L 3 ER 45/05 AS

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 4 ER 66/05 AS Sp
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 ER 45/05 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf Wohnungserstausstattung steht nach der Geburt eines Säuglings diesem zu, auch wenn seine Eltern zuvor diese Leistungen an sich beantragt haben.
2. Für ein gebrauchtes Kinderbett und einen gebrauchten Kinderwagen sind grundsätzlich Beihilfen zur personenbezogenen Erstausstattung einer Wohnung, in die ein Säugling aufgenommen wird, nach § 23 Abs. 3 Nr 1 SGB II als Sach- oder Geldleistungen zu gewähren.
3. Die Eltern sind nicht verpflichtet vor der Geburt aus den ihnen nach dem SGB II gewährten Regelleistungen für den Bedarf des Säuglings anzusparen.
1. Die Beschwerdegegnerin wird unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Speyer vom 28.04.2005 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Beschwerdeführern vorläufig einmalige Hilfen für ein gebrauchtes Kinderbett und einen gebrauchten Kinderwagen zugunsten der Beschwerdeführerin zu 3) zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

Gründe:

Die Beschwerdeführer begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin, die Kosten in Höhe von 300, Euro für die Anschaffung eines Kinderbettes und Kinderwagens nebst Zubehör für die Beschwerdeführerin zu 3) zu gewähren.

Der 1975 geborene Beschwerdeführer zu 1), und seine nicht getrennt lebende 1976 geborene Ehefrau, die Beschwerdeführerin zu 2), sind die Eltern der am 1998 und am 2002 in Russland geborenen Söhne sowie ihrer am 2005 in F geborenen Tochter, der Beschwerdeführerin zu 3). Der Beschwerdeführer zu 1) und die Beschwerdeführerin zu 2) sind arbeitslos. Sie beziehen gemeinsam mit ihren Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Schreiben vom 26.01.2005 beantragte die Beschwerdeführerin zu 2) anlässlich der bevorstehenden Geburt ihres Kindes ein Kinderbett mit Zubehör als Erstausstattung des Hausrates sowie einen Kinderwagen als Erstausstattung. Mit Bescheid vom 01.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2005 lehnte die Beschwerdegegnerin, unter Bewilligung von Kleidungspauschalen für Schwangerschaft (150, Euro) und Babykleidung (180, Euro), den Antrag ab.

Der Beschwerdeführer zu 1) hat gegen die Versagung Klage erhoben und am 22.04.2005 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem er die vorläufige Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur Gewährung von 300, Euro für die Anschaffung eines Kinderbettes und Kinderwagens mit Zubehör beantragt hat.

Mit Beschluss vom 28.04.2005 hat das Sozialgericht den Antrag abgewiesen, da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Die Bedarfe für Schwangerschaftsbekleidung und Babybekleidung könnten als Pauschale gewährt werden, so dass ein darüber hinausgehender Bedarf nicht geltend gemacht werden könne. Ein Kinderbett und ein Kinderwagen, die in einem bestehenden Haushalt angeschafft werden sollten, stellten keine Erstausstattung der Wohnung dar, so dass einmalige Beihilfen nicht gewährt werden könnten.

Der Beschwerdeführer zu 1) hat am 23.05.2005 sinngemäß auch für die Beschwerdeführerinnen zu 2) und 3) Beschwerde eingelegt. Zur Begründung tragen sie vor: Ein Kinderbett und ein Kinderwagen gehörten zur Erstausstattung einer Wohnung und seien deshalb als Beihilfe zu gewähren. Jedenfalls sei aus dem Grundrecht auf "Sicherung des Existenzminimums" ein solcher Anspruch abzuleiten. Auch seien die Bekleidungspauschalen zu niedrig angesetzt und enthielten weder nachvollziehbare Erfahrungswerte noch geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen. Die einmaligen Beihilfen nach dem SGB II seien zur Sicherung des Existenzminimums erforderlich, weil diese in der statistischen Berechnung der Regelleistungen nicht enthalten und mitberücksichtigt seien. Dies gelte auch, soweit einmalige Leistungen nunmehr in die Regelleistungen integriert seien. Diesem Grundsatz trage der Gesetzgeber durch § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) Rechnung und diese Bestimmung sei neben dem SGB II anwendbar. Ein Bett gehöre zur Grundausstattung in Form einer Erstausstattung einer Wohnung, da eine Erstausstattung personenbezogen erfolgen müsse. Deshalb sei auch für einen Säugling ein Kinderwagen eine Erstausstattung. Für diese Gesetzesinterpretation spreche auch die Ablehnung des Antrages auf Gesetzesergänzung durch den Bundesrat, mit dem die Aufnahme einer Babyausstattung in die Regelung des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II abgelehnt worden sei. Der Hinweis, dass die Umsetzung der Neuregelung eine intensive Begleitung erfordere, stelle klar, dass die Bundesregierung unausgesprochen die Auffassung vertrete, dass der Grundbedarf für Kinderwagen, Kinderbett, Wickelauflage usw bereits nach den derzeitigen Bestimmungen gesondert im Wege der "einmaligen Leistungen" zu finanzieren sei. Ein anderes Verständnis verstoße auch gegen das Grundgesetz, da dies sowohl die Existenzsicherung als auch den Schutz des vorgeburtlichen werdenden Lebens fordere. Aus diesem Grund könne auch eine Mutter während der neunmonatigen Schwangerschaft die Kosten für einen Kinderwagen und ein Kinderbett im Rahmen erhöhter Regelleistungen nicht ansparen.

Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Speyer vom 28.04.2005 die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihnen vorläufig eine einmalige Hilfe in Höhe von 300, Euro zur Anschaffung eines Kinderbettes und Kinderwagens jeweils mit Zubehör zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Beschluss des Sozialgerichts an und führt aus, dass eine anspruchsbegründende Norm nicht gegeben sei. Soweit andere Leistungsträger solche Leistungen bewilligen würden, handele es sich um freiwillige Mehrleistungen. Grundsätzlich verfügten die kommunalen Leistungsträger über einen weiteren Spielraum.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die nach §§ 172 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im Übrigen zurückzuweisen.

Der Beschwerdeführer zu 1) ist als Bevollmächtigter auch für seine Ehefrau, die Beschwerdeführerin zu 2), und die am 02.05.2005 geborene Beschwerdeführerin zu 3) gemäß § 73 Abs 2 Satz 2 SGG und § 38 SGB II bevollmächtigt. Bis zur Geburt der Beschwerdeführerin zu 3) waren die Beschwerdeführer zu 1) und 2) berechtigt, für die noch nicht geborene Beschwerdeführerin zu 3) deren mit der Geburt entstehenden Bedarf als eigenen Anspruch geltend zu machen (vgl für das Bundessozialhilfegesetz OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.03.2000 - 12 A 11660/99 NJW 2001, 1514). Zweifelhaft ist, ob ihnen nach der Geburt des Kindes dieser Anspruch noch als eigener zusteht oder nur noch dem neugeborenen Säugling, den die Eltern gesetzlich vertreten. Diese Frage kann im Eilverfahren offen gelassen werden, da Ansprüche zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu 3) zur vorläufigen Sicherung, auch wenn sie den Beschwerdeführern zu 1) bis 3) gemeinsam zugesprochen werden können, nur einmal zu leisten sind.

Gemäß § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei ist grundsätzlich eine Vorwegnahme der Hauptsache unzulässig. Jedoch ist im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gewährte Garantie effektiven Rechtsschutzes eine Vorwegnahme der Hauptsache dann möglich, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind gemäß § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG und § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.

Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung geht der erkennende Senat davon aus, dass die Beschwerdeführer gemäß § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II einen Anspruch auf Gewährung eines gebrauchten Kinderbettes mit Matratze und auf einen gebrauchten Kinderwagen als Sachleistung oder Geldleistung haben. Falls gebrauchte Gegenstände nicht beschaffbar sind, was von den Beschwerdeführern zu belegen wäre, besteht auch ein Anspruch auf Neuanschaffung in einfacher Ausführung. Die Art und Weise der Bedarfsdeckung steht nämlich im pflichtgemäßen Ermessen der Beschwerdegegnerin, und eine Ermessensreduzierung auf eine andere Ausstattung als die zugesprochene ist nach Lage der Akten und dem Vortrag der Beschwerdeführer nicht ersichtlich.

Nach § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II sind Leistungen für die Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden gesondert erbracht. Die Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB II können als Sachleistungen oder Geldleistungen, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Das Tatbestandsmerkmal "Erstausstattung der Wohnung" ist nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen (Eicher/Spellbrink, SGB II § 23 RdNr 97). Da die Beschwerdeführerin zu 3) erst am 02.05.2005 geboren worden ist, kann es sich bei ihrem Bedarf nur um eine Erstausstattung handeln. Dieser Bedarf ist nämlich an ihre Person geknüpft. Zur Erstausstattung für eine Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten gehören gemäß § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II alle auf die Wohnung bezogenen Erstausstattungsbedarfe. Dazu gehören alle Einrichtungsgegenstände und Geräte, die für eine geordnete Haushaltsführung notwendig sind, also insbesondere Möbel sowie die Ausstattung mit wohnungsbezogenen Gebrauchsgütern und dem Hausrat. Der Begriff der Erstausstattung darf nicht zu eng ausgelegt werden. Er umfasst die Bedarfe an allen Wohnungsgegenständen, die für eine geordnete Haushaltsführung und ein menschenwürdiges Wohnen erforderlich sind. Insofern steht außer Zweifel, dass ein Kinderbett mit Lattenrost und Matratze zur Erstausstattung einer Wohnung gehört, in die ein Säugling aufgenommen werden soll. Zur Erstausstattung einer Wohnung in diesem personenbezogenen Sinn gehört auch die Anschaffung eines gebrauchten Kinderwagens, da dieser nach den soziokulturellen Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland für einen Säugling erforderlich ist und nicht grundsätzlich auf ein Tragetuch oder ähnliche Liege- und Beförderungsmöglichkeiten verwiesen werden kann. Insbesondere unter Berücksichtigung des grundgesetzlich geforderten Schutzes der Familie (Art 6 Grundgesetz) gehört zur Erstausstattung der Wohnung auch ein Kinderwagen für einen Säugling, obwohl dieser überwiegend außerhalb der Wohnräume genutzt wird. Soweit die Beschwerdeführer auch Zubehör zum Kinderbett und Kinderwagen beantragt haben, ist nicht ersichtlich, welche Gegenstände benötigt werden. Die Beschwerdeführer haben sie weder aufgeführt noch sind sie aus der Akte ersichtlich. Es ist auch nicht geklärt, ob es sich dabei um für die Beschwerdeführerin zu 3) notwendige Wohnungserstausstattungsgegenstände handelt oder ob bereits Dinge im Haushalt der Familie vorhanden sind, die sachgerecht genutzt werden können. Deshalb muss die Beschwerdeführerin zu 3) einen entsprechend konkretisierten Antrag auf diese Gegenstände zuerst bei der Beschwerdegegnerin stellen, bevor sie den Weg zu den Gerichten beschreiten kann. Die Verweisung auf gebrauchte Möbel ist sachgerecht, da Eltern, insbesondere mit geringem Einkommen, sich durchaus mit gebrauchten Möbeln und einem Kinderwagen ausstatten, um so Kosten zu sparen. Darin ist keine Ausgrenzung der betreffenden Personen zu sehen, sondern ein sparsames Verhalten. Mithin kann die Beschwerdegegnerin diese Gegenstände als Sachleistungen zur Verfügung stellen oder die Beschwerdeführer auf eine vorhandene Bezugsmöglichkeit über gemeinnützige oder kirchliche Einrichtungen oder vorhandene Secondhand-Läden verweisen.

Der Anspruch der Beschwerdeführer auf ein Kinderbett und einen Kinderwagen scheidet hier nicht deshalb aus, weil in der Familie weitere Kinder im Alter von 2 ½ und 6 Jahren leben. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass die o.g. Gegenstände für einen Säugling vorhanden sind. Die erst nach der Geburt des jetzt 2 1/2jährigen Kindes aus Russland in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Beschwerdeführer zu 1) und 2) haben dargetan, dass ihnen solche Gegenstände nicht zur Verfügung stehen und sie sich gegenwärtig nur leihweise, unter der Verpflichtung einer möglichst baldigen Rückgabe, solcher Gegenstände bedienen können.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer zu 1) und 2) verpflichtet gewesen wären, Geld für diese Gegenstände, die die Beschwerdeführerin zu 3) benötigt, aus ihren Regelleistungen anzusparen. Die vor der Geburt des Kindes bezogenen Regelleistungen dienen nur dazu, den Regelbedarf des jeweiligen Bedürftigen abzudecken. Da zudem für die Beschwerdeführerin zu 3) ein Anspruch auf Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung zusätzlich zu den Regelleistungen besteht, können die Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen werden, dass sie diese Gegenstände nur gemäß § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II in Form eines Darlehens erhalten könnten. Dem steht nicht entgegen, dass im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens lediglich vorläufige Leistungen auszusprechen sind und für den Fall, dass die Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren unterliegen, diese Leistungen zurückgefordert werden können. Denn diese vorläufige Gewährung beruht auf der Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung.

Die Beschwerdeführer sind auch nicht darauf zu verweisen, dass sie unter Beschränkung ihrer Regelleistungen auf das Existenzminimum in der Lage wären, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens diese Gegenstände durch die das Existenzminimum überschreitenden Regelleistungen zu finanzieren. Dies ist angesichts der Gegenwärtigkeit des Bedarfes und der noch ungeklärten Kosten ausgeschlossen.
Die Beschwerdeführer berufen sich auch zu Recht auf einen Anordnungsgrund, denn sie haben glaubhaft vorgetragen, über die ihnen gegenwärtig zur Verfügung stehenden Gegenstände nur zeitweise verfügen zu können. Hier kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass das Kinderbett und der Kinderwagen den Beschwerdeführern leihweise für die Zeit des Bedarfes durch Bekannte zur Verfügung gestellt worden sind, was durchaus bei entsprechenden familiären oder freundschaftlichen Beziehungen üblich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Beschwerdeführer Geldleistungen in Höhe von EUR 300,-- beantragt haben und ihnen nur Sachleistungen in erheblich geringerem Umfang zugesprochen wurden, sie im Übrigen nur geringfügige Unkosten für die Prozessführung hatten, ist es gerechtfertigt, keine Kostenerstattung für die Beschwerdeführer auszusprechen.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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