Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 AS 770/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 160/06 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 20. April 2006 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
Die am 20. April 2006 durch die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom selben Tag eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig die Zusicherung zu erteilen, ihr Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Wohnung R.-Kamp in H. zu erbringen sowie die Mietkaution für diese Wohnung zu übernehmen. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts an.
Nach § 22 Abs. 2a Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) werden, sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, ihnen Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Gemäß Satz 2 Nr. 1 ist er zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann. Das ist hier der Fall.
Der Argumentation der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin eine bestehende Konfliktsituation nicht substantiiert vorgetragen habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Antragstellerin und ihre Mutter haben – in der gemäß §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG zur Glaubhaftmachung zugelassenen Form einer Versicherung an Eides Statt – nachvollziehbare Gründe für einen bestehenden Mutter-´Kind`-Konflikt benannt. Es würde die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung überspannen, wenn man nur handfeste Beweise in Form von tätlichen Auseinandersetzungen bis hin zu Polizeieinsätzen gelten ließe. Der Senat hat danach von folgendem Sachverhalt auszugehen. Die 18jährige Antragstellerin, die im sechsten Monat schwanger ist, lebt zusammen mit ihrer behinderten Schwester und ihrer Mutter. Ihr derzeitiges Zimmer ist 6 qm groß. Da sie keine Ausbildung und Arbeit hat, gab es mit ihrer Mutter ständig Streit; diese lehnt auch die Schwangerschaft ab und kennt den Kindesvater nicht. Die Antragstellerin darf ihre Musik nicht hören und keine Freunde mitbringen. Sie versteht sich überhaupt nicht mit ihrer Schwester und fühlt sich von der Mutter zurückgesetzt.
Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass der Gesetzgeber bezüglich der schwerwiegenden sozialen Gründe im Sinne des § 22 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 SGB II auf die Regelung des § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – Arbeitsförderung – verwiesen habe, ist dies zutreffend. Der Senat kann bei der gegebenen Sachlage dahinstehen lassen, inwieweit zur Auslegung dieses Begriffes daher auf die zur letztgenannten Regelung ergangene sozialgerichtliche Rechtsprechung, namentlich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. Juni 2004 (B 7 AL 38/03 R – BSGE 93, S. 42 ff., 46 f. –) zurückgegriffen werden kann. Das BSG hat ausgesprochen, dass – sofern man allein auf die Eltern-Kind-Beziehung und nicht auf die Beziehung zu sonstigen im Haushalt lebenden Personen abstellt – die Anforderungen an den Schweregrad der Störungen nicht überzogen werden dürfen, um die Annahme zu rechtfertigen, die Verweisung auf die Elternwohnung sei aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar. Vorliegend ist nämlich nicht nur das Verhältnis der Antragstellerin zu ihrer Mutter und ggf. ihrer Schwester von Bedeutung. Vielmehr sind auch die schützenswerten Interessen des werdenden Kindes zu berücksichtigen. Der Senat ist mit dem SG der Meinung, dass gravierenden Umständen, die eine gedeihliche Entwicklung der Familie und insbesondere des Kindes als gefährdet erscheinen lassen, angesichts des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Familie und des ungeborenen Lebens im Rahmen der Voraussetzungen für eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2a SGB II Rechnung getragen werden muss. Dass der Schutz des ungeborenen Lebens dem Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen ist, zeigt sich z.B. an der Sonderregung des § 94 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – Sozialhilfe –, mit der er einer möglichen Gefährdung durch finanzielle Interessen vorbeugen will. Das SG hat ausführlich und schlüssig dargelegt, dass die Konflikte ein Niveau erreicht haben, bei dem gerade in der schwierigen Lebenssituation der Schwangerschaft, der Geburt und der ersten Lebensjahre des Kindes ein weitgehend harmonisches Zusammenleben in der elterlichen Wohnung als Grundlage für eine positive Entwicklung der Familie und damit auch des Kindes nicht erwartet werden kann.
Nicht zu folgen vermag der Senat ferner der Argumentation der Antragsgegnerin, die Antragstellerin müsse zunächst die Hilfe öffentlicher Stellen in Anspruch nehmen, um die familiären Probleme zu lösen, bevor sie sich hierauf berufen könne. Das BSG (a.a.O., S. 48) hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Einschaltung von Trägern der Jugendhilfe – oder ähnlichen öffentlichen Einrichtungen – zwar ein Indiz für das Vorliegen einer nachhaltigen Beziehungsstörung sein könne, nicht aber Voraussetzung für die ´Anerkennung` einer solchen sei. Wenn die Beteiligten die Leistungen der Jugendhilfe nicht in Anspruch nehmen wollten, so sei dies zu akzeptieren: ihnen solle Hilfe angeboten, aber nicht aufgezwungen werden.
Der Einwand, dass durch die Verpflichtung zur Erteilung der Zusicherung zunächst einmal vollendete Tatsachen geschaffen würden, ist zutreffend, doch würde seine Berücksichtigung in derartigen Fällen jeglichen Eilrechtsschutz ausschließen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Gründe:
Die am 20. April 2006 durch die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom selben Tag eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig die Zusicherung zu erteilen, ihr Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Wohnung R.-Kamp in H. zu erbringen sowie die Mietkaution für diese Wohnung zu übernehmen. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts an.
Nach § 22 Abs. 2a Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) werden, sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, ihnen Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Gemäß Satz 2 Nr. 1 ist er zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann. Das ist hier der Fall.
Der Argumentation der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin eine bestehende Konfliktsituation nicht substantiiert vorgetragen habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Antragstellerin und ihre Mutter haben – in der gemäß §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG zur Glaubhaftmachung zugelassenen Form einer Versicherung an Eides Statt – nachvollziehbare Gründe für einen bestehenden Mutter-´Kind`-Konflikt benannt. Es würde die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung überspannen, wenn man nur handfeste Beweise in Form von tätlichen Auseinandersetzungen bis hin zu Polizeieinsätzen gelten ließe. Der Senat hat danach von folgendem Sachverhalt auszugehen. Die 18jährige Antragstellerin, die im sechsten Monat schwanger ist, lebt zusammen mit ihrer behinderten Schwester und ihrer Mutter. Ihr derzeitiges Zimmer ist 6 qm groß. Da sie keine Ausbildung und Arbeit hat, gab es mit ihrer Mutter ständig Streit; diese lehnt auch die Schwangerschaft ab und kennt den Kindesvater nicht. Die Antragstellerin darf ihre Musik nicht hören und keine Freunde mitbringen. Sie versteht sich überhaupt nicht mit ihrer Schwester und fühlt sich von der Mutter zurückgesetzt.
Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass der Gesetzgeber bezüglich der schwerwiegenden sozialen Gründe im Sinne des § 22 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 SGB II auf die Regelung des § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – Arbeitsförderung – verwiesen habe, ist dies zutreffend. Der Senat kann bei der gegebenen Sachlage dahinstehen lassen, inwieweit zur Auslegung dieses Begriffes daher auf die zur letztgenannten Regelung ergangene sozialgerichtliche Rechtsprechung, namentlich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. Juni 2004 (B 7 AL 38/03 R – BSGE 93, S. 42 ff., 46 f. –) zurückgegriffen werden kann. Das BSG hat ausgesprochen, dass – sofern man allein auf die Eltern-Kind-Beziehung und nicht auf die Beziehung zu sonstigen im Haushalt lebenden Personen abstellt – die Anforderungen an den Schweregrad der Störungen nicht überzogen werden dürfen, um die Annahme zu rechtfertigen, die Verweisung auf die Elternwohnung sei aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar. Vorliegend ist nämlich nicht nur das Verhältnis der Antragstellerin zu ihrer Mutter und ggf. ihrer Schwester von Bedeutung. Vielmehr sind auch die schützenswerten Interessen des werdenden Kindes zu berücksichtigen. Der Senat ist mit dem SG der Meinung, dass gravierenden Umständen, die eine gedeihliche Entwicklung der Familie und insbesondere des Kindes als gefährdet erscheinen lassen, angesichts des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Familie und des ungeborenen Lebens im Rahmen der Voraussetzungen für eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2a SGB II Rechnung getragen werden muss. Dass der Schutz des ungeborenen Lebens dem Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen ist, zeigt sich z.B. an der Sonderregung des § 94 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – Sozialhilfe –, mit der er einer möglichen Gefährdung durch finanzielle Interessen vorbeugen will. Das SG hat ausführlich und schlüssig dargelegt, dass die Konflikte ein Niveau erreicht haben, bei dem gerade in der schwierigen Lebenssituation der Schwangerschaft, der Geburt und der ersten Lebensjahre des Kindes ein weitgehend harmonisches Zusammenleben in der elterlichen Wohnung als Grundlage für eine positive Entwicklung der Familie und damit auch des Kindes nicht erwartet werden kann.
Nicht zu folgen vermag der Senat ferner der Argumentation der Antragsgegnerin, die Antragstellerin müsse zunächst die Hilfe öffentlicher Stellen in Anspruch nehmen, um die familiären Probleme zu lösen, bevor sie sich hierauf berufen könne. Das BSG (a.a.O., S. 48) hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Einschaltung von Trägern der Jugendhilfe – oder ähnlichen öffentlichen Einrichtungen – zwar ein Indiz für das Vorliegen einer nachhaltigen Beziehungsstörung sein könne, nicht aber Voraussetzung für die ´Anerkennung` einer solchen sei. Wenn die Beteiligten die Leistungen der Jugendhilfe nicht in Anspruch nehmen wollten, so sei dies zu akzeptieren: ihnen solle Hilfe angeboten, aber nicht aufgezwungen werden.
Der Einwand, dass durch die Verpflichtung zur Erteilung der Zusicherung zunächst einmal vollendete Tatsachen geschaffen würden, ist zutreffend, doch würde seine Berücksichtigung in derartigen Fällen jeglichen Eilrechtsschutz ausschließen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved