L 2 R 101/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 R 1223/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 101/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. August 2018 aufgehoben und die Klage unter Berücksichtigung der von der Beklagten am 16. Oktober 2019 und 15. Juli 2020 abgegebenen Teilanerkenntnisse abgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zur Hälfte. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 25. April 1956 geborene Kläger machte eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und war bis September 1990 in diesem Beruf tätig. Anschließend übte er eine selbständige Tätigkeit im Im- und Export bis Oktober 1993 aus.

Der Kläger beantragte am 23. Oktober 2012 bei der Beklagten erstmals die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit hatte zuvor in einem Gutachten vom 13. Juni 2012 nach Untersuchung des Klägers eine behandelbare Gelenk- und Wirbelsäulenminderbelastbarkeit, eine Störung von Antrieb und Durchhaltevermögen, episodisch verstärkt bei seelischer Minderbelastbarkeit, Schwindel, eine Blutdruckregulationsstörung und Übergewicht festgestellt. Tätigkeiten könnten im Umfang von täglich 3 bis unter 6 Stunden verrichtet werden.

Die Beklagte beauftragte den Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Phlebologie Dr. P. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 12. Juli 2013 bei dem Kläger Zervikozephalgien bei leichteren degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule ohne radikuläre Ausbreitung, in Intervallen auftretende Kreuzschmerzen bei leichter Fehlstatik der Wirbelsäule und eine Arthralgie beider Kniegelenke. Der Kläger sei in der Lage, täglich 6 Stunden und mehr mittelschwere Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen zu verrichten. Vermieden werden sollten Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, schweres Heben, Tragen und Bewegen sowie häufiges Bücken und Überkopfarbeiten.

Dr. H., Fachärztin für Neurologie, diagnostizierte in ihrem von der Beklagten beauftragten Gutachten vom 13. Februar 2014 ein mildes hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma 1973 und eine undifferenzierte Somatisierungsstörung. Der Kläger sei in der Lage, täglich 6 Stunden und mehr körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Gehen, Sitzen und Stehen zu leisten. Die Tätigkeit sollte in Tagschicht organisiert sein. Vermieden werden sollten Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, insbesondere Überkopfarbeiten, schweres Heben und Tragen und häufiges Bücken. Es sollten zudem Arbeiten vermieden werden, die ein hohes Maß an Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie Umstellungs- und Anpassungsvermögen erforderten. Die Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge könne nicht gefordert werden. Stressoren wie extremer Zeitdruck und Lärm sollten vermieden werden. Es sollten auch keine erhöhten Anforderungen an das Hörvermögen gestellt werden und auch Arbeiten, die eine hohe Trittsicherheit erforderten, sollten gemieden werden.

Mit Bescheid vom 28. Februar 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Der Kläger könne mit dem bei ihm noch vorhandenen Leistungsvermögen mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 3. April 2014 Widerspruch ein und fügte aktuelle Atteste seiner behandelnden Ärzte bei. Seine Erkrankungen und ihre Symptome würden es ihm unmöglich machen, einer üblichen Tätigkeit nachzugehen. Die Prognose seiner behandelnden Ärzte sei, dass es keine Tendenz zur Besserung seines Gesundheitszustandes gebe. Dr. M. teilte mit Befundbericht vom 31. März 2014 mit, dass der Kläger sich seit 2013 in seiner dauerhaften Behandlung wegen depressiver Verstimmungen und multipler körperlicher Beschwerden befinde. Es lägen psychosomatische Beschwerden mit Angstzuständen und Versagensängsten sowie ein geminderter Antrieb vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2015 nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme zurück. Nach sozialmedizinischer Würdigung sämtlicher vorliegender Unterlagen sowie Befunde könne der Kläger noch Tätigkeiten von mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Der Kläger sei dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen, da er sich nicht aus gesundheitlichen Gründen von seinem erlernten Beruf gelöst habe.

Der Kläger hat hiergegen am 4. November 2015 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Seine Gesundheitsstörungen seien von der Beklagten nicht ausreichend beurteilt worden. Die im Widerspruchsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen würden bestätigen, dass ihm nur noch eine unter halbschichtige Beschäftigung möglich sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Frau L ... Diese führt in ihrem Gutachten vom 31. Januar 2017 aus, dass der Kläger unter rezidivierenden depressiven Episoden vermutlich auf der Basis psychosozialer Belastungsfaktoren, einer Somatisierungsstörung und einer Angststörung, einem chronischen Cephalgie-Syndrom mit Hinweis auf migräneartige Kopfschmerzen und zervikogenem Kopfschmerz, einem Verdacht auf eine beginnende Polyneuropathie der Beine, einen Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma 1973 mit Verdacht auf eine posttraumatische Enzephalopathie und Hypakusis links nach Schläfenbeinfraktur mit Tinnitus und erhöhter neurotischer Stimmung leide. Als Nebendiagnosen bestünden ein chronisches Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei leichten degenerativen Veränderungen und Fehlstatik und Arthralgien, ein arterieller Hypertonus, nicht ausreichend eingestellt, eine Hypercholesterinämie, eine Hyperurikämie, Adipositas, eine chronische Gastritis und ein chronisches Schmerzsyndrom. Einschränkungen bestünden für regelmäßige Arbeit mittelschwerer und schwerer körperlicher Art, durchschnittlicher höherer geistiger Art, mit durchschnittlicher gehobener Verantwortung, bei Arbeit im Stehen und Sitzen, mit ausschließlich und überwiegendem Tragen, Heben und Bücken, unter Zeitdruck, Akkord, Schichtarbeit und Nachtarbeit, unter Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen und Geräuschen, auf Leitern und Gerüsten und sonst gefährdenden Arbeitsplätzen. Zusätzliche Pausen in Abhängigkeit vom Tätigkeitsfeld und persönliche Hilfen bzw. technische Arbeitshilfen könnten von Vorteil sein. Die zumutbaren Arbeiten könnten halbschichtig mit 4 Stunden pro Tag an 5 Tagen in der Woche geleistet werden. Es könnten zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit benutzt werden und zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 Metern zu Fuß ohne erhebliche Schmerzen, übermäßige körperliche Anstrengung und erhebliche Gesundheitsgefährdung in weniger als 20 Minuten zurückgelegt werden. Die Einschränkungen bestünden seit Antragstellung 2012. Im psychiatrischen Befund hat die Sachverständige den Kläger als ruhig und ausgeglichen geschildert. Es bestehe kein Anhalt auf Depressivität. Der Kläger sei affektiv modulationsfähig. Im Laufe der Exploration klängen Überforderungserleben und eine resignative Haltung in Bezug auf die familiäre und soziale Situation an. Bei den geschilderten depressiven Episoden des Klägers handele es sich am ehesten um Depressionen leichten bis mittelschweren Ausmaßes. Bei der Untersuchung zeige sich ein rüstiger Kläger, der einerseits einen resignativen, zum Teil auch verbitterten Eindruck vermittle mit Hinweisen auf Überforderungserleben und auch regressiven Anteilen, der aber andererseits insgesamt eher selbstbewusst und reflektiert erscheine. Phasenweise sei es dem Kläger sehr schlecht gegangen und auch in Zukunft könne es ihm sehr schlecht gehen. Die Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. Limitierende Faktoren seien die Multimorbidität unter der der Kläger leide, die neben der Arbeit und dem Erledigen von Angelegenheiten einen erheblichen Aufwand zum Handling der Erkrankungen erfordere (z. B. Arztbesuche) und das fortgeschrittene Alter des Klägers. Außerdem sei der Kläger seit 2009 fortlaufend krankgeschrieben, ein Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit sollte behutsam erfolgen zur Vermeidung von Überforderung.

Die Beklagte hat sich gegen das Gutachten gewandt. Die Einschätzung der Sachverständigen sei nicht nachvollziehbar. Sowohl auf körperlichem Gebiet als auch vom psychischen Eindruck her werde eine Besserung beschrieben. Daraus lasse sich in keinem Falle ein eingeschränktes oder gar aufgehobenes Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt ableiten. Wie im Leben eines jeden Menschen gebe es leider gesundheitliche, private und berufliche Belastungssituationen, die entsprechend zu adäquaten Herabgestimmtheiten führten. Diese seien aber nicht gleichzusetzen mit psychiatrischen Erkrankungen von sozialmedizinischer Relevanz. Ohne Zweifel bestehe angesichts auch der körperlichen Erkrankungen, der familiären Probleme und der beruflichen Belastungssituationen eine nachvollziehbare Verbitterung und Resignation. Aber auch hier schränke die Sachverständige selbst ein, dass der Kläger insgesamt eher selbstbewusst und reflektiert erscheine. Der Kläger bringe offenbar auch, so beschreibe es die Sachverständige, genügend Energie auf, um den laufenden Rechtsstreit in Eigenregie zu bewältigen. Dies alles spreche für gut erhaltene soziale Kompetenzen, eine gute Willens- und Durchhaltefähigkeit und die Möglichkeit, zielführend und planvoll zu handeln. Zusammenfassend bestätige das Gutachten die bisherige Einschätzung eines über sechsstündigen Leistungsvermögens.

Die Sachverständige Frau L. hat am 13. Juni 2017 ergänzend Stellung genommen, dass der Kläger neben den in der Zusammenfassung und Beurteilung genannten neurologisch-psychiatrischen Diagnosen unter insgesamt acht weiteren Diagnosen leide. Außerdem leide der Kläger unter multiplen Erkrankungen aus dem internistischen und orthopädischen Fachgebiet. Aufgrund der Multimorbidität, die sich nicht allein in den neurologisch-psychiatrischen Diagnosen wiederfinde, sei der Kläger seit 2009 fortlaufend krankgeschrieben. Auf Seite 12 des Gutachtens werde in der Zusammenfassung und Beurteilung ausgeführt, dass "bei der Schwere und Ausprägung der in den Nebendiagnosen genannten Erkrankungen eine Akzentuierung der depressiven Symptomatik zu vermuten sei und umgekehrt". Das Handling der vielen Erkrankungen erfordere neben den tagesformabhängigen gesundheitlichen Einschränkungen viel Zeit und Organisation. Der Sachverständigen sei es nicht möglich nachzuvollziehen, wie der Kläger das neben einer täglichen Arbeitszeit, die länger als vier Stunden angesetzt werde, bewältigen solle. Zumal er seit 2009 nicht mehr gearbeitet habe und mittlerweile fortgeschrittenen Alters sei. In dem Gutachten werde zudem aufgeführt und diskutiert, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung unter aktuell veränderter antidepressiver Medikation einen in psychischer Hinsicht stabiler erscheinenden Eindruck mache und dass sich ansatzweise ein positives Leistungsbild herstellen lasse. Es werde aber auch darauf hingewiesen, dass dieser Eindruck nicht den Schluss zulasse, dass das psychische System zurzeit stabil sei. Es werde ferner darauf abgestellt, dass der Kläger auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet noch nicht ausreichend behandelt sei und dass mit einer eventuellen Verbesserung der Leistungsfähigkeit zu rechnen sei. Dies könnte durch eine medizinische Rehabilitation erreicht werden. Es werde noch einmal darauf hingewiesen, dass aufgrund bestimmter Faktoren eine Überforderung beim Wiedereinstieg in die Berufsfähigkeit vermieden werden sollte.

Das Sozialgericht Hamburg hat mit Urteil vom 13. August 2018 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung beginnend ab dem 1. Mai 2013 befristet bis zum 31. Juli 2021 zu gewähren. Der Kläger habe nach Überzeugung der Kammer einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Der Kläger sei teilweise erwerbsgemindert. Er sei nur in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus einer Gesamtwürdigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen sowie der Aussagen der behandelnden Ärzte, insbesondere aus dem Gutachten von Frau L ... Diese komme überzeugend zu dem Ergebnis, dass der Kläger Arbeiten nur noch halbschichtig mit 4 Stunden pro Tag leisten könne. Die Kritik der Beklagten an dem Gutachten der Sachverständigen überzeuge hingegen nicht. Sofern die Beklagte darauf hinweise, dass der Kläger das Verfahren vor Gericht in Eigenregie bewältigt habe und hieraus eine gut erhaltene soziale Kompetenz, eine gute Willens- und Durchhaltefähigkeit und die Möglichkeit zielführend und planvoll zu handeln ableite, vermöge die Kammer dem nicht zu folgen. Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern aus der sporadischen und über einen längeren Zeitraum gestreckten Korrespondenz des Klägers mit dem Gericht auf ein Leistungsvermögen seinerseits für eine regelmäßige über sechs Stunden täglich umfassende Arbeit geschlossen werden könne. Hinsichtlich der Kritik, dass die auch von der Sachverständigen genannten psychiatrischen Diagnosen nicht ausreichten, um ein eingeschränktes oder aufgehobenes Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, führe diese in ihrer Stellungnahme vom 13. Juni 2017 überzeugend aus, dass ihre Einschätzung nicht allein auf den Diagnosen im Bereich der Psychiatrie und Neurologie beruhe. Vielmehr habe sie auch die bei dem Kläger bestehenden Diagnosen auf anderen Fachgebieten berücksichtigt und mit in ihre Bewertung einbezogen. Bei Erteilung des Bescheides vom 28. Februar 2014 habe der Kläger weder einen Teilzeitarbeitsplatz innegehabt noch sei ihm ein entsprechender Teilzeitarbeitsplatz binnen eines Jahres ab Antragstellung von der Beklagten angeboten worden. Mithin sei vorliegend von einer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes auszugehen. Damit stehe dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, die nach § 102 Abs. 2 S. 1, 2 und 5 SGB VI auf drei Jahre zu befristen sei.

Gegen das ihr am 23. August 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. September 2018 Berufung eingelegt. Die Beklagte beruft sich weiter auf ihre erstinstanzliche Stellungnahme zum Gutachten von Frau L ... Des Weiteren wendet sie sich gegen eine Befristung bis zum 31. Juli 2021. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 16. Oktober 2019 anerkannt, dass bei dem Kläger eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer ausgehend vom Eintritt eines Leistungsfalles am 20. März 2013 vorliege und die gesetzlichen Leistungen erbracht werden. Die im Rahmen des Streitverfahrens notwendig entstandenen Kosten des Klägers hat die Beklagte zur Hälfte anerkannt. In der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2020 hat sie ihr Teilanerkenntnis erweitert und den Eintritt eines Leistungsfalles für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit am 23. Oktober 2012 angenommen. Ein Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente liege hingegen weiterhin nicht vor.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. August 2018 aufzuheben und die Klage unter Berücksichtigung ihrer Teilanerkenntnisse vom 16. Oktober 2019 und 15. Juli 2020 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte von Prof. Dr. C. vom 25. Oktober 2018, dem HNO-Zentrum vom 19. Oktober 2018, der Allgemeinärztin Frau H. vom 12. November 2018 und dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 30. Oktober 2018 eingeholt. Dr. S. hat ausgeführt, dass der Kläger im psychischen Befund wach, klar, allseits orientiert, in der Stimmung euthym, affektiv unauffällig in der Schwingungsfähigkeit und ohne kognitive oder mnestische Störungen sei. Es lägen ein Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma, anfallsartige Schwindelanfälle, Cephalgien, eine somatoforme autonome Funktionsstörung von Herz und Kreislauf, Angst und depressive Störung gemischt, Synkopen und Kollaps und eine nicht näher bezeichnete Polyneuropathie vor.

Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens von Dr. N. vom 28. Februar 2019. Mit durchgehend erhaltener Aufmerksamkeit verfolge der Kläger attent das gesamte Explorationsgespräch. Erst gegen Ende des psychiatrischen Interviews hätten Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen nachgelassen. Eine gedankliche Gefangenheit in negativen Kognitionen, depressiven Gefühlen liege nicht vor. Die Willenskräfte seien ausreichend strukturiert und zielgerichtet, Ambivalenz und Ambitendenz bestünden nicht. Der Kläger sei in der Lage, Entscheidungen zu fällen und diese auch argumentativ zu vertreten. Die Antriebslage sei leicht zurückgenommen, insgesamt sei der Antrieb aber noch ausreichend erhalten. Der Kläger könne intentionale Spannungsbögen aufbauen. Das Durchhaltevermögen sei ausreichend erhalten. Zum Ende der Exploration wirke der Kläger geringfügig beeinträchtigt im Sinne einer diskreten hirnorganisch bedingten psychomotorischen Verlangsamung. In der emotional affektiven Schwingungsfähigkeit verfüge der Kläger durchaus nuanciert über das gesamte Ausdrucksspektrum. Mehrfach könne der Kläger zum positiven Pol mitschwingen. Die Grundstimmung sei meist in der mittleren Lage, gelegentlich aber auch leicht depressiv gedrückt. Einzelne Ängste würden vom Kläger thematisiert und klängen im Hintergrund an. Es lägen eine Angst- und depressive Störung gemischt, ein mildes hirnorganisches Psycho-syndrom nach Schädel-Hirn-Trauma mit multiplen Symptomen wie Kopfweh, Erschöpfung, Wahrnehmung von Konzentrationseinschränkung und geistiger Leistungsfähigkeit, Schilderung von Gedächtnisstörungen und verminderter Stressbelastbarkeit, ein Wirbelsäulensyndrom mit Betonung im Hals-, geringer auch im Lendenwirbelsäulenbereich ohne Nachweis nervenwurzelbezogener neurologischer Defizite oder einer medullären Störung, ein arterieller Bluthochdruck sowie eine Adipositas vor. Insgesamt sei die Symptomatik im Hinblick auf eine depressive Störung nur leicht ausgeprägt. Eine mittelschwere oder schwere Depression liege nicht vor. Trotz der genannten Diagnosen verfüge der Kläger über ausreichend Ressourcen in den psychischen Grundfunktionen. Er besitze durchaus die Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen sowie die Fähigkeit zur Planung von Aufgaben. Flexibilität und Umstellungsfähigkeit seien ausreichend erhalten. Im Bereich des Antriebes bestünden geringfügige Einschränkungen ebenso im Bereich der Durchhalte- und Widerstandsfähigkeit. Der Kläger könne sechs Stunden und mehr täglich leichte und mittelschwere Arbeiten einfacher und durchschnittlicher geistiger Art mit geringer und durchschnittlicher Verantwortung verrichten. Der Kläger sollte möglichst wechselnde Körperpositionen einnehmen. Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, unter Akkord- und unter Nachtarbeitsbedingungen seien zu vermeiden. Der Kläger sollte keine Überkopfarbeiten ausüben und auch keine Arbeiten, die ständiges oder häufiges Bücken oder Arbeiten in hockender, kauernder Körperhaltung erforderten. Die Tätigkeiten sollten nur zu ebener Erde verrichtet werden. Wegefähigkeit bestehe beim Kläger. Der Kläger sei auch in der Lage, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Der Kläger verfüge über gute Ressourcen in den komplexen Ich-Funktionen. Der Ausprägungsgrad der ängstlich depressiven Symptomatik sei deutlich geringer als von Frau L. angenommen.

Der Kläger hat daraufhin ein Attest seines behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 20. August 2019 eingereicht. Dieser gibt an, dass der Kläger als multimorbider Patient einzuschätzen sei und aus psychiatrischer Sicht nicht mehr in der Lage sei, mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift vom 25. März 2020 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Termin vom 15. Juli 2020 in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da er ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Falle seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann.

Die statthafte (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes für die Zeit vom 1. Mai 2013 befristet bis zum 31. Juli 2021 zu gewähren. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aufgrund eines Leistungsfalles vom 23. Oktober 2012 hat die Beklagte durch Teilanerkenntnisse vom 16. Oktober 2019 und 15. Juli 2020 anerkannt.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten in der Fassung der Teilanerkenntnisse vom 16. Oktober 2019 und 15. Juli 2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung noch einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte nach § 43 Abs. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert, da er noch sechs Stunden und mehr täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann. Es ist dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. N. zu folgen. Bei dem Kläger liegen eine Angst- und depressive Störung gemischt, ein mildes hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma, ein Wirbelsäulensyndrom mit Betonung im Hals-, geringer auch im Lendenwirbelsäulenbereich, ein arterieller Bluthochdruck sowie eine Adipositas vor. Das Leistungsvermögen des Klägers ist zwar in qualitativer Hinsicht eingeschränkt, aber körperlich leichte Tätigkeiten kann er noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Insbesondere sind die Angststörung und die depressive Störung nicht so ausgeprägt, dass der Kläger nicht mehr erwerbstätig sein könnte. Bei der Untersuchung durch Dr. N. war der Kläger in der Antriebslage zwar leicht zurückgenommen, aber insgesamt war der Antrieb noch ausreichend erhalten. Der Kläger zeigte sich emotional affektiv schwingungsfähig und in der Grundstimmung meist in der mittleren Lage und nur gelegentlich leicht depressiv gedrückt. Eine mittelschwere oder schwere Depression war nicht erkennbar. Diese Einschätzung deckt sich weitestgehend mit dem psychopathologischen Befund, den Frau L. erhoben hat. Die Sachverständige schilderte den Kläger als ruhig und ausgeglichen sowie affektiv modulationsfähig. In der Untersuchung konnte sie keinen Anhalt für eine Depressivität des Klägers feststellen. Bei den von dem Kläger geschilderten Episoden hat es sich auch ihrer Ansicht nach allenfalls um eine Depression leichten bis mittelschweren Ausmaßes gehandelt. Auch der behandelnde Neurologe und Psychiater des Klägers Dr. S. hat im Befundbericht vom 30. Oktober 2018 ausgeführt, dass der Kläger im psychischen Befund in der Stimmung euthym, affektiv unauffällig in der Schwingungsfähigkeit und ohne kognitive oder mnestische Störungen sei. Eben so wenig lassen der vom Kläger geschilderte Tagesablauf und seine aktuelle Lebenssituation darauf schließen, dass er in seiner Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt sein könnte. Der Kläger führt seinen eigenen Haushalt, trifft sich mehrmals in der Woche mit Freunden und seiner Partnerin und berichtete im Rahmen der Begutachtungen von gelegentlichen Ausflügen und Unternehmungen und seinem Interesse an technischen Neuigkeiten.

Des Weiteren ist der Kläger zwar durch ein hirnorganisches Psychosyndrom beeinträchtigt, aber nicht in einem Umfang, dass seine Erwerbsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht gemindert wäre. Der Kläger kann noch einfache und durchschnittliche Arbeiten geistiger Art mit geringer und durchschnittlicher Verantwortung verrichten. Lediglich zum Ende der Untersuchung konnte Dr. N. eine diskrete hirnorganisch bedingte psychomotorische Verlangsamung feststellen.

Unter Beachtung der qualitativen Leistungseinschränkungen ist der Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr auszuüben. Die Annahme von Frau L., dass der Kläger in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt sei, deckt sich nicht mit dem von ihr und auch Dr. N. erhobenen psychopathologischen Befund sowie der Schilderung des Klägers über seine Alltagsaktivitäten. Hierbei ist entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sehr wohl auch zu berücksichtigen, dass der Kläger sein Rentenbegehren gut strukturiert und mit Nachdruck verfolgt, Termine einhält und in der Lage ist, für seine Interessen einzutreten. Frau L. stützt sich insgesamt sehr auf die subjektive Schilderung des Klägers zu seiner Leistungsfähigkeit, ohne dies mit den objektiv erhobenen Befunden abzugleichen. Ihre Argumentation stützt sich dabei u. a. auf das fortgeschrittene Alter und die Multimorbidität, die durch Arztbesuche einen großen Aufwand erfordere, und die lange Abwesenheit des Klägers aus dem Erwerbsleben. Damit beschreibt sie sicherlich erschwerende Umstände für eine Arbeitsaufnahme, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigende Diagnosen sind darin allerdings nicht zu sehen.

Entgegen der Auffassung von Frau L. ist davon auszugehen, dass der Kläger auch seine Hemmungen gegenüber einer Arbeitsaufnahme überwinden kann. Ein ausgeprägtes Rentenbegehren kann bei dem Kläger durchaus vorhanden sein. Im psychopathologischen Befund hat sich der Kläger aber nur mäßig beeinträchtigt gezeigt, insbesondere ist der Antrieb ausreichend erhalten. Frau L. hat den Kläger zwar als einerseits resignativ und verbittert beschrieben, andererseits aber auch als selbstbewusst und reflektiert. Es ist daher der Auffassung von Dr. N. zu folgen, dass der Kläger über ausreichende Ressourcen verfügt, um eine Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit herzustellen.

Der Kläger hat kurz vor dem Verhandlungstermin noch weitere ärztliche Unterlagen eingereicht. Nach dem vorläufigen Arztbrief des A.-Krankenhauses wurde der Kläger dort im April 2020 wegen einer Gastritis aufgrund einer Infektion mit Helicobacter pylori behandelt. In einem weiteren Notfallbericht des A.-Krankenhauses aus April 2020 wird eine allergische Reaktion beschrieben. Des Weiteren werden Überweisungsscheine wegen einer Ringbandstenose und einem Diabetes mellitus vorgelegt. Hierbei handelt es sich um therapierbare Erkrankungen, die zu keiner dauerhaften Einschränkung des Leistungsvermögens führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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