L 2 AL 2/20

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 469/19
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 2/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Januar 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis zum 30. November 2018 hat. Der 1968 geboren Kläger war vom 1. Februar 2001 bis zum 31. Januar 2018 bei der Unternehmensberatung E. GmbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitnehmerseitige Kündigung vom 27. Juli 2017. Zuvor war der Kläger ab 1. Oktober 1987 bis zum 30. September 1989 Soldat auf Zeit gewesen, zwischen dem 19. September 1990 und dem 8. September 2017 absolvierte er insgesamt 59 Reservedienstleistungen. Aufgrund einer Verpflichtungserklärung vom 5. Oktober 2017 wurde die Dienstzeit des Klägers mit Schreiben des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 3. August 2017 auf 5 Jahre 7 Monate und 11 Tage festgesetzt. Ab dem 1. November 2017 war der Kläger aufgrund dessen erneut Soldat auf Zeit, die Dienstzeit endete entsprechend der Verpflichtungserklärung mit Ablauf des 30. April 2018. Laut Arbeitsbescheinigung des Bundesverwaltungsamtes erhielt der Kläger in diesem Zeitraum monatlich rund 5000 EUR brutto an Dienstbezügen. Darüber hinaus erhielt er eine Übergangsbeihilfe nach dem Soldatenversorgungsgesetz in Höhe von 8342,96 EUR. Am 25. April 2018 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 1. Mai 2018 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (ALG) und Arbeitslosenbeihilfe-Soldat auf Zeit (ALB-SZ), wobei er zugleich anzeigte, dass er sich ab dem 15. August 2019 erneut in einer Beschäftigung befinde. Mit Bescheid vom 7. August 2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf ALB-SZ ab, weil der Kläger einen vorrangigen Anspruch auf ALG habe. Mit weiteren Bescheid vom 7. August 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger ALG für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis zum 31. Dezember 2018 in Höhe von 15,72 EUR täglich und für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis 30. Juli 2019 in Höhe von 15,91 EUR täglich. Der Widerspruch des Klägers gegen den Ablehnungsbescheid des Antrags auf ALB-SZ blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. November 2019). Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 22. Januar 2020 den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2019 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "dem Kläger vom 1. Mai 2019 bis zum 30. November 2019 Arbeitslosenbeihilfe gemäß den gesetzlichen Bestimmungen unter Anrechnung des für diesen Zeitraum gezahlten Arbeitslosengeldes zu bewilligen." Zur Begründung ist ausgeführt, entgegen der Ansicht der Beklagten ruhe der Anspruch auf ALB-SZ nach der Vorschrift des § 86a Abs. 1 Satz 2 Nummer 5 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) nur in Höhe des bezogenen ALG. Die Sicherung des Soldaten müsse sich an den Bezügen der Dienstzeit orientieren, weil der Gesetzgeber mit Einführung der ALB-SZ eine Sicherung gerade auf diesem Niveau angestrebt habe. Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. Januar 2020 zugestellte Urteil am 24. Januar 2020 Berufung eingelegt, mit welcher sie vorträgt, es gehe tatsächlich um den Zeitraum vom 1. Mai 2018 bis zum 30. November 2018. In diesem Zeitraum habe dem Kläger ALB-SZ nicht zugestanden, da die Voraussetzungen des § 86a Abs. 1 Satz 1 SVG nicht vorlägen. Voraussetzung für einen solchen Anspruch sei nämlich, dass der ehemalige Soldat auf Zeit nach einer Beendigung einer Wehrdienstzeit von mindestens zwei Jahren arbeitslos geworden sei. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, denn der Kläger habe innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist, die vom 1. Mai 2016 bis zum 30. April 2018 dauere, keine 12 Monate Wehrdienstzeiten zurückgelegt. Damit erfülle er die Voraussetzungen für den Anspruch auf ALB-SZ schon dem Grunde nach nicht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts vom 22. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Er habe durchaus über 2 Jahre Wehrdienst als Soldat auf Zeit geleistet, jedoch nicht in einem zusammenhängenden Zeitraum. Jedenfalls sei er beim Ausscheiden aus der Bundeswehr auch als SaZ2 geführt worden. Damit erfülle er die Voraussetzungen der Norm. Er habe vor der Arbeitslosigkeit einen jahrelangen lückenlosen Beschäftigungsverlauf gehabt und erfülle damit die geforderte Anwartschaftszeit.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 23. September 2020 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist auch begründet. Die Beklagte und Berufungsklägerin ist passiv legitimiert, denn sie ist die nach § 86a Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 SVG für die Erbringung der Leistung "Arbeitslosenbeihilfe" zuständige Behörde (mit ausführlicher Begründung: BSG, Urteil vom 14. Mai 2014 – B 11 AL 14/13 R, Juris). Nach § 86a Abs. 1 SVG erhalten Soldaten auf Zeit, die nach Beendigung einer Wehrdienstzeit von mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, eine Arbeitslosenbeihilfe. Auf die Arbeitslosenbeihilfe sind die Vorschriften des SGB über das Arbeitslosengeld u.a. mit der Maßgabe anzuwenden, dass für den Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe die Wehrdienstzeit als Soldat auf Zeit der Zeit eines Versicherungspflichtverhältnisses gleichsteht (§ 86a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SVG). Nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) setzt der Anspruch auf Arbeitslosengeld und damit auch Arbeitslosenbeihilfe voraus, dass Arbeitslosigkeit vorliegt, der ehemalige Soldat auf Zeit sich bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Nach § 142 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, wobei die Rahmenfrist zwei Jahre beträgt und mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld beginnt (§ 143 Abs. 1 SGB III). Ob man die Auffassung vertritt, nach § 86a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SVG gelte die gesamte Wehrdienstzeit als eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigungszeit i.S.v. § 142 Satz 1 SGB III (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Februar 2010 – L 12 AL 2563/09, Juris), oder ob man die Wehrdienstzeit von zwei Jahren innerhalb der Rahmenfrist fordert (so Fischer, Die Arbeitsförderung von Soldaten auf Zeit, AuB 2002, 1), kann dabei dahinstehen. Mit einer Wehrdienstzeit von sechs Monaten innerhalb der Rahmenfrist ist die Anwartschaftszeit jedenfalls nicht erfüllt. Dies gilt selbst dann, wenn man die Zeiten als Reservedienstleistender, die der Kläger in der Rahmenfrist zurückgelegt hat, zu dieser Zeit hinzuziehen würde. Die Rahmenfrist von zwei Jahren umfasst hier den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. April 2018. In dieser Zeit hat der Kläger nach eigenen Angaben, die als zutreffend unterstellt werden können, zu den oben genannten sechs Monaten weitere ca. dreieinhalb Monate als Reservedienstzeiten zurückgelegt (6. Juli bis 9. September 2016, 24. April bis 28. April 2017, 3. August bis 8. September 2017). Auch damit ist indes die erforderliche Anwartschaftszeit von zwölf Monaten nicht erfüllt. Außerhalb der Rahmenfrist gelegene Reservedienstzeiten sind nach dem oben dargelegten und insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschriften des SVG und des SGB III nicht anzurechnen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 86a SVG, wie sich aus dessen Begründung ergibt, in welcher es heißt (BT-Drs. 11/538, S. 1 und BT-Drs. 11/286, S. 5): "Soldaten auf Zeit sind im Falle der Arbeitslosigkeit nach dem Wehrdienst durch den nach dem Soldatenversorgungsgesetz zustehenden Anspruch auf Dienstzeitversorgung nicht in allen Fällen ausreichend sozial gesichert. Wären sie in einem Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer verblieben, statt den für die Gemeinschaft notwendigen Dienst als Soldaten auf Zeit zu leisten, so hätten sie nach dem Arbeitsförderungsgesetz zum Teil eine weitergehende Absicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit", sowie: "Soldaten auf Zeit haben bei Beendigung ihrer Dienstzeit — je nach deren Dauer — einen Anspruch auf berufsfördernde Maßnahmen und auf gewisse finanzielle Leistungen, um den Übergang in das zivile Berufsleben zu erleichtern. Die bisherige soziale Sicherung reicht aber bei Arbeitslosigkeit nicht aus." Hieraus wird deutlich, dass die Vorschrift auf Absicherung der Zeitsoldaten zielt, die neben der Wehrdienstleistung keiner anderweitigen beruflichen Tätigkeit nachgehen bzw. nachgehen können. Dies ist bei einer Streckung eines großen Teils der Dienstzeit über einen Zeitraum von fast 30 Jahren nicht der Fall. Auch die von dem Kläger bei der E. GmbH zurückgelegte Zeit beitragspflichtiger Beschäftigung ist nicht mit der zurückgelegten Wehrdienstzeit zu kumulieren. Dies folgt gleichfalls aus Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift. Das besondere Schutzbedürfnis der Soldaten auf Zeit im Hinblick auf Arbeitslosigkeit gerade wegen des Wehrdienstes besteht nur im Rahmen der entsprechenden zeitlichen Verknüpfung, die über die erforderliche Anwartschaftszeit hergestellt wird (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Februar 2010 – L 12 Al 2563/09, Juris). Diese Verknüpfung ist indes jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Rahmenfrist überwiegend mit Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung und nur zu einem untergeordneten Anteil mit Wehrdienstzeiten belegt ist. In diesem Fall ist die soziale Sicherung durch das Beschäftigungsverhältnis gewährleistet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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