S 37 U 407/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
37
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 37 U 407/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist (große) Witwenrente gemäß § 65 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII).

Die am 23.01.1967 geborene Klägerin war in zweiter Ehe mit dem 23.03.1959 geborenen und am 03.05.2017 im N-hospital in I verstorbenen L (fortan: Versicherter) verheiratet. Die erste Ehe des Versicherten, aus der zwei Kinder hervorgingen, wurde im Jahr 2003 geschieden. Die erste Ehe der Klägerin, aus der ein Sohn, geboren am 19.03.1988 hervorging, wurde 1987 geschlossen und im August 2003 geschieden.

Nach Angaben der Klägerin waren sie und der Versicherte schon seit mehreren Jahren bekannt, bevor sie circa 2004 ein Paar wurden. Am 29.06.2005 zog die Klägerin mit ihrem Sohn in die Wohnung des Versicherten. Der Sohn der Klägerin zog im Jahr 2014 aus der gemeinsamen Wohnung in ein neues Eigenheim.

Die Klägerin ist bei der M GmbH als E beschäftigt und verdiente laut Einkommenssteuer-bescheid für das Jahr 2015 35.402,00 Euro.

Im September 2016 traten bei dem Versicherten erstmals Atemprobleme beim Wandern auf. Er begab sich daraufhin aufgrund einer vermuteten Erkältung in ärztliche Behandlung bei Dr. H. Am 30.09.2016 fand eine Computertomographie des Thorax des Klägers statt. Der Facharzt für Radiologie K äußerte in seinem Bericht vom selben Tag den Verdacht auf ein Pleuramesotheliom, nachrangig auf eine Pleurakarzinose. Eine weitere Abklärung sei empfehlenswert. Seit dem 24.10.2016 war der Kläger arbeitsunfähig er-krankt. Am 28.10.2016 wurde der Thorax des Klägers geröntgt. Der behandelnde Radiologe Dr. N ging von einem "wahrscheinlichen Pleuramesotheliom rechts" aus (Befundbericht vom 28.10.2016). Vom 30.10. bis 09.11.2016 befand sich der Kläger stationär im Evangelischen Krankenhaus I, wo am 02.11.2016 eine Biopsie der Pleura des Klägers durchgeführt wurde. In der schriftlichen Beurteilung kamen die Histologen zu dem Ergebnis, dass ein hochmaligner epithelialer Tumor passend am ehesten zu einem epithelialen Pleuramesotheliom vorliege. Zur Bestätigung der Diagnose wurde eine immun-histochemische Untersuchung durchgeführt.

Am 04.11.2016 bestellten die Klägerin und der Versicherte das Aufgebot für eine Eheschließung am 07.12.2016.

Im ergänzenden Befundbericht vom 07.11.2016 wurde mitgeteilt, dass es sich in dem entnommenen Gewebe aus der Pleura des Klägers um Anteile eines malignen epitheloiden Pleuramesotheliom handele.

Am 07.12.2016 heirateten die Klägerin und der Versicherte standesamtlich. Seit dem 08.12.2016 führte der Kläger eine Chemotherapie mit anschließender Bestrahlung durch.

Am 02.01.2017 ging bei der Beklagten eine Verdachtsanzeige des Evangelischen Krankenhauses I wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4105 (Mesotheliom - Tumor des Rippenfells durch Asbest) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - ein. Am 17.01.2017 gab in der Wohnung der Klägerin und des Versicherten ein Gespräch zur Einleitung eines Verfahrens auf Feststellung der BK Nr. 4105. Dabei gab der Versicherte an, mit dem Erreichen von Arbeitsfähigkeit sei nach Auskunft der Ärzte nicht mehr z rechnen.

Am 31.03.2017 wurde für die Pflegekasse des Klägers ein Pflegegutachten erstellt, mit dem Pflegegrad 4 seit dem 24.02.2014 festgestellt wurde. Die Pflege werde durch die Klägerin mit einem Umfang von 30 Wochenstunden sichergestellt.

Nach Aufnahme des Versicherten am 24.04.2017 in das N-hospital I und der Einleitung einer palliativen Therapie verstarb der Versicherte am 03.05.2017 an den Folgen des Mesothelioms.

Mit Bescheid vom 10.08.2017 erkannte die Beklagte die Erkrankung des Versicherten als BK Nr. 4105 (Pleuramesotheliom) an. Als Tag des Versicherungsfalls wurde der 30.09.2016 (erster Tag der Beschwerden, die eine Behandlung erforderlich gemacht hätten) festgestellt. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 24.10.2016 bis zum 03.05.2017 gewährte die Beklagte Verletztengeld.

Mit Bescheid vom 21.09.2017 gewährte die Beklagte eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit vom 100 ab dem 01.10.2016 bis zum 31.05.2017.

Mit Bescheid vom 17.08.2017 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwenrente gemäß § 65 SGB VII ab. Der Tod des Versicherten sei innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten. Ein Anspruch auf Hinterbliebenen Leistung gemäß § 65 SGB VII bestehe aufgrund von § 65 Abs. 6 SGB VII nicht.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Lebensgemeinschaft habe bereits seit dem Jahr 2005 bestanden. Zweck der Heirat für den Versicherten sei gewesen, sich einer verstärkten Betreuung durch die Klägerin zu sichern.

Die Klägerin legte ein ärztliches Attest vom 13.07.2017 der Internistin Dr. N vor. Mit diesem wird bescheinigt, zum Zeitpunkt der Eheplanung im November 2016 sei der Todeszeitpunkt des Versicherten nicht absehbar gewesen.

Die Klägerin legte ferner ein Schreiben ihres Sohnes vor. In diesem bescheinigt er, er habe neun Jahre mit seiner Mutter und seinem Stiefvater in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Der Verstorbene habe sich stets aufmerksam und liebevoll um ihn und seine Mutter gekümmert. Es sei ihm ein persönliches Anliegen gewesen, den Versicherten in seiner Krankheitszeit bis zu seinem Tode zu unterstützen. Der Versicherte habe ihm geholfen, nach dem Einzug in sein neues Eigenheim im Jahr 2014 dieses umzubauen und zu modernisieren. Er habe die Hochzeit zwischen seiner Mutter und dem Versicherten jederzeit befürwortet und sich sehr auf die Hochzeit gefreut.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 65 Abs. 6 SGB VII. Für das Vorliegen einer Versorgungsehe spreche die bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung am 07.12.2016 bestehende schwere, offenkundig lebensbedrohliche Erkrankung des Versicherten mit ungünstiger Verlaufsprognose. Dafür seien die Schmerzsituation, die Müdigkeit und der als reduziert beschriebene Allgemeinzustand des Versicherten bereits am 17.01.2017 und deren Verschlimmerung zur Feststellung des Pflegegeldes am 31.03.2017 bewiesen. Die Beklagte gehe davon aus, dass sowohl der Klägerin als auch dem Versicherten das Ausmaß der Erkrankung wie auch die Lebensbedrohlichkeit bewusst gewesen sei. Zwar stelle der Wille der Eheschließenden, dem kranken Versicherten die nötige Betreuung und Pflege zukommen zu lassen, ein von der Versorgungsabsicht zu unterscheidendes legitimes Motiv dar, jedoch stehe diesem nach Ansicht der Beklagten die Berufstätigkeit der Klägerin entgegen. Auch die Rentenversicherung des Versicherten habe mit Bescheid vom 24.08.2017 eine Witwenrente abgelehnt.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.11.2017 Klage erhoben, mit der sie weiter Witwenrente begehrt. Zur Begründung wiederholt sie ihren Vortrag aus dem Vorverfahren und trägt vertiefend vor, die Berufstätigkeit der Klägerin habe eine Pflege des Versicherten nicht ausgeschlossen. Weder der Klägerin noch dem Versicherten sei bewusst gewesen, dass dieser so schnell an seiner Erkrankung sterben werde, weil sie hierzu keinerlei Kenntnis gehabt hätten. Soweit die Beklagte sich in ihrem Widerspruchsbescheid auf Gutachten und Hausbesuche im März und Januar 2017 beziehen würden, sei darauf hinzuweisen, dass die Ehe bereits im Dezember 2016 bereits geschlossen worden war.

Mit Schreiben vom 28.05.2018 hat die Klägerin schriftliche Erklärungen der als Zeugen benannten Freunde des Versicherten, Herrn I und Herrn N vorgelegt. Der Zeuge I bekundet in seiner undatierten schriftlichen Erklärung, er habe den Versicherten schon 41 Jahre gekannt und mit ihm über 30 Jahre bei der Firma I in X gearbeitet. Der Versicherte habe ihm erzählt, er wolle seine Frau T mit einem Heiratsantrag 2015 überraschen. Er habe ihm erzählt, dass es eine große Feier geben würde. Der Versicherte habe immer wieder gesagt, dass er T heiraten wolle. Am 23.03.2015 sei in der Firma I ein Großbrand ausgebrochen, der eine ganze Produktionshalle, in der auch der Kläger beschäftigt gewesen sei, zerstört habe. Es seien deshalb auf einen Schlag über 30 Arbeitsplätze bedroht gewesen und der Versicherte habe sich große Sorgen um die Zukunft gemacht. Der Versicherte habe deshalb gemeint, die Hochzeit müsse erst einmal verschoben wer-den, bis er Gewissheit habe, wie es beruflich weiter gehe. Der Versicherte sei später in eine andere Abteilung übernommen worden, wo er nach einer längeren Einarbeitungs-zeit neu habe planen können.

Der Zeuge N hat in seiner undatierten schriftlichen Stellungnahme ausgeführt, er sei seit den 60iger Jahren bis zu seinem Tod mit dem Versicherten eng befreundet gewesen. Die Scheidung von seiner ersten Frau habe den Versicherten sehr bedrückt. Der Zeuge sei sehr froh gewesen, dass der Versicherte 2005 die Klägerin kennengelernt habe, die dann bei ihm eingezogen sei. Der Versicherte habe seine große Liebe gefunden. Eine Ehe habe er sich jedoch nicht mehr vorstellen können. In einem gemeinsamen Urlaub 2010 habe der Versicherte ihm erstmals anvertraut, dass er die Klägerin heiraten wolle, bevor sie 50 sei. Es solle eine Überraschung werden und er solle nichts erzählen. Diesen Wunsch habe er in den folgenden Jahren immer wieder geäußert. Auf seine Frage, warum der Versicherte so lange warten wolle, habe der Versicherte immer gesagt, dass dies ein besonderes Geschenk sein solle, seine Liebe brauche keine Ehe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2017 zu verurteilen, ihr Witwenrente gem. § 65 SGB VII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen I und N. Der Zeuge I hat seine schriftliche Zeugenaussage sinngemäß wiederholt. Der Verstorbene sei noch im Jahr 2015 in eine andere Abteilung des Arbeitgebers übernommen worden. Nach seiner Erinnerung sei die Probezeit für den neuen Arbeitsplatz im September 2015 beendet gewesen und der Versicherte sei erleichtert gewesen, dass er nunmehr wieder Sicherheit habe, wie es beruflich weitergehe.

Auf Nachfrage der Kammervorsitzenden hat der Zeuge J bekundet, der Versicherte habe ihm erstmals im Jahr 2010 anvertraut, dass er die Klägerin heiraten wolle, bevor sie 50 sei. Es habe eine Überraschung für die Klägerin werden sollen. Ob der Versicherte der Klägerin von seinem Heiratswunsch erzählt habe, könne er nicht sagen. Ein konkretes Datum für die Heirat sei nicht benannt worden. Mit seiner schriftlichen Angabe, der Versicherte habe geäußert, "seine Liebe brauche keine Ehe, dies sei ein besonderes Geschenk", habe der Versicherte nach seiner - des Zeugen - Auffassung begründen wollen, warum er noch mit der Eheschließung habe warten wollen. Er – der Zeuge – meine, der Versicherte habe dann heiraten wollen, weil er das selbst richtig fand und es wohl auch ein Geschenk für die Klägerin sein solle.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Zeugenaussagen wird auf den Inhalt des Protokolls verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Versicherten betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Sie haben der Kammer bei ihrer Entscheidung vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da er rechtmäßig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von (großer) Witwenrente.

Nach § 65 Abs. 1 S. 1 des SGB VII erhalten Witwen oder Witwer von Versicherten Hinterbliebenenleistungen in Form von Witwen- oder Witwerrente, solange sie nicht wieder geheiratet haben. Nach Abs. 2 Nr. 3 b) dieser Vorschrift haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des Ehemannes, dessen Tod infolge eines Versicherungsfalles – hier BK nach Nr. 4105 BKV – der gesetzlichen Unfallversicherung eingetreten ist, unter anderem dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet haben. Dem Anspruch auf Witwenrente steht jedoch § 65 Abs. 6 SGB VII entgegen. Diese Vorschrift bestimmt, dass eine Witwe dann keinen Anspruch auf Witwenrente hat, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles, die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Regelung entspricht den Regelungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 46 Abs. 2 a) VI. Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI – und des Bundesversorgungsgesetzes (§ 38 Abs. 2 BVG). Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält das Gesetz eine Vermutung dahingehend, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war.

Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat vom 07.12.2016 bis zum 03.05.2017 und damit weniger als Jahr gedauert, so dass grundsätzlich die gesetzliche Vermutung des § 65 Abs. 6 SGB VII eingreift. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wie sich aus der in § 65 Abs. 6 verwendeten Formulierung "es sei denn" ergibt. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände (insbesondere Unfalltod des Versicherten, vgl. BT-Drucksache 14/4595 S. 44) vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zwecks der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 S. 1 SGG i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der volle Beweis verlangt dabei zumindest ein der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht hingegen nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Um-stände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon und einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az. B 9 VG 3/99 R – Juris -). Dies ändert zwar nichts an der sich aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 20 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) ergebenden Amtsermittlungspflicht der Beklagten, führt im Ergebnis jedoch dazu, dass die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nach dem Grundsatz der sogenannten objektiven Beweislast von den Anspruchstellern zu tragen sind.

Was unter den "besonderen Umständen" des Falles im Sinn des § 65 Abs. 6 SGB VII zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus der Vorschrift. Es kann jedoch an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der "besonderen Umstände" in den gleich-lautenden Bestimmungen des SGB VI und BVG angeknüpft werden. Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles als besondere Umstände im Sinne des § 65 Abs. 7 SGB VII anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Maßgebend sind die Beweggründe beider Ehegatten, wobei die Annahme einer Versorgungsehe nur dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Gesamtbetrachtung und die Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen, den Versorgungszwecks überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Unterschiedliche Beweg-gründe sind in der Gesamtbetrachtung auch dann als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen treten-de Umstände bei der Ermittlung der Beweggründe für die Heirat bzw. des Zwecks der Heirat darf nicht stattfinden, da dann die Möglichkeit des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise be-schnitten würden. Allerdings sind von dem hinterbliebenen Ehegatten glaubhaft behauptete innere Umstände für die Heirat nicht isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Um-stände in die Gesamtwürdigung einzustellen (BSG, Urteil vom 05.05.2009, Az.: B 13 R 55/08 R; BSG, Urteil vom 06.05.2010, Az: B 13 R 134/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.2012, L 11 R 392/11 -, alle in Juris).

Im Falle der Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist der Ausnahmetatbestand des § 65 Abs. 6 SGB VII regelmäßig nicht erfüllt (BSG, a. a. O.; Hessisches LSG, Urteil vom 15.12.2011, Az. L 5 R 320/10). Jedoch ist auch bei einer noch objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht (vollständig) ausgeschlossen, dass die Eheschließung gleichwohl (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen erfolgte. In einem solchen Fall müssen allerdings bei der Gesamtbewertung diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, um so gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit der Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit dieses Umstandes im Zeitpunkt der Eheschließung steigt nämlich der Grad des Zweifels am Vorliegen solcher – vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisender – "besonderer Umstände" (BSG, a. a. O.; BSG, Urteil vom 06.05.2010, Az: B 13 R 134/08 R).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist vorliegend die gesetzlich unterstellte Versorgungsabsicht zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht durch den Nachweis "besonderer Umstände" widerlegt. Denn die Kammer kann nach Gesamtbetrachtung der für den Eheschluss im vorliegenden Fall maßgebenden, ermittelten Beweggründe nicht mit der für den Vollbeweis notwendigen Gewissheit fest-stellen, dass die Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten nicht al-lein oder nicht überwiegend der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gedient hat, mithin neben dem vom Gesetzgeber vermuteten Versorgungscharakter der Ehe zumindest gleichwertige andere besondere Motive vorgelegen haben.

Allein der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte "aus Liebe" geheiratet haben, ist kein besonderes Motiv, sondern ein Umstand, der im Allgemeinen Grund für eine Eheschließung ist.

Der Versicherte litt ferner im Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig an einer lebens-bedrohlichen Erkrankung, die nach der allgemeinen Prognose, die mit der Diagnose Mesotheliom verbunden ist, innerhalb eines Zeitraumes von vier bis zwölf Monaten zum Tode führen kann. Insofern lag die Lebenserwartung des Versicherten prognostisch im Zeitpunkt der Eheschließung unter einem Jahr. Auch die Klägerin ging nach ihren eigenen Angaben zunächst vom Vorliegen eines Lungenkrebs aus. Auch hierbei handelt es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung. Die Kammer kann deshalb nicht mit Sicherheit ausschließen, dass maßgebliches Motiv die Versorgungsabsicht in Kenntnis der Erkrankung an einem Mesotheliom bzw. nach Angaben der Klägerin einem Lungen-krebs war. Bei verständiger Würdigung der medizinischen Berichte kann zur Überzeugung der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass dem Versicherten die möglichen tödlichen Folgen seiner Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Bestellung des Aufgebots am 04.11.2106 für die Eheschließung nicht bekannt waren. Bei dem Versicherten lag bereits aufgrund des CTs vom 30.09.2016 und der Röntgenaufnahme vom 28.10.2016 die Verdachtsdiagnose Mesotheliom vor. Der Kläger wurde deshalb für eine Biopsie ab dem 30.10.2016 stationäre im Evangelischen Krankenhaus I aufgenommen. Aus dem histologischen Befundbericht vom 03.11.2016 ergibt sich eindeutig das Vorliegen eines hochmalignen Pleuramesothelioms. Bereits das Vorliegen einer Verdachtsdiagnose eines fortgeschrittenen Tumors, für den lediglich der histologische Nachweis fehlte, muss zumindest dem Versicherten durch die behandelnden Ärzte aufgrund ihrer ärztlichen Aufklärungspflicht unverzüglich korrekt mitgeteilt worden sein. Unerheblich ist deshalb, ob auch die Klägerin selbst – wie sie in dem Verhandlungstermin vorgetragen hat – nicht direkt am 03.11.2016 über das Ergebnis des histologische Befund von dem Kläger oder den behandelnden Ärzten informiert wurde, sondern erst am 08.11.2016, nach dem das abschließende Untersuchungsergebnis vorlag. Denn auch sie ging bereits seit der Erhebung der ersten Befunde zumindest vom Vorliegen eines Lungenkrebs aus. Damit kommt es auch nicht darauf an, ob die Lebenserwartung des Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung exakt nach Monaten bestimmbar war. Entscheidend ist, das Ableben des Versicherten vorhersehbar ist und nicht unerwartet auftritt (vgl. Urteil des Hessischen LSG vom 15.12.2007, Az,. L 5 R 51/17, Rdz. 75 nach Juris).

Es ergibt sich auch keine Zwangsläufigkeit, dass bei schon länger bestehenden Hochzeitsplänen, wie sie von der Klägerin und den Zeugen vorgetragen wurden, von der Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe auszugehen ist. Auch in diesem Falle hat eine Gesamtwürdigung und Abwägung aller Umstände zu erfolgen. Bei einer solchen Gesamtwürdigung verbleiben der Kammer Zweifel, dass dieser vorgetragene Um-stand der schon länger geplanten Heirat für den Versicherten letztendlich ausschlaggebend war, am 07.12.2016 zu heiraten und ob nicht die Kenntnis von der bei ihm vorliegenden Krebserkrankung derart in den Vordergrund gerückt war, dass diese und ein möglicher Wunsch, die Klägerin versorgt zu wissen, überwogen. Die Klägerin hat im Wesentlichen als besonderen Umstand geltend gemacht, dass die Absicht, zu heiraten, bereits seit dem gemeinsamen Frühjahresurlaub in 2015 bestanden haben sollte. Hinreichend konkrete Heiratspläne für eine Hochzeit am 07.12.2016 konnte die Kammer nach dem Vortrag der Klägerin und der durchgeführten Beweisaufnahme jedoch nicht feststellen. So stand nach den übereinstimmenden Angaben der Klägerin und der Zeugen zu-nächst kein konkretes Heiratsdatum fest, vielmehr wird eine Heiratsabsicht vor dem 50. Geburtstag der Klägerin behauptet. Bei Annahme hinreichender konkreter Heiratsabsichten vor dem 23. Januar 2017 fehlte es jedenfalls an einer konsequenten Verwirklichung dieser Absichten. Eine konkrete Heiratsabsicht tritt erstmals zu Tage durch die Anmeldung der Eheschließung für den 07.12.2016 am 04.11.2016, ferner bemühte sich die Klägerin erst im November 2016 um die für eine Hochzeit erforderlichen Unterlagen. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat ohne entsprechende Vorbereitung und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten ernsthaften Heiratsentschluss annehmen zu können (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.2012, Az. L 11 R 392/11).

Auch der Umstand, dass die Klägerin mit dem Versicherten bereits seit dem Jahr 2005 in häuslicher Gemeinschaft zusammen gelebt hat, widerlegt nicht das Vorliegen einer Versorgungsehe. Dieser Aspekt kann genauso gut ein Indiz dafür sein, dass aufgrund der jahrzehntelangen Verbundenheit ein besonders großes Interesse des Versicherten darin bestand, die Klägerin versorgt zu wissen.

Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer sogenannten Pflegeehe (vgl. dazu BSG, Urteil vom 03.09.1986, 9 ARV 8/84, Juris) können im vorliegenden Fall nicht bejaht wer-den. Zu den diesbezüglichen Motiven des Versicherten konnte die Kammer keine Feststellungen treffen. Gegen das Vorliegen einer Pflegeehe sprechen jedoch die eigenen Angaben der Klägerin im Verhandlungstermin am 23.05.2019, sie hätte den Kläger auch ohne Eheschließung bis zum Tode begleitet und gepflegt.

Insgesamt waren die äußeren Umstände nicht derart, dass sie die Vermutung gem. § 65 Abs. 6 SGB VII hätten widerlegen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ein-zulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Bochumer Straße 79, 45886 Gelsenkirchen

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ein-gelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten An-trag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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