L 5 KA 5/17 ZVW

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 KA 42/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 KA 5/17 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 4. Dezember 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Parteien steht ein Regress in Höhe von 475,84 Euro aufgrund eines sogenannten Zielfeldregresses für das zweite Halbjahr 2005 im Streit.

Der Kläger nimmt als Internist an der hausärztlichen Versorgung teil. Im Februar 2009 teilte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen dem Kläger mit, er habe bei der Verordnung inhalativer Glucocorticoide im zweiten Verordnungshalbjahr 2005 den vertraglich vereinbarten Zielwert von 0,7020 Euro pro definierter Tagesdosis (defined daily dose - DDD) überschritten. Der Ist-Wert seiner Praxis habe bei 1,0599 Euro pro DDD und damit um 51 % über dem Zielwert gelegen. Der Kläger hielt dem entgegen, er sei vom Nutzen inhalativer Glucocorticoide bei der Behandlung obstruktiver Lungenerkrankungen überzeugt. Weiterhin betreue er ein großes Kontingent von Patienten in zwei Heimen, die in besonderem Maße an pulmologischen Erkrankungen litten. Schließlich bitte er zu berücksichtigen, dass er die Gesamtrichtgrößen während der letzten Jahre regelmäßig unterschritten habe.

Im Oktober 2009 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle gegen den Kläger einen Regress in Höhe von 475,84 Euro netto fest. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nahm der Kläger zu mehreren Überschreitungen bezogen auf konkrete Patienten Stellung, letztendlich jeweils mit der Begründung, aufgrund des labilen Gesundheitszustandes sei eine Umstellung auf ein anderes Präparat nicht zu verantworten gewesen. Den Widerspruch wies der beklagte Beschwerdeausschuss mit der Begründung zurück, dass die vom Kläger angegebenen Gründe nicht geeignet seien, die Verordnung teurer Arzneimittel zu rechtfertigen. Von den im Prüfungszeitraum verordneten 24 Packungen hätten nur drei den Zielwert erreicht. Wenigstens den Versuch einer Umstellung auf Generika hätte der Kläger unternehmen müssen. Ein solcher sei jedoch für keinen der beschriebenen Fälle dokumentiert.

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 4. Dezember 2013 stattgegeben und den streitgegenständlichen Beschluss des Beklagten mit der Begründung aufgehoben, dass es an einer Rechtsgrundlage für den festgesetzten sogenannten Zielfeldregress gefehlt habe. Die vom Landessozialgericht (LSG) mit Beschluss vom 1. Oktober 2014 zugelassen Berufung des Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 25. November 2015 zurückgewiesen. Zwar sei entgegen der Auffassung des SG nicht das zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Regressbescheides geltende Recht maßgebend, sondern die Rechtslage in dem Zeitraum, der Gegenstand der Prüfung gewesen sei. Auch unter Zugrundelegung des danach maßgeblichen Rechts fehle es indes an einer hinreichenden formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für einen Zielfeldregress.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit mit Urteil vom 28. September 2016 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Die Vereinbarungen zum Zielfeldregress seien auf der Grundlage des § 84 Abs. 1 SGB V und § 106 SGB V ergangen und mit diesen Vorschriften vereinbar. Die Methodik des Vergleichs der Kosten der verordneten Arzneimittel anhand von durchschnittlichen Tagestherapiedosen (DDD) sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Methodisch bedingte Ungenauigkeiten könnte zum einen durch Einräumung von Spielräumen, zum anderen durch den vom Arzt zu erbringenden Nachweis der Wirtschaftlichkeit im Einzelfall begegnet werden. Allerdings seien die vereinbarten Zielwerte nur dann rechtmäßig, wenn deren Überschreitung geeignet sei, den Anscheinsbeweis bzw. die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit auch zu begründen. Insbesondere bei einer erheblichen Absenkung des Durchschnittswertes - hier um 35% -, könne nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass jede Überschreitung geeignet sei, die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu begründen. Dies gelte umso mehr, als Beklagter und Beigeladene bisher die Festlegung des Zielwertes nicht nachvollziehbar erläutert hätten. Nähere Feststellungen zur Eignung des Zielwertes für den Beweis der Unwirtschaftlichkeit seien daher notwendig.

Der Senat hat nach Zurückverweisung den Beteiligten folgenden Fragenkatalog übersendet:

1. Bitte um nachvollziehbare Erläuterung der in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2005 getroffenen Festlegungen zum Zielwert 2. Wie wurde sichergestellt, dass die Zielwerte nicht so festgesetzt werden, dass er nur bei genereller Verordnung des Arzneimittels mit dem niedrigsten DDD-Wert erreicht werden konnte? 3. Wie wurde ein "Spielraum für individuelle Therapieentscheidungen" sichergestellt? 4. Wie wurde Rechnung getragen: • im Einzelfall bestehenden Unverträglichkeiten • individuelle Schwierigkeiten von Patienten im Umgang mit der jeweiligen Darreichungsform • Schwierigkeiten, einen aus dem Krankenhaus oder von einem anderen Arzt überwiesenen Patienten zeitnah auf eine andere Medikation einzustellen 5. Wie hoch war die Quote der Ärzte der Fachgruppe, die ebenfalls den Zielwert überschritten haben? Wie viele Ärzte der Fachgruppe wurden auf Einhaltung der Zielfelder geprüft (absolute und relative Werte)? 6. Bitte um Stellungnahme, ob der auf Verordnungen aus dem 2. Halbjahr 2005 bezogene Regress mit dem in der Prüfvereinbarung für den Regelfall vorgesehenen Jährlichkeitsprinzip im Einklang steht.

Der Beklagte führt hierzu aus, ausgehend von einer Datenlage aus den ersten beiden Quartalen 2004 hätten die durchschnittlichen Kosten je DDD der inhalativen Glucocorticoide (Monopräparate) 1,08 EUR betragen. Ziel sei es gewesen, diese Kosten um 35% zu senken (0,108X65 = 0,7020). Dabei seien die Vertragspartner davon ausgegangen, dass durch den Ersatz von Beclometason und Fluticason durch preisgünstigere Budesonidgenerica Kosten eingespart werden könnten. Gemessen an den festgestellten, sich frappant unterscheidenden Preisen/Kosten von Präparaten vergleichbarer, für die Behandlung des Asthma bronchiale geeigneter Wirkstoffe je DDD sei die Herabsetzung des Basiswerts um 35 % auf einen Zielwert von 0,7020 EUR/DDD nicht unverhältnismäßig, sondern das Ergebnis realistischer Betrachtung der Kosten gewesen. Es habe 2005 genügend Budesonid-Präparate gegeben, die unterhalb des Zielwertes gelegen hätten. Dass es 2005 kein Präparat mit den Wirkstoffen Beclometason und Fluticason gegeben habe, welches den Zielwert eingehalten habe, stehe der Rechtmäßigkeit der Festlegung nicht entgegen. Denn aus den "Tragenden Gründen zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie Aktualisierung von Festbetragsgruppen Glucocorticoide, inhalativ, oral, Gruppe 1, in Stufe 2" vom 21. Juni 2007 ergebe sich unzweifelhaft, dass es sich bei den in Rede stehenden Wirkstoffen um pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen handele. Die Aufstellung der Beigeladenen zu 1) führe 8 Budesonid-Präparate auf, die unter dem Zielwert lägen. Der Kläger habe nicht im Einzelfall dargetan, warum er nicht ein Mittel der Gruppe mit einem vergleichbaren Wirkstoff rezeptiert habe, das den Zielwert eingehalten habe oder zumindest wesentlich preisgünstiger gewesen sei. Die Einlassungen zu den 8 Patienten im Widerspruchsverfahren seien nicht geeignet, eine andere Bewertung zu tragen, denn es ergebe sich aus ihnen kein einziger Versuch, einen Austausch des Präparats zu prüfen. Es sei auch nicht zeitnah eine ärztliche Dokumentation vorgelegt worden, wie es bei einer Überschreitung unbedingt notwendig und von der KVH auch ausdrücklich den Ärzten nahegelegt sei.

Unverträglichkeitsfälle, die eine teurere Verordnung erforderten, seien bereits in den Basiswert von 1,08 EUR eingeflossen, aus welchem sich der Zielwert von 0,7070 berechne. Diesen hätten von der Fachgruppe der 394 internistischen Praxen auch 79 % eingehalten, lediglich 84 Praxen nicht. Hinsichtlich des Jährlichkeitsprinzips sei darauf hinzuweisen, dass die Zielvereinbarung erst zum 1. Juli 2005 in Kraft getreten sei. § 19 Abs. 1 Satz 2 der Prüfungsvereinbarung sei gerade für diese Fallgestaltung zugeschnitten. Der Vortrag des Klägers, dass preisgünstige Präparate in die Zielwertberechnung einbezogen worden seien, die aufgrund eines Marktrückzuges gar nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten, sei nicht zutreffend. Das Mittel Budes auf das die Behauptung ziele, sei erst im Februar 2008 vom Markt genommen worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Er macht geltend, die DDDs eigneten sich nicht zu einem Kostenvergleich. Die festgelegten Zielwerte seien auch deshalb unzutreffend, weil auch die preiswertesten Präparate einbezogen worden seien, welche aufgrund eines Marktrückzuges nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Es habe keinen Spielraum für eine individuelle Therapieentscheidung mehr gegeben, denn es habe kein Medikament mit den Wirkstoffen Beclometason oder Fluticason gegeben, welches zum Zielwert zur Verfügung gestanden habe. Eine Äquivalenz inhalierbarer Steroide sei nur in unterschiedlicher Dosierung vorhanden. D.h. es gebe sehr unterschiedliche Äquivalenzdosen, wie auch aus der Asthmaleitlinie 2006 zu ersehen, die zwar erst nach dem streitigen Quartal veröffentlicht worden sei, deren Inhalte aber vorher schon bekannt gewesen seien. Diese Äquivalenzdosen machten sich die Pneumologen in der Therapie z.B. des schweren Asthmas zu Nutze, wenn sie Höchstdosen verabreichen müssten. Diese Höchstdosen seien mit Fluticason, dann mit 2000µG/Tag für den Patienten leichter und mit größerer Compliance zu erreichen, als mit Budesonid. Wenn wegen der unterschiedlichen Äquivalenz mit der niedrigsten Dosis therapiert werden müsse, so sei beim Arzneimittel Ventolair zu berücksichtigen, dass die Teilchengröße bei diesem Medikament so sei, dass der gleiche therapeutische Effekt wie beim klassischen Beclomethason-Generikum mit der Hälfte der Dosis erreicht werden könne. Die Unterschiede der verschiedenen Präparate und Verabreichungsformen ergäben sich gerade auch aus den von der Beigeladenen zu 1) zitierten Studien.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Beigeladene zu 1) trägt vor, zu Ermittlung des Einsparpotentials sei seinerzeit zu einem bestimmten Stichtag der Arzneimittelmarkt analysiert und Kosten je DDD für die vorhandenen Produkte ermittelt worden. Bei der Festlegung des Zielwertes sei Bedingung gewesen, dass zu den festgelegten Kosten je DDD sowohl mehrere Handelspräparate als auch mehrere Wirkstoffe verfügbar seien. Es sei in keinem Fall der günstigste Wert angesetzt worden. Da nur der Anteil der Verordnungen mit günstigeren Therapiekosten maßvoll habe erhöht werden sollen, sei Spielraum für die Verordnung von Wirkstoffen mit höheren Therapiekosten geblieben. Die Verordnungsmenge sei nicht in den Zielen beschränkt worden, sondern die Preise pro Therapietag. Besonderen Umständen sei dadurch Rechnung getragen worden, dass Ausgang der Betrachtung der regionale Produktmix gewesen sei und nicht von der Darreichungsform mit den geringsten Kosten pro Behandlungstag ausgegangen worden sei. Patientenindivuelle Abweichungen seien im statistischen Mittel bereits eingepreist.

Aus der von der Beigeladenen zu 1) übersendeten Übersicht über die Zielfeldprüfung im 2. Halbjahr 2005 ergibt sich, dass von den 394 internistischen Arztpraxen 84 (21 %) das Zielfeld im Bereich der Inhalativen Glucocorticoide überschritten haben.

Des Weiteren hat die Beigeladene zu 1) auf das klägerische Vorbringen eine Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vorgelegt, in welcher ausgeführt wird, die nationale Versorgungsleitlinie Asthma habe im Jahr 2006 keine Präferierung hinsichtlich des therapeutischen Einsatzes eines Glucocorticoids mit Blick auf einen bestimmten Wirkstoff oder ein bestimmtes Präparat getroffen. Insbesondere scheine auch der direkte Vergleich zwischen Budesonid und Fluticason im Zusammenhang mit der Therapie eines schweren Asthma bronchiale wenig nachvollziehbar, da bei der Therapie eines Patienten mit einer obstruktiven Atemwegserkrankung eine Vielzahl weiterer therapeutisch relevanter Faktoren ins Spiel komme, die wiederum unter anderem die Auswahl entsprechender inhalativer Glucocorticoide in individueller Dosierung für den einzelnen Patienten bestimme. Diesbezüglich spielten unter anderem auch adäquate Applikationsformen mit Berücksichtigung der Adhärenz des Betroffenen eine wesentliche Rolle. So sei auch in den zitierten Studien vor allem auf die individuelle Behandlungssituation eines Patienten mit Asthma bronchiale abgestellt worden und weniger auf die Bevorzugung eines bestimmten, inhalativ anzuwendenden Glucocorticoids.

Eine von der Beigeladenen zu 1) vorgelegte Übersicht (Bl. 383 PA) weist 29 Präparate aus, 13 mit dem Wirkstoff Beclometason, 13 mit dem Wirkstoff Budesonid, sowie 3 mit dem Wirkstoff Fluticason bzw. Mometason. Innerhalb des Zielwertes liegen 8 Präparate, alle mit dem Wirkstoff Budesonid (73,1 - 98,9 % des Zielwertes). Eine Zielwertüberschreitung von bis zu 10 % weisen weitere 4 Präparate auf, davon 3 mit dem Wirkstoff Beclometason. Die weiteren Wirkstoffe Fluticason und Mometason liegen zwischen 176,5 % und 205,3 % über dem Zielwert. Eine von dem Beklagten übersendete Aufstellung (Bl. 496 PA) weist für die unterschiedlichen Wirkstoffe folgende DDD-Kosten aus: Budenosid 0,5742-1,7901, Fluticason 1,1457-1,4352 und Beclometason 0,7177-2,2433

Die Beigeladene zu 6) führt aus, die DDD sei die angenommene mittlere tägliche Erhaltungsdosis für die Hauptindikation des Wirkstoffes beim Erwachsenen. Es handele sich um eine rein rechnerische Größe, die nicht notwendiger Weise die empfohlene oder tatsächlich angewendete Dosierung widerspiegele. Da die Zielwertbildung auf der Grundlage von Durchschnittswerten erfolgt sei, seien die im Durchschnitt üblichen Besonderheiten statistisch berücksichtigt. Nicht jedes verordnete Arzneimittel müsse den Durchschnitt schaffen, sondern es werde auch in den Praxen mit Durchschnittswerten gearbeitet.

Die übrigen Beigeladenen haben sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) angeschlossen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2011 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A , B und C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2019 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Sie ist auch begründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2009 in der Gestalt des Beschlusses vom 16. März 2011 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V in der hier maßgebenden im Prüfzeitraum (2. Halbjahr 2005) geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) i.V.m. den im Bezirk der zu Beigeladenen zu 6) geltenden Regelungen der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2005 vom 17.3.2005 i.d.F. des 1. Nachtrages vom 5.8.2005, sowie Anlage F zum Gesamtvertrag vom 18.4.1996 i.d.F. des 12. Nachtrages vom 21.4.2005, die ihre gesetzliche Grundlage in § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V i.d.F. von Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz - ABAG) vom 19.12.2001 (BGBl I 3773) hat (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 43/15 R –, Rn. 13 ff., juris, mit weiteren Nachweisen und ausführlicher Begründung)).

Die Methodik des Vergleichs anhand von durchschnittlichen Tagestherapiedosen (DDD) ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 43/15 R –, Rn. 25 ff., juris, mit ausführlicher Begründung).

Allerdings sind die von den Vertragspartnern der Arznei- und Heilmittelvereinbarung vereinbarten Zielwerte nur dann rechtmäßig und damit wirksam, wenn deren Überschreitung geeignet ist, den Anscheinsbeweis bzw. die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu begründen. Denn dem Regress nach Durchschnittswerten liegt die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt insgesamt wirtschaftlich handelt. Wenn das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten eines Arztes in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht und diesen in einem Ausmaß überschreitet, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und in Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, so hat dies nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit. Ähnlich wie bei der Prüfung nach Durchschnittswerten bedarf es bei der Richtgrößenprüfung keines einzelfallbezogenen Nachweises der Unwirtschaftlichkeit. Hier kommt der Überschreitung eines normativ festgelegten Schwellenwertes zumindest die Wirkung eines Anscheinsbeweises (bzw. einer gesetzlichen Vermutung) der Unwirtschaftlichkeit zu. Eine damit vergleichbare normative Festlegung liegt auch dem sogenannten Zielfeldregress zugrunde, bei welchem den Vertragspartnern ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum einzuräumen ist. Wenn andererseits allerdings nicht festgestellt werden kann, dass der – hier für die Verordnung von Glucocorticoiden - festgesetzte Zielwert - unter Berücksichtigung des dargelegten Bewertungsspielraums der Vertragspartner - geeignet ist, die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit des Verordnungsverhaltens des Arztes zu begründen, so wirkt sich dies zum Nachteil des Beklagten aus (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 43/15 R –, Rn. 31, 34, juris, mit weiteren Nachweisen).

Der Senat ist indes nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass vorliegend die Zielfelder so festgesetzt worden sind, dass aus deren Überschreitung für den Regelfall auf eine unwirtschaftliche Verordnungsweise geschlossen werden kann. Dies folgt vorliegend aus folgenden Überlegungen:

Die Zeugen haben übereinstimmend und überzeugend dargetan, dass bei der Festlegung der Absenkungssätze die am Markt vorhandenen Arzneimittel bezogen auf den Wirkstoff je DDD betrachtet und die Spreizung zwischen den günstigsten und den teuersten DDD analysiert worden sei. Dabei seien teilweise sehr große Kostenunterschiede aufgefallen, insbesondere, weil die Originalpräparate deutlich teurer gewesen seien als die am Markt vorhandenen Generika. Diese Kostenspreizung in Verbindung mit der empfohlenen Leitsubstanz sei Grundlage der Absenkungssätze gewesen. Die Leitsubstanzen habe man bei der Festlegung der Absenkungssätze stärker gewichtet. Dabei sei darauf geachtet worden, dass die Leitsubstanzen und die anderen eingeschlossenen Wirkstoffe eine vergleichbare Wirksamkeit aufgewiesen hätten. Grundlage für die Einschätzung einer vergleichbaren Wirksamkeit seien z.B. Leitlinien und insbesondere Veröffentlichungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gewesen, wobei es wichtig gewesen sei, diese Einschätzung möglichst unabhängig von den Interessen der Pharmaindustrie zu treffen. Es habe ein etwas veraltetes Gutachten von Professor G. gegeben, dass aber noch Indizien geliefert habe, sowie den aktuellen Arzneiverordnungsreport von Professor S ... Es seien dann die Leitlinien, die Verordnungsdaten, die Me-Too-Präparate und schließlich auch die Lauer-Taxen für die Berechnungen verwandt worden. Bei den Glucocorticoiden sei die Kostenspreizung besonders groß gewesen. Ziel sei dann gewesen, den Zielwert so zu berechnen, dass der günstigste Wirkstoff, bei welchem davon auszugehen gewesen sei, dass die meisten Patienten damit zu versorgen seien, stark in den Wert eingeflossen sei. Daneben habe es aber trotzdem noch möglich sein sollen, teurere Wirkstoffe zu verordnen, wo es im Einzelfall nötig gewesen sei. Im Bundesgebiet seien damals etwa 70 Prozent der Versicherten mit diesem günstigsten Wirkstoff versorgt worden. Auch in Hamburg sei Budesonid schon zuvor ganz überwiegend verordnet worden. Bei Beclomethason seien damals die ersten Generika auf den Markt gekommen, da habe das günstigste Präparat nur ganz knapp über dem Zielwert gelegen, das sei in einer Mischkalkulation mit günstigeren Präparaten unproblematisch zu verordnen gewesen.

Eine konkrete Rechenformel sei bei der Festlegung des Zielwertes nicht angewendet worden, das sei auch nicht möglich. Die zu berücksichtigenden Faktoren seien nämlich von Wirkstoffgruppe zu Wirkstoffgruppe sehr inhomogen, der Markt sei auch sehr unterschiedlich gewesen, ebenso wie die Versorgungsnotwendigkeiten unterschiedlich gewesen seien. Bei der Festlegung des Absenkungswertes haben man sich daran orientiert, dass möglichst unterschiedliche Wirkstoffe erreichbar geblieben seien oder der Zielwert soweit über dem günstigsten Wirkstoff gelegen habe, dass daraus auch teurere im Einzelfall hätten bezahlt werden können. Es sei nicht so gewesen, dass man die Verordnung von teuren Wirkstoffen komplett habe ausschließen wollen, sie hätten nur in der Menge deutlich reduziert werden sollen, auch mit Blick auf den Bundesdurchschnitt. Man habe zunächst mit einer Absenkung um 10 % rechnerisch ausprobiert, welche theoretischen Folgen dies am Markt haben würde, es wären dann aber immer noch sehr viele hochpreisige Präparate ohne pharmakologische Überlegenheit gegenüber den günstigeren Produkten in der Marge enthalten gewesen. Daher sei der Zielwert weiter abgesenkt worden. Am Ende sei dann im Wesentlichen die Leitsubstanz Budesonid, mit der die meisten Patienten ausreichend versorgt sein, innerhalb des Zielwertes gewesen und ein Beclomethason-Präparat ganz knapp am Zielwert. Allein für Beclomethason habe es auch eine Studie zur gelegentlichen leichten Überlegenheit bei einzelnen Nebenwirkungen gegeben; dies sei bei den anderen, teureren Wirkstoffen nicht der Fall gewesen. Wenn im Einzelfall eine Verordnung eines hochpreisigen Medikaments dennoch notwendig gewesen sei, sei das zum einen möglich gewesen, da Budesonid deutlich unterhalb des Zielwertes gelegen habe und zudem der Arzt dies habe begründen können, dann sei das auch akzeptiert worden. Grundsätzlich handele es sich aber bei den inhalativen Glucocorticoiden um lokal wirksame Medikamente, bei denen es pharmakologisch nur wenige Unterschiede gebe. Veröffentlichungen, nach welchen die teureren Wirkstoffe den billigeren überlegen seien, habe es nicht gegeben. Auch ein pharmakologischer Vorteil feinerer Zerstäubung habe nie nachgewiesen werden können.

Danach ist der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BSG zu der Überzeugung gelangt, dass nicht nur mehrere Arzneimittel, sondern auch mehrere Wirkstoffe, nämlich Budesonid (DDD-Kosten der Präparate zwischen 0,5742 EUR und 1,7901 EUR bei acht Präparaten innerhalb des Zielwertes) und Beclomethason (DDD-Kosten der Präparate zwischen 0,7177 und 2,2433 bei drei Präparaten innerhalb einer Marge von 10% über dem Zielwert) im Wege einer Mischkalkulation ohne die Gefahr eines Regresses verordnet werden konnten. Unverträglichkeiten und Umstellungsschwierigkeiten wurde zum einen dadurch begegnet, dass zum einen innerhalb einer Mischkalkulation auch Beclomethason als der einzige nachgewiesenermaßen im Einzelfall nebenwirkungsärmere Wirkstoff noch verordnet werden konnte, ohne dass ein Regress zu befürchten war. Zum anderen gab es, beispielsweise bei Umstellungsschwierigkeiten anderer Wirkstoffe die Möglichkeit, im konkreten Einzelfall und mit besonderer Begründung (z.B. unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Umstellung des Applikationsgerätes, unerwünschte Nebenwirkungen beim Umstellungsversuch oder Behandlung eines Kindes) ein hochpreisiges Präparat zu verordnen. Der Senat ist nach Anhörung der sachverständigen Zeugen auch zu der Überzeugung gelangt, dass Umstellversuche im Fall der hier streitigen inhalativen Glucocorticoide im allgemeinen dem Patienten zumutbar und vorzunehmen waren, da es sich um (bloß) lokal wirksame Mittel handelte und keine Dokumentationen zu einem Nebenwirkungsvorteil der Wirkstoffe Fluticason und Mometason gegenüber Budesonid und Beclomethason vorlagen. Aus diesen Gründen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass in den meisten Fällen eine ausreichende Versorgung der Patienten mit Budesonid gewährleistet war, in einigen Fällen eine Versorgung mit Beclomethason wegen eines leichten Nebenwirkungsvorteils angezeigt war, für die bei Verordnung eines auf dem Markt vorhandenen, den Zielwert nur geringfügig überschreitenden Präparats im Wege der Mischkalkulation ein ausreichender Spielraum bestand und dass schließlich bei fehlender Umstellungstoleranz in wenigen Einzelfällen eine Einzelfallentscheidung herbeigeführt werden konnte. Bei einem wirtschaftlichen Verordnungsverhalten war daher für den Arzt ein Regress nicht zu befürchten; die Überschreitung der Zielvorgabe war danach geeignet, die Vermutung unwirtschaftlichen Verordnungsverhaltens zu begründen. Die Quote der Ärzte der Fachgruppe des Klägers, die den Zielwert gleichfalls überschritten haben, steht dem nicht entgegen. Die Quote von 21% im streitigen Quartal ist zwar nicht so niedrig, dass der Senat sie als weiteres Indiz für ein unwirtschaftliches Verhalten des Klägers heranziehen hätte können, aber auch nicht so hoch, dass sie ein Indiz für das Gegenteil wäre.

Die Vereinbarkeit des Bescheides mit § 19 Abs. 1 Satz 2 Hamburger Prüfvereinbarung 2005 ergibt sich aus § 9 S. 2 der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2005. § 19 Abs. 1 Satz 2 der Prüfvereinbarung lautet: "Diese Aufgabe umfasst die Feststellung der Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach in der Regel im Wege einer Jahresprüfung, es sei denn, für einzelne Verordnungsziele werden im Rahmen der Arznei- und Heilmittelvereinbarung andere Geltungszeiträume festgelegt." Einen solchen abweichenden Geltungszeitraum legt § 9 S. 2 der Arznei- und Heilmittelvereinbarung fest, in dem bestimmt ist, dass die indikationsbezogenen Zielvereinbarungen nach Anlage 2, zu welchen auch die Verringerung der durchschnittlichen Kosten je DDD der inhalativen Glucocorticoide um 35 % gehört, am 1. Juli 2005 in Kraft tritt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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