L 4 AS 80/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 AS 3251/18
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 80/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Vollstreckung aus einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.

Die 1962 geborene, erwerbsfähige Klägerin bezog seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie war seit dem Wintersemester 2003/2004 als ordentliche Studentin an der Universität Hamburg im Fach Zahnmedizin immatrikuliert. Am 29. Mai 2009 wurde die Klägerin nach eigenen Angaben aufgrund mangelnder Entrichtung der Studiengebühren zunächst exmatrikuliert. Zum 16. Juli 2009 erwirkte die Klägerin eine Wiederimmatrikulation. Sie blieb danach durchgehend bis einschließlich September 2010 immatrikuliert.

Der Beklagte erfuhr erstmals im August 2010 von der Immatrikulation der Klägerin. Nach Anhörung der Klägerin hob er mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2010 die Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. August 2010 auf und forderte Erstattung in Höhe von insgesamt 61.619,06 Euro. Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin zum Sozialgericht Hamburg (S 6 AS 3530/10) hatte hinsichtlich der Aufhebung für die Zeiträume vom 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2008 und vom 29. Mai 2009 bis zum 15. Juli 2009 sowie die auf diese Zeiträume entfallende Teile der Erstattungsforderung Erfolg (Urteil vom 2. Mai 2011).

Der Beklagte erließ daraufhin am 9. Mai 2011 einen neuen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem er die Bewilligungsentscheidungen für die Zeiträume vom 1. Mai 2009 bis zum 28. Mai 2009 und vom 17. Juli 2009 bis zum 31. August 2010 vollständig aufhob und die für den Zeitraum vom 17. Juli 2009 bis zum 31. August 2010 erbrachten Leistungen in Höhe von 12.858,30 Euro zurückforderte. Dieser Bescheid wurde Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Mai 2011. Hinsichtlich der Rücknahme der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Mai 2009 bis zum 28. Mai 2009 hob der Beklagte den Bescheid vom 9. Mai 2011 in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht auf. Das Landessozialgericht wies die Berufung mit Urteil vom 13. September 2012 zurück (L 4 AS 193/11). Die Klägerin habe in dem noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 17. Juli 2009 bis zum 31. August 2010 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt, da sie als Studierende dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II unterfalle. Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Aufhebung und Rückforderung lägen vor. In der Folgezeit erhob die Klägerin mehrmals Wiederaufnahmeklage (L 4 AS 130/18 WA, L 4 AS 277/18 WA), die jeweils erfolglos blieben. Für die näheren Einzelheiten, insbesondere den Vortrag der Klägerin in den Gerichtsverfahren und die Argumentation des Sozialgerichts und des Senats wird auf die Prozessakten der genannten Verfahren Bezug genommen.

Am 2. Februar 2016 verschickte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Reckling-hausen, Inkasso-Service, an die Klägerin eine Zahlungserinnerung über 12.923,30 Euro (12.858,30 Euro zuzüglich Mahn¬ge¬bühr von 65,00 Euro). Aus der beigefügten Übersicht ergab sich, dass diese Forderung aus einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. Mai 2011 bzgl. des Zeitraums vom 17. Juli 2009 bis zum 31. August 2010 stammen sollte.

Am 17. Februar 2016 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht gegen die Vollstreckung erhoben (S 24 AS 663/16). Nachdem das Sozialgericht den Beklagten darauf hingewiesen hatte, dass die Erstattung des in der Zahlungserinnerung genannten Betrages mit Bescheid vom 9. Mai 2011 gefordert werde und um Klarstellung gebeten hatte, aus welchem Bescheid vollstreckt werden solle, hat der Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 9. Mai 2011 über¬sandt.

Mit Schreiben vom 13. September 2018 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie weiterhin auf ihrer "Voll¬streckungsgegenklage" bestehe und dass sich diese nun (auch) gegen die Forderung aus dem Bescheid vom 9. Mai 2011 richte. Sie hat diesem Schreiben eine Mahnung der Bun¬des-agentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service vom 10. September 2018 beigelegt. Hierin wird sie zur Zahlung von 12.923,30 Euro aufgefordert. Aus der beigefügten Übersicht ergibt sich, dass die Forderung nun auf den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 9. Mai 2011 bzgl. des Zeitraums 17. Juli 2009 bis 31. August 2010 gestützt wird.

Das Sozialgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 20. September 2018 vom Verfahren S 24 AS 663/16, das die Einstellung der Vollstreckung aus dem nicht existierenden Aufhebungs- u. Erstattungs¬be¬scheid vom 13. Mai 2011 betraf, das hiesige Ver¬fah¬ren betreffend die Einstellung der Vollstreckung aus dem Aufhebungs- u. Er¬stat¬tungsbescheid vom 9. Mai 2011 zur gesonderten Ver¬hand¬¬lung und Entscheidung ab¬ge¬trennt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der Beklagte sei der richtige Klagegegner. Auch wenn er die Vollstreckung nicht selbst durchführe, sei der Beklagte als ersuchende Behörde weiter zuständig für eine etwaige Anordnung der Einstellung der Vollstreckung. Die Klägerin habe jedoch keinen Anspruch auf Einstellung der Vollstreckung aus dem Bescheid vom 9. Mai 2011. Die Vollstreckung richte sich gem. § 40 Abs. 8 Halbsatz 1 SGB II i.V.m. § 5 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) nach der Abgabenordnung (AO). Die Voraussetzungen für eine Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs. 1 AO lägen nicht vor. Sonstige Gründe, die Vollstreckung einzustellen, seien nicht ersichtlich.

Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 21. Februar 2019 zugestellt worden. Am 20. März 2019 hat sie Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, es müssten alle ihre seit 2010 geltend gemachten Tatsachen und Argumente berücksichtigt und gewürdigt werden. Zudem müsse als neuer Umstand berücksichtigt werden, dass sie trotz umfangreicher Bemühungen weiterhin arbeitslos bliebe. Dies beweise die Notwendigkeit und Zulässigkeit ihres als eigeninitiativen Weiterbildungsstudium. Es sei auffällig sittenwidrig, die rechtswidrig aufgehobenen Leistungen gegen sie zu vollstrecken. Zudem berücksichtige der Gerichtsbescheid weder die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches noch Gerechtigkeitsgedanken

Die Klägerin beantragt ihrem schriftlichen Vorbringen nach sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Februar 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 9. Mai 2011 einzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Mit Beschluss vom 1. Juli 2019 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Gemäß § 153 Abs. 5 SGG entscheidet der Senat durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter.

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Klägerin ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 SGG).

II. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klage ist bereits unzulässig.

1. Die Klage war erstinstanzlich formuliert als Leistungsklage, gerichtet auf die Einstellung der Vollstreckung. Als solche ist sie unzulässig.

Nach § 40 Abs. 8 SGB II gilt für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Trägern das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG). Die Vollstreckung von Geldforderungen ist in §§ 1 – 5b VwVG geregelt. Der Vollstreckungsschutz richtet sich gem. § 5 Abs. 1 VwVG nach den Vorschriften der AO. § 257 AO regelt die Einstellung der Vollstreckung, auf die die Klägerin sich hier beruft.

Der Zulässigkeit einer Klage auf Einstellung der Vollstreckung dürfte hier bereits entgegenstehen, dass die Vollstreckung noch gar nicht begonnen hat. Die Vollstreckung wird eingeleitet durch eine Vollstreckungsanordnung (§ 3 Abs. 1 Halbsatz 1 VwVG). Für diese ist die Bundesagentur für Arbeit zuständig, da der Beklagte den Forderungseinzug nach § 44b Abs. 4 SGB II auf diese übertragen hat. Die Bundesagentur für Arbeit führt jedoch nicht die eigentliche Vollstreckung durch. Vollstreckungsbehörden für Forderungen nach dem SGB II sind in Ermangelung einer speziellen Bestimmung gem. § 4 lit b) VwVG die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, d.h. die Hauptzollämter (vgl. dazu Aubel, jurisPK SGB II, § 40 Rn. 276). Das Hauptzollamt ist vorliegend noch nicht tätig geworden. Es ist nicht einmal erkennbar, dass bereits eine Vollstreckungsanordnung erfolgt wäre. Aus dem Schreiben der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service vom 10. September 2018 ist das nicht herleitbar. Dieses Schreiben ist eine Mahnung. Es ist mit "Mahnung im Auftrag des Jobcenters" überschrieben, mit ihm wird die Klägerin unter Fristsetzung von 14 Tagen zur Zahlung gemahnt. Die Mahnung gehört aber noch nicht zur eigentlichen Vollstreckung. Nach § 3 Abs. 3 VwVG ist eine Mahnung in der Regel Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung und damit der Vollstreckung zeitlich vorgelagert. Die Mahnung ist kein Verwaltungsakt, da sie keine über den Leistungsbescheid hinausgehende Regelung des Falles enthält. Infolgedessen ist die Mahnung keine Vollstreckungsmaßnahme. Sie ist vielmehr eine Vollstreckungsvoraussetzung für den Ablauf des weiteren Verfahrens. Mit der Mahnung wird also die Zwangsvollstreckung noch nicht eingeleitet (Sadler/Kremer in: Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2020, § 3 Rn. 67 a.E., Rn. 68 m.w.N.).

Selbst wenn man aber eine Klage auf Einstellung der Vollstreckung bereits vor Anordnung der Vollstreckung, allein aufgrund einer Mahnung und damit vorbeugend, als zulässig erachten würde, so müsste dieser doch jedenfalls ein entsprechender Einstellungsantrag an die Behörde vorausgehen. Dabei kann offenbleiben, ob ein solcher Antrag an den Beklagten, die Bundesagentur für Arbeit oder das Hauptzollamt gerichtet werden muss bzw. kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 25.6.2015 – B 14 AS 38/14 R, Rn. 19 ff.), denn jedenfalls hat die Klägerin keinen entsprechenden Antrag gestellt.

Vor allem aber ist eine Klage gegen die Vollstreckung selbst bzw. auf Einstellung der Vollstreckung nur dann zulässig, wenn es um Einwendungen gegen die Vollstreckung als solche geht. Das ergibt sich aus § 256 AO, wonach Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen sind. Die Klägerin macht tatsächlich aber keine Einwendungen bezogen auf die Vollstreckung geltend (etwa Wegfall der Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen, Wegfall des zu vollstreckenden Verwaltungsakts durch dessen Aufhebung, Erlöschen des Leistungsanspruchs oder Stundung der Leistung, vgl. § 257 Abs. 1 AO). Sie trägt vielmehr vor, dass und warum der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 9. Mai 2011 aus ihrer Sicht rechtswidrig und die ihn bestätigenden Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts falsch seien. Diese Einwendungen sind im Vollstreckungsverfahren aber nicht zulässig.

2. Die Klage wäre auch dann unzulässig, wenn der Klageantrag ausgelegt wird als Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, gerichtet auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Einleitung einer Vollstreckung nicht vorliegen. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob sich eine solche Klage gegen den Beklagten richten kann oder aber gegen die Bundesagentur für Arbeit erhoben werden müsste. Zwar kann die Frage, ob die Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung vorliegen, ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis begründen (vgl. BSG, Urteil vom 14.5.2020 – B 14 AS 28/19 R, Terminbericht Nr. 17/20 vom 14.5.2020). Doch auch hier muss es um vollstreckungsspezifische Aspekte gehen. Einwände gegen den Bescheid, aus dem vollstreckt werden soll, können mit einer Feststellungsklage nicht geltend gemacht werden, da insoweit die Anfechtungsklage Vorrang hat und deren besondere Voraussetzungen nicht umgangen werden dürfen. Die Klägerin erhebt aber – wie oben bereits dargelegt – lediglich Einwände gegen den Bescheid vom 9. Mai 2011 selbst.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.

S
Rechtskraft
Aus
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