L 1 KR 54/20

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 59 KR 1429/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 54/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einer Radiofrequenztherapie mittels der "VNUS-Closure"-Methode (endoluminaler Varizenverschluss mittels Radiofrequenz).

Am 5. Februar 2016 beantragte die 1953 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin zur Behandlung ihrer Krampfadern (Seitenastvarikose der Beine) die Kostenübernahme für eine Radiofrequenztherapie mittels der "VNUS-Closure"-Methode. Einen gleichlautenden Antrag hatte die Klägerin bereits im Jahr 2010 gestellt. Diesen hatte die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei der begehrten, seit etwa 1998 in Europa angewandten Radiofrequenz-Behandlung um eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) handle und der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hierfür nicht, wie erforderlich, eine positive Beurteilung abgegeben habe (Bescheid vom 12. Oktober 2010, Widerspruchsbescheid vom 30. November 2010). Die dagegen beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhobene Klage (S 8 KR 1987/10) blieb ohne Erfolg (Rücknahmeerklärung vom 30. Oktober 2012).

Die Beklagte lehnte nunmehr auch den Antrag vom 5. Februar 2016 ab (Bescheid vom 11. Februar 2016, Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2016). Da der Sachstand gegenüber der im Verfahren S 8 KR 1987/10 eingeholten Stellungnahme des GBA vom September 2011 unverändert sei und für die beantragte Methode nach wie vor keine positive Empfehlung vorliege, könne diese auch nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden. Daneben seien die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Grundlage des § 2 Abs. 1a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt, da bei der Klägerin keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliege. Es stünden für die Behandlung zudem vertragliche Alternativen zur Verfügung wie etwa die operative Sanierung der Varikose mittels Strippingoperation oder Phlebektomie, ggf. Sklerosierung oder Crossektomie mit anschließendem Stripping nach individueller Indikation.

Hiergegen hat die Klägerin am 30. Juni 2016 erneut Klage beim SG Hamburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, ihre behandelnden Ärzte hätten ihr jeweils unabhängig voneinander zu der Radiofrequenztherapie geraten. Diese Behandlung sei im Vergleich zu dem sog. Venenstripping weniger invasiv. Zudem sei das Venenstripping für sie wegen ihres Lymphödems nicht geeignet. Nach den Recherchen der Klägerin werde die "VNUS-Closure"-Methode seit nunmehr 35 Jahren durchgeführt. Aus Sicht der Klägerin könne daher nicht mehr von einer neuen oder innovativen Methode gesprochen werden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb manche gesetzlichen Krankenkassen die Behandlung übernähmen, die Beklagte jedoch nicht. Nach Ansicht der Klägerin stehe hier die Ökonomie vor der medizinischen Indikation.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des MDK, die einschlägige Leitlinie und die Studienlage ihre Bescheide ergänzend ausgeführt, dass nach wie vor die operative Sanierung der Varikose mit Stripping-Operation oder Phlebektomie als alternative vertragliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Insbesondere bei den verschiedenen Stadien der Stammvarikose der Vena saphena magna gelte die Crossektomie mit anschließendem Stripping als Methode der Wahl. Ferner sei auch die Sklerosierung von Varizen, also das Veröden der Krampfadern, ein zugelassenes Therapieverfahren. Selektivverträge zur integrierten Versorgung mit der begehrten Therapie habe die Beklagte – anders als andere gesetzliche Krankenkassen – nicht abgeschlossen.

Das SG hat Befundberichte behandelnder Ärzte der Klägerin eingeholt und die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach diesbezüglicher Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 14. April 2020 als unbegründet abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, denn die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Behandlung. Der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Radiofrequenztherapie mittels der "VNUS-Closure"-Methode scheitere daran, dass der GBA diese neue Untersuchungsmethode nicht positiv empfohlen habe und kein Ausnahmefall vorliege, in welchem eine solche Empfehlung entbehrlich wäre. Zudem könne die Klägerin keinen Leistungsanspruch daraus herleiten, dass andere gesetzliche Krankenversicherungen die Behandlung im Rahmen der integrierten Versorgung erbrächten. Versicherte wie die Klägerin hätten gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit – wie hier die Varikose an den Beinen der Klägerin – zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliege allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasse nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich seien und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Die gesetzlichen Krankenkassen seien nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach eigener Einschätzung der Klägerin oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen sei oder befürwortet werde. Vielmehr müsse die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein (Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R, juris-Rn. 13). NUB dürften gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V werde nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) NUB zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürften. Vielmehr werde durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (Hinweis auf BSG, a.a.O.). Verwaltung und Gerichte seien an die Entscheidungen des GBA über bestimmte Metho¬den im Grundsatz ebenso gebunden, wie wenn der Gesetzgeber die Entscheidung selbst getroffen hätte (Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. September 2006 – B 1 KR 3/06 R, juris-Rn. 20). Die Richtlinien des GBA seien in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten stehe außer Frage (Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R, juris-Rn. 14). Bei dem endominalen Varizenverschluss mittels Radiofrequenz nach der "VNUS-Closure"-Methode handle es sich im vorgenannten Sinne um eine NUB. Als "neu" im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V gelte eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie bislang – wie die Radiofrequenztherapie mittels der "VNUS-Closure"-Methode – nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten und damit noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 5/14 R, juris-Rn. 32). Dass es sich nach Aussage der Klägerin bei der "VNUS-Closure"-Methode um eine seit mehreren Jahren existierende und praktizierte Therapieform handle, sei mithin nach der vorgenannten Definition nicht erheblich. Ob eine Behandlungsmethode "neu" im Sinne des Gesetzes sei, entscheide sich nicht – wie es der Wortlaut durchaus nahelegen könnte – nach Zeitablauf, sondern ausschließlich nach der tatsächlichen Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Als vertragsärztliche Leistung zur Behandlung einer Varikose stünden weiterhin das Venenstripping oder die Sklerosierung zur Verfügung. Für die begehrte Behandlung habe der GBA keine nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V geforderte Empfehlung ausgesprochen. Es sei damit unerheblich, dass die Behandlung nach Empfehlung des behandelnden Arztes der Klägerin, Dr. M., "als besonders schonende aber effektive Methode" anzusehen sei. Sie könne nicht im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Ausnahmefälle, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedürfe, lägen im Falle der Klägerin nicht vor. Von einem sog. Seltenheitsfall (Hinweis auf BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R, juris), bei dem eine Ausnahme vom Erfordernis der positiven Empfehlung des GBA erwogen werden könnte, sei angesichts der erheblichen Verbreitung des bei der Klägerin vorliegenden Krankheitsbildes nicht auszugehen. Anhaltspunkte für die Annahme eines Systemversagens (Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 1 KR 24/06 R, juris-Rn. 17 ff.), seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Leistungsanspruch ergebe sich für die Klägerin auch nicht entsprechend der – nunmehr in § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V kodifizierten – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Hinweis auf Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25-51, sog. "Nikolausbeschluss"). Voraussetzung hierfür sei u.a., dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliege. Das sei bei dem Krampfaderleiden der Klägerin, auch bei gleichzeitig bestehendem Lymphödem, nicht der Fall. Die Klägerin könne im Übrigen auch keinen Anspruch daraus herleiten, dass andere gesetzliche Krankenkassen die Kosten für die begehrte Behandlung übernähmen. Das Gericht habe Verständnis dafür, wenn diese Art des ungleichen Leistungsumfangs in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Klägerin schwer nachvollziehbar sei. Die Grundlage dafür, dass andere gesetzliche Krankenkassen die Kosten für die Durchführung einer "VNUS-Closure"-Behandlung übernähmen, liege § 140a SGB V. Danach könnten Krankenkassen Verträge mit einzelnen Leistungserbringern über eine besondere Versorgung der Versicherten zur Erbringung von Versorgungsformen außerhalb der Regelversorgung, u.a. auch NUB, abschließen (sog. "integrierte Versorgung" oder "IV-Vertrag"). § 140a SGB V überlasse es dabei den Krankenkassen, ob und welche Verträge sie schlössen. Es stehe ihnen somit frei, unter engen Voraussetzungen zusätzliche Leistungen anzubieten. Aus der in § 140a SGB V eingeräumten Möglichkeit der freiwilligen Leistungsgewährung außerhalb der Regelversorgung erwachse jedoch kein Leistungsanspruch gegenüber den Krankenkassen, die für eine solche Behandlungsmethode keinen IV-Vertrag geschlossen hätten. Diese Rechtsfolge verstoße nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Denn Versicherte könnten eigens durch die freie Wahl ihrer gesetzlichen Krankenversicherung bestimmen, ob sie entsprechende Behandlungen im Rahmen der integrierten Versorgung als Sachleistung in Anspruch nehmen könnten.

Gegen diesen ihr am 18. April 2020 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Mai 2019 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie an ihrem bisherigen Vortrag festhält.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie – die Klägerin – mit einer Radiofrequenztherapie mittels der VNUS-Closure-Methode zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 11. August 2020 die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 26. November 2020, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der erkennende Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen bei unverändertem Sachverhalt und angesichts des Fehlens neuen Vortrags im Berufungsverfahren hierauf vollen Umfangs Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Es kann weiterhin nur darauf verwiesen werden, dass die Beklagte im Rahmen der Regelversorgung die begehrte NUB nicht erbringen darf (so auch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Juni 2010 – L 8 KR 314/09, juris) und der Klägerin der Weg offensteht, durch einen Wechsel der Krankenkasse zu einer solchen, die die begehrte Methode im Rahmen der integrierten Versorgung anbietet, ihre Krankheit so behandeln zu lassen, wie ihre Ärzte ihr das seit mehr als zehn Jahren empfehlen. Anderenfalls bleiben ihr nur die Möglichkeiten, entweder auf eine der in der einschlägigen Leitlinie und vom MDK unter Bezugnahme auf die Studienlage genannten "etablierten" Behandlungsmethoden auszuweichen oder darauf zu warten, dass im GBA ein Antragsverfahren eingeleitet und ggf. mit einer positiven Empfehlung abgeschlossen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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