L 1 KR 102/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 37 KR 1060/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 102/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 2004 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Freistellung des Klägers von den Kosten häuslicher Kran¬kenpflege in Form von weiteren 2 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben (bei ge¬nehmigten Leistungen im Umfang von 1 x täglichen/ 7 x wöchentlichen Medikamenten¬gaben) in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2001 in Höhe von 1395,83 Euro gegenüber dem Pflege¬dienst L. & E. streitig.

Der am XX.XXXXXXXXX 1937 geborene Kläger ist Rollstuhlfahrer und bedarf nach Schlagan¬fällen u.a. der häuslichen Krankenpflege. Der behandelnde Arzt Dr. S. verordnete ihm unter dem 29. März 2001 3 x tägliche/7 x wöchentliche Medikamentengaben für den Zeitraum 1. April bis 30. Juni 2001 zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Mit Bescheid vom 25. Mai 2001 gewährte die Beklagte u. a. 1 x tägliche/ 7 x wöchentliche Medi¬kamenten¬ga¬ben für die Zeit ab 1. April bis 30. Juni 2001. Die Beklagte ließ durch ihre Außendienstmitar¬beite¬rin N. am 22. August 2001 einen Haus¬besuch beim Kläger durchführen. Den Widerspruch ge¬gen den Umfang der gewährten Medi¬kamentengaben wies sie mit Bescheid vom 8. Oktober 2001 zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger die eidesstattliche Versicherung vom 1. November 2002 vorgelegt, mit der er bestätigt hat, sich in den Quartalen I/01 bis II/02 gegenüber dem Pflege¬dienst L. & E. verpflichtet zu haben, Kosten für Medikamentengaben und Anlegen und Wechseln von Wundverbänden selbst zu übernehmen. Außerdem habe er auf die Ein¬rede der Verjährung verzichtet. Des Weiteren hat er eine Rechnung des Pflegedienstes über den Betrag von 2824,90 DM (1444,35 Euro) vom 12. September 2001 eingereicht.

Im vom Sozialgericht im Parallelverfahren S 37 KR 1041/01 = L 1 KR 101/04 eingeholten Befundbericht vom 25. Juli 2002 hat Dr. S. ausgeführt, der Kläger leide unter den Fol¬gen eines apoplektischen Insults mit rechtsseitiger Hemiparese und an einem Hypertonus. Er habe den Kläger bis 22. Juni 2001 behandelt. Danach sei ein Arztwechsel wegen Verweige¬rung von Medikamentenwünschen erfolgt. Der Kläger habe bei Betreuung durch die Sozial¬station im Rollstuhl in einer behindertengerechten Wohnung z.T. sich selbst versorgen und selbständig leben können. Er sei auf die regelmäßige Einnahme verschiedener Medikamente angewie¬sen. Der den Kläger anschließend behan¬delnde Dr. J. hat im vom Sozialge¬richt im Parallelverfahren S 37 KR 1079/01 = L 1 KR 104/04 eingeholten Befundbericht vom 26. September 2002 ausgeführt, der Kläger leide unter einer kompletten schlaffen Lähmung der gesamten linken Körperhälfte, Sprechstörungen durch Gesichtslähmung links, rezidivie¬render Muskelspastik, Unterschenkelödem links, Hy¬perpigmentierung des rechten Unter¬schenkels i. S. eines postthrombotischen Syndroms und einem depressiven Stimmungszu¬stand. Nach einem erneuten Hirninfarkt im März 2002 seien zunehmend Schwindel und Stürze aufgetreten. Die Depression habe ebenfalls zugenom¬men. Der Kläger sei auf die regelmäßige Einnahme verschiedener Medikamente angewie¬sen. Der Gebrauch der linken Hand zur Entnahme von Medikamenten aus Verpackungen oder Dosiergefäßen sei völlig ausgeschlossen. Tabletten, die zu Boden fielen, könne er nicht aufheben.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Unab¬hängig davon, ob zwischen dem Kläger und dem Pflegedienst eine für eine Kostenfreistel¬lung ausreichend spezifizierte Vereinbarung geschlossen worden sei, fehle es jedenfalls an dem Nachweis, dass die streitigen Leistungen erbracht worden seien.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Er trägt vor, er sei im streiti¬gen Zeitraum aufgrund der erlittenen Gehirninfarkte nicht in der Lage gewesen, seine Medi¬kamente einzunehmen. Ein einmal tägliches Bereitstellen der Arzneien hätte nicht ausge¬reicht. Ihm seien Kosten in Höhe von insgesamt 1395,83 Euro (900 DM für April, 930 DM für Mai und 900 DM für Juni, insgesamt 2730 DM) entstanden. Das Erbringen der Leistungen er¬gebe sich aus den unterzeichneten Leistungsnachweisen, die bei der Beklag¬ten eingereicht worden seien und nur von dieser vorgelegt werden könnten. Durch die Zeugenverneh¬mung habe der Sachverhalt nicht geklärt werden können, denn die Zeugin sei einsei¬tig an die Be¬klagte gebunden. Es sei vielmehr ein medizinisches Sachverständigengut¬achten einzuholen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 2004 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2001 in der Fassung des Wider¬spruchsbe¬scheides vom 8. Oktober 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurtei¬len, den Kläger von den Kosten für häusliche Krankenpflege in Form von weiteren 2 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2001 in Höhe von 1395,83 Euro gegenüber dem Pflegedienst L. & E. freizu¬stellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger habe die Erbringung der Leistungen nicht bewie¬sen.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger eine weitere eidesstattliche Erklärung vom 7. April 2005 vorgelegt. Hierin bestätigt der Kläger, dass er sich – nachdem die Beklagte die Medi¬kamentengabe im Umfange von 2 x täglich/7 x wöchentlich abgelehnt hatte – verpflichtet habe, für die ihm verordneten Leistungen im Umfang von 3 x täglich/7 x wöchentlich selbst aufzu¬kommen. Er sei darauf hingewiesen worden, dass für die über den genehmigten Umfang hinausgehenden Leistungen Kosten in Höhe von 15 DM pro Einsatz, d. h. 30 DM pro Tag entstünden, also 900 DM bzw. 930 DM pro Monat. Auf die Einrede der Verjährung habe er verzichtet. Des Weiteren hat er nicht unterschriebene Leistungsnachweise für den streitigen Zeitraum vorgelegt.

Das Gericht hat bei der Beklagten nachgefragt, ob im Rahmen der Pflegeversicherung medi¬zinische Gutachten vorhanden seien. Es ist daraufhin ein Gutachten von Ende 1998 über¬sandt worden. Weitere Gutachten seien nicht vorhanden.

In der mündlichen Verhandlung ist Beweis durch Vernehmung der Zeugin H. N. erhoben worden. Hinsichtlich ihrer Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. August 2005 verwiesen.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der o.g. Sitzungsniederschrift aufge¬führten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündli¬chen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Be¬rufung (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsge¬setz (SGG)) ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten selbst beschaffter häuslicher Kranken¬pflegeleistungen in Form von weiteren 2 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben durch den Pflegedienst L. & E ...

Rechtgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind §§ 37 Abs. 2 iVm 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der besonderen Form der Freistellung von bisher noch nicht aufgewendeten Kosten. Versicherte erhalten gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist und eine im Haushalt lebende Person den Kranken nicht in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann (Abs. 3). Die Krankenkasse hat dem Versicherten die Kosten für die selbst beschaffte Leis¬tung zu erstatten, soweit diese notwendig war, wenn sie u.a. eine Leistung zu Unrecht ab¬gelehnt hat (§ 13 Abs. 3 SGB V). Sind die Leistungen durch den Versicherten noch nicht bezahlt, kann er statt der Kostenerstattung eine Freistellung von der Verbindlichkeit geltend machen (BSG 30.3.00 – B 3 KR 23/99 R, SozR 3-2500 § 37 Nr. 2).

Der Freistellungsanspruch des Klägers scheitert schon daran, dass die mehr als einmal tägliche Medikamentengabe - mit dem Bereitstellen der Arzneien für die beiden weiteren Einnahmezeiten - nicht notwendig war. Der Kläger war trotz seiner gesundheit¬lichen Ein¬schränkungen in der Lage, einmal täglich bereitgestellte Medikamente (z.B. aus ei¬nem Be¬cher) morgens, mittags und abends selbständig einzunehmen.

Ausweislich der Berichte der behandelnden Ärzte haben die Schlaganfälle bei dem Kläger zu einer vollständigen Lähmung der linken Körperseite geführt. Daraus folgt, dass er seine linke Körperseite, also auch die linke Hand, seither nicht mehr einsetzen konnte. Im Bereich des rechten Armes oder der rechten Hand waren keine Ausfälle oder Behinderungen eingetreten, so dass der Kläger trotz seines Angewiesenseins auf einen Rollstuhl noch weitgehend selbständig allein in seiner Wohnung leben konnte. Zwar wurde in dem Pflege¬gutachten aus dem Jahre 1998 ein Tremor erwähnt, aber dort kein Ausmaß beschrieben, welches den Kläger außer Stande hätte setzen können, selbständig ein Glas oder einen Eierbecher zu ergreifen. Für den streitbefangenen Zeitraum gibt es keinen Anhalt für einen Tremor oder ein relevantes Zittern der rech¬ten Hand. In seinem ergänzenden Bericht vom 23. August 2005 hat der behandelnde Arzt Dr. J. zumindest für den Zeitraum ab Juli 2001, in dem der Kläger bei ihm in Behand¬lung war, ausdrücklich dargelegt, dass der Kläger mit der rechten Hand in der Lage war, vor¬bereitete Medikamente ohne fremde Hilfe einzunehmen. Der Pfle¬gedienst müsse die Arz¬neien daher nur einmal täglich bereitstellen.

Die Fähigkeit des Klägers, selbständig bereitgestellte Medikamente einnehmen zu können, ergibt sich aus der vom Senat durchgeführten Zeugen¬vernehmung. Der Senat folgt den glaubhaften Angaben der Zeugin. Danach war der Kläger im gesamten streitbefangenen Zeitraum in der Lage, mit der rechten Hand einen Becher oder ein Glas mit bereitgestellten Tabletten oder Tropfen selbständig zum Mund zu führen und anschließend Wasser nachzutrinken. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der Auswirkungen von Schlaganfällen auf die Fähigkeit, selbständig bereitgestellte Medikamente einzunehmen, war nicht veranlasst, weil durch die Zeugenvernehmung die dem Kläger

verbliebenen Fähigkeiten festgestellt werden konnten. Ein Sachverständiger könnte sich wegen fehlender eigener Beobachtung im streitbefangenen Zeitraum nur abstrakt äußern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG in der bis 1. Januar 2002 gülti¬gen und hier noch anzuwendenden Fassung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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