L 4 AS 164/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 AS 703/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 164/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
L
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beantragte im Juni 2015 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er ist seit 1994 geschieden, lebt jedoch mit seiner geschiedenen Ehefrau auf einer Kleingartenparzelle zusammen. Bei Antragstellung gab der Kläger an, dass mit ihm eine weitere Person zur Bedarfsgemeinschaft gehöre und dass seine geschiedene Ehefrau Renten in Höhe von 1.363,56 EUR beziehe. Er ergänzte die Angabe weiter, dass er zwar mit seiner Ex-Frau zusammenlebe, jedoch jeder für sich sorge und es sich um eine Wohngemeinschaft handele. Der Außendienst des Beklagten führte am 12. August 2015 einen Hausbesuch beim Kläger durch. Danach besteht das Haus aus einem Wohn- und einem Schlafzimmer, einem Durchgangszimmer, einer Küche und einer Badnische mit offenem Übergang zu einem Abstellbereich. Das Doppelbett war beidseitig bezogen. Im Kleiderschrank befand sich die Bekleidung des Klägers und seiner geschiedenen Ehefrau. Im Kühlschrank konnte keine Trennung der Lebensmittel erkannt werden. Mit Schreiben vom 26. August 2015 forderte der Beklagte den Kläger zur Vorlage von Unterlagen über die Vermögens- und Einkommenssituation seiner geschiedenen Ehefrau T. auf. Der Kläger kam dieser Aufforderung nicht nach.

Mit Bescheid vom 21. September 2015 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2016 zurück.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg S 35 AS 703/16 hat der Kläger angegeben, von Landsleuten Darlehen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes zu bekommen. Das Sozialgericht hat den Kläger mit der Ladung vom 22. Januar 2019 zur mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Vorschrift des § 106a (Sozialgerichtsgesetz) SGG eine Frist bis zum 1. März 2019 gesetzt zur Vorlage u.a. von vollständigen Kontoauszügen, von Belegen über die Unterkunft und Heizung und einer Erklärung, wovon der Kläger seit Juni 2016 gelebt habe, bei Darlehen unter Benennung des Darlehensgebers mit ladungsfähiger Anschrift und Mitteilung der genauen Darlehenssummen und Abreden hierüber. Es hat auf die Folgen des § 106a SGG bei Nichteinhaltung der Frist hingewiesen. Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 21. März 2019 die geschiedene Ehefrau des Klägers Frau T. zu den Umständen des Zusammenlebens mit dem Kläger sowie den Darlehensgeber Herrn G. B. als Zeugen vernommen.

Mit Urteil vom 21. März 2019, dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 7. Mail 2019, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit gem. § 7 Abs. 1 Satz 2, § 9 SGB II nicht nachgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer lebe der Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner geschiedenen Ehefrau, weshalb ihr Einkommen auch zur Deckung seines Lebensunterhaltes herangezogen werden könne. Die objektiven Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II lägen vor. Die Art des räumlichen Zusammenlebens in einem Haushalt sowie die Dauer des Zusammenlebens sprächen für eine Partnerschaft. Der Kläger lebe seit vielen Jahren mit der Zeugin in einer Kleingartenparzelle. Die Wohnverhältnisse hätten sich auch nach der Scheidung der Eheleute nicht geändert. Es bestehe aufgrund der gemeinsamen Haushaltsführung auch eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Zeugin. Sie teilten sich die Haushaltsführung. Während die Zeugin den größeren finanziellen Teil der Haushaltskosten aufbringe, übernehme der Kläger notwendige Fahrten mit dem Pkw zum Einkaufen und zu Ärzten sowie Arbeiten im Haushalt. Schließlich greife die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II für einen gegenseitigen Einstandswillen, weil der Kläger und die Zeugin bei Antragstellung länger als ein Jahr zusammenlebten. Diese Vermutung für einen wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, sei nicht widerlegt. Von den Darlehen des Zeugen B. in Höhe von insgesamt 12.500 EUR habe der Kläger nach eigenen Angaben die Krankenversicherungsbeiträge gezahlt. Auf Vorhalt des Sozialgerichts, dass bei einem Beitrag von 270,- EUR pro Monat kein Geld mehr für den Lebensunterhalt verbleibe und deshalb unklar bleibe, wie er sich an den Lebensmitteleinkäufen für sich und seine geschiedene Ehefrau beteiligt haben wolle, habe der Kläger angegeben, weitere Darlehensgeber zu haben, ohne spontan Namen nennen zu können. Erst nach einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung habe er zwei neue Zeugen benannt. Die sodann vom Kläger getätigten Angaben zum Ablauf der Geldübergabe hätten nicht mit den Schilderungen des Zeugen B. übereingestimmt. Das Sozialgericht stufte den Vortrag des Klägers als unsubstantiiert und widersprüchlich und damit letztlich unglaubhaft ein. Der Kläger trage die Last für die Nichterweislichkeit seiner Hilfebedürftigkeit. Das Sozialgericht hat zudem den Antrag, die in der mündlichen Verhandlung genannten zwei Zeugen zu vernehmen, gem. § 106a SGG zurückgewiesen: Die mündliche Verhandlung zu vertagen, um die Zeugen zu hören, hätte ohne Zweifel die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Denn sie wären zu einem weiteren Termin zu laden gewesen. Der Kläger habe die Verspätung auch nicht genügend entschuldigt. Es habe dem anwaltlich vertretenen Kläger die Notwendigkeit klar sein müssen, sämtliche Darlehensgeber zu benennen. Die Präklusion sei auch nicht nach § 106a Abs. 3 Satz 3 SGG ausgeschlossen.

Mit seiner Berufung vom 31. Mai 2019 macht der Kläger geltend, das Sozialgericht sei zu Unrecht von einer Bedarfsgemeinschaft zwischen ihm und der Zeugin ausgegangen, tatsächlich liege nur eine Wohngemeinschaft vor. Auch die derzeitige Raumaufteilung ermögliche jedem einen Rückzugsraum. Es liege auch kein gemeinsames Wirtschaften vor. Mahlzeiten würden getrennt eingenommen. Die Hilfe im Haushalt und beim Einkauf sowie das Autofahren seien nachbarschaftliche Gefälligkeiten und erfüllten nicht den Tatbestand des Zusammenlebens. Zudem sei der Kläger meistens nicht zu Hause. Eine Wohnraumsuche sei aufgrund fehlenden Einkommens des Klägers nicht erfolgversprechend, weshalb er dies bislang unterlassen habe. Gemeinsames Fernsehen sei keine gemeinsame Freizeitbeschäftigung. Das Sozialgericht habe zudem abgelehnt, die Zeugen Ga. und K. zum Thema Einkommen zu hören, weil der Kläger sie nicht vor dem Termin benannt habe. Von den Zeugen Ga. und K. sei aber erstmalig im Termin gesprochen worden. Vorher seien die Zeugen im Rechtsstreit nicht bekannt gewesen. Das Sozialgericht hätte den Beweisantrag nicht zurückweisen dürfen, denn die beiden Zeugen seien erst in der Verhandlung aufgetaucht. Es sei für das Gericht zumutbar gewesen zu ermitteln, wie es sich mit diesen beiden Zeugen verhalte.

Am 23. Januar 2020 hat der Senat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Der Kläger hat vorgetragen, dass er seit vielen Jahren nicht mehr in seiner alten Heimat gewesen sei und aus Mangel an Geld nicht an der Beerdigung verstorbener Verwandter habe teilnehmen können.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. März 2019 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2016 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in gesetzlicher Höhe nach dem SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Das Bestehen einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft habe der Kläger nicht widerlegen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Sie haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Senat nimmt vollumfänglich auf die überzeugenden Ausführungen des Urteils des Sozialgerichts vom 21. März 2019 gem. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug.

Der Kläger hat seine Hilfebedürftigkeit gem. § 7 Abs. 1 Satz 2, § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht nachgewiesen. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Der Kläger lebt mit seiner geschiedenen Ehefrau in einer Bedarfsgemeinschaft, weshalb ihr Einkommen auch zur Deckung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung steht.

Der Vortrag des Klägers in seiner Berufungsbegründung führt nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

Eine sichtbare Trennung der Lebensbereiche vom Kläger und der Zeugin ist nach den Feststellungen des Außendienstes des Beklagten nicht erfolgt, und zwar weder in der räumlichen Aufteilung der Wohnfläche noch bei den Lebensmitteln im Kühlschrank. Die von der Zeugin geschilderte Hilfe des Klägers bei der Haushaltsführung, beim Einkaufen und notwendigen Arztbesuchen geht über eine übliche Nachbarschaftshilfe hinaus. Aus der Tatsache allein, dass Mahlzeiten nicht immer gemeinsam eingenommen werden, kann nicht der Schluss gezogen werden, eine Bedarfsgemeinschaft liege nicht vor. Auch die Frage, ob der Kläger und die Zeugin gemeinsam Fernsehen schauen, ist allein nicht entscheidend. Maßgeblich ist das Gesamtbild. Dass sich der Kläger nicht in den 25 Jahren nach der Scheidung, also auch nicht während seiner bis 2013 währenden Erwerbstätigkeit, einen eigenen Lebensmittelpunkt andernorts gesucht hat, und der Kläger und die Zeugin räumlich und wirtschaftlich wie vom Sozialgericht festgestellt zusammenleben, erfüllt bei Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände den Tatbestand einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft.

Bezüglich der Bedarfsberechnung wird auf das Urteil des Sozialgerichts vom 21. März 2019 verwiesen. Bei Zugrundelegung der ungefähren Angaben zum Einkommen der geschiedenen Ehefrau in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts kann mit dem Einkommensüberhang nach Deckung ihres eigenen Bedarfs der Bedarf des Klägers in den meisten Monaten gedeckt werden. Lediglich in den Monaten, in denen die Hauptkosten der Unterkunft anfallen, insbesondere die jährliche Pacht und Wohngebäudeversicherung, verbleibt eine Bedarfslücke. Wie jedoch der Kläger diesen Bedarf in der Vergangenheit gedeckt hat, ist unklar und nicht aufklärbar. Die Angaben des Klägers dazu in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts waren widersprüchlich. Die benannten weiteren Zeugen Ga. und K. sind gem. § 157a SGG auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen.

Nach § 157a SGG Abs. 2 bleiben Erklärungen und Beweismittel, die das Sozialgericht zu Recht zurückgewiesen hat, auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das Sozialgericht hat die Zeugen zu Recht zurückgewiesen, denn die Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 106a Abs. 3 SGG lagen vor. Das Sozialgericht hat den Kläger mit der Ladung vom 22. Januar 2019 zur mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Vorschrift des § 106a SGG eine Frist bis zum 1. März 2019 gesetzt zur Benennung von Darlehensgebern mit ladungsfähiger Anschrift und Mitteilung der genauen Darlehenssummen und Abreden hierüber. Die Frist wurde auf Wunsch des Klägers bis zum 12. März 2019 verlängert. Das Gericht hat auf die Folgen des § 106a SGG bei Nichteinhaltung der Frist, nämlich die Möglichkeit der Zurückweisung und die Absicht, auf der Grundlage der vorhandenen Daten zu entscheiden, hingewiesen. Die Zulassung der erst in der mündlichen Verhandlung am 21. März 2019 benannten Zeugen hätte die Erledigung des Rechtsstreits im Sinne des § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGG verzögert, da der Rechtsstreit hätte vertagt werden müssen. Der Kläger hat die Verspätung seines Vorbringens auch nicht gem. § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGG genügend entschuldigt. Sein Vortrag, die Problematik bezüglich der beiden Zeugen habe sich erst in der mündlichen Verhandlung ergeben, greift nicht. Bereits mit Verfügung vom 2. Mai 2016 hat das Sozialgericht den Kläger gebeten mitzuteilen, wovon er in den letzten Monaten gelebt habe. Mit Schriftsatz vom 29. September 2016 hat der Kläger den Zeugen B. als Darlehensgeber benannt. Mit der Ladung vom 22. Januar 2019 hat das Sozialgericht sodann unmissverständlich darum gebeten, sämtliche Darlehensgeber zu benennen, die dem Kläger Darlehen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt haben. Sofern sich der Kläger darauf beruft, die Zeugen Ga. und K. hätten ihm Darlehen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt, trifft dies genau die zuvor vom Sozialgericht erfragten Tatsachen und Beweismittel. Schließlich ist die Präklusion nicht nach § 106a Abs. 3 Satz 3 SGG unwirksam. Die Zurückweisung von Beweismitteln und Entscheidung ohne weitere Ermittlung gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Da es sich vorliegend um Tatsachen und Beweismittel in der persönlichen Sphäre des Klägers handelt, liegt ein solcher Fall nicht vor.

Der Senat erlaubt sich abschließend den Hinweis, dass die Nichtaufklärbarkeit der finanziellen Verhältnisse und damit der Hilfebedürftigkeit im bisherigen Verfahren unter anderem auch daran lag, dass eine vollständige Offenlegung der Einkommens- und Vermögenssituation der geschiedenen Ehefrau nicht erfolgt ist. Es ist dem Kläger zu raten, bei dem Beklagten einen neuen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu stellen, und zwar als Bedarfsgemeinschaft zusammen mit seiner geschiedenen Ehefrau. Hierzu ist es nicht erforderlich, dass die Ehefrau auch persönlich beim Beklagten erscheint, sollte ihr dies krankheitsbedingt nicht möglich sein. Der Beklagte wird zu prüfen haben, ob das Einkommen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreicht. Auch auf einmalige Leistungen bei Bedarfsspitzen in besonderen Notfällen (z.B. nach § 24 SGB II) kann im gegebenen Fall ein Antrag gestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved