L 2 AL 32/20 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 44 AL 186/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 32/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2020 wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. 3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Begehren der Antragstellerin zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid über den Widerruf der unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung vom 12. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2020 nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 86a Abs. 4 SGG anzuordnen, was ihr eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit bis zur Bestandskraft der genannten behördlichen Entscheidungen ermöglichen würde.

Der mit der Beschwerde angegriffene Beschluss des Sozialgerichts, das den Eilantrag in der Sache abgelehnt hat, steht in Einklang mit § 86a Abs. 4 Satz 1 SGG, der das Vollzugsrisiko bei einem auf § 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) gestützten Widerruf grundsätzlich auf den Antragsteller verlagert, weswegen nur ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs oder eine unbillige Härte im Sinne des § 86a Abs. 4 SGG ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen können (vgl. Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 86b Rn. 104). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung kann nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG mit Wirkung für die Zukunft u.a. widerrufen werden, wenn die Erlaubnisbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Eine Erlaubnis ist nach § 3 Abs. 1 AÜG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Ausländerbeschäftigung, über die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b AÜG, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält (Nr. 1), nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage ist, die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen (Nr. 2) oder dem Leiharbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht gewährt (Nr. 3).

Es liegen jedenfalls Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass den Leiharbeitnehmern nicht die ihnen nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen gewährt werden. Für die Vergangenheit hat die Antragstellerin einen solchen Verstoß eingeräumt. Sie beruft sich jedoch darauf, dass es sich nur um wenige Fälle gehandelt habe, in denen tatsächlich ein geringeres Arbeitsentgelt gewährt worden und nun eine nachträgliche Lohnzahlung erfolgt sei. Der nunmehr zuständige Geschäftsführer habe aus Unkenntnis die Fehler des ehemaligen verstorbenen zweiten Geschäftsführers übernommen. Mittlerweile sei auch ein Nachfolger als Geschäftsführer bestellt worden, der sich um diese Angelegenheiten kümmere. Außerdem seien neue Musterarbeitsverträge für Leiharbeitnehmer entworfen worden.

Der von der Antragstellerin eingeräumte Verstoß gegen § 8 AÜG kann nicht als unbedeutend bewertet werden. Es kann dabei offenbleiben, ob nur ein geringfügiger Schaden entstanden ist, wie die Antragstellerin vorträgt, denn entscheidend ist, dass sie die Vorschrift des § 8 AÜG nicht angewandt hat. Es erfolgte nicht nur im Einzelfall beispielsweise eine unzutreffende Einordnung eines Arbeitnehmers in eine Entgeltgruppe oder wurde der Inhalt einer anzuwenden tarifvertraglichen Regelung missverstanden, sondern die Vorschrift des § 8 AÜG über den Grundsatz der Gleichstellung ist seitens der Antragstellerin gänzlich unbeachtet geblieben. Weder hat die Antragstellerin die Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers bei dem Entleiher erfragt noch hat sie einen vom Gleichstellungsgrundsatz abweichenden Tarifvertrag im Sinne des § 8 Abs. 2 AÜG angewandt. In ihrer ersten Stellungnahme vom 23. Januar 2020 hat die Antragstellerin zunächst vorgetragen, in den Arbeitnehmerüberlassungsverträgen werde geregelt, dass sich die Arbeitsbedingungen des "Verleihers" (gemeint wohl: Leiharbeitnehmers) nach dem zwischen ihm und dem Verleiher geltenden Tarifvertrag richten. Arbeitsverträge der ausleihenden Betriebe lägen ihnen nicht vor. Die Antragstellerin ist demnach davon ausgegangen, den Gleichstellungsgrundsatz aufgrund eines Tarifvertrages im Sinne des § 8 Abs. 2 AÜG gewahrt zu haben. Ein solcher Tarifvertrag war jedoch weder über eine einzelvertragliche Bezugnahme anwendbar noch ist eine anderweitige Tarifbindung der Antragstellerin und ihrer Arbeitnehmer erkennbar oder vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zumindest rein faktisch einen solchen Tarifvertrag angewandt hätte. Selbst wenn keine absichtliche Irreführung diesbezüglich erfolgte, lässt dies zumindest erkennen, dass die Bedeutung des Gleichstellungsgrundsatzes nach § 8 AÜG nicht erfasst worden ist. Auch der am 17. Dezember 2019 neu geschlossene Arbeitsvertrag mit Michael Kluth enthält lediglich eine Vergütungsregelung, die ausdrücklich auch für Verleihzeiten gelten soll, ohne auf die Möglichkeit der Gleichstellung hinzuweisen bzw. eine tarifvertragliche Bezugnahme zu enthalten. Erst im weiteren Verfahren sind neue Musterarbeitsverträge vorgelegt worden, die auf eine Gleichstellung mit einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer des Entleihers abstellen. Zudem ist im hiesigen Verfahren bis heute nicht dargelegt worden, dass künftig in den Arbeitnehmerüberlassungsverträgen mit dem Entleiher nicht mehr zugesichert wird, einen Tarifvertrag im Sinne des § 8 Abs. 2 AÜG anzuwenden, obwohl dies nicht der Fall ist. Geht der Entleiher davon aus, dass der Verleiher die Voraussetzungen der in § 8 Abs. 2 und 4 Satz 2 AÜG genannten Ausnahme erfülle, wird er annehmen, weder nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG verpflichtet zu sein, die wesentlichen Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag niederzulegen noch gegenüber dem Leiharbeitnehmer nach § 13 AÜG hierüber zur Auskunft verpflichtet zu sein. Diese Tatsachen begründen die Annahme, dass auch künftig der Gleichstellungsgrundsatz keine hinreichende Beachtung finden wird.

Darüber hinaus rechtfertigen jedoch auch Tatsachen die Annahme, dass die Antragstellerin nicht die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG besitzt, insbesondere weil sie arbeitsrechtliche Pflichten nicht einhält. Im Hinblick auf die Nichteinhaltung des § 8 AÜG wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Zudem hat die Antragstellerin aber auch im Arbeitsvertrag nicht entsprechend § 11 Abs. 1 Nr. 1 AÜG die Erlaubnisbehörde benannt und nach Nr. 2 die Art und Höhe der Leistungen für Zeiten, in denen der Leiharbeitnehmer nicht verliehen ist, ausgeführt. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AÜG setzt – wie die Antragstellerin zutreffend ausführt – eine Prognose über die zukünftige Entwicklung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 6. Februar 1992 – 7 RAr 140/90, SozR 3-7815 Art 1 § 3 Nr. 3). Jedoch ist hierfür auch das bisherige Verhalten in der Vergangenheit heranzuziehen. Hier hat sich gezeigt, dass die Antragstellerin sich erstmals nach der Prüfung durch die Antragsgegnerin genauer mit den Vorschriften des AÜG auseinandergesetzt hat. Weder der bis zu seinem Tod für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung zuständige Geschäftsführer der Antragstellerin noch der anschließend zuständige Geschäftsführer in den folgenden zehn Monaten haben sich näher mit den gesetzlichen Vorschriften beschäftigt. Insbesondere der Grundsatz der Gleichstellung ist eines der Kernanliegen und eine der wichtigsten Arbeitnehmerschutzvorschriften der Arbeitnehmerüberlassung. Der Erlaubnisvorbehalt soll gerade sicherstellen, dass zum Schutz der Arbeitnehmer nur zuverlässige Arbeitgeber Arbeitnehmerüberlassung betreiben dürfen. Eine solche Zuverlässigkeit ist nicht gegeben, wenn es jeweils der Antragsgegnerin bedarf, um über gesetzliche Vorschriften aufzuklären. Zumal hier auch nach der Mitteilung des Prüfergebnisses zunächst hinsichtlich des Gleichstellungsgrundsatzes noch auf einen Tarifvertrag im Sinne des § 8 Abs. 2 AÜG Bezug genommen wurde, der keine Geltung für die jeweiligen Arbeitsverhältnisse hatte. Der Widerruf der unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung ist dann nicht zu beanstanden.

Der Widerruf der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung steht im Ermessen der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin hat ihr Ermessen im Widerspruchsbescheid vom 9. April 2020 ausgeübt. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Sollten sich nachgehend zum Verwaltungsverfahren die Tatsachen geändert haben, die eine Versagung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zum Zeitpunkt des Widerrufs gerechtfertigt haben, steht es der Antragstellerin frei, erneut einen Antrag auf Erteilung einer solchen Erlaubnis zu stellen.

Es liegt auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne des § 86a Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 2 SGG vor. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin dürfte zwar durchaus gewichtig sein. Eine unbillige Härte in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Betroffenen Nachteile entstehen, die über die eigentliche Regelung hinausgehen und die – insbesondere bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz – im Nachhinein nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind (Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 86a Rn. 120). Vorliegend hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass sie Nachteile, die über die eigentliche Regelung hinausgehen, treffen. Die Vorschrift ist nicht dafür gedacht, dass der Verleiher die Fristen bis zum Ende ausschöpfen kann, sondern soll ein geregeltes Auslaufen der Verträge ermöglichen. Die Kündigung der Rahmenüberlassungsverträge erfolgte zudem nicht aufgrund des Widerrufs der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, sondern der coronabedingten schlechten Auftrags- und Wirtschaftslage der Entleiher. Der Härte für die Antragstellerin steht im Übrigen aber auch das weit überwiegende öffentliche Interesse, Leiharbeitnehmer vor unzuverlässigen Verleihern zu schützen entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 4 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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