Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 AS 1043/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 126/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2010 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin dem Beklagten zur Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse verpflichtet ist.
Die Klägerin ist Vizekonsulin der Konsularabteilung der b. Botschaft in B. und zuständig für die Konsularangelegenheiten in H., B1, N. und S ... Sie ist Mutter des am XXXXX 1983 geborenen R.J. (i.F.: Leistungsberechtigter). Der Leistungsberechtigte, für den im Dezember 2006 eine Betreuung eingerichtet worden war, lebte nach eigenen Angaben bis Ende Januar 2007 in der elterlichen Wohnung und verließ diese nach einer tätlichen Auseinandersetzung. Anschließend hielt er sich zunächst in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums H.-E. auf. Seinen am 1. Februar 2007 gestellten Leistungsantrag begründete er damit, er habe die elterliche Wohnung nach einem Fall häuslicher Gewalt verlassen müssen. Seit dem 29. Januar 2007 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten.
Mit Bescheid vom 1. März 2007 zeigte der Beklagte rechtswahrend die Überleitung etwaiger gegenwärtiger und zukünftiger Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten gegen die Klägerin an und forderte sie auf, bis zum 25. März 2007 Auskunft über ihr gesamtes Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit einschließlich aller Sonderzuwendungen sowie Steuererstattungen für den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 28. Februar 2007 zu geben und Gehaltsbescheinigungen sowie Steuerbescheide vorzulegen.
Ihren am 29. März 2007 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, der Leistungsberechtigte habe seinen Unterhaltsanspruch dadurch verwirkt, dass er ihr gegenüber gewalttätig geworden sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 11. April 2007 zurück: Die Auskunftsverpflichtung nach § 60 Abs. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 1605 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) setze nicht das Bestehen, sondern allein die Möglichkeit eines Unterhaltsanspruchs voraus. Von vornherein ausgeschlossen erscheine ein Unterhaltsanspruch allerdings nicht. Auch wenn der Leistungsberechtigte gegenüber der Klägerin gewalttätig gewesen sein sollte, so könne der Grund hierfür in seiner psychischen Erkrankung liegen, wodurch möglicherweise schuldhaftes Handeln ausgeschlossen gewesen sei.
Am 13. April 2007 erhob der Beklagte vor dem Amtsgericht Hamburg - Familiengericht - Klage (Az. 267 F 64/07) mit dem Antrag, die Klägerin zur Auskunft über ihr Einkommen im Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2007 und über ihr Vermögen am 31. März 2007 (sowie zur Vorlage genau bezeichneter Belege und zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung) zu verurteilen. Er berief sich auf einen Forderungsübergang nach § 33 SGB II und führte aus, der Leistungsberechtigte schildere die Umstände, unter denen er die elterliche Wohnung verlassen habe, genau umgekehrt, nämlich dahingehend, dass er Opfer häuslicher Gewalt geworden sei. Fest stehe jedenfalls, dass der Leistungsberechtigte seit zwei Jahren dauerhaft psychisch erkrankt sei und deswegen keine Erwerbstätigkeit ausüben könne. Aus diesem Grunde bestehe auch ein Unterhaltsanspruch gegenüber der Klägerin. Die Klägerin wandte ein, sie sei als b. Vizekonsulin dem Beklagten gegenüber nicht zur Auskunft verpflichtet. Weiterhin bestehe ein Unterhaltsanspruch nicht, nachdem der Leistungsberechtigte ihrem Ehemann und ihrem Bruder gegenüber gewalttätig geworden sei. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2008 hat das Amtsgericht das Ruhen des dortigen Verfahrens angeordnet.
Gegen den Bescheid vom 1. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 hat die Klägerin am 11. Mai 2007 Klage erhoben, die das Sozialgericht durch Urteil vom 12. Februar 2010 abgewiesen hat: Der Auskunftsanspruch des Beklagten sei grundsätzlich unabhängig vom Bestehen eines Unterhaltsanspruchs. Er entfalle nur dann, wenn der Unterhaltsanspruch offensichtlich nicht bestehe, was hier aber nicht der Fall sei. Auf konsularische Immunität könne sich die Klägerin nicht berufen, denn das Auskunftsverlangen stehe nicht im Zusammenhang mit ihren konsularischen Aufgaben.
Am 23. April 2010 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie führt aus, eine Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 2 SGB II setze voraus, dass ein Unterhaltsanspruch tatsächlich bestehe. Nur diese Auslegung werde dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerecht. Insoweit habe das Sozialgericht aufzuklären versäumt, ob ein Unterhaltsanspruch bestehe. Dies sei nicht der Fall, denn die Klägerin habe dem Leistungsempfänger zunächst in ihrem Haushalt Unterhalt gewährt. Diese Form der Unterhaltsleistung sei dann aufgrund eines erheblichen Fehlverhaltens des Leistungsempfängers beendet worden. Der Leistungsberechtigte habe den Ehemann und den Bruder der Klägerin angegriffen und beiden Platzwunden zugefügt. Überdies sei der Unterhaltsanspruch inzwischen verjährt. Schließlich sie als Angehörige des b. Konsulats deutschen Behörden gegenüber nicht zur Auskunft verpflichtet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 1. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 aufzuheben
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat am 9. August 2012 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte sowie die beigezogene Prozessakte des Amtsgerichts Hamburg - Familiengericht -, Az. 267 F 64/07, und die Unterhaltsakte des Beklagten verwiesen.
&8195;
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist zulässig. Ein Sachentscheidungshindernis ergibt sich nicht aus dem Status der Klägerin als b. Vizekonsulin. Zwar sind Mitglieder konsularischer Vertretungen nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (WÜK) gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit, jedoch bedeutet dies nicht etwa im Umkehrschluss, dass sie auch kein deutsches Gericht anrufen dürften (vgl. für Diplomaten: BVerwG, Urteil vom 29.2.1996, 5 C 23/95; KG B., Beschluss vom 10.6.2010, 1 VA 8/10; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.2.1992, 8 B 536/92).
Auch das (derzeit ruhende) familiengerichtliche Verfahren stellt kein Sachentscheidungshindernis in Form anderweitiger Rechtshängigkeit dar, denn es richtet sich nicht auf Aufhebung der im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheide. Überdies stützt sich die familiengerichtliche Klage des hiesigen Beklagten nicht auf den Auskunftsanspruch aus § 60 SGB II, sondern auf den aus § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB II i.V.m. § 1605 BGB, der zivilrechtlicher Natur ist (hierzu etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10).
Die Berufung ist unbegründet. Der Beklagte verlangt von der Klägerin zu Recht Auskunft.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf konsularische oder diplomatische Immunität berufen. Die konsularische Immunität ist im WÜK, das insoweit gem. Art. 25 des Grundgesetzes (GG) Anwendung findet, als reine Amtsimmunität ausgestaltet, d.h. die begünstigten Personen unterliegen nur wegen Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden, nicht der hoheitlichen Gewalt des Empfängerstaates (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.7.2004, 2 Ss 42/04; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 5.11.1991, 1 Ob OWi 345/91; OLG Hamburg, Beschluss vom 30.6.1988, 1 Ss 83/88, alle jeweils zur Unterworfenheit unter die Judikative). Nach Art. 43 Abs. 1 WÜK unterliegen Konsularbeamte nur wegen Handlungen, die in Wahrnehmung der in Art. 5 WÜK definierten konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, nicht den Eingriffen der Verwaltungsbehörden des Empfängerstaates. Die angefochtenen Entscheidungen betreffen keines dieser Aufgabengebiete. Auf diplomatische Immunität kann sich die Klägerin nicht berufen, da sie keinen diplomatischen Rang bekleidet. Diplomatische Immunität genießen gem. Art. 31 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (WÜD) der Missionschef und die im diplomatischen Rang stehenden Mitgliedern des Personals einer Mission (Art. 1 Buchstaben e und d WÜD). Hierzu gehören Missionschefs, Gesandte, Räte, Sekretäre, Attachees, Gesandtschaftsseelsorger und Gesandtschaftsärzte (Lückemann, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 18 GVG Rn. 1), nicht aber konsularisches Personal.
Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf § 60 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 1605 BGB. Wer jemandem, der eine Leistung nach diesem Buch beantragt hat oder bezieht, zu Leistungen verpflichtet ist, die geeignet sind, Leistungen nach diesem Buch auszuschließen oder zu mindern, oder wer für ihn Guthaben führt oder Vermögensgegenstände verwahrt, hat der Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber sowie über damit im Zusammenhang stehendes Einkommen oder Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist, § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II. § 21 Abs. 3 Satz 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gilt entsprechend. Für die Feststellung einer Unterhaltsverpflichtung ist § 1605 Abs. 1 BGB anzuwenden (§ 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II). § 1605 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass Verwandte in gerader Linie einander verpflichtet sind, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Über die Höhe der Einkünfte sind auf Verlangen Belege, insbesondere Bescheinigungen des Arbeitgebers, vorzulegen, § 1605 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die §§ 260, 261 BGB sind entsprechend anzuwenden, § 1605 Abs. 1 Satz 3 BGB. Der Leistungsträger darf den auf § 60 SGB II beruhende Auskunftsanspruch durch Verwaltungsakt geltend machen (aus neuerer Zeit LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10; auch das BSG geht im Urteil vom 24.2.2011, B 14 AS 87/09 R, von einer Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes aus).
Die Auskunftspflicht setzt nicht voraus, dass ein Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten gegenüber der Klägerin festgestellt ist. Es entspricht allgemeinem Verständnis bei der Auslegung sozialrechtlicher Auskunftsverpflichtungen zulasten von Angehörigen, dass der (übergegangene oder übergeleitete) Unterhaltsanspruch, dessen Durchsetzung die Auskunftspflicht dient, nicht bestehen - genauer gesagt: nicht verbindlich festgestellt sein - muss. Auskunftspflichtig ist damit, wer als Unterhaltsschuldner in Betracht kommen kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.4.2008, L 12 SO 4/07). Ausgeschlossen ist eine Verpflichtung zur Auskunft nur dann, wenn der Unterhaltsanspruch offensichtlich nicht besteht (sog. Negativevidenz). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dies unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen bereits zu § 116 Abs. 1 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) entschieden (BVerwG, Urteil vom 21.1.1993, 5 C 22/90), und dasselbe gilt für andere Parallelvorschriften wie insbesondere § 117 SGB des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (hierzu etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1.9.2010, L 12 SO 61/09, m.w.N.; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117 Rn. 16), § 99 SGB X (hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.4.1990, 8 A 1662/88) und § 315 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III; hierzu Krodel, in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 315 Rn. 13; zumindest ähnlich auch KG Berlin, Beschluss vom 5.9.2001, 2 Ss 202/01 - 5 Ws (B) 551/01, 2 Ss 202/01, 5 Ws (B) 551/01). Auch § 60 Abs. 2 SGB II gebietet lediglich eine Prüfung der Negativevidenz (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.5.2008, L 29 B 214/08 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4.12.2007, L 19 B 130/07 AS; Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 60 Rn. 20; Steinmeyer, in: Gagel, SGB II /SGB III, 45. EL 2012, § 60 SGB II Rn. 31; Schoch, in: Münder, SGB II, 4. Aufl. 2011, § 60 Rn. 2; Herold-Tews, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 60 Rn. 8). Der Grund für diese Differenzierung liegt vor allem in dem gegliederten Rechtsschutzsystem, das unterhaltrechtliche Fragen den insoweit rechtswegmäßig kompetenten Zivilgerichten zuweist (aus neuerer Zeit LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.5.2012, L 20 SO 32/12). Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der Wortlaut von § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II Gegenteiliges suggeriert ("Wer jemandem ( ...) zu Leistungen verpflichtet ist"), allerdings liegt der Normzweck gerade darin, Feststellungen zum Bestehen oder Nichtbestehen eines der Eintrittspflicht des Grundsicherungsträgers vorgehenden Unterhaltsanspruchs zu ermöglichen (speziell zu § 60 Abs. 2 SGB II: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.5.2008, L 29 B 214/08 AS ER). Deutlich wird dies auch durch den Zusammenhang mit § 1605 Abs. 1 Satz 1 BGB, der ausdrücklich eine Auskunftspflicht anordnet, "soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist".
Ein Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten gegenüber der Klägerin ist nicht negativevident in diesem Sinne. Negativevidenz liegt vor, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.9.2008, L 20 SO 96/08). Bei der Bestimmung, wann Offensichtlichkeit in diesem Sinne vorliegt, bietet sich ein Rückgriff auf die Auslegung von § 40 Abs. 1 SGB X an, wonach ein Fehler offensichtlich ist, wenn ihn jeder Verständige und Urteilsfähige ohne besondere Sachkenntnis oder Heranziehung irgendwelcher Aufklärungsmittel erkennen kann, sich der Fehler also gleichsam aufdrängt (zum Ganzen Waschull, in: Diering/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 40 Rn. 19 m.w.N.). Hiermit scheidet Negativevidenz aber zugleich in allen Fallkonstellationen aus, in denen sich der Unterhaltsanspruch nur auf der Grundlage richterlicher Wertungen im Einzelfall verneinen lässt. Auch wenn erstens der Vortrag der Klägerin, ihr Sohn sei ihrem Ehemann und ihrem Bruder gegenüber gewalttägig geworden und habe beiden Platzwunden zugefügt, vollständig als wahr unterstellt und zweitens angenommen wird, der Leistungsberechtigte habe hierbei nicht im Zustand von Schuldunfähigkeit gehandelt (woran durchaus Zweifel bestehen, denn er wurde unmittelbar danach in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen), ergibt sich hieraus nicht zwangsläufig ein Ausschluss des Unterhaltsanspruchs. In Betracht kommt insoweit ein Entfallen oder eine Minderung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 Abs. 1 BGB: Nach Satz 1 der Vorschrift braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Verpflichtung fällt nach § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Die Vorschrift ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen (BGH, Urteil vom 15.9.2010, XII ZR 148/09) und erfordert - schon angesichts des zentralen Kriteriums der Billigkeit - eine eingehende richterliche Wertung des Geschehens (vgl. aus neuerer Zeit OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.5.2011,18 UF 165/09). Da jedenfalls einmalige Tätlichkeiten einen Unterhaltsanspruch nicht zwangsläufig ausschließen (OLG Karlsruhe, a.a.O.), bedürfte es einer eingehenden Wertung, wie sie jedoch den hierfür berufenen Familiengerichten überlassen bleiben muss. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.9.2009, L 20 SO 96/08). Auch die Antwort auf die im Zusammenhang mit einem Fehlverhaltensvorwurf stets aufgeworfene Frage der Schuldhaftigkeit ist nicht Sache der Sozialgerichtsbarkeit (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.5.2012, L 20 SO 32/12). Dasselbe gilt für den Einwand der Klägerin, sie habe den Unterhaltsanspruch bereits durch frühere Zuwendungen an den Leistungsberechtigten erfüllt.
Schließlich ist ein Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten gegenüber der Klägerin auch nicht etwa offensichtlich verjährt. Zunächst ergibt sich aus den angefochtenen Entscheidungen nicht ausdrücklich eine Beschränkung des übergegangenen Unterhaltsanspruchs. Aber auch bei Annahme einer solchen Beschränkung spricht viel dafür, dass die vom Beklagten vor dem Familiengericht erhobene Klage die Verjährung eines übergegangenen Unterhaltsanspruchs gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative BGB hemmt, denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann auch eine zunächst nur mit dem Auskunftsantrag erhobene Klage verjährungshemmende Wirkung entfalten (BGH, Urteil vom 23.3.2006, IV ZR 93/05). Weiterhin ist diese verjährungshemmende Wirkung auch nicht durch das Ruhen des familiengerichtlichen Verfahrens nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB entfallen, denn eine Unterbrechung und ein Aussetzen des Verfahrens nach Prozessrecht (hier offenbar nach § 251 der Zivilprozessordnung, ZPO) erfüllen den Tatbestand dieser Vorschrift nicht (BGH, Urteil vom 6.5.2004, IX ZR 205/00; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 204 Rn. 48 m.w.N.).
Eine andere Auslegung von § 60 Abs. 2 SGB II ist auch nicht von Verfassungs wegen – insbesondere nicht durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) - geboten. Zwar greift ein auf § 60 Abs. 2 SGB II gestütztes Auskunftsverlangen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein (speziell zu § 60 SGB II: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10; vgl. weiterhin BVerwG, Urteil vom 21.1.1993, 5 C 22/90 zu § 116 BSHG und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9.6.2008, L 20 SO 36/07 zu § 117 SGB XII), allerdings sind derartige Eingriffe nicht durchweg unzulässig. Der Einzelne muss Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die durch überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83 - Volkszählung, Mikrozensus; BVerfG, Beschluss vom 25.2.2008, 1 BvR 3255/07; BVerfG, Beschluss vom 13.8.2009, 1 BvR 1737/09). Mit der Überprüfung der Leistungsberechtigung bei Sozialleistungen verfolgen die Behörden einen bedeutsamen Gemeinwohlbelang (BVerfG, Beschluss vom 13.6.2007, 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05), denn es widerspricht dem Gedanken des sozialen Rechtsstaats, dass Mittel der Allgemeinheit mangels genügender Kontrolle auch in Fällen in Anspruch genommen werden können, in denen wirkliche Bedürftigkeit nicht vorliegt (BVerfG, Entscheidung vom 16.12.1958, 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57, 1 BvL 8/58; aus neuerer Zeit auch BVerfG, Beschluss vom 13.8.2009, 1 BvR 1737/09). Wie das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 21.1.1993, 5 C 22/90) bereits zu § 116 BSHG entschieden hat, reicht im Übrigen der in den §§ 67 bis 85 SGB X näher ausgeformte Schutz des Sozialgeheimnisses (§ 35 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, SGB I) grundsätzlich aus, um den Belangen des Auskunftspflichtigen hinreichend zu entsprechen. Hierbei kann offenbleiben, ob diesem Schutz bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen wird, dass der Beklagte eigene, von den Leistungsakten getrennte, Unterhaltsakten führt. Hat die Klägerin Anlass zur der Befürchtung, dass Unbefugte Akteneinsicht nehmen, so vermag sie sich unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 67 ff. SGB X dagegen zu wehren. Dies ist allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der vom Sozialgericht angewandte § 193 SGG ist nicht einschlägig, da die Klägerin nicht den Privilegierungstatbestand des § 183 SGG für sich in Anspruch nehmen kann (allgemein zur Anwendbarkeit von § 197a Abs. 1 SGG auf Auskunftsstreitigkeiten BSG, Urteil vom 24.2.2011, B 14 AS 87/09 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10). Somit ist die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil zu ändern.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin dem Beklagten zur Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse verpflichtet ist.
Die Klägerin ist Vizekonsulin der Konsularabteilung der b. Botschaft in B. und zuständig für die Konsularangelegenheiten in H., B1, N. und S ... Sie ist Mutter des am XXXXX 1983 geborenen R.J. (i.F.: Leistungsberechtigter). Der Leistungsberechtigte, für den im Dezember 2006 eine Betreuung eingerichtet worden war, lebte nach eigenen Angaben bis Ende Januar 2007 in der elterlichen Wohnung und verließ diese nach einer tätlichen Auseinandersetzung. Anschließend hielt er sich zunächst in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums H.-E. auf. Seinen am 1. Februar 2007 gestellten Leistungsantrag begründete er damit, er habe die elterliche Wohnung nach einem Fall häuslicher Gewalt verlassen müssen. Seit dem 29. Januar 2007 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten.
Mit Bescheid vom 1. März 2007 zeigte der Beklagte rechtswahrend die Überleitung etwaiger gegenwärtiger und zukünftiger Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten gegen die Klägerin an und forderte sie auf, bis zum 25. März 2007 Auskunft über ihr gesamtes Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit einschließlich aller Sonderzuwendungen sowie Steuererstattungen für den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 28. Februar 2007 zu geben und Gehaltsbescheinigungen sowie Steuerbescheide vorzulegen.
Ihren am 29. März 2007 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, der Leistungsberechtigte habe seinen Unterhaltsanspruch dadurch verwirkt, dass er ihr gegenüber gewalttätig geworden sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 11. April 2007 zurück: Die Auskunftsverpflichtung nach § 60 Abs. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 1605 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) setze nicht das Bestehen, sondern allein die Möglichkeit eines Unterhaltsanspruchs voraus. Von vornherein ausgeschlossen erscheine ein Unterhaltsanspruch allerdings nicht. Auch wenn der Leistungsberechtigte gegenüber der Klägerin gewalttätig gewesen sein sollte, so könne der Grund hierfür in seiner psychischen Erkrankung liegen, wodurch möglicherweise schuldhaftes Handeln ausgeschlossen gewesen sei.
Am 13. April 2007 erhob der Beklagte vor dem Amtsgericht Hamburg - Familiengericht - Klage (Az. 267 F 64/07) mit dem Antrag, die Klägerin zur Auskunft über ihr Einkommen im Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2007 und über ihr Vermögen am 31. März 2007 (sowie zur Vorlage genau bezeichneter Belege und zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung) zu verurteilen. Er berief sich auf einen Forderungsübergang nach § 33 SGB II und führte aus, der Leistungsberechtigte schildere die Umstände, unter denen er die elterliche Wohnung verlassen habe, genau umgekehrt, nämlich dahingehend, dass er Opfer häuslicher Gewalt geworden sei. Fest stehe jedenfalls, dass der Leistungsberechtigte seit zwei Jahren dauerhaft psychisch erkrankt sei und deswegen keine Erwerbstätigkeit ausüben könne. Aus diesem Grunde bestehe auch ein Unterhaltsanspruch gegenüber der Klägerin. Die Klägerin wandte ein, sie sei als b. Vizekonsulin dem Beklagten gegenüber nicht zur Auskunft verpflichtet. Weiterhin bestehe ein Unterhaltsanspruch nicht, nachdem der Leistungsberechtigte ihrem Ehemann und ihrem Bruder gegenüber gewalttätig geworden sei. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2008 hat das Amtsgericht das Ruhen des dortigen Verfahrens angeordnet.
Gegen den Bescheid vom 1. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 hat die Klägerin am 11. Mai 2007 Klage erhoben, die das Sozialgericht durch Urteil vom 12. Februar 2010 abgewiesen hat: Der Auskunftsanspruch des Beklagten sei grundsätzlich unabhängig vom Bestehen eines Unterhaltsanspruchs. Er entfalle nur dann, wenn der Unterhaltsanspruch offensichtlich nicht bestehe, was hier aber nicht der Fall sei. Auf konsularische Immunität könne sich die Klägerin nicht berufen, denn das Auskunftsverlangen stehe nicht im Zusammenhang mit ihren konsularischen Aufgaben.
Am 23. April 2010 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie führt aus, eine Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 2 SGB II setze voraus, dass ein Unterhaltsanspruch tatsächlich bestehe. Nur diese Auslegung werde dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerecht. Insoweit habe das Sozialgericht aufzuklären versäumt, ob ein Unterhaltsanspruch bestehe. Dies sei nicht der Fall, denn die Klägerin habe dem Leistungsempfänger zunächst in ihrem Haushalt Unterhalt gewährt. Diese Form der Unterhaltsleistung sei dann aufgrund eines erheblichen Fehlverhaltens des Leistungsempfängers beendet worden. Der Leistungsberechtigte habe den Ehemann und den Bruder der Klägerin angegriffen und beiden Platzwunden zugefügt. Überdies sei der Unterhaltsanspruch inzwischen verjährt. Schließlich sie als Angehörige des b. Konsulats deutschen Behörden gegenüber nicht zur Auskunft verpflichtet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 1. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 aufzuheben
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat am 9. August 2012 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte sowie die beigezogene Prozessakte des Amtsgerichts Hamburg - Familiengericht -, Az. 267 F 64/07, und die Unterhaltsakte des Beklagten verwiesen.
&8195;
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist zulässig. Ein Sachentscheidungshindernis ergibt sich nicht aus dem Status der Klägerin als b. Vizekonsulin. Zwar sind Mitglieder konsularischer Vertretungen nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (WÜK) gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit, jedoch bedeutet dies nicht etwa im Umkehrschluss, dass sie auch kein deutsches Gericht anrufen dürften (vgl. für Diplomaten: BVerwG, Urteil vom 29.2.1996, 5 C 23/95; KG B., Beschluss vom 10.6.2010, 1 VA 8/10; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.2.1992, 8 B 536/92).
Auch das (derzeit ruhende) familiengerichtliche Verfahren stellt kein Sachentscheidungshindernis in Form anderweitiger Rechtshängigkeit dar, denn es richtet sich nicht auf Aufhebung der im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheide. Überdies stützt sich die familiengerichtliche Klage des hiesigen Beklagten nicht auf den Auskunftsanspruch aus § 60 SGB II, sondern auf den aus § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB II i.V.m. § 1605 BGB, der zivilrechtlicher Natur ist (hierzu etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10).
Die Berufung ist unbegründet. Der Beklagte verlangt von der Klägerin zu Recht Auskunft.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf konsularische oder diplomatische Immunität berufen. Die konsularische Immunität ist im WÜK, das insoweit gem. Art. 25 des Grundgesetzes (GG) Anwendung findet, als reine Amtsimmunität ausgestaltet, d.h. die begünstigten Personen unterliegen nur wegen Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden, nicht der hoheitlichen Gewalt des Empfängerstaates (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.7.2004, 2 Ss 42/04; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 5.11.1991, 1 Ob OWi 345/91; OLG Hamburg, Beschluss vom 30.6.1988, 1 Ss 83/88, alle jeweils zur Unterworfenheit unter die Judikative). Nach Art. 43 Abs. 1 WÜK unterliegen Konsularbeamte nur wegen Handlungen, die in Wahrnehmung der in Art. 5 WÜK definierten konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, nicht den Eingriffen der Verwaltungsbehörden des Empfängerstaates. Die angefochtenen Entscheidungen betreffen keines dieser Aufgabengebiete. Auf diplomatische Immunität kann sich die Klägerin nicht berufen, da sie keinen diplomatischen Rang bekleidet. Diplomatische Immunität genießen gem. Art. 31 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (WÜD) der Missionschef und die im diplomatischen Rang stehenden Mitgliedern des Personals einer Mission (Art. 1 Buchstaben e und d WÜD). Hierzu gehören Missionschefs, Gesandte, Räte, Sekretäre, Attachees, Gesandtschaftsseelsorger und Gesandtschaftsärzte (Lückemann, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 18 GVG Rn. 1), nicht aber konsularisches Personal.
Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf § 60 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 1605 BGB. Wer jemandem, der eine Leistung nach diesem Buch beantragt hat oder bezieht, zu Leistungen verpflichtet ist, die geeignet sind, Leistungen nach diesem Buch auszuschließen oder zu mindern, oder wer für ihn Guthaben führt oder Vermögensgegenstände verwahrt, hat der Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber sowie über damit im Zusammenhang stehendes Einkommen oder Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist, § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II. § 21 Abs. 3 Satz 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gilt entsprechend. Für die Feststellung einer Unterhaltsverpflichtung ist § 1605 Abs. 1 BGB anzuwenden (§ 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II). § 1605 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass Verwandte in gerader Linie einander verpflichtet sind, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Über die Höhe der Einkünfte sind auf Verlangen Belege, insbesondere Bescheinigungen des Arbeitgebers, vorzulegen, § 1605 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die §§ 260, 261 BGB sind entsprechend anzuwenden, § 1605 Abs. 1 Satz 3 BGB. Der Leistungsträger darf den auf § 60 SGB II beruhende Auskunftsanspruch durch Verwaltungsakt geltend machen (aus neuerer Zeit LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10; auch das BSG geht im Urteil vom 24.2.2011, B 14 AS 87/09 R, von einer Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes aus).
Die Auskunftspflicht setzt nicht voraus, dass ein Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten gegenüber der Klägerin festgestellt ist. Es entspricht allgemeinem Verständnis bei der Auslegung sozialrechtlicher Auskunftsverpflichtungen zulasten von Angehörigen, dass der (übergegangene oder übergeleitete) Unterhaltsanspruch, dessen Durchsetzung die Auskunftspflicht dient, nicht bestehen - genauer gesagt: nicht verbindlich festgestellt sein - muss. Auskunftspflichtig ist damit, wer als Unterhaltsschuldner in Betracht kommen kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.4.2008, L 12 SO 4/07). Ausgeschlossen ist eine Verpflichtung zur Auskunft nur dann, wenn der Unterhaltsanspruch offensichtlich nicht besteht (sog. Negativevidenz). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dies unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen bereits zu § 116 Abs. 1 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) entschieden (BVerwG, Urteil vom 21.1.1993, 5 C 22/90), und dasselbe gilt für andere Parallelvorschriften wie insbesondere § 117 SGB des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (hierzu etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1.9.2010, L 12 SO 61/09, m.w.N.; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117 Rn. 16), § 99 SGB X (hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.4.1990, 8 A 1662/88) und § 315 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III; hierzu Krodel, in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 315 Rn. 13; zumindest ähnlich auch KG Berlin, Beschluss vom 5.9.2001, 2 Ss 202/01 - 5 Ws (B) 551/01, 2 Ss 202/01, 5 Ws (B) 551/01). Auch § 60 Abs. 2 SGB II gebietet lediglich eine Prüfung der Negativevidenz (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.5.2008, L 29 B 214/08 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4.12.2007, L 19 B 130/07 AS; Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 60 Rn. 20; Steinmeyer, in: Gagel, SGB II /SGB III, 45. EL 2012, § 60 SGB II Rn. 31; Schoch, in: Münder, SGB II, 4. Aufl. 2011, § 60 Rn. 2; Herold-Tews, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 60 Rn. 8). Der Grund für diese Differenzierung liegt vor allem in dem gegliederten Rechtsschutzsystem, das unterhaltrechtliche Fragen den insoweit rechtswegmäßig kompetenten Zivilgerichten zuweist (aus neuerer Zeit LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.5.2012, L 20 SO 32/12). Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der Wortlaut von § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II Gegenteiliges suggeriert ("Wer jemandem ( ...) zu Leistungen verpflichtet ist"), allerdings liegt der Normzweck gerade darin, Feststellungen zum Bestehen oder Nichtbestehen eines der Eintrittspflicht des Grundsicherungsträgers vorgehenden Unterhaltsanspruchs zu ermöglichen (speziell zu § 60 Abs. 2 SGB II: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.5.2008, L 29 B 214/08 AS ER). Deutlich wird dies auch durch den Zusammenhang mit § 1605 Abs. 1 Satz 1 BGB, der ausdrücklich eine Auskunftspflicht anordnet, "soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist".
Ein Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten gegenüber der Klägerin ist nicht negativevident in diesem Sinne. Negativevidenz liegt vor, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.9.2008, L 20 SO 96/08). Bei der Bestimmung, wann Offensichtlichkeit in diesem Sinne vorliegt, bietet sich ein Rückgriff auf die Auslegung von § 40 Abs. 1 SGB X an, wonach ein Fehler offensichtlich ist, wenn ihn jeder Verständige und Urteilsfähige ohne besondere Sachkenntnis oder Heranziehung irgendwelcher Aufklärungsmittel erkennen kann, sich der Fehler also gleichsam aufdrängt (zum Ganzen Waschull, in: Diering/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 40 Rn. 19 m.w.N.). Hiermit scheidet Negativevidenz aber zugleich in allen Fallkonstellationen aus, in denen sich der Unterhaltsanspruch nur auf der Grundlage richterlicher Wertungen im Einzelfall verneinen lässt. Auch wenn erstens der Vortrag der Klägerin, ihr Sohn sei ihrem Ehemann und ihrem Bruder gegenüber gewalttägig geworden und habe beiden Platzwunden zugefügt, vollständig als wahr unterstellt und zweitens angenommen wird, der Leistungsberechtigte habe hierbei nicht im Zustand von Schuldunfähigkeit gehandelt (woran durchaus Zweifel bestehen, denn er wurde unmittelbar danach in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen), ergibt sich hieraus nicht zwangsläufig ein Ausschluss des Unterhaltsanspruchs. In Betracht kommt insoweit ein Entfallen oder eine Minderung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 Abs. 1 BGB: Nach Satz 1 der Vorschrift braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Verpflichtung fällt nach § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Die Vorschrift ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen (BGH, Urteil vom 15.9.2010, XII ZR 148/09) und erfordert - schon angesichts des zentralen Kriteriums der Billigkeit - eine eingehende richterliche Wertung des Geschehens (vgl. aus neuerer Zeit OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.5.2011,18 UF 165/09). Da jedenfalls einmalige Tätlichkeiten einen Unterhaltsanspruch nicht zwangsläufig ausschließen (OLG Karlsruhe, a.a.O.), bedürfte es einer eingehenden Wertung, wie sie jedoch den hierfür berufenen Familiengerichten überlassen bleiben muss. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.9.2009, L 20 SO 96/08). Auch die Antwort auf die im Zusammenhang mit einem Fehlverhaltensvorwurf stets aufgeworfene Frage der Schuldhaftigkeit ist nicht Sache der Sozialgerichtsbarkeit (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.5.2012, L 20 SO 32/12). Dasselbe gilt für den Einwand der Klägerin, sie habe den Unterhaltsanspruch bereits durch frühere Zuwendungen an den Leistungsberechtigten erfüllt.
Schließlich ist ein Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten gegenüber der Klägerin auch nicht etwa offensichtlich verjährt. Zunächst ergibt sich aus den angefochtenen Entscheidungen nicht ausdrücklich eine Beschränkung des übergegangenen Unterhaltsanspruchs. Aber auch bei Annahme einer solchen Beschränkung spricht viel dafür, dass die vom Beklagten vor dem Familiengericht erhobene Klage die Verjährung eines übergegangenen Unterhaltsanspruchs gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative BGB hemmt, denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann auch eine zunächst nur mit dem Auskunftsantrag erhobene Klage verjährungshemmende Wirkung entfalten (BGH, Urteil vom 23.3.2006, IV ZR 93/05). Weiterhin ist diese verjährungshemmende Wirkung auch nicht durch das Ruhen des familiengerichtlichen Verfahrens nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB entfallen, denn eine Unterbrechung und ein Aussetzen des Verfahrens nach Prozessrecht (hier offenbar nach § 251 der Zivilprozessordnung, ZPO) erfüllen den Tatbestand dieser Vorschrift nicht (BGH, Urteil vom 6.5.2004, IX ZR 205/00; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 204 Rn. 48 m.w.N.).
Eine andere Auslegung von § 60 Abs. 2 SGB II ist auch nicht von Verfassungs wegen – insbesondere nicht durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) - geboten. Zwar greift ein auf § 60 Abs. 2 SGB II gestütztes Auskunftsverlangen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein (speziell zu § 60 SGB II: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10; vgl. weiterhin BVerwG, Urteil vom 21.1.1993, 5 C 22/90 zu § 116 BSHG und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9.6.2008, L 20 SO 36/07 zu § 117 SGB XII), allerdings sind derartige Eingriffe nicht durchweg unzulässig. Der Einzelne muss Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die durch überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83 - Volkszählung, Mikrozensus; BVerfG, Beschluss vom 25.2.2008, 1 BvR 3255/07; BVerfG, Beschluss vom 13.8.2009, 1 BvR 1737/09). Mit der Überprüfung der Leistungsberechtigung bei Sozialleistungen verfolgen die Behörden einen bedeutsamen Gemeinwohlbelang (BVerfG, Beschluss vom 13.6.2007, 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05), denn es widerspricht dem Gedanken des sozialen Rechtsstaats, dass Mittel der Allgemeinheit mangels genügender Kontrolle auch in Fällen in Anspruch genommen werden können, in denen wirkliche Bedürftigkeit nicht vorliegt (BVerfG, Entscheidung vom 16.12.1958, 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57, 1 BvL 8/58; aus neuerer Zeit auch BVerfG, Beschluss vom 13.8.2009, 1 BvR 1737/09). Wie das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 21.1.1993, 5 C 22/90) bereits zu § 116 BSHG entschieden hat, reicht im Übrigen der in den §§ 67 bis 85 SGB X näher ausgeformte Schutz des Sozialgeheimnisses (§ 35 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, SGB I) grundsätzlich aus, um den Belangen des Auskunftspflichtigen hinreichend zu entsprechen. Hierbei kann offenbleiben, ob diesem Schutz bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen wird, dass der Beklagte eigene, von den Leistungsakten getrennte, Unterhaltsakten führt. Hat die Klägerin Anlass zur der Befürchtung, dass Unbefugte Akteneinsicht nehmen, so vermag sie sich unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 67 ff. SGB X dagegen zu wehren. Dies ist allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der vom Sozialgericht angewandte § 193 SGG ist nicht einschlägig, da die Klägerin nicht den Privilegierungstatbestand des § 183 SGG für sich in Anspruch nehmen kann (allgemein zur Anwendbarkeit von § 197a Abs. 1 SGG auf Auskunftsstreitigkeiten BSG, Urteil vom 24.2.2011, B 14 AS 87/09 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2011, L 13 AS 4950/10). Somit ist die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil zu ändern.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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