L 2 EG 3/20

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 EG 11/19
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 EG 3/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höheres Elterngeld.

Der Kläger beantragte am 21. November 2018 Elterngeld für die am 27. Oktober 2018 geborene Tochter N. für den 1. Lebensmonat und den 3. bis 13. Lebensmonat. Aus dem bei Antragstellung vorgelegten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 ergaben sich Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 6.810 EUR, aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.821 EUR. Auf dem Formblatt "Erklärung für Selbständige" teilte der Kläger mit, er habe die selbständige Tätigkeit im Monat November 2017 aufgegeben. Vom 20. November 2017 bis zum 19. Oktober 2018 war der Kläger 30 Stunden wöchentlich sozialversicherungspflichtig mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2.064,38 EUR beschäftigt.

Mit Bescheid vom 30. Januar 2019 hat die Beklagte dem Kläger Elterngeld für den 1. Lebensmonat und den 3. bis 13. Lebensmonat des Kindes in Höhe von 541,43 EUR monatlich bewilligt. Zugrunde gelegt hat sie dabei als Bemessungszeitraum das Kalenderjahr 2017 und als Bemessungsgrundlage das Einkommen des Klägers aus selbständiger und nicht selbständiger Tätigkeit in diesem Jahr. Den Widerspruch des Klägers, mit welchem dieser begehrte, als Bemessungszeitraum die zwölf Monate vor der Geburt des Kindes der Berechnung zu Grunde zu legen und höheres Elterngeld zu bewilligen, wie die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 30. April 2019).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2019 abgewiesen und ausgeführt, die Höhe des Elterngeldes richte sich nach § 2 des Bundeselterngeldgesetzes (BEEG). Danach werde Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erziele. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit sei die Summe der positiven im Inland zu versteuernden Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit und nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen, die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b BEEG habe (Abs. 1). Der Bemessungszeitraum bestimme sich nach § 2b BEEG. Danach seien für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes maßgeblich (§ 2b Abs. 1 BEEG). Für die Ermittlung des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt seien die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde lägen (§ 2b Abs. 2 BEEG). Abweichend von Absatz 1 sei für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt der steuerliche Veranlagungszeitraum maßgeblich, der den Gewinnermittlungszeiträumen nach Absatz 2 zugrunde liege, wenn die berechtigte Person in den Zeiträumen nach Absatz 1 oder Absatz 2 Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gehabt habe.

Der Kläger sei seit November 2017 Arbeitnehmer gewesen und habe aus der abhängigen Beschäftigung Erwerbseinkommen erzielt. Da er indes in diesem Zeitraum auch selbständig tätig gewesen sei, nämlich bis zum 17. November 2017 und aus dieser Tätigkeit ein Einkommen erzielt habe, sei nach § 2b Abs. 3 BEEG in Abweichung von § 2b Abs. 1 BEEG der letzte abgeschlossene steuerliche Veranlagungszeitraum sowohl für das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit als auch für das aus abhängiger Beschäftigung maßgeblich.

Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 3 Satz 1 BEEG sei eröffnet, denn dieser stelle darauf ab, ob die elterngeldberechtigte Person in den Zeiträumen nach § 2b Abs. 1 BEEG, also in den letzten zwölf Monaten vor der Geburt, oder nach Abs. 2, also in den jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträumen, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde lägen, Einkommen aus selbständiger Tätigkeit gehabt habe. Die Tochter des Klägers sei am 27. Oktober geboren, der Kläger habe damit sowohl in den letzten zwölf Monaten vor der Geburt – nämlich bis Mitte November 2017 – Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt, als auch im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt, nämlich im Kalenderjahr 2017.

Der Beklagten komme dem Wortlaut nach auch kein diesbezügliches Ermessen zu. Vielmehr seien die Elterngeldstellen nach § 2b Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 BEEG verpflichtet, bei der Berechnung des Elterngelds als Bemessungszeitraum den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legen, wenn der Elterngeldberechtigte vor der Geburt des Kindes wie vorliegend Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt habe. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift zugunsten des Klägers komme nicht in Betracht, weil sowohl Sinn und Zweck, als auch die Entstehungsgeschichte der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprächen. Eine Auslegung allein nach dem Wortlaut entspreche sowohl dem Sinn und Zweck der Vorschrift, als auch der Entstehungsgeschichte.

Mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10. September 2012 habe der Gesetzgeber auf den gegenüber dem Vollzug des früheren Bundeserziehungsgelds stark angestiegenen Verwaltungsaufwand reagiert (BT-Drucks 17/9841 S. 1). Dabei habe der Vollzug des Gesetzes vereinfacht werden sollen, u.a. durch den zwingenden Rückgriff bei Einkünften aus selbständiger Tätigkeit auf einen steuerlichen Veranlagungszeitraum, der für die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich sei. Der Gesetzgeber habe damit bei Mischeinkünften eine Deckungsgleichheit der Bemessungszeiträume erreichen und vor allem die Einkommensermittlung und damit den Elterngeldvollzug durch Rückgriff auf Feststellungen der Steuerbehörden maßgeblich vereinfachen wollen (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs, BT-Drucks 17/1221 S. 1; Beschlussempfehlung und Bericht des 13. Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks 17/9841 S. 15 f., 21). Die Kollisionsregel des § 2b Abs. 3 S 1 BEEG diene daher der Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung. Dabei solle sich der Bemessungszeitraum am Einkommensteuerrecht orientieren.

Es widerspreche dem Sinn und Zweck der Regelung, bei der elterngeldberechtigten Person, die allein im letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt habe, in Abweichung des Wortlauts von § 2b Abs. 3 BEEG wieder auf die Regelung des Abs. 1 und den Bemessungszeitraum der zwölf Monaten vor der Geburt abstellen, nur weil in diesem Zeitraum kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt worden sei. Dem Einkommenssteuerbescheid sei schon nicht zu entnehmen, bis wann genau die selbständige Tätigkeit ausgeübt worden sei und dementsprechend auch nicht, ob die Aufgabe der selbständigen Tätigkeit noch vor dem Bemessungszeitraum nach Abs. 1 erfolgt sei. Eine solche Auslegung des § 2b Abs. 3 BEEG führe in derartigen Konstellationen dazu, dass die Elterngeldstelle eben nicht allein auf den Einkommenssteuerbescheid abstellen könne, sondern stattdessen Ermittlungen zum Zeitpunkt der Aufgabe der selbständigen Tätigkeit anstellen müsste.

Eine solche Auslegung verstoße nicht gegen Art 3 Abs. 1 GG. § 2b Abs. 3 BEEG treffe eine typisierende Regelung, weil die Vorschrift bei der Festlegung des Bemessungszeitraums für das Elterngeld auf den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum abstelle, unabhängig davon, ob in diesem Zeitraum eine selbständige Tätigkeit ausgeübt worden sei oder in den letzten zwölf Monaten vor der Geburt. Soweit es sich hierbei um die Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte handele, sei diese gerechtfertigt. Der Gesetzgeber sei berechtigt, im Sozialrecht bei der Ordnung von Massenerscheinungen generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

Die mit der gesetzlichen Regelung für den Kläger verbundene Härte wiege für ihn auch nicht besonders schwer. Er werde nicht vom Elterngeldbezug ausgeschlossen, sondern beziehe Elterngeld lediglich auf Grundlage seines Einkommens in einem anderen Bemessungszeitraum, auch wenn das Elterngeld in diesem Fall geringer ausfalle als erwartet. Die angestrebte Optimierung des Elterngeldanspruchs sei ein nachvollziehbares Ziel der berechtigten Person. Es sei aber nicht höher zu gewichten als die praktischen Erfordernisse der Verwaltung beim Elterngeldvollzug.

Auch ein Verstoß gegen Art. 6 GG sei nicht erkennbar. Der Pflicht, die Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern, habe der Gesetzgeber mit dem BEEG Rechnung getragen. Aus Art. 6 Abs. 1 GG flössen keine konkreten Ansprüche auf staatliche Leistungen. Das BEEG übe generell keinen durch Art 6 Abs. 1 GG verbotenen Zwang auf Eltern aus, sondern setze lediglich Anreize, die familienpolitischen Zielen, aber auch fiskalischen Interessen des Staates dienten. Die Beklagte habe daher den Bemessungszeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2017 richtig festgelegt und auch im Übrigen die Höhe des Elterngelds korrekt berechnet.

Der Kläger hat gegen den am 18. März 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 30. März 2020 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, seine Bedenken bezüglich des Widerspruchs der konkreten, harten Gesetzesauslegung zu dem eigentlich familienfördernden Zweck des Gesetzes hätten keine Beachtung gefunden. Auch die besondere Härte seines besonderen Falles oder die Betrachtung von Studenten und Studentinnen als Gruppe atypischer Fälle sei unberücksichtigt geblieben.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2019 zu verpflichten, dem Kläger höheres Elterngeld für den 1. und den 3. bis 13. Lebensmonat des Kindes N. unter Zugrundelegung eines Bemessungszeitraumes von 12 Monaten vor der Geburt des Kindes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, § 151 SGG. Die Berichterstatterin konnte über die Berufung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern an Stelle des Senats entscheiden, da das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat ihr durch Beschluss vom 15. Mai 2020 die Berufung übertragen hat (§ 153 Abs. 5 SGG). Im Einverständnis der Beteiligten konnte die Entscheidung auch im schriftlichen Verfahren ergehen. Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die streitigen Bescheide sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld.

Das Gericht nimmt gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils.

Mit der Berufung sind keine neuen Argumente vorgetragen. Insbesondere aus den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 27. Oktober 2016 (B 10 EG 5/15 R) und vom 21. Juni 2016 (B 10 EG 8/15 R) ergibt sich eindeutig, dass es sich bei der beanstandeten Regelung zur Verschiebung des Bemessungszeitraumes um eine zwingende Regelung handelt, die nicht zur Disposition der Beteiligten steht. Das Bundessozialgericht hat sich in diesen Entscheidungen auch ausführlich mit der Frage der Vereinbarkeit mit den Grundrechten und hier insbesondere mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz auseinandergesetzt und diese bejaht.

Das Gericht schließt sich – wie auch bereits in der Vergangenheit der 1. Senat des Landessozialgerichts – (Urteil vom 31. August 2017 – L 1 EG 8/17, Juris und vom 11. September 2017 – L 1 EG 7/17, Juris) nach eigener Prüfung diesen Ausführungen an. Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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