S 28 KR 67/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 28 KR 67/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für ein ärztlich verordnetes Funktionstraining. Die 1944 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie leidet Laut Verordnung an rezidivierender Lumbalgie bei statischer Dysbalance, Fibromyalgie-Syndrom und Restless-legs-Syndrom.

Die Klägerin nimmt nach eigenen Angaben seit Sommer 2000 an von der Beklagten durch Kostenbeteiligung gefördertem Funktionstraining in Form von Warmwassergymnastik teil. Es handelt sich um ein Gruppentraining mit ca. 12 Teilnehmern unter der Leitung einer Sportlehrerin, das einmal wöchentlich statt findet. Eine ärztliche Überwachung findet nach Angaben der Klägerin alle zwei Monate statt, wobei ein Arzt die Ausführung der Übungen überprüft und korrigiert.

Am 15. Januar 2002 beantragte die Klägerin durch ihren behandelnden Orthopäden die weitere Förderung des Funktionstrainings durch die Beklagte für weitere sechs Monate.

Nachdem der medizinische Dienst der Krankenkassen (MdK) die weitere Kostenübernahme des Funktionstrainings medizinisch nicht für notwendig hielt, sowie auch nicht die weitere ärztliche Aufsicht, vielmehr eine Durchführung in Eigenregie für möglich hielt, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.01.2002 die weitere Kostenübernahme ab und wies auch den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2002 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 20.06.2002 bei Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung stützt sich die Klägerin auf die Empfehlung ihres behandelnden Arztes, der die Fortsetzung des Trainings für unbedingt sinnvoll hält. Im übrigen sei die Gruppentherapie wesentlich Kostengünstiger als sonstige, bei Abbruch des Trainings eventuell erforderliche Krankengymnastik oder stationäre Behandlung.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 11.10.20Q2 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.11.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2002 zu verurteilen, ihr Leistungen zum Rehabilitationssport gemäß der ärztlichen Verordnung vom 15.01.2002 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und Funktionstraining der Bundesarbeitsgemeinschaf für Rehabilitation vom 01.01.1994 und trägt vor, Zielsetzung von Rehabilitationssport und Funktionstraining sei "Hilfe zur Selbsthilfe" zu leisten und den Behinderten zu motivieren, ein angemessenes Bewegungstraining selbständig durchzuführen. Rehabilitationssport bzw. Funktionstraining seien so lange erforderlich, bis das Ziel der Rehabilitation erreicht sei bzw. der Behinderte noch nicht über die Fähigkeiten zur selbständigen Durchführung verfüge. Dies sei dauerhaft nur bei besonders schweren Krankheitsbildern der Fall, nicht jedoch bei der Klägerin.

Nach Ankündigung in der nichtöffentlichen Sitzung vom 11.10.2002 erging der Gerichtsbescheid vom 11.10.2002, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.10.2002 zugestellt wurde. Am 28.10.2002 stellte die Klägerin den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 07.05.2003, sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert, denn dieser ist rechtmäßig (§ 54 Abs. 2 SGG). Zu Recht hat die Beklagte die weitere Förderung der Warmwassergymnastik versagt, denn die Klägerin ist nunmehr in der Lage, die Übungen selbständig und in eigener Verantwortung durchzuführen.

Gemäß § 43 SGB V in Verbindung mit § 44 Abs. l Nr. 3 und 4 SGB IX werden die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilnahme am Arbeitsleben insbesondere durch ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung durchgeführt und durch ärztlich verordnetes Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung ergänzt. Die Beklagte ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuständiger Rehabilitationsträger für Rehabilitationssport und Funktionstraining.

Durch die Neufassung des § 43 SGB VI bei gleichzeitigem Wegfall der bisherigen Nr. 1 SGB V bilden nunmehr seit 1. Juli 2001 § 43 SGB V in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB IV die leistungsrechtlichen Grundlagen für den Anspruch auf Übernahme von Kosten für ärztlich verordneten Rehabilitationssport und ärztlich verordnetes Funktionstraining. Die bisherigen Ermessensleistungen sind nun Rechtsanspruchsleistungen. Aus der Formulierung des § 43 SGB V wird deutlich, dass die Leistungen nach § 44 SGB IX zu erbringen sind. Hieraus folgt, dass.die Teilnahme am Rehabilitationssport und Funktionstraining nicht mehr nur gefördert wird, sondern die Kosten von der Krankenkasse zu tragen sind. Dies gilt für alle Leistungen, die nach dem 30. Juni 2001 beginnen oder verlängert werden.

Gemäß § 6 Abs. 2 SGB IX nehmen die Rehabilitationsträger ihre Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahr. Um sicherzustellen, dass Rehabilitationssport und Funktionstraining als ergänzende Leistungen zu Rehabilitation im Rahmen der für die einzelnen Rehabilitationsträger geltenden vorschiften nach einheitlichen Grundsätzen erbracht bzw. gefördert werden, haben die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung und Kriegsopferversorgung, unter Beteiligung der kassenärztlichen Bundesvereinigung, am 01.01.1994 die Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und Funktionstraining getroffen. Die Voraussetzung n für die Förderung von Rehabilitationssport und Funktionstraining sind mangels gesetzlicher Regelungen weiterhin der Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und Funktionstraining vom 01.01.1994 zu entnehmen. Die Nm. 3 und 4 des § 44 Abs. 1 SGB IX sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nur den Anknüpfungspunkt für die Fortführung der Gesamtvereinbarung bilden (Hauck, Sozialgesetzbuch,·sGs·1x, § 44 Rn. 16). Der Neuentwurf einer Rahmenvereinbarung über Rehabilitationssport und Funktionstraining, Stand 25.03.2003, ist bislang nicht in Kraft getreten.

Die ärztliche Verordnung der Klägerin betrifft den Rehabilitationssport "Schwimmen-", während sie tatsächlich an einer Warmwassergymnastik teilnimmt. Für diese beantragt sie auch die weitere Förderung, nunmehr in Form von Kostenübernahme wie sie durch ihre Aussage im Termin deutlich macht. Insofern ist auch die tatsächlich durchgeführte Wassergymnastik abzustellen.

Bei dieser Art Gymnastik handelt es sich um Funktionstraining im Sinne der Gesamtvereinbarung.

Rehabilitationssport und Funktionstraining sind voneinander abzugrenzen. Nach § 2 A s. 1 der Gesamtvereinbarung wirkt der Rehabilitationssport mit Mitteln des Sports und sportlich ausgerichteter Spiele ganzheitlich auf den Behinderten ein, um in besondere seine Ausdauer, Koordination, Flexibilität und Kraft zu stärken. § 4 Abs. 1 enthält Beispiele für Rehabilitationsportarten, diese sind Gymnastik, Leichtathletik, Schwimmen, Bewegungsspiel in Gruppen, soweit es sich um auf die Behinderung abgestellte Übungen handelt. Funktionstraining gemäß § 3 dagegen wirkt besonders mit Mitteln der Krankengymnastik und der Ergotherapie gezielt auf spezielle körperliche Strukturen (z.B. Muskeln und Gelenke). Es ist organorientiert und dient den Erhalt von Funktionen, der Beseitigung oder Verbesserung von Störungen der Funktionen sowie dem Hinauszögern von Funktionsverlusten ejnzelner Organsysteme/Körperteile. Funktionstraining ist auch Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere um die eigene Verantwortung des Behinderten für seine. Gesundheit und seine Motivation zum angemessenen täglichen Bewegungstraining zu stärken und ihn zur Selbstübung zu befähigen. Dabei umfasst es bewegungstherapeutische Übungen, die als Gruppenbehandlung unter fachkundiger Anleitung und Überwachung, vor allem durch Krankengymnasten im Rahmen regelmäßiger Übungsveranstaltungen durchgeführt werden. Funktionstraining zielt insbesondere auf die Behandlung des Zustandes chronisch Kranker ab. Nach § 5 der Vereinbarung sind Funktionstrainingsarten z.B. Trocken- und Wassergymnastik. Gemäß § 10 Abs. 2 sollen fachkundige, physiotherapeutisch erfahrene Ärzte beratend zur Verfügung stehen.

Das Training, an dem die Klägerin teilnimmt, ist als Wassergymnastik zu bezeichnen und wird in § 5 der Vereinbarung beispielhaft für das Funktionstraining. genannt. Es. wird nicht konstant ärztlich überwacht, sondern von einer Sportlehrerin geleitet. Ein Arzt steht bisweilen beratend zur Verfügung. Es steht nicht der Sport im Vordergrund sondern die krankengymnastische Einwirkung auf den Körper der Klägerin. Es dient der Klägerin dazu, einer Versteifung der Gelenke und Muskeln vorzubeugen und die Schmerzen zu lindern, daher findet es auch in warmen Wasser statt.

Das Gesetz enthält keine Bestimmung hinsichtlich der Dauer der Leistungspflicht. Diesbezüglich findet die weiterhin geltende Regelung der Gesamtvereinbarung vom 01.01.1994 Anwendung. Auch die Tatsache, dass es sich bei der Gewährung von Funktionstraining um eine Leistung handelt, auf die der Versiherte seit 01.07.2001 gemäß § 43 SGB V und § 44 Abs. 1 Nm. 3 und 4 einen Anspruch hat, führt nicht zu einer zeitlich unbegrenzten Förderung. Dies folgt zum einen aus dem gesetzgeberischem Willen, die Gesamtvereinbarung anzuwenden, die ihrerseits ein Ende der Leistungen vorsieht. Zum anderen auch aus dem allgemeinen Verständnis von Rehabilitation, die zeitlich begrenzt ist, bis der Patient wieder seine verlorene Selbständigkeit zurück gewonnen hat.

Nach § 3 Abs. 2 der Gesamtvereinbarung besteht für das Funktionstraining keine Notwendigkeit mehr, wenn der ·Behinderte über die Fertigkeit en in den Bewegungsabläufen verfügt, die ihn in die Lage versetzen, die Übungen selbständig durchzuführen. Diese Selbständigkeit kann bei bestimmten chronischen Krankheiten dauerhaft fehlen. Eine Aufzählung in Betracht kommender chronischer Krankheiten enthält die Gesamtvereinbarung der noch geltenden Fassung für das Funktionstraining nicht. Ergänzend kann § 2 Abs. 2 herangezogen werden, der insoweit eine Regelung für den Rehabilitationssport enthält. Danach. fehlt die Fähigkeit zur selbständigen Durchführung der Übungen nur bei schwerer Mobilitätsbehinderung (beispielsweise Cerebralparese, Querschnittslähmung, Amputation oder Lähmung von Gliedmaßen, schwerer Schädel-Hirnverletzung·, chronischen Krankheiten, die einen höheren Grad an Aufsicht notwendig machen (z.B. schwere koronare Herzkrankheit·), sowie erheblichen krankhaften. Antriebsstörungen, die eine langzeitige Fremdmotivation erforderlich machen (wie z.B. schwere organische Hirnschädigung, geistige Behinderung}.

Die Erkrankung der Klägerin ist mit den oben genannten Erkrankungen in ihrer schwere nicht annähernd vergleichbar. Ferner kann der noch nicht in Kraft getretene Entwurf einer Neufassung der Gesamt-Vereinbarung (Stand: März 2003) zu Argumentationszwecken herangezogen werden. Nach dessen § 4 in Verbindung mit Abs. 4c wird Funktionstraining in der gesetzlichen Krankenversicherung längstens für 12 Monate gewährt. Bei Fibromyalgie-Syndromen und- Osteoporose besteht eine Leistungspflicht in der Regel längstens bis zu 24 Monate. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Förderungshöchstdauer im Falle der Erkrankungen der Klägerin bei 24 Monaten liegen würden.

Die Klägerin hat nach eigenen Angaben seit Sommer 2000 an dem Training teilgenommen, so dass sie aufgrund der mindestens eineinhalbjährigen Dauer des Trainings die Bewegungsabläufe gelernt hat und nunmehr durchführen kann. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass sie nicht in der Lage sei, die Übungen selbständig durchzuführen, sie hat allein darauf hingewiesen, dass die Gymnastik zur Linderung- ihres Leidens unbedingt notwendig sei. In Anbetracht der Tatsache, dass die oben genannte Neufassung noch nicht in Kraft getreten ist erscheint eine Gewährung des Funktionstrainings für die Dauer von mindestens eineinhalb Jahren nach der jetzt geltenden Rechtslage auch nicht zu kurz, zumal die Neufassung das Wort "längstens" gebraucht. Wie die Klägerin selbst im Termin bekundet hat, ist sie mit der Wassergymnastik sehr zufrieden, so dass sie auch entsprechend motiviert ist, die Übungen fortzusetzen.

Insofern sind die Gutachten des MdK, nach denen die Ziele des Funktionstrainings erreicht sind, überzeugend, so dass ihnen ohne weite e Überprüfung gefolgt werden kann.

Diese Entscheidung soll nicht bedeuten, dass die Klägerin auf das Training verzichten soll. Es ist ihr jedoch zumutbar für die weitere Teilnahme die notwendigen Kosten selbst zu tragen. Der Eigenanteil der Klägerin betrug nach ihren Angaben im Vierteljahr etwa 21 Euro. Auch wenn Streitgegenstand des Verfahrens nunmehr die volle Kostenübernahme für sechs Monate ist, ist die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG wegen Unterschreitens der Berufungssumme nicht zulässig.

Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil auch nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialqerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (§ ·1 4 4 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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