Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
22
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 22 AS 734/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2016 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtswidrigkeit eines Sanktionsbescheides.
Am 23.06.2016 nahm der Kläger ein Arbeitsverhältnis bei der C. Kunststofftechnik als Mitarbeiter in der Produktion auf. Das Arbeitsverhältnis begann am 23.06.2016 und sollte durch Zeitablauf am 30.06.2018 enden. Am 22.07.2016 kündigte der Kläger.
Im Rahmen der Anhörung gab er an, seine Aufgaben hätten ziemlich viel Konzentration und Schnelligkeit gefordert, wo seine Schwächen lägen. Sein Chef sei ein Choleriker gewesen. Er sei mit dem Arbeitsklima nicht klargekommen. Er habe angefragt, ob es andere Arbeiten für ihn gäbe. Dies habe man abgelehnt.
Mit Bescheid vom 11.08.2016 stellte der Beklagte eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 242,40 EUR monatlich für die Zeit vom 01.09. bis zum 30.11.2016 fest.
Hiergegen legte der Kläger am 23.08.2016 Widerspruch ein und machte verfassungsrechtliche Bedenken geltend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 21.09.2016, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und bezieht sich auf seinen Schriftsatz vom 29.09.2016.
Dem Gericht lagen die Akten des Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG).
Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2016 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 SGG.
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, eine zumutbare Arbeit fortzuführen. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Der Beklagte kann eine Leistungsabsenkung nicht auf die allein hier in Betracht kommende Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II stützen. Denn eine Leistungsabsenkung setzt eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung für alle in Absatz 1 geregelten Tatbestände voraus. Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger jedoch die Stelle bei der C. Kunststofftechnik GmbH selbst gesucht. Somit fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung, weil gerade kein Vermittlungsvorschlag des Beklagten vorlag.
Darüber hinaus ist das Gericht der Auffassung, dass dem Kläger ein "wichtiger Grund" für die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei seiner ehemaligen Arbeitgeberin zur Seite stand. Der Begriff "wichtiger Grund" in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der den berechtigten Gründen zugrunde liegende Rechtsgedanke verallgemeinert werden. Eine Minderung soll nur dann eintreten, wenn dem Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der Versichertengemeinsacht ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Bei dieser Gesetzesauslegung kann ergänzend nach wie vor die frühere Regelung des § 78 Abs. 2 AVAVG mit herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift lag ein berechtigter Grund für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Versicherten vor, wenn dem Arbeitslosen die Arbeit nach seinem körperlichen und geistigen Leistungsvermögen nicht zugemutet werden konnte. Hiervon ist nach Aktenlage auszugehen. Der Kläger hat plausibel erklärt, seine Aufgaben hätten ziemlich viel Konzentration und Schnelligkeit gefordert. Hierin lägen seine Schwächen. Da der Kläger des Weiteren in ein einem Betriebsklima arbeiten musste, in dem er nicht klar kam, und immerhin nachgefragt hatte, ob andere Aufgaben für ihn zur Verfügung stünden, musste er sich überfordert fühlen. Bei dieser Situation muss dem Kläger wie jedem anderen Arbeitnehmer das Recht zugestanden werden, solange er sich in einem Probearbeitsverhältnis befand, dieses Arbeitsverhältnis zu lösen. Demgegenüber kann auch nicht eingewandt werden, dass im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II "Arbeit" unterschiedslos jedes Beschäftigungsverhältnis sei. Es ist zwar richtig, dass auch ein Probearbeitsverhältnis generell ein Arbeitsverhältnis ist, aber dieses Arbeitsverhältnis stellt bis zu einem Übergang in ein unbefristetes/zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis (Ende der Probefrist nach § 2 des Arbeitsvertrages) ein Arbeitsverhältnis mit Sonderrechten dar. Dem Sonderrecht der begründungslosen Lösung eines Probearbeitsverhältnisses haben auch die Vorschriften des SGB II Rechnung zu tragen. Es ist grundsätzlich rechtlich nicht vertretbar, dass das Geltendmachen von Rechten eines Arbeitnehmers - diesen Status hatte der leistungsberechtigte Kläger, als er während der Probezeit kündigte - davon abhängig sein soll, ob der Betroffene anschließend einen Grundsicherungsanspruch geltend machen will oder nicht. Dies gilt umso mehr, wenn die Vermittlung in eine solche Arbeit nicht durch die Beklagte vorgenommen worden ist, sondern der Leistungsberechtigte sich die Beschäftigung selbst gesucht hat. Der Steuerzahlergemeinschaft entsteht im letzteren Fall letztlich kein Schaden, da der Leistungsberechtigte ohne diese Tätigkeit weiter Leistungsempfänger des Beklagten gewesen wäre. Aber auch in der ersten Fallmöglichkeit ist der Kläger nicht darauf zu verweisen, eine Kündigung erst dann vornehmen zu dürfen, wenn er einen Anschlussarbeitsplatz gefunden hat. Eine solche Handhabung der Vorschrift des § 31 SGB II würde insbesondere in Zeiten einer schwächeren Konjunktur zwangsläufig dazu führen, dass ein Arbeitnehmer, der aus einer Arbeitslosigkeit heraus eine Verwendung in Form eines Arbeitsplatzes annimmt, grundsätzlich sein Beschäftigungsbeendigungsrecht im Rahmen eines Probearbeitsverhältnisses generell verlieren würde.
Da nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber durch § 31 SGB II das arbeitsrechtlich unbestrittene Vertragsrecht auf eine Probezeit mit den entsprechenden rechtlichen Folgen der Arbeitsvertragspartei einschränken wollte und ferner - vorliegend - der Kläger infolge Überforderung auch einen "wichtigen Grund" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II hatte, waren die Bescheide des Beklagten aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Rechtsmittelbelehrung berücksichtigt die Höhe des streitigen Anspruchs, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.
2. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtswidrigkeit eines Sanktionsbescheides.
Am 23.06.2016 nahm der Kläger ein Arbeitsverhältnis bei der C. Kunststofftechnik als Mitarbeiter in der Produktion auf. Das Arbeitsverhältnis begann am 23.06.2016 und sollte durch Zeitablauf am 30.06.2018 enden. Am 22.07.2016 kündigte der Kläger.
Im Rahmen der Anhörung gab er an, seine Aufgaben hätten ziemlich viel Konzentration und Schnelligkeit gefordert, wo seine Schwächen lägen. Sein Chef sei ein Choleriker gewesen. Er sei mit dem Arbeitsklima nicht klargekommen. Er habe angefragt, ob es andere Arbeiten für ihn gäbe. Dies habe man abgelehnt.
Mit Bescheid vom 11.08.2016 stellte der Beklagte eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 242,40 EUR monatlich für die Zeit vom 01.09. bis zum 30.11.2016 fest.
Hiergegen legte der Kläger am 23.08.2016 Widerspruch ein und machte verfassungsrechtliche Bedenken geltend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 21.09.2016, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und bezieht sich auf seinen Schriftsatz vom 29.09.2016.
Dem Gericht lagen die Akten des Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG).
Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 11.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2016 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 SGG.
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, eine zumutbare Arbeit fortzuführen. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Der Beklagte kann eine Leistungsabsenkung nicht auf die allein hier in Betracht kommende Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II stützen. Denn eine Leistungsabsenkung setzt eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung für alle in Absatz 1 geregelten Tatbestände voraus. Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger jedoch die Stelle bei der C. Kunststofftechnik GmbH selbst gesucht. Somit fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung, weil gerade kein Vermittlungsvorschlag des Beklagten vorlag.
Darüber hinaus ist das Gericht der Auffassung, dass dem Kläger ein "wichtiger Grund" für die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei seiner ehemaligen Arbeitgeberin zur Seite stand. Der Begriff "wichtiger Grund" in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der den berechtigten Gründen zugrunde liegende Rechtsgedanke verallgemeinert werden. Eine Minderung soll nur dann eintreten, wenn dem Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der Versichertengemeinsacht ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Bei dieser Gesetzesauslegung kann ergänzend nach wie vor die frühere Regelung des § 78 Abs. 2 AVAVG mit herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift lag ein berechtigter Grund für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Versicherten vor, wenn dem Arbeitslosen die Arbeit nach seinem körperlichen und geistigen Leistungsvermögen nicht zugemutet werden konnte. Hiervon ist nach Aktenlage auszugehen. Der Kläger hat plausibel erklärt, seine Aufgaben hätten ziemlich viel Konzentration und Schnelligkeit gefordert. Hierin lägen seine Schwächen. Da der Kläger des Weiteren in ein einem Betriebsklima arbeiten musste, in dem er nicht klar kam, und immerhin nachgefragt hatte, ob andere Aufgaben für ihn zur Verfügung stünden, musste er sich überfordert fühlen. Bei dieser Situation muss dem Kläger wie jedem anderen Arbeitnehmer das Recht zugestanden werden, solange er sich in einem Probearbeitsverhältnis befand, dieses Arbeitsverhältnis zu lösen. Demgegenüber kann auch nicht eingewandt werden, dass im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II "Arbeit" unterschiedslos jedes Beschäftigungsverhältnis sei. Es ist zwar richtig, dass auch ein Probearbeitsverhältnis generell ein Arbeitsverhältnis ist, aber dieses Arbeitsverhältnis stellt bis zu einem Übergang in ein unbefristetes/zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis (Ende der Probefrist nach § 2 des Arbeitsvertrages) ein Arbeitsverhältnis mit Sonderrechten dar. Dem Sonderrecht der begründungslosen Lösung eines Probearbeitsverhältnisses haben auch die Vorschriften des SGB II Rechnung zu tragen. Es ist grundsätzlich rechtlich nicht vertretbar, dass das Geltendmachen von Rechten eines Arbeitnehmers - diesen Status hatte der leistungsberechtigte Kläger, als er während der Probezeit kündigte - davon abhängig sein soll, ob der Betroffene anschließend einen Grundsicherungsanspruch geltend machen will oder nicht. Dies gilt umso mehr, wenn die Vermittlung in eine solche Arbeit nicht durch die Beklagte vorgenommen worden ist, sondern der Leistungsberechtigte sich die Beschäftigung selbst gesucht hat. Der Steuerzahlergemeinschaft entsteht im letzteren Fall letztlich kein Schaden, da der Leistungsberechtigte ohne diese Tätigkeit weiter Leistungsempfänger des Beklagten gewesen wäre. Aber auch in der ersten Fallmöglichkeit ist der Kläger nicht darauf zu verweisen, eine Kündigung erst dann vornehmen zu dürfen, wenn er einen Anschlussarbeitsplatz gefunden hat. Eine solche Handhabung der Vorschrift des § 31 SGB II würde insbesondere in Zeiten einer schwächeren Konjunktur zwangsläufig dazu führen, dass ein Arbeitnehmer, der aus einer Arbeitslosigkeit heraus eine Verwendung in Form eines Arbeitsplatzes annimmt, grundsätzlich sein Beschäftigungsbeendigungsrecht im Rahmen eines Probearbeitsverhältnisses generell verlieren würde.
Da nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber durch § 31 SGB II das arbeitsrechtlich unbestrittene Vertragsrecht auf eine Probezeit mit den entsprechenden rechtlichen Folgen der Arbeitsvertragspartei einschränken wollte und ferner - vorliegend - der Kläger infolge Überforderung auch einen "wichtigen Grund" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II hatte, waren die Bescheide des Beklagten aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Rechtsmittelbelehrung berücksichtigt die Höhe des streitigen Anspruchs, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.
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