L 3 R 92/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 49 R 984/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 92/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.

Die Klägerin ist 1952 in der T. geboren. Eine Berufsausbildung hat sie nicht absolviert. Die Klägerin ist verheiratet, aus der 1973 geschlossenen Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Sie führt einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 aufgrund Neufeststellungsbescheides vom 18. Februar 2009, welcher einen Diabetes Mellitus, eine psychische Minderbelastbarkeit mit funktionellen Organbeschwerden, Kopfschmerzen und ein Karpaltunnelsyndrom beidseits berücksichtigt. Nach ihrer Übersiedelung in die Bundesrepublik im Jahr 1969 war die Klägerin zunächst von 1971 bis 1983 bei unterschiedlichen Arbeitgebern als Küchenhilfe, Gärtnergehilfin und Packerin beschäftigt. Von 1999 bis 2005 war sie erneut als Packerin tätig. Seit Oktober 2005 war die Klägerin wegen nervlicher Probleme arbeitsunfähig.

Im Dezember 2005 wurde erstmals eine medizinische Rehabilitation in der Fachklinik G. durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 20. Februar 2006 heißt es, anamnestisch ließen die situativen Auslöser der multiplen Schmerzsymptomatik eine psychosomatische Konfliktlösungsstrategie vermuten. Funktionell sicherten die multiplen somatischen Beschwerden der Patientin Rückzugsmöglichkeiten und gäben ihr Gelegenheit, ihren Unmut zu legitimieren. Es handele sich um eine chronifizierte Symptomatik. Die Klägerin wurde mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei qualitativen Einschränkungen ab 6-8 Wochen nach Abschluss der Rehamaßnahme bei Fortführung der Therapie entlassen. Ab November 2007 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II, am 28. Januar 2008 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente.

Die Beklagte holte ein neurologisch-psychiatrisches und ein orthopädisches Gutachten ein. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. M1 kam in ihrem Gutachten vom 9. Mai 2008 zu der Einschätzung, die Klägerin leide seit vielen Jahren unter Kopf- und Rückenschmerzen sowie unter Depressionen. Es lasse sich infolge dessen eine erhöhte Erschöpfbarkeit und Irritabilität feststellen, jedoch gebe es keine Hinweise auf eine vitale Depressivität oder eine Angststörung. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne erhöhtes Stressaufkommen, ohne Nachtschichtarbeit und ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen täglich sechs Stunden und mehr ausüben. Der Orthopäde Dr. N. fand bei der Klägerin Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 ohne eindeutige Nervenwurzelkompression vor. Außerdem habe die Klägerin angegeben, unter chronischen Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Beine zu leiden. Es fehle aber an einem entsprechenden klinischen Korrelat. Es lasse sich eine Beschwerdebetonung mit Verdeutlichungstendenz wahrnehmen. Die Klägerin könne im Ergebnis leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne erhöhtes Stressaufkommen, ohne Nachtschichtarbeit und ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen sechs Stunden und mehr ausüben.

Die Beklagte lehnte daraufhin die Gewährung der beantragten Rente mit Bescheid vom 27. Mai 2008 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. August 2008).

Mit der daraufhin rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiter verfolgt und geltend gemacht, sie leide unter Angst- und Panikattacken, einer Stressinkontinenz, Funktionsstörungen der Hände nach Karpaltunneloperationen und chronischen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie chirurgisches und ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Chirurg Dr. K1 hat in seinem Gutachten vom 24. Februar 2009 ausgeführt, die Klägerin leide unter einer Verschmächtigung der rechten Schultergürtel, -kappen und –blattmuskulatur, einer Beweglichkeitseinschränkung des rechten Schultergelenkes in allen Ebenen, einer schmerzhaften Belastungsminderung des rechten Daumensattelgelenkes mit Kapselreizzustand, einer Verschmächtigung der linken Hüft- und Oberschenkelmuskulatur und einer Beweglichkeitseinschränkung des linken Hüftgelenkes. Aus einer Computertomografie der Lendenwirbelsäule vom 9.4.2008 ergebe sich keine pathologische Einengung des Rückenmarkkanals, die Bandscheiben L4/5 und L5/S1 wölbten sich über die Hinterkante etwas hervor, der Befund bei L5/S1 entspreche nach röntgenmorphologischen Kriterien einem Grenzbefund zum Bandscheibenvorfall. Aus orthopädischer Sicht sei die Klägerin noch in der Lage, leichte und auch mittelschwere Arbeiten ohne Überkopfarbeiten, ohne Zwangshaltungen in ständiger Rumpfvorbeuge oder mit erhöhter Belastung des Achsenskeletts, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Akkordarbeiten vollschichtig zu verrichten.

Dem Neurologe und Psychiater Dr. L. hat die Klägerin, wie sich aus seinem Gutachten vom 5. Mai 2009 ergibt, Schmerzen am ganzen Körper geklagt. Insbesondere von Seiten des Rückens gehe es ihr deutlich schlechter. Sie habe jetzt einen Bandscheibenvorfall erlitten, sie könne sich jetzt kaum noch bewegen. Der L. hat weiter ausgeführt, im Befund finde sich ausweislich der Computertomografie vom 7. April 2009 ein knopfförmiger Bandscheibenvorfall, der die Nervenwurzel S1 rechts komprimiere. In der neurologischen Untersuchung habe sich – anders als noch bei der Untersuchung durch Dr. K1 - ein Nervenwurzeldehnungsschmerz rechts, eine erheblich eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule, ein kaum förderndes, mühsam mit starker Schmerzangabe verbundenes Gangbild gefunden. Insgesamt bestehe somit ein Wurzelkompressionssyndrom S1 rechts mit glaubhaften Schmerzen unter Zugrundelegung einer Befundverschlechterung in der Befundung der Computertomografie. In psychopathologischer Hinsicht finde sich ein Verstimmungszustand vor dem Hintergrund der starken Schmerzen, von diesen kaum zu trennen, für sich genommen aber sicherlich maximal mittelschweren Ausmaßes im Rahmen einer mäßigen bis maximal mittelschweren Depressivität, die für sich allein genommen sicherlich keinen leistungsaufhebenden Charakter habe. Insgesamt sei somit die Leistungsbeurteilung schwierig, aufgrund des sich aktuell ergebenden Bildes bestehe zumindest vorübergehend Leistungsunfähigkeit für jedwede Arbeit von wirtschaftlichem Wert und es bestehe auch eine aufgehobenen Wegefähigkeit. Es werde zunächst für einen Zeitraum von einem Jahr von vollständiger Leistungsunfähigkeit ausgegangen.

Für die Beklagte hat zu dieser Einschätzung am 8. Juli 2009 Frau Dr. M1 dahingehend Stellung genommen, dass in Kenntnis des Gutachtens und des zitierten Befundes eines knopfförmigen Bandscheibenvorfalles eine klinische Symptomatik in einem Ausmaß, welches Leistungsunfähigkeit bedingen würde, kaum vorstellbar sei.

Am 26. April 2011 hat daraufhin der chirurgische Sachverständige Dr. K1 die Klägerin erneut untersucht. Er hat ausgeführt, die geplante Untersuchung habe nicht durchgeführt werden können, da die Klägerin eigenständig die Arme nicht bewegt und der passiven Funktionsprüfung muskulärer kraftvoll entgegengewirkt habe. Demonstriert worden sei ein stark rechtshinkendes Gangbild. Der Wechsel vom Rechts- auf den Linksbeinstand sei gelungen. Bei der weiteren Untersuchung sei die Rumpfvorbeuge nur ansatzweise ausgeübt worden. Bei der Untersuchung der Seitneigung sei die Wirbelsäule kaum bewegt worden, die Unterstützung durch den Untersucher sei mit einer deutlichen muskulären Gegenspannung beantwortet worden. Der zuvor frei bewegte Kopf sei in der direkten Untersuchungssituation muskulärer fixiert worden. Der Versuch, die oberen Extremitäten zu untersuchen, sei fehlgeschlagen. Es habe keine Möglichkeit bestanden, klinische Funktionsbefunde zu erheben. Zur Befundung hätten die Aufnahmen der Computertomographie von April 2009 vorgelegen. Dort stelle sich im Segment L5/S1 eine breitbasige Protrusion mit einem umschriebenen rechtsgelegten Vorfall dar. Dieser grenze nahe an den Austritt der Wurzel aus dem Dura-Schlauch. Eine grobe Verdrängung des Dura-Schlauches sei nicht zu erkennen. Die Zwischenwirbelgelenke in diesem Abschnitt seien nicht auffällig ausgezogen. Die Kapselweichteile dort seien nicht verdickt. Eine anatomische Enge des Rückenmarkkanals in diesem Bereich sei nicht zu erkennen. Die starke Schmerzhaftigkeit, die von der Klägerin auch im Bereich der Brustwirbelsäule und der Halswirbelsäule angegeben werde, sei bislang ohne entsprechendes anatomisch-morphologisches Korrelat geblieben. Auch unter Berücksichtigung der oben zitierten Computertomographie sei das Ausmaß der von der Klägerin angegebenen Beschwerden schlecht zu korrelieren. Aus chirurgischer Sicht bleibe auf der Basis der bisherigen aktenkundigen medizinischen Befundberichte ein Leistungsvermögen erhalten, welches leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung zulasse und Überkopfarbeiten aufgrund der Funktionseinschränkung im rechten Arm nicht abfordere. Ein derartiges Leistungsvermögen sei für sechs Stunden und mehr noch zu unterstellen.

Das Sozialgericht hat daraufhin mit Urteil vom 9. Mai 2011 die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen der Beurteilung des Dr. K1 angeschlossen. Die Kammer habe sich auch nicht davon zu überzeugen vermocht, dass zwischenzeitlich das Leistungsvermögen für einen Zeitraum von einem Jahr aufgehoben gewesen sei. Dr. K1 habe in der mündlichen Verhandlung für die Kammer überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen er der dahingehenden Auffassung des Dr. L. nicht gefolgt sei. Hiernach sei auch überzeugend gewesen, dass Dr. L. selbst eingeräumt habe, eine Leistungseinschätzung sei schwierig und er halte aus diesem Grund eine chirurgische Zusatzbegutachtung für angezeigt. Mit der zweiten Stellungnahme des Dr. K1 sei es zur Überzeugung der Kammer nunmehr ausgeschlossen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin in der Vergangenheit für einen rentenrechtlich relevanten Zeitraum aufgehoben gewesen sei. Auf die Entscheidung, welche den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. Juni 2011 zugestellt worden ist, wird ergänzend Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 7. Juli 2011 Berufung eingelegt. Sie beruft sich auf das Gutachten des Dr. L. und darauf, dass bei ihr zumindest im Jahre 2009 und auch darüber hinaus kein Leistungsvermögen mehr vorhanden sei.

Auf Veranlassung des Berufungsgerichts hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. M. die Klägerin am 17. September 2013 untersucht. Dieser fand bei ihr eine depressive Störung, welche sich seit mehreren Jahren entwickelt und auch in der von ihm durchgeführten Untersuchung dargestellt habe. Diese sei charakterisiert durch eine Bedrücktheit und wenig Elan, verminderte Lebensfreude, Klagsamkeit und ein Sich-Unzulänglich-Fühlen. Dieser Zustand werde in der ICD-10 als Dysthymie beschrieben. Zwischenzeitlich sei es zu depressiven Zuspitzungen im Sinne einer leicht bis mittelgradigen depressiven Episode gekommen. Ein solcher Zustand sei beispielsweise dokumentiert durch den Befundbericht aus der Rehaklinik G., wo es allerdings zu einer Besserung des Zustandes gekommen sei. Die von der Klägerin angegebene Ausstrahlung ihrer unteren Rückenschmerzen sei am ehesten als ein Hinweis auf eine Reizsymptomatik der Nervenwurzel S1 links zu deuten. Eine solche Bedrängung sei jedoch in den verschiedenen bildgebenden Untersuchungen der Lendenwirbelsäule bisher nicht beschrieben worden. Der starke Wechsel der ausstrahlenden Rückenschmerzen, mal nach rechts und mal nach links, spreche eher gegen ausschließlich organisch begründete Schmerzzustände. Allerdings weise die Klägerin zahlreiche degenerative Lendenwirbel- und Brustwirbelsäulenveränderungen auf, so dass unterschiedliche radikuläre Reizsyndrome durchaus auftreten könnten, aber eben kein S1-Syndrom links. Aufgrund der erhobenen Befunde lasse sich feststellen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin beeinträchtigt sei durch eine chronifizierte depressive Störung, überwiegend leichteren Grades in Verbindung mit einer Somatisierungsneigung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. Die Klägerin könne einfache Tätigkeiten geistiger Art oder leichte körperliche Tätigkeiten mit jeweils nur geringer Verantwortung ohne besonderen Zeitdruck, ohne Akkord und ohne Schicht- und Nachtarbeit regelmäßig vollschichtig verrichtet. Nicht von der Hand zu weisen sei allerdings, dass es im Jahre 2009 vorübergehend zu einer erheblichen Befundverschlechterung gekommen sei, die eine damalige Leistungsunfähigkeit für mehr als sechs Monate medizinisch als nachvollziehbar erscheinen lassen könne.

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2013 hat der Sachverständige hierzu ergänzend ausgeführt, er habe bei der Klägerin einen rechtsseitig abgeschwächten Achillessehnenreflex festgestellt. Da diese Sehne von den Nerven S1 versorgt werde, sei dies durchaus ein Anhalt dafür, dass die Klägerin hier einen Bandscheibenvorfall mit Nervenbeeinträchtigung, wie von Dr. L. geschildert, durchgemacht habe. Linksseitig habe er eine leichte Umfangsverminderung des Oberschenkels und ein sehr leichtes Schonhinken festgestellt. Im psychischen Befund habe er eine Bedrücktheit und einen verminderten Elan festgestellt. Aktenkundig sei, dass die Klägerin seit mehreren Jahren unter depressiven Verstimmungen unterschiedlicher Ausprägung leide. Eine dauerhafte Verschlimmerung dieses Zustandes sei nicht festzustellen und ergebe sich auch nicht aus dem Befundbericht der Dr. H ... Die S1-Wurzel links sei nicht lädiert bzw. ergebe sich insoweit kein Befund durch die bildgebenden Verfahren. Die Klägerin beklage glaubhafte Schmerzen in der linken Schulter, der im Termin vorgelegte radiologischer Befund von Juli 2013, aus welchem sich ein Impingement und eine Arthrose in der linken Schulter ergeben, mache diese Schmerzen schlüssig. Es handele sich insoweit aber um ein Behandlungsleiden. Fundierte Hinweise auf eine akute Nervenwurzelreizsymptomatik bestünden nicht. Angaben zum Verlauf der Leidensgeschichte, insbesondere ab Begutachtung durch Dr. L., seien von der Klägerin nicht zu erhalten gewesen und fänden sich auch in der Akte nicht. Die damalige Prognose des Dr. L., die Klägerin sei ca. ein Jahr lang nicht leistungsfähig, sei medizinisch schwierig zu beurteilen. Überwiegend sei in einem solchen Fall wohl die Einschätzung einer drei bis sechs Monate anhaltenden Leistungsunfähigkeit verbreitet. Dr. L. stehe mit seiner Prognose somit eher am "Extrem-Rand". Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass bei einer solchen Symptomatik verschiedene Verläufe denkbar seien. Häufig bilde sie sich innerhalb von Wochen wieder zurück. Bandscheiben hätten die Eigenart, sich üblicherweise wieder zurückzuziehen. Manchmal bleibe die Symptomatik aber über einen längeren Zeitraum erhalten oder verschlimmere sich sogar. Vorliegend gebe es indes keine Anknüpfungstatsachen dafür, dass sich die Symptomatik im Falle der Klägerin zugespitzt habe. Auch der verbliebene eingeschränkte Achillessehnenreflex lasse keine Rückschlüsse darauf zu, wie lange der Zustand in der von Dr. L. festgestellten Schärfe damals angehalten habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Hamburg vom 9. Mai 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles vom 28. Januar 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt ihren angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf die durchgeführten Begutachtungen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Klägerin steht eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nicht zu.

Der Rentenanspruch der Klägerin richtet sich nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI. Demnach haben Versicherte unter weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs. 1). Ist der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, so ist er voll erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie ist nach Überzeugung des Gerichts weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, sondern in der Lage, körperlich leichte Arbeiten mit gewissen unwesentlichen qualitativen Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat hält die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts für zutreffend und nimmt auf sie Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies gilt umso mehr, als die im Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen eine für den von der Klägerin verfolgten Anspruch günstigere Beurteilung des Sachverhalts nicht rechtfertigen. Vielmehr hat der Sachverständige Prof. Dr. M. nach Exploration und Untersuchung der Klägerin die Richtigkeit der Bewertung ihrer Erwerbsfähigkeit durch das Sozialgericht bestätigt, indem er ausgeführt hat, die von ihr geltend gemachte Verschlimmerung des seelischen Zustandes habe sich weder in der Untersuchung feststellen lassen, noch lasse sie sich den Befundberichten der behandelnden Nervenärzte entnehmen. Für die von der Klägerin beklagte Stärke der Schmerzen am Bewegungsapparat gebe es kein überzeugendes organisches Korrelat. Die Klägerin hat konkrete Einwände gegen diese Feststellungen und Bewertungen nicht erhoben, sondern lediglich stärkere Beeinträchtigungen als die bisher angenommenen durch Beschwerden auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Gebiet geltend gemacht. Diese haben sich indes aufgrund des eingeholten Gutachtens nicht bestätigt.

Davon, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente für einen begrenzten Zeitraum (vgl. § 102 Abs. 2 SGB VI) nach der Begutachtung durch Dr. L. im Jahr 2009 erfüllt hätte, hat sich der Senat nicht mit der notwendigen Gewissheit überzeugen können. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI muss die gesundheitliche Beeinträchtigung auf nicht absehbare Zeit vorliegen. In Anlehnung an die Vorschrift des § 101 Abs. 1 SGB VI, wonach befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erst ab dem siebten Kalendermonat nach Eintritt der Erwerbsminderung zu leisten sind, ist hier von einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten auszugehen. Ob dieses Merkmal der (Mindest-) Dauer der Leistungseinschränkung vorliegt, ist rückschauend für die Zeit seit Beginn der Leistungseinschränkung zu prüfen (LSG München, Beschl. v. 2.2.2010 – L 19 R 1039/09 ER –, Juris Rn. 12 -; LSG Darmstadt, Urt. v. 22.2.2013 – L 5 R 211/12 Juris Rn. 42 ff. jeweils m.w.N.). Es ist also eine rückschauende, d. h. retrospektive Betrachtungsweise zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten über den Rentenantrag bzw. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geboten (BSG, Urteil v. 23. März 1977 - 4 RJ 49/76 – SozR 2200 § 1247 Nr. 16). Dem steht nicht entgegen, dass vor dem Ablauf von sechs Monaten möglicherweise nicht feststeht, ob ein Leistungshindernis nur vorübergehend oder auf Dauer besteht. Insofern kann die Sache während der ersten sechs Monate einer Leistungsminderung ggf. noch nicht entscheidungsreif sein. Wird aber retrospektiv festgestellt, dass die Leistungsminderung bzw. Leistungsunfähigkeit tatsächlich länger als sechs Monate angedauert hat, so ist der Leistungsfall der Erwerbsminderung ab dem Beginn der Leistungsminderung bzw. Leistungsunfähigkeit eingetreten, unabhängig davon, ob seinerzeit Aussicht auf Behebung der Leistungsminderung bestanden hat (BSG a.a.O.). Die prognostisch zu beurteilende Aussicht auf Behebung der Erwerbsminderung ist lediglich für die Dauer der Rentengewährung, nicht hingegen für den Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung von Bedeutung (BSG a. a. O.; LSG Darmstadt, a.a.O.).

Dass die Leistungsminderung in dem qualitativen und quantitativen Umfang, wie sie von Dr. L. festgestellt wurde, vorliegend tatsächlich mehr als sechs Monate vorgelegen hat, steht nicht mit der ausreichenden Gewissheit fest. Die Angaben der Klägerin sind insoweit nicht ergiebig, weil sie sich stets darauf berufen hat und auch weiterhin darauf beruft, es gehe ihr kontinuierlich immer schlechter, eine Besserung sei zu keinem Zeitpunkt zu verzeichnen gewesen. Befunde aus dem Zeitraum 2009/2010, die belegen könnten, dass die Klägerin länger als sechs Monate ohne Leistungsvermögen gewesen wäre, liegen nicht vor. Eine fehlende Behandlungsbedürftigkeit bzw. –frequenz im betreffenden Zeitraum spricht aber mehr für als gegen eine dauerhafte Leistungsminderung. Dies gilt insbesondere unter Beachtung der Ausführungen des Prof. Dr. M., dass sich nämlich eine derartige Symptomatik wegen der Eigenschaft der Bandscheiben sich innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes wieder zurückzuziehen, üblicherweise während weniger Wochen wieder zurückbildet. Es ist daher nicht nachgewiesen, dass die Klägerin ab Mai 2009 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllte. Für das tatsächliche Vorliegen einer relevanten Leistungsminderung und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft aber den Rentenbewerber die Darlegungs- und Beweislast.

Ausgehend von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ist die Klägerin, die keinen Berufsschutz genießt, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung liegt nicht vor. Die Arbeitsmarktlage ist dabei nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Im Übrigen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidung des Sozialgerichts Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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