L 2 AL 25/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 92/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 25/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 4. April 2016 bis zum 31. Mai 2016 und die daraus folgende Erstattungsforderung in Höhe von 2147,76 EUR Arbeitslosengeld (Alg) sowie Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 720,04 EUR und Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 105,76 EUR. Der 1980 geborene Kläger war zuletzt von August 2011 bis zum 31. März 2016 als Market Assistant Chief Engineer beim H. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers vom 12. Januar 2016. Ab dem 13. Januar 2016 war der Kläger unter Anrechnung von Urlaub und Arbeitszeitguthaben von der Arbeit freigestellt. Am 13. Januar 2016 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg ab 1. April 2016. Mit Bewilligungsbescheid vom 18. März 2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger zunächst Alg ab dem 1. April 2016 bis zum 30. März 2017 in Höhe von 37,68 EUR täglich. Zum 11. Mai 2016 erhielt der Kläger erstmals seit einem Erstgespräch am 8. Februar 2016 persönlich einen Termin in der Arbeitsvermittlung. In diesem Termin gab er an, er wolle seine bisherige nebenberufliche Selbständigkeit ab dem 1. Juni 2016 ausweiten; am 12. Mai 2016 meldete er sich schriftlich in die Selbständigkeit ab dem 1. Juni 2016 ab. In der Erklärung zu selbständiger Tätigkeit gab der Kläger am 15. Mai 2016 an, er habe bis zum 15. April 2016 keine Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Er habe ab dem 1. April 2016 Akquisearbeiten in ganz Deutschland betrieben. Der Erklärung ist ein Auszug aus dem Terminkalender des Klägers beigefügt, welcher am Montag, den 4. April 2016 eine Reise nach G. und in den Folgetagen jeweils mindestens zwei Termine, am Freitag, den 8. April 2016 einen Termin dort ausweist. Des Weiteren übersendete der Kläger Unterlagen, welche Reisen und Aufenthalte des Klägers im Ruhrgebiet und am Niederrhein auch bereits im März 2016 dokumentieren. Mit Bescheid vom 24. Mai 2016 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Juni 2016 auf.

Ebenfalls am 11. Mai 2016 beantragte der Kläger einen Gründungszuschuss und gab dabei an, die selbständige Tätigkeit seit August 2015 im Nebenerwerb auszuüben. Er legte in diesem Zusammenhang einen Businessplan und im August 2016 die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vor. Im Rahmen des diesbezüglichen Verwaltungsverfahrens forderte die Beklagte den Kläger sodann auf, die Einkünfte aus nebenberuflicher Selbständigkeit und das Datum der Nachweise über den Beginn der Hauptberuflichkeit vorzulegen. Dem kam der Kläger nur zum Teil nach, indem er eine Bescheinigung des Finanzamts über die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 1. August 2015 einreichte. Mit Bescheid vom 21. November 2016 und Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2017 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung eines Gründungszuschusses ab mit der Begründung, aufgrund der Bescheinigung des Finanzamtes werde die selbständige Tätigkeit bereits seit 1. August 2015 ausgeübt, seit wann dies hauptberuflich erfolge, könne der Kläger nicht dokumentieren. Die Förderungsvoraussetzungen seien damit nicht gegeben. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 1. April 2016 zurück und forderte von dem Kläger überzahltes Alg in Höhe von 2260,80 EUR sowie Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 757,94 EUR und Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 111,32 EUR zurück. Mit weiterem Bescheid vom 29. Dezember 2016 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 1. April 2016 auf. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2016 ist ausgeführt, der Kläger habe im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Gründungszuschuss Unterlagen zu seiner überregionalen selbständigen Tätigkeit eingereicht. Aus diesen gehe hervor, dass die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit von Anfang an einen zeitlichen Umfang von über 15 Stunden aufgewiesen habe. In der Zeit vom 4. April bis zum 10. April 2016 sei der Kläger bundesweit zur Ausübung der Tätigkeit im Einsatz gewesen. So sei er am 4. April um 6:00 Uhr in G., um 12:00 Uhr in K., um 15:00 Uhr in E. und um 17:00 Uhr in F. im Einsatz gewesen. Auch an den Folgetagen sei der Kläger bundesweit ganztägig im Einsatz gewesen. Der Kläger habe zudem verschiedene Hotelrechnungen eingereicht, aus denen seine ganztägige Anwesenheit hervorgehe. Aus der von ihm vorgelegten Auflistung der zurückgelegten Kilometer gehe hervor, dass der Kläger in diesem Zeitraum insgesamt 3484 km im gesamten Bundesgebiet gefahren sei. Die mehrtägige Ortsabwesenheit sei zudem nicht mitgeteilt worden. Daher sei auch Verfügbarkeit in diesem Zeitraum nicht gegeben gewesen. Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe die Tätigkeit im April und Mai 2016 lediglich nebenberuflich in einem zeitlichen Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausgeübt. Tatsächlich habe er im April lediglich 6,5 Stunden und im Mai 3,75 Stunden gegenüber Kunden abgerechnet. Zum Teil habe er auch Firmen zu Bewerbungsgesprächen aufgesucht. Dass die Beklagte auch Reisezeiten mit angerechnet habe, sei unangebracht, denn es handele sich insoweit nicht um produktive Arbeitszeiten, zumal es sich teilweise auch um Vorstellungsgespräche gehandelt habe. Er sei die gesamte Zeit für die Beklagte verfügbar gewesen. Sein Briefkasten sei regelmäßig geleert worden und er sei über die empfangene Post in Kenntnis gesetzt worden. Mit Urteil vom 3. April 2019 hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten dahingehend abgeändert, dass die Aufhebung der Bewilligung von Alg erst ab 4. April 2016 erfolge. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger sei ab dem 4. April 2016 wegen der nicht genehmigten Ortsabwesenheit nicht verfügbar gewesen. Eine telefonische Erreichbarkeit oder die Leerung des Briefkastens durch Dritte reiche nicht aus. Der Arbeitslose müsse sicherstellen, dass das Arbeitsamt ihm persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichen könne. Erneute persönliche Arbeitslosmeldungen im Anschluss an die jeweiligen verfügbarkeitsschädlichen Ortsabwesenheiten habe es nicht gegeben. Der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat gegen das am 13. Mai 2019 zugestellte Urteil am 7. Juni 2019 Berufung eingelegt, mit welcher er geltend macht, der Kläger habe gegenüber seiner Sachbearbeiterin damals geschildert, wie er beabsichtige, sich auf die Selbständigkeit vorzubereiten und auch, dass in diesem Zusammenhang Reisen, die indes noch nicht geplant gewesen seien, beabsichtigt gewesen seien. Die Sachbearbeiterin habe daraufhin nur erwähnt, dass die Kosten hierfür im Rahmen der Existenzgründung berücksichtigt werden könnten, sie habe ihm jedoch nicht gesagt, dass er sich jede einzelne Reise von ihr vorab genehmigen lassen müsse. Die Vorschriften der Erreichbarkeitsanordnung seien auch kein geeignetes Kriterium, um die tatsächliche Verfügbarkeit eines Leistungsempfängers festzustellen. Der Kläger habe vor seinen Reisen stets dafür Sorge getragen, dass sein Briefkasten jeden Tag geleert worden sei und dass etwaige Post der Beklagten geöffnet, eingescannt und an seine E-Mail-Adresse geschickt worden sei. E-Mails habe er während seiner Reisen mehrfach täglich abgerufen. Er sei somit jederzeit im Bilde über Vermittlungsbemühungen der Beklagten gewesen, solche hätten aber tatsächlich nicht stattgefunden. Im Übrigen seien die Reisen so geplant gewesen, dass er sie jederzeit hätte unterbrechen können, um sofort die Fahrt zur Bundesagentur anzutreten. Es sei auch 2016 schon nicht mehr erforderlich gewesen, persönlich vor dem eigenen Briefkasten auszuharren, um inhaltlich Kenntnis von Schreiben der Bundesagentur zu erlangen. Im Übrigen sei er auch nicht die gesamte Zeit zwischen dem 4. April 2016 und dem 31. Mai 2016 auf Reisen gewesen. Schon aus diesem Grund sei der Leistungsausschluss für den gesamten Zeitraum rechtlich nicht zulässig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. April 2019 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 29. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das erstinstanzliche Urteil sei im Ergebnis zu Recht ergangen. Sowohl die 15-Stunden-Grenze als auch die Anwesenheitspflicht bzw. die Genehmigung von Ortsabwesenheit seien im Merkblatt für Arbeitslose dargestellt. Selbst wenn der Kläger abstrakt von beabsichtigten Reisen gegenüber seiner Sachbearbeiterin gesprochen haben sollte, könne er hieraus keine Genehmigung ableiten. Die Erreichbarkeitsanordnung sei geltendes Recht. Im Übrigen mache es im Nachhinein den Eindruck, als sei der Kläger überhaupt nicht auf der Suche nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gewesen, sondern habe vielmehr intensiv seine Selbständigkeit vorbereiten wollen. Die Beklagte hat am 5. Juni 2019 einen Ausführungsbescheid erlassen und fordert nunmehr 2.147,76 EUR Alg, Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 720,04 EUR sowie Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 105,76 EUR von dem Kläger zurück. Im Erörterungstermin vom 19. Februar 2020 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass bei der Vorsprache am 11. Mai 2016 eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung erfolgt sein könnte. Dem Kläger ist Gelegenheit gegeben worden, zum Vorliegen von Arbeitslosigkeit ab diesem Zeitpunkt dezidiert vorzutragen; eine Stellungnahme ist nicht erfolgt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 23. September 2020 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Ausführungsbescheides vom 5. Juni 2019 ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei einer wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Änderung der Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder wusste bzw. nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). Ermessen ist dabei auch in so genannten atypischen Fällen nicht auszuüben (§ 330 Abs. 3 SGB III).

Bei der Bewilligung von Alg ab 1. April 2016 mit Bescheid vom 18. März 2016 handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB X, da dieser nicht lediglich der einmaligen Gestaltung einer Rechtslage diente, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand von diesem Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründete. In diesem Dauerrechtsverhältnis ist spätestens ab dem 4. April 2016 eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X liegt dann vor, wenn die Behörde unter den objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. So liegt der Fall hier. Der Kläger hatte keinen Anspruch mehr auf Alg ab diesem Zeitpunkt, wobei es auf die Frage, ob der Kläger nicht auch bereits am 1. April 2016 nicht verfügbar war, nicht ankommt. Dies wäre jedenfalls bei Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides vom 18. März 2016 noch nicht absehbar gewesen, weshalb in jedem Fall § 48 SGB X Anwendung findet. Denn die Verwaltung soll ab dem Zeitpunkt der Hinausgabe eines Bescheides eintretende Änderungen nur noch nach § 48 SGB X verwerten müssen, da ansonsten jeder Bescheid auch bei richtiger Bearbeitung durch die Verwaltung unter der Ungewissheit stünde, ob sich nach der Hinausgabe bis zum Wirksamwerden noch die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ändern (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. September 1988 – L 6 Ar 1094/86, Rn. 17, juris).

Die Voraussetzungen des § 48 SGB X liegen spätestens ab dem 4. April 2016 vor. Für den Zeitraum ab dem 1. April 2016 muss der Senat keine Entscheidung treffen, weil nur der Kläger, nicht aber die Beklagte gegen die erstinstanzliche Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hat. Nach § 48 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) bzw. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). Diese Voraussetzungen liegen vor, denn der Kläger befand sich ab dem 4. April 2016 geschäftlich am Niederrhein, was er auch selbst nicht in Abrede stellt, und zwar zunächst bis wenigstens 8. April 2016. Damit war der Kläger ab dem 4. April 2016 bis zum Ende der Reise bereits nicht mehr erreichbar im Sinne des § 138 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB III (alle Angaben zum SGB III in der ab 1. April 2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011) in Verbindung mit § 138 Abs. 5 Nr. 1 und Nr. 2 SGB III und in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 der Erreichbarkeits-Anordnung (Erreichbarkeits-AnO) vom 23. Oktober 1997 in der Fassung der 2. Änderungsanordnung zur Erreichbarkeitsanordnung vom 26. September 2008. Hiernach ist arbeitslos nur, wer den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer u.a. den Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Erreichbarkeits-AnO hat der Arbeitslose deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt (jetzt: Agentur für Arbeit) ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Hierzu hat der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden, dass den Anforderungen an die Erreichbarkeit ein Arbeitsloser jedenfalls dann entspricht, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhält, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen (grundlegend BSG, Urteil vom 20. Juni 2001 – B 11 AL 10/01 R, Juris). Dies ist nach der Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, ausreichend, aber auch notwendig.

Der Kläger hat insofern auf seine Erreichbarkeit durch ein Handy hingewiesen. Dies genügt nicht den soeben angeführten Anforderungen der Rechtsprechung an eine Erreichbarkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Erreichbarkeits-AnO. Dies gilt insbesondere bei einem Aufenthalt, den der Arbeitslose nicht einmal mitgeteilt hat. Hinzu kommt, dass er sich außerhalb der Wohnanschrift in 400 km Entfernung von seinem Wohnort aufgehalten hat. Damit war der persönliche Erhalt der Briefpost nicht gewährleistet. Dieses Merkmal impliziert, dass der Arbeitslose in jedem Fall die Postsendung selbst erhalten und sichten muss, um darauf persönlich reagieren zu können (Valgolio in: Hauck/ Noftz, SGB III, Stand 4/2018, § 138, Rn. 243).

Darüber hinaus war die Arbeitslosigkeit des Klägers zumindest in der Woche ab dem 4. April 2016 auch entfallen wegen fehlender Beschäftigungslosigkeit des Klägers. Zumindest in dieser Woche war der Kläger wegen seiner Selbständigkeit mehr als 15 Stunden pro Woche für diese Selbständigkeit tätig, denn er hielt sich deswegen die gesamte Woche auswärts auf. Auf die Frage, welche Arbeitszeiten dabei "produktiv" waren, also bereits eine Honorarzahlung generiert haben, kommt es insoweit nicht an. Der Kläger war jedenfalls in einem Umfang auswärts tätig, der dort einen mehrtägigen Aufenthalt erforderlich machte, was zur Überzeugung des Senats eine weniger als 15 Stunden umfassende Tätigkeit jedenfalls in dieser Woche ausschließt. Dass der Kläger auch Vorstellungsgespräche für eine abhängige Beschäftigung geführt habe und in welchem zeitlichen Umfang, ist nicht belegt und es gibt hierfür keine Hinweise. In Anbetracht der bevorstehenden bzw. bereits seit Ende 2015 begonnenen Selbständigkeit ist dies auch unwahrscheinlich, zumal der Kläger alle diesbezüglichen Unterlagen im Rahmen seines Antrags auf Gründungszuschuss und nicht etwa im Rahmen eines Antrages auf Bewerbungskosten eingereicht hat. Von der Möglichkeit, hierzu nach dem Erörterungstermin noch einmal vorzutragen und Belege einzureichen, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Dies geht zu Lasten des Klägers, der insoweit beweispflichtig ist. Zwar ist grundsätzlich die Beklagte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 SGB X beweisbelastet, jedoch ist nach der Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, wegen der verbleibenden Unaufklärbarkeit von Vorgängen, die der Sphäre des Klägers zuzuordnen sind, von einer Beweislastumkehr auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 – B 11a AL 7/05 R, Juris). Ob der Kläger nach dem 8. April 2016 auch weiterhin im Umfang von 15 Stunden wöchentlich für seine Selbständigkeit tätig war, ist zunächst nicht relevant, denn gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB III war die Wirkung der Arbeitslosmeldung vom 13. Januar 2016 mit der Aufnahme der selbständigen Vollzeittätigkeit erloschen.

Soweit der Kläger am 11. Mai 2016 persönlich bei der Beklagten vorgesprochen hat, wäre dies zwar als erneute persönliche Arbeitslosmeldung zu werten, mit der Folge, dass dem Kläger ab diesem Zeitpunkt wieder Alg zustünde, dies jedoch nur beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für den Bezug zu diesem Zeitpunkt. Insoweit ist der Senat nicht davon überzeugt, dass nicht jedenfalls zu diesem Zeitpunkt die selbständige Tätigkeit des Klägers, die ja bereits im März und April 2016 ein erhebliches Ausmaß angenommen hatte, dauerhaft wenigstens 15 Stunden wöchentlich umfasst hat. Hierzu vorzutragen war der Kläger im Erörterungstermin vom 19. Februar 2020 aufgefordert worden, ein Vortrag über die vorherige pauschale und unbelegte Aussage hinaus, er sei im Ruhrgebiet auch zu Vorstellungsgesprächen unterwegs gewesen, ist jedoch nicht erfolgt. Dies geht zu Lasten des Klägers, der insoweit beweispflichtig ist. Dies folgt vorliegend bereits aus den allgemeinen Beweisregeln. Zwar ist die Beklagte dafür beweispflichtig, dass eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die sie berechtigte, die Bewilligung von Alg aufzuheben. Ist dieser Beweis jedoch erbracht, ist für das erneute Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen nach dem Eintritt der Änderung im aufgehobenen Bewilligungszeitraum schon den allgemeinen Regeln nach der Kläger, der sich hierauf berufen will, darlegungs- und beweislastig. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Beklagte für den gesamten Zeitraum die Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Alg-Bewilligungsbescheides trüge, so ist in diesem Fall nach der Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, wegen der verbleibenden Unaufklärbarkeit von Vorgängen, die der Sphäre des Klägers zuzuordnen sind von einer Beweislastumkehr auszugehen (BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 – B 11a AL 7/05 R, Juris). Die zeitlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 4 SGB X hat die Beklagte eingehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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