma gereinigt und hautschonende Reinigungsmittel und Hautschutzmittel angeschafft worden. All dies sei – ebenso wie die von ihm gefertigte umfangreiche Arbeitsplatzbeschreibung – nicht berücksichtigt worden. Auch sei das erstinstanzliche Gericht bei seiner Entscheidung den Gutachtern Prof. Dr. N. und Prof. Dr. F1 zu Unrecht nicht gefolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. März 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen Heiserkeit, Schwindelgefühlen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Übelkeitsgefühlen, Taub- und Schmerzgefühlen an Händen und Füßen, nächtlichen Harndranges, häufigen Entzündungen der Nasenschleimhäute und einer Bronchitis sowie einer Divertikulose der Speiseröhre und des Darms als Folgen einer Berufskrankheit nach Nrn. 1302 und/oder 1310 der Anlage zur BKV eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 vom Hundert zu gewähren,

hilfsweise

das Gutachten eines Pathologen einzuholen sowie Prof. Dr. N. und den staatlichen Gewerbearzt Z. zu ihren jeweiligen Gutachten anzuhören, die Ehefrau des ehemaligen, mittlerweile verstorbenen Arbeitskollegen G. S1, die ehemaligen Arbeitskolleginnen D1 K. und I. S1 sowie die seinerzeitige Betriebsärztin Dr. S2 zu dem von der Beklagten bestrittenen Umgang des Klägers mit Waschbenzin und ölhaltigen sowie wasserlöslichen Kühlschmierstoffen sowie zum Beweis für die Tatsache, dass - der Krankenstand der Zahnradfertigungsabteilung von H. & H. bei 9 – 12 %, in anderen Abteilungen um die Hälfte darunter gelegen habe - dass das Waschbenzin "G." sowie die von der Firma G. gelieferten Kühlschmierstoffe wegen der katastrophalen Ergebnisse der im Mai und Juni 1971 vorgenommenen Untersuchung der Arbeitsbedingungen aus dem Betrieb entfernt wurden - dass neue Kühlschmierstoffe probeweise eingesetzt und nach Monaten (wie beispielsweise Trichloräthylen) wieder abgeschafft wurden - dass der gesamte Hallenboden herausgebrochen und neu gegossen wurde - dass die gesamte Neon-Beleuchtung, deren Kondensatoren Pentachlorphenyl enthielten, ausgewechselt wurden - dass pentachlorphenylgekühlte Transformatoren entfernt wurden - dass stark mit ölhaltigen Stoffen verunreinigte Arbeitskleidung größtenteils mit Waschbenzin und auf Kosten des früheren Arbeitgebers des Klägers, der Werkzeug-Maschinenfabrik H. & H., gereinigt wurden - dass die für die Ölabsaugung und den Ölzufluss eingesetzte Pumpe erneuert wurde - dass die Werkhalle neu gestrichen wurde - dass in dem Prüfbericht des technischen Aufsichtsdienstes der Berufsgenossenschaft die Werkhalle als "Tropfsteinhöhle" bezeichnet worden ist

zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. März 2000 zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, die sie für zutreffend hält.

Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt medizinisch weiter aufgeklärt und nach Einholung eines Befundberichtes des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin Dr. K1, welcher die Diagnosen einer arteriellen Hypertonie, einer koronaren Herzkrankheit, einer chronischen Bronchitis und eines Verdachts auf eine toxisch bedingte Neuropathie stellt, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N1 mit der ambulanten Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Der Sachverständige diagnostiziert eine beinbetonte sensomotorische Neuropathie und eine akzentuierte Persönlichkeit mit vermehrter narzisstischer Kränkbarkeit und gelangt in seinem schriftlichen Gutachten vom 4. April 2002 unter Anschluss an das Gutachten von Dr. V. zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestehe von Seiten des neurologisch psychiatrischen Fachgebietes eine beinbetonte Polyneuropathie, am ehesten vom Typ einer hereditären, sensomotorischen Neuropathie Typ II und eine akzentuierte Persönlichkeit mit zwanghaften und vermehrt narzisstisch kränkbaren Zügen mit vor diesem Hintergrund erklärbaren psychovegetativen Erschöpfungserscheinungen. Die neurologischen Untersuchungen hätten keinen Anhalt dafür gegeben, dass diese Gesundheitsstörungen auf berufliche Tätigkeiten in der Firma H. & H. zurückzuführen seien. Es bestehe kein Anhalt für das Vorliegen einer toxischen Polyneuropathie oder einer toxischen Encephalopathie. Dies belege vornehmlich der Verlauf der Erkrankung mit im Zeitverlauf zunehmenden Ausfallerscheinungen. Für eine Encephalopathie habe der klinische Befund aufgrund der durchgeführten Untersuchung keinen Anhalt gegeben. Vielmehr seien die über Jahre zurück zu verfolgende Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen sowie die subjektive Wahrnehmung von Leistungsminderung, Erschöpfung, Konzentrationsbeeinträchtigungen auf psychosomatische Reaktionen im Rahmen der Persönlichkeitszüge des Klägers zurückzuführen und nicht auf eine leichte Encephalopathie, die in der Tat mit ähnlichen Symptomen einhergehen könne, bei der dann jedoch leichte testpsychologische Auffälligkeiten zu fordern wären. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17. April 2002 hat der Sachverständige sein Gutachten erläutert.

Das Berufungsgericht hat ferner den Arzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde sowie Umweltmedizin Dr. T. S3 mit der ambulanten Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser diagnostiziert auf seinem Fachgebiet rezidivierende Bronchitiden, eine koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Oesophagusvertikel. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen und den früheren beruflichen Belastungen. Sie seien nicht Gegenstand der Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKVO.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf denjenigen der von der Beklagten vorgelegten Sachakten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht die begehrte Verletztenrente nicht zu, weil die von ihm geklagten Gesundheitsstörungen nicht als Berufskrankheiten von der Beklagten zu entschädigen sind.

Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung - RVO - Anwendung, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Sozialgesetzbuchs, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I, S. 1254, 1317, § 212 SGB VII).

Gemäß den §§ 580, 581 RVO wird eine Verletztenrente gewährt, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert und solange sie (im Regelfall) mindestens 20 v. Hundert beträgt. Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten (bei versicherter Tätigkeit) erleidet. Nach § 551 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit, die ein Versicherter bei seiner versicherten Tätigkeit erleidet. Voraussetzung für die Entschädigung ist danach, dass die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und den Gesundheitsschaden verursacht hat (so genannte haftungsausfüllende Kausalität). Während die einzelnen Glieder der Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist, genügt für den – doppelten – Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.

Aufgrund seiner Beschäftigung bei der Werkzeugmaschinenfabrik H. & H. gehört der Kläger zu dem in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreis. Nachdem vorliegend im Streit die Nrn. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und 1310 (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaroxide) sind, geht der Senat davon aus, dass der Versicherte während dieser Tätigkeit gegenüber den in den Nrn. 1302 und 1310 der BKVO genannten Stoffen exponiert gewesen ist. Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKVO ist – in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Klägers – durch die Ermittlungen des TAD belegt, dass eine Exposition gegenüber "Waschbenzin" und damit gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen bestand. Mit den Angaben des TAD ist nämlich ferner davon auszugehen, dass es sich bei diesem nicht näher bezeichneten Stoff um ein Löse- bzw. Entfettungsmittel unterschiedlichster Zusammensetzung gehandelt hat, welches auch Halogenkohlenwasserstoffe (Verbindungen von Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom und Jod) enthalten hat. Der Senat unterstellt hierzu die Angabe des Klägers, im Betrieb sei eine Zeitlang Trichloräthylen (CHCL) verwendet worden, welcher Stoff ebenfalls zur Gruppe der Halogenkohlenwasserstoffe gehört. Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nr. 1310 der Anlage zur BKVO legt der Senat seiner Entscheidung zunächst die Behauptung des Klägers zugrunde, er sei sowohl gegenüber nicht wassermischbaren als auch gegenüber wassermischbaren Kühlschmierstoffen exponiert gewesen und geht ferner mit dem medizinischen Sachverständigen Dr. P. davon aus, dass eine gewisse, allerdings nicht näher zu quantifizierende Exposition gegenüber Dioxinen/Furanen (PCDD/F) als Verunreinigung der in den wassermischbaren Kühlschmierstoffen enthaltenen Biocide oder aber als Zerfallsprodukt der so genannten Hochdruckparaffine stattgefunden hat. Weiterer Ermittlungen und hier namentlich der Einvernahme der von dem Kläger zur Aufklärung der in der Zahnradfertigung herrschenden Arbeitsbedingungen benannten Zeuginnen und Zeugen bedarf es danach nicht. Alle insoweit von dem Kläger unter Beweis gestellten Tatsachen können vor dem Hintergrund der für die vorliegende Entscheidung vorausgesetzten Exposition gegenüber den Listenstoffen als wahr unterstellt werden.

Die geklagten Beschwerden in Gestalt von Befindlichkeitsstörungen, namentlich Schwindelgefühlen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Übelkeitsgefühlen, Taub- und Schmerzgefühlen an Händen und Füßen und nächtlichen Harndranges sind jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die angenommene berufliche Exposition zurückzuführen. Allerdings steht mit den Feststellungen des Dr. P. fest, dass die Stoffe, gegenüber denen der Kläger exponiert war, generell geeignet sind, eine Schädigung des Nervensystems in Gestalt einer (toxischen) Encephalopathie und einer (toxischen) Neuropathie hervorzurufen (zur generellen Eignung einer Einwirkung und zum Grad der erforderlichen Gewissheit vgl. Koch in Lauterbach, Unfallversicherung-Sozialgesetzbuch VII, § 9, Rndrn. 104 ff.). Unentschieden bleiben kann, ob die im einzelnen geklagten Beschwerden Ausdruck einer (toxischen) Encephalopathie oder Neuropathie sein können. Denn bei dem Kläger liegt weder eine Encephalopathie noch eine toxische Neuropathie vor. Vielmehr leidet der Kläger nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet an einer hereditären, d.h. genetisch bedingten/vererblichen, sensomotorischen Polyneuropathie und an einer vorwiegend depressiv gefärbten Persönlichkeitsstörung in Gestalt einer akzentuierten Persönlichkeit mit vermehrter narzisstischer Kränkbarkeit mit psychosomatischen Beschwerden, welche ebenfalls anlagebedingt ist. Sie sind Auslöser der geklagten Beschwerden. Dies folgt aus den überzeugenden Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. N1, die in Einklang stehen mit denjenigen des erstinstanzlich tätig gewordenen Neurologen und Psychologen Prof. Dr. V. sowie denjenigen des im Verfahren auf die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente tätig gewesenen Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F ... Die von Dr. K1 während der Behandlung des Klägers erhobenen Befunde widersprechen diesen Feststellungen nicht. Geht er doch insoweit lediglich von einem Verdacht auf eine toxisch bedingte Neuropathie aus. Die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. F1 vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Er verkennt bereits die Anforderungen an die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhanges, wenn er diesen ohne weiteres aus dem Vorhandensein eines typischen Krankheitsbildes, der Schadstoffexposition und dem Fehlen anderer Ursachen entnimmt. Er übersieht auch, dass in der Gestalt anlagebedingter Erkrankungen des Nervensystems und der Psyche des Klägers durch die Sachverständigen des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes sehr wohl andere und einleuchtende Erklärungen für die geklagten Befindlichkeitsstörungen festgestellt wurden. Der von ihm angenommenen Kausalkette in Form einer durch Lösemittel verursachten Schädigung des zentralen Nervensystems mit zentralnervösen Regulations¬beein¬trächtigungen, darauf wiederum beruhenden Störungen verschiedener Drüsen, der Speichelsekretion sowie der Verdauung, die ihrerseits ursächlich für die bestehende Speiseröhrenerkrankung sind, fehlt es danach bereits an der Grundvoraussetzung in Gestalt einer toxisch bedingten Erkrankung des Nervensystems. Es bedurfte auch weder einer Anhörung von Prof. Dr. N. oder des ehemaligen staatlichen Gewerbearztes Z ... Dem entsprechenden Beweisantrag brauchte das Gericht schon deshalb nicht zu folgen, weil der Kläger mit seinem Antrag keine Tatsachen behauptet, die für die Entscheidung erheblich sein können, und er so dem Gericht keine Möglichkeit gibt, die Tauglichkeit des Beweismittels zu überprüfen. Im Übrigen erschöpfen sich die aktenkundigen gutachtlichen Stellungnahmen der Genannten in einer Diskussion der Dioxin-Problematik, und der Senat hat sie bei seiner Entscheidung bereits berücksichtigt. In der Sache lassen beide die auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bereits zu jenem Zeitpunkt durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. festgestellte anlagebedingte Erkrankung des Klägers auf diesem Fachgebiet unberücksichtigt, setzen sich folglich mit dem Sachverhalt nur unzulänglich auseinander und geben daher sowie auch im Übrigen keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.

Der Kläger leidet ferner an einer chronischen Bronchitis mit rezidivierenden Infekten im Bereich der Atemwege bzw. rezidivierenden Entzündungen der Atemwege, an rezidivierenden entzündlichen Veränderungen von Speicheldrüsen, an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung, an einer koronaren Herzerkrankung, an Diabetes mellitus, an Bluthochdruck sowie an Ausstülpungen der Speiseröhre. Dies folgt aus den Feststellungen des Dr. P. auf arbeitsmedizinischem und Dr. S3 auf internistischem Fachgebiet. Insoweit besteht Übereinstimmung mit den von Dr. K1 erhobenen Befunden. Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese Erkrankungen mit Wahrscheinlichkeit auf die Schadstoffexposition im Beschäftigungsbetrieb zurück zu führen sind. Der von Prof. Dr. F1 vermutete Kausalzusammenhang lässt sich nach den überzeugenden Darlegungen Dr. S3 nicht naturwissenschaftlich belegen, so dass es sich insoweit allenfalls um eine theoretische Möglichkeit handelt. Nach den auf die erreichbare wissenschaftliche Literatur gestützten Ausführungen von Dr. S3, denen der Senat folgt, fehlt es schon an der generellen Eignung der in Rede stehenden Schadstoffe, die festgestellten Erkrankungen hervorzurufen. Für die Bronchitis und die häufigen Atemwegserkrankungen sowie die Entzündungen der Speicheldrüsen steht nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. S3 zudem fest, dass diese sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart auf ein so genanntes sino-bronchiales Syndrom zurückzuführen waren bzw. sind, welches seinen Ursprung in den Nasennebenhöhlen hat. Dr. S3 hat auch überzeugend dargelegt, dass die nach 1971 eingetretene Besserung der Beschwerden auf die in jenem Jahr vorgenommene operative Behandlung des Entzündungsherdes beruht. Der von dem Kläger behauptete Zusammenhang mit der 1971 eingetretenen Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist damit widerlegt. Aus den oben bereits dargelegten Gründen besteht kein Anlass, Prof. Dr. N. und den ehemaligen Gewerbearzt Z. zu hören. Beide verhalten sich in ihren schriftlichen Ausführungen nicht ansatzweise zu einer möglichen Verursachung der auf internistischem Fachgebiet bestehenden Erkrankung durch andere Umstände als die von ihnen lediglich vermutete Schadstoffexposition und geben daher sowie auch im Übrigen keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.

Das von dem Kläger begehrte Gutachten eines Pathologen brauchte das Gericht ebenso wenig einzuholen. Diesem Beweisantrag war nicht zu folgen, weil der Kläger mit dem Antrag keine Tatsachen behauptet, die für die Entscheidung erheblich sein können, und er keine Beweisfrage formuliert und so dem Gericht keine Möglichkeit gibt, die Tauglichkeit des Beweismittels zu überprüfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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