Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 139/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 54/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Die Beweislast für den Zusammenhang eines während der versicherten Tätigkeit im öffentlichen Verkehrsraum zurückgelegten Weges mit der versicherten Tätigkeit als anspruchsbegründende Tatsache hat der Versicherte zu tragen. Gerade zu den Fragen der Beweislast hat das BSG ausdrücklich mit Urteil vom 17. Dezember 2017 (Az. B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55) nochmals ausgeführt, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen der Beweislast des Versicherten obliegen.
2) Zwischen den Wegeunfällen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und den Wegen bei der Arbeit im öffentlichen Verkehrsraum nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII kann es bezüglich der Beweislast keine Unterschiede geben, denn hierfür gibt es keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
3) Scheinbar hat mit dieser Entscheidung das Bundessozialgericht auch seine Ansichten zur Beweislastumkehr bei Unfällen am Arbeitsplatz (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - sogenannter: „Kranführerfall“) aufgehoben oder zumindest für Wege im öffentlichen Raum stark modifiziert.
2) Zwischen den Wegeunfällen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und den Wegen bei der Arbeit im öffentlichen Verkehrsraum nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII kann es bezüglich der Beweislast keine Unterschiede geben, denn hierfür gibt es keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
3) Scheinbar hat mit dieser Entscheidung das Bundessozialgericht auch seine Ansichten zur Beweislastumkehr bei Unfällen am Arbeitsplatz (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - sogenannter: „Kranführerfall“) aufgehoben oder zumindest für Wege im öffentlichen Raum stark modifiziert.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Der 1987 geborene Kläger arbeitete bei der Firma C. GmbH in C-Stadt hauptsächlich als Bodenverleger und Auslieferungsfahrer und war in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 4. März 2014 befuhr er in dieser Tätigkeit die A45 von C-Stadt kommend Richtung D-Stadt als Fahrer eines Sprinters mit Ziel E-Stadt. Dort wollte er Ware an die Baudekorationsfirma F. ausliefern. Nach ca. 9,1 km verließ er in Höhe der Raststätte G. die A45, fuhr in die Raststätte und dort völlig ungebremst in das Kassenhäuschen. Dabei wurde ein 59-jähriger Mitarbeiter der Raststätte getötet, eine 55-jährige Mitarbeiterin erlitt leichte Verletzungen. Der Kläger wurde mit dem Rettungshubschrauber ins Klinikum Siegen geflogen. Dort diagnostizierte der Durchgangsarzt eine parietale Schädelfraktur mit intrakraniellem Hämatom. Weiter ist im Durchgangsarztbericht festgehalten, dass der Kläger beim Eintreffen noch wach gewesen sei, aber desorientiert. Aufgrund des Durchgangsarztberichtes leitete die Beklagte ein Verwaltungsverfahren ein und zog zunächst die ersten Unterlagen des Polizeipräsidiums Mittelhessen über das Ereignis bei. Nach Erstbehandlung in Siegen wurde der Kläger zur medizinischen Rehabilitation in die Neurologische Rehabilitationsklinik Braunfels verlegt. Hier fanden mehrere Gespräche zwischen Reha-Beratern der Beklagten und dem Kläger statt. In einem Anrufvermerk vom 23. April 2014 (Bl. 41 Verwaltungsakte) ist festgehalten, dass der Kläger keinerlei Erinnerungen an den Unfall habe. Den Toten habe er aus der näheren Umgebung (Dorfgemeinschaft) persönlich gekannt. Im ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik Braunfels ist festgehalten, dass bei dem Kläger eine generalisierte Epilepsie seit dem 15. Lebensjahr bekannt sei. Er habe lange Intervalle ohne Anfälle gehabt, es seien aber vor allem dann Anfälle aufgetreten, wenn er seine antiepileptische Medikation nicht regelmäßig eingenommen habe. Nach Entlassung aus der Reha-Klinik wurde der Kläger psychologisch weiter betreut durch das Psychotraumatologische Zentrum für Diagnostik und Therapieplanung an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main (BGU). Hier wurde auch nochmals der Hergang des Unfallereignisses aufgearbeitet. Der Kläger gab dazu an (vgl. Bl. 82-1 der Verwaltungsakte) er sei mit dem Transporter auf dem Weg nach D-Stadt gewesen, um dort Teppiche auszuliefern. Seine letzten Erinnerungen würden von der Beladung des Transportfahrzeuges stammen. Auch könne er sich noch daran erinnern, die Autobahnauffahrt genommen zu haben. Er sei dann, das wisse er aus Erzählungen von Dritten, mit seinem Transporter in eine Tankraststätte gefahren. Die Unfallursache sei bis dato unklar. Ein erstes neurologisch-psychiatrisches Zusammenhangsgutachten holte die Beklagte bei Dr. H., BGU, ein. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 3. September 2014 zu dem Ergebnis, wegen der Folgen des Unfalls sei eine MdE von 30 v. H. festzustellen.
Zum Hergang des Unfalls zog die Beklagte nochmals die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Limburg bei. Daraus ergibt sich, dass u. a. der Arbeitgeber des Klägers zum Zwischenhalt befragt worden sei (vgl. Verwaltungsakte Bl. 133-17 R). Dort gaben die Geschäftsführer der Firma C. GmbH an, der Kläger sei Raucher gewesen und habe sich stets seine Verpflegung unterwegs besorgt. Deshalb werde von ihm vermutet, dass er auf der Tank- und Rastanlage G. Etwaiges besorgen wollte. Des Weiteren ist in der Ermittlungsakte ein Gutachten des Prof. J., Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Gießen und Marburg vom 26. Mai 2014 dokumentiert. Daraus ergibt sich, dass bei dem Kläger direkt nach dem Unfall eine Blutalkoholkonzentration von unter 0,1 Promille festgestellt worden sei. Es habe sich jedoch ein positiver Nachweis von Tetrahydrocannabinol ergeben, der Nachweis anderer Rauschmittel, wie z. B. Opiate und Kokain sei negativ verlaufen. Bezüglich des Cannabis-Konsums wird auf die Beurteilung des forensischen Chemikers Dr. K. verwiesen, der festgestellt hat, dass aufgrund der vorliegenden Befundkonstellation ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass der Proband zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter dem Einfluss der nachgewiesenen berauschenden Mitteln (THC) gestanden habe. Die THC-Konzentration lag insgesamt bei 4,7 ng/ml. Mit Bescheid vom 27. November 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die im Unfallzeitpunkt beim Kläger bestehende THC-Konzentration und führte aus, dass dieser Drogenkonsum die allein wesentliche Unfallursache dargestellt habe. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 4. Dezember 2014 Widerspruch ein. Die Beklagte zog im Widerspruchsverfahren nochmals die Akten des Strafverfahrens bei. Dieses war mit Beschluss vom 27. Mai 2015 eingestellt worden. Im Strafverfahren war zusätzlich ein Unfallgutachten des Prof. L., Institut für Methodische Analysen, beigezogen worden. Des Weiteren war ein rechtsmedizinisches Gutachten bei Prof. M. eingeholt worden. Prof. M. kommt darin zusammengefasst zu dem Ergebnis, aus forensisch-toxikologischer Sicht spreche der hier vorliegende Unfallablauf (ca. 150 Meter vor der ersten Kollision Lenkkontrolle über das Fahrzeug verloren, keine Bremsreaktion) nicht für einen Fahrfehler, der kausal ausschließlich auf den Konsum von Cannabinoiden zurückgeführt werden könne. Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Limburg hat in diesem Verfahren ergänzend darüber hinaus eine Stellungnahme des Prof. J., UKGM, zu seinem ursprünglichen Gutachten eingeholt. Prof. J. kommt in seiner Stellungnahme vom 7. Mai 2015 zu dem Ergebnis, aus den Umständen des Unfallhergangs ergebe sich, dass es sich um einen sehr kurzfristig eingetretenen Kontrollverlust des Fahrers gehandelt haben müsse. Das 6-Gang-Schaltgetriebe habe sich laut Unfallgutachten in Leerlaufposition befunden, so dass er daraus schließe, dass der Kläger beim Einfahren in die Raststätte noch ausgekuppelt habe. Dies schließe seines Erachtens Ursachen (z. B. Unterzuckerung), die sich durch subjektives Unwohlsein über einen längeren Zeitraum ankündigen, aus oder mache diese zumindest eher unwahrscheinlich. Für Kampfanfälle sei es typisch, dass sie plötzlich ohne Vorwarnung für den Betroffenen auftreten und unmittelbar zur Bewusstlosigkeit führen würden. Da bei dem Kläger eine Epilepsie bestehe und auch bereits mehrere Krampfanfälle aufgetreten seien, sehe er daher diese Interpretation für dringend wahrscheinlich an. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung verwies sie nochmals auf den erheblichen Umfang des Cannabis-Einflusses. Darüber hinaus hat sie im Widerspruchsbescheid erstmals ausgeführt, dass nach den Arzneimittelinformationen über das vom Kläger ständig eingenommene Antiepileptikum davon ausgegangen werden müsse, dass der gleichzeitige Einfluss des Medikaments und des Cannabis zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit geführt habe. Im Gegensatz zu der Würdigung des im Strafverfahren gehörten neurologischen Sachverständigen halte es die Berufsgenossenschaft aufgrund fehlender tatsächlicher Anknüpfungspunkte nicht für voll bewiesen, dass ein unvermittelt aufgetretener Krampfanfall zur Kollision geführt habe. Als weitere, erstmals im Widerspruchsverfahren eingeführte Begründung verwies die Beklagte darauf, dass es nicht voll bewiesen sei, dass der Kläger sich, nachdem er von der Autobahn abgefahren und auf das Gelände der Tank- und Rastanlage eingebogen sei, bei einer versicherten Tätigkeit befunden habe. Es kämen nach Sachlage sowohl versicherte als auch unversicherte Motive für das Verlassen in Betracht. Auch nach Würdigung der umfangreichen Aktenlage des Strafverfahrens lasse sich jedoch nicht klären, warum der Kläger zur Raststätte abfahren wollte. Feststehe jedoch, dass er damit seinen eigentlichen Betriebsweg unterbrochen habe. Auch auf Betriebswegen gelte, dass während der Zeit einer Unterbrechung kein Versicherungsschutz bestehe.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 1. Oktober 2015 beim Sozialgericht Gießen eingegangen Klage. Er ist der Ansicht, der Cannabis-Konsum sei nicht wesentliche Ursache für den Unfall gewesen. Im Übrigen erinnere er sich auch weiterhin nicht daran, was kurz vor dem Unfall geschehen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2015 zu verurteilen, das Ereignis vom 4. März 2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und die ausführlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Limburg über das Ereignis. Nach alledem gebe es keinen in der versicherten Tätigkeit liegenden Grund für den Kläger, von der BAB 45 abzufahren und die Tank- und Rastanlage G. zu besuchen.
Das Gericht von Amts wegen hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens nach Aktenlage bei Dr. N., N-Stadt. Die Sachverständige kommt in ihrem Gutachten vom 14. September 2016 zu dem Ergebnis, die konkurrierende Ursache des Cannabis-Konsums sei nicht die überwiegend wesentliche Ursache im Sinne der sozialrechtlichen Kausalitätslehre. Sie könne den Ausführungen von Prof. Dr. J. in seinem Gutachten vom 26. Mai 2014 beitreten, als dass nach dem wissenschaftlichen Sachstand durch den Cannabis-Konsum keine Auslösung von Krampfanfällen, hier eher eine Reduktion der Anfallsfrequenz beobachtet werden könne.
In der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2017 hat das Gericht noch einmal den Hergang des Ereignisses mit den Beteiligten ausführlich erörtert, insbesondere den genauen Verlauf der Fahrspuren, wie sie die Beklagte mit einem Ausdruck von Google Maps in der Verwaltungsakte dokumentiert hat. Auf die Niederschrift wird insoweit ausdrücklich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2015 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall abgelehnt, denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen nicht vor.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 Rdnr. 9 m. w. N.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
Hierbei hat die Beklagte ihren angegriffenen Bescheid vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2015 zu Unrecht hauptsächlich damit begründet, dass im Rahmen der Kausalität der konkurrierenden Ursache des Cannabis-Konsums überragende Bedeutung zukommt. Letztendlich ist hier auch zur Überzeugung der Kammer nicht erwiesen, warum der Kläger den Unfall verursacht hat. Fahrfehler, im Sinne eines Fahrens in Schlangenlinien oder sonstige drogen- bzw. alkoholbedingte Ausfälle, sind nicht dokumentiert. Es kann somit nicht darauf abgestellt werden, dass die Fahrfähigkeit des Klägers aufgrund des erheblichen Cannabis-Konsums eingeschränkt gewesen ist. Auch ist es nicht richtig, dass der Cannabis-Konsum in Wechselwirkung mit den vom Kläger wegen seiner Epilepsieerkrankung einzunehmenden Medikamenten das Ereignis ausgelöst hat. Dies haben schon die im Strafverfahren bei Prof. M. und Prof. J. eingeholten Gutachten erbracht. Deshalb ist auch letztlich das Strafverfahren eingestellt worden. Diese Gutachten werden eindrucksvoll durch das im Gerichtsverfahren von Amts wegen bei Dr. N., N-Stadt, eingeholte Gutachten bestätigt. Dr. N. kommt hier in ihrem Gutachten vom 14. September 2016 sogar zu dem Ergebnis, dass der Cannabis-Konsum keine Auslösung von Krampfanfällen bewirkt sondern eher eine Reduktion der Anfallsfrequenz beobachtet werden kann. Diese auch für die Kammer neue wissenschaftliche Ansicht wurde insoweit auch von Prof. J. in seinem im Strafverfahren erstatteten Gutachten bestätigt. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass der Cannabis-Konsum Allein oder überwiegend die wesentliche Ursache für den Unfall gewesen ist.
Dennoch kann das Ereignis nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden, denn die Unfallkausalität (vgl. hierzu grundsätzlich BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 26/07 R) liegt nicht vor. Der Begriff der Unfallkausalität kennzeichnet die Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R). Die Unfallkausalität ist danach notwendigerweise in den Fällen einer inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr zu klären, da bei diesen Fallgestaltungen gerade nicht ausgeschlossen werden kann, dass neben der im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzugetreten ist (vgl. BSG, a. a. O.). Insgesamt hat das Bundessozialgericht hier den Begriff der "Handlungstendenz" geprägt und damit nur diejenigen Handlungen dem Unfall zugerechnet, die auf eine versicherte Tätigkeit hinsteuern. In Anwendung dieser Grundsätze muss im vorliegenden Fall ein Zusammenhang bestehen zwischen dem Abweg des Klägers von der BAB 45 und seiner versicherten Tätigkeit. Fest steht nach den Ermittlungen, dass der Kläger auf der Rastanlage keinen Arbeitsauftrag auszuführen hatte. Auch gibt es wohl keine Vereinbarung zwischen dem Firmeninhaber und der Raststätte, dass hier ausschließlich das Betanken der Betriebswagen durchgeführt wird. Dies scheint bei lebensnaher Betrachtungsweise auch geradezu ausgeschlossen, da an den Tank- und Rastanlagen der Bundesautobahnen die Kraftstoffpreise regelmäßig höher sind. Auch weitere Gründe für das Abbiegen auf die Rastanlage konnten nicht ermittelt werden. Der Kläger hat insoweit sowohl im Verwaltungsverfahren aber auch nochmals in der mündlichen Verhandlung angegeben, er könne sich an praktisch nichts mehr erinnern.
Letztlich steht damit auch nicht fest, in welchem Zeitpunkt der Fahrt der Kläger wahrscheinlich einen Krampfanfall mit Bewusstlosigkeit erlitten hat. Prof. J. hat in seinem im Strafverfahren erstatteten Gutachten darauf verwiesen, dass das Unfallgutachten des Kfz-Sachverständigen erbracht habe, nach dem Unfallzeitpunkt sei im Schaltgetriebe des verunglückten Fahrzeuges der Leerlauf eingelegt gewesen. Dies spreche seines Erachtens dafür, dass der Kläger noch selbst den Gang herausgenommen habe. Letztlich ist dies für die Kammer nur ein Indiz dafür, dass der Kläger bewusst und gewollt die A45 verlassen hat, um auf die Rastanlage abzubiegen. Es ist dennoch hier mit fast gleicher Wahrscheinlichkeit möglich, dass der Kläger durch den Krampfanfall ggf. noch um sich geschlagen hat und dabei den Gang herausgerissen hat. Allerdings kommt nach Ansicht des Gerichts einem anderen Indiz entscheidende Bedeutung zu. Fest steht nämlich, dass der Kläger auf geradem Weg und völlig ungebremst in das Kassenhäuschen der Tank- und Rastanlage gefahren ist. Er hat also willentlich keine Lenkbewegungen mehr durchgeführt. Wichtig dazu ist der Straßenverlauf der Ausfahrt zur Tank- und Rastanlage. Dieser ergibt sich eindeutig aus dem Google-Maps-Ausdruck der Beklagten (vgl. Bl. 177 Verwaltungsakte). Danach muss zum Aufsuchen der Ausfahrt eine bewusste Lenkbewegung erfolgen. Die Ausfahrtsspur bewegt sich dann in einer leichten Rechtskurve auf die Tank- und Rastanlage zu. Eine Kollision mit dem Kassenhäuschen kommt nur in Betracht, wenn der Kläger erst etliche Meter nach Verlassen der Fahrspuren der BAB im Ausfahrtsstreifen die Hauptspur verlassen hat und gerade weitergefahren ist. Dies wird anhand des Lichtbildes deutlich an den klar erkennbaren Hauptspuren in der Ausfahrt, die sich halblinks und halbrechts abteilen und nur die gerade Linie über den Tankbereich zum Kassenhäuschen führt. Demgegenüber erscheint es unmöglich, dass der Kläger schon auf der Autobahn selbst bewusstlos geworden ist, denn dann hätte er einen anderen Weg genommen. Er wäre entweder in die die Autobahn begrenzenden Büsche gefahren oder in einem wesentlich steileren Winkel in die Tank- und Rastanlage. Hier hätte er unmöglich das Kassenhäuschen treffen können. Nur wenn der Kläger noch bewusst von der Autobahn abgefahren ist und erst bei Aufteilung der Hauptspuren um die Tankstelle herum das Bewusstsein verloren hat, ist die Kollision überhaupt zu erklären. Das bedeutet im Ergebnis, dass eine Handlungstendenz des Klägers zum Aufsuchen der Tank- und Rastanlage nachgewiesen ist.
Nicht nachgewiesen ist, warum er vom versicherten Weg abgebogen ist und ob es hierzu vielleicht dennoch dem Versicherungsschutz zuzurechnende Gründe gibt. Dies lässt sich nicht mehr aufklären. Die Beweislast hierfür als anspruchsbegründende Tatsache hat aber der Kläger zu tragen. Gerade zu den Fragen der Beweislast hat das BSG ausdrücklich mit Urteil vom 17. Dezember 2017 (Az. B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55) nochmals ausgeführt, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen der Beweislast des Versicherten obliegen. Diese Entscheidung, die in Rechtsprechung und Literatur ausführlich und streitig diskutiert wird, hat die Anspruchsvoraussetzungen insbesondere bei der Zurücklegung von Wegen verschärft. Scheinbar hat damit das Bundessozialgericht auch seine Ansichten zur Beweislastumkehr bei Unfällen am Arbeitsplatz (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - sogenannter: "Kranführerfall") aufgehoben oder zumindest für Wege im öffentlichen Raum stark modifiziert. Hierzu hat das Bundessozialgericht im Weiteren noch nicht endgültig Stellung bezogen. Nach Ansicht der Kammer ist diese Rechtsprechung zumindest weiter anwendbar bei Unfällen an einem (stationären) Arbeitsplatz. Bei der Zurücklegung von Wegen, egal ob es sich um Wege zur Erreichung des Arbeitsplatzes (Wegeunfälle) oder um Wege im Außendienst (bei versicherter Tätigkeit) handelt, können diese Grundsätze nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Dezember 2015 (a. a. O.) wohl nicht mehr angewandt werden. Die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt damit uneingeschränkt der Versicherte. Da hier kein Grund für das Verlassen der A45 aus versicherter Tätigkeit nachgewiesen ist, kann das Ereignis somit nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII anerkannt werden. Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Der 1987 geborene Kläger arbeitete bei der Firma C. GmbH in C-Stadt hauptsächlich als Bodenverleger und Auslieferungsfahrer und war in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 4. März 2014 befuhr er in dieser Tätigkeit die A45 von C-Stadt kommend Richtung D-Stadt als Fahrer eines Sprinters mit Ziel E-Stadt. Dort wollte er Ware an die Baudekorationsfirma F. ausliefern. Nach ca. 9,1 km verließ er in Höhe der Raststätte G. die A45, fuhr in die Raststätte und dort völlig ungebremst in das Kassenhäuschen. Dabei wurde ein 59-jähriger Mitarbeiter der Raststätte getötet, eine 55-jährige Mitarbeiterin erlitt leichte Verletzungen. Der Kläger wurde mit dem Rettungshubschrauber ins Klinikum Siegen geflogen. Dort diagnostizierte der Durchgangsarzt eine parietale Schädelfraktur mit intrakraniellem Hämatom. Weiter ist im Durchgangsarztbericht festgehalten, dass der Kläger beim Eintreffen noch wach gewesen sei, aber desorientiert. Aufgrund des Durchgangsarztberichtes leitete die Beklagte ein Verwaltungsverfahren ein und zog zunächst die ersten Unterlagen des Polizeipräsidiums Mittelhessen über das Ereignis bei. Nach Erstbehandlung in Siegen wurde der Kläger zur medizinischen Rehabilitation in die Neurologische Rehabilitationsklinik Braunfels verlegt. Hier fanden mehrere Gespräche zwischen Reha-Beratern der Beklagten und dem Kläger statt. In einem Anrufvermerk vom 23. April 2014 (Bl. 41 Verwaltungsakte) ist festgehalten, dass der Kläger keinerlei Erinnerungen an den Unfall habe. Den Toten habe er aus der näheren Umgebung (Dorfgemeinschaft) persönlich gekannt. Im ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik Braunfels ist festgehalten, dass bei dem Kläger eine generalisierte Epilepsie seit dem 15. Lebensjahr bekannt sei. Er habe lange Intervalle ohne Anfälle gehabt, es seien aber vor allem dann Anfälle aufgetreten, wenn er seine antiepileptische Medikation nicht regelmäßig eingenommen habe. Nach Entlassung aus der Reha-Klinik wurde der Kläger psychologisch weiter betreut durch das Psychotraumatologische Zentrum für Diagnostik und Therapieplanung an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main (BGU). Hier wurde auch nochmals der Hergang des Unfallereignisses aufgearbeitet. Der Kläger gab dazu an (vgl. Bl. 82-1 der Verwaltungsakte) er sei mit dem Transporter auf dem Weg nach D-Stadt gewesen, um dort Teppiche auszuliefern. Seine letzten Erinnerungen würden von der Beladung des Transportfahrzeuges stammen. Auch könne er sich noch daran erinnern, die Autobahnauffahrt genommen zu haben. Er sei dann, das wisse er aus Erzählungen von Dritten, mit seinem Transporter in eine Tankraststätte gefahren. Die Unfallursache sei bis dato unklar. Ein erstes neurologisch-psychiatrisches Zusammenhangsgutachten holte die Beklagte bei Dr. H., BGU, ein. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 3. September 2014 zu dem Ergebnis, wegen der Folgen des Unfalls sei eine MdE von 30 v. H. festzustellen.
Zum Hergang des Unfalls zog die Beklagte nochmals die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Limburg bei. Daraus ergibt sich, dass u. a. der Arbeitgeber des Klägers zum Zwischenhalt befragt worden sei (vgl. Verwaltungsakte Bl. 133-17 R). Dort gaben die Geschäftsführer der Firma C. GmbH an, der Kläger sei Raucher gewesen und habe sich stets seine Verpflegung unterwegs besorgt. Deshalb werde von ihm vermutet, dass er auf der Tank- und Rastanlage G. Etwaiges besorgen wollte. Des Weiteren ist in der Ermittlungsakte ein Gutachten des Prof. J., Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Gießen und Marburg vom 26. Mai 2014 dokumentiert. Daraus ergibt sich, dass bei dem Kläger direkt nach dem Unfall eine Blutalkoholkonzentration von unter 0,1 Promille festgestellt worden sei. Es habe sich jedoch ein positiver Nachweis von Tetrahydrocannabinol ergeben, der Nachweis anderer Rauschmittel, wie z. B. Opiate und Kokain sei negativ verlaufen. Bezüglich des Cannabis-Konsums wird auf die Beurteilung des forensischen Chemikers Dr. K. verwiesen, der festgestellt hat, dass aufgrund der vorliegenden Befundkonstellation ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass der Proband zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter dem Einfluss der nachgewiesenen berauschenden Mitteln (THC) gestanden habe. Die THC-Konzentration lag insgesamt bei 4,7 ng/ml. Mit Bescheid vom 27. November 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die im Unfallzeitpunkt beim Kläger bestehende THC-Konzentration und führte aus, dass dieser Drogenkonsum die allein wesentliche Unfallursache dargestellt habe. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 4. Dezember 2014 Widerspruch ein. Die Beklagte zog im Widerspruchsverfahren nochmals die Akten des Strafverfahrens bei. Dieses war mit Beschluss vom 27. Mai 2015 eingestellt worden. Im Strafverfahren war zusätzlich ein Unfallgutachten des Prof. L., Institut für Methodische Analysen, beigezogen worden. Des Weiteren war ein rechtsmedizinisches Gutachten bei Prof. M. eingeholt worden. Prof. M. kommt darin zusammengefasst zu dem Ergebnis, aus forensisch-toxikologischer Sicht spreche der hier vorliegende Unfallablauf (ca. 150 Meter vor der ersten Kollision Lenkkontrolle über das Fahrzeug verloren, keine Bremsreaktion) nicht für einen Fahrfehler, der kausal ausschließlich auf den Konsum von Cannabinoiden zurückgeführt werden könne. Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Limburg hat in diesem Verfahren ergänzend darüber hinaus eine Stellungnahme des Prof. J., UKGM, zu seinem ursprünglichen Gutachten eingeholt. Prof. J. kommt in seiner Stellungnahme vom 7. Mai 2015 zu dem Ergebnis, aus den Umständen des Unfallhergangs ergebe sich, dass es sich um einen sehr kurzfristig eingetretenen Kontrollverlust des Fahrers gehandelt haben müsse. Das 6-Gang-Schaltgetriebe habe sich laut Unfallgutachten in Leerlaufposition befunden, so dass er daraus schließe, dass der Kläger beim Einfahren in die Raststätte noch ausgekuppelt habe. Dies schließe seines Erachtens Ursachen (z. B. Unterzuckerung), die sich durch subjektives Unwohlsein über einen längeren Zeitraum ankündigen, aus oder mache diese zumindest eher unwahrscheinlich. Für Kampfanfälle sei es typisch, dass sie plötzlich ohne Vorwarnung für den Betroffenen auftreten und unmittelbar zur Bewusstlosigkeit führen würden. Da bei dem Kläger eine Epilepsie bestehe und auch bereits mehrere Krampfanfälle aufgetreten seien, sehe er daher diese Interpretation für dringend wahrscheinlich an. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung verwies sie nochmals auf den erheblichen Umfang des Cannabis-Einflusses. Darüber hinaus hat sie im Widerspruchsbescheid erstmals ausgeführt, dass nach den Arzneimittelinformationen über das vom Kläger ständig eingenommene Antiepileptikum davon ausgegangen werden müsse, dass der gleichzeitige Einfluss des Medikaments und des Cannabis zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit geführt habe. Im Gegensatz zu der Würdigung des im Strafverfahren gehörten neurologischen Sachverständigen halte es die Berufsgenossenschaft aufgrund fehlender tatsächlicher Anknüpfungspunkte nicht für voll bewiesen, dass ein unvermittelt aufgetretener Krampfanfall zur Kollision geführt habe. Als weitere, erstmals im Widerspruchsverfahren eingeführte Begründung verwies die Beklagte darauf, dass es nicht voll bewiesen sei, dass der Kläger sich, nachdem er von der Autobahn abgefahren und auf das Gelände der Tank- und Rastanlage eingebogen sei, bei einer versicherten Tätigkeit befunden habe. Es kämen nach Sachlage sowohl versicherte als auch unversicherte Motive für das Verlassen in Betracht. Auch nach Würdigung der umfangreichen Aktenlage des Strafverfahrens lasse sich jedoch nicht klären, warum der Kläger zur Raststätte abfahren wollte. Feststehe jedoch, dass er damit seinen eigentlichen Betriebsweg unterbrochen habe. Auch auf Betriebswegen gelte, dass während der Zeit einer Unterbrechung kein Versicherungsschutz bestehe.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 1. Oktober 2015 beim Sozialgericht Gießen eingegangen Klage. Er ist der Ansicht, der Cannabis-Konsum sei nicht wesentliche Ursache für den Unfall gewesen. Im Übrigen erinnere er sich auch weiterhin nicht daran, was kurz vor dem Unfall geschehen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2015 zu verurteilen, das Ereignis vom 4. März 2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und die ausführlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Limburg über das Ereignis. Nach alledem gebe es keinen in der versicherten Tätigkeit liegenden Grund für den Kläger, von der BAB 45 abzufahren und die Tank- und Rastanlage G. zu besuchen.
Das Gericht von Amts wegen hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens nach Aktenlage bei Dr. N., N-Stadt. Die Sachverständige kommt in ihrem Gutachten vom 14. September 2016 zu dem Ergebnis, die konkurrierende Ursache des Cannabis-Konsums sei nicht die überwiegend wesentliche Ursache im Sinne der sozialrechtlichen Kausalitätslehre. Sie könne den Ausführungen von Prof. Dr. J. in seinem Gutachten vom 26. Mai 2014 beitreten, als dass nach dem wissenschaftlichen Sachstand durch den Cannabis-Konsum keine Auslösung von Krampfanfällen, hier eher eine Reduktion der Anfallsfrequenz beobachtet werden könne.
In der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2017 hat das Gericht noch einmal den Hergang des Ereignisses mit den Beteiligten ausführlich erörtert, insbesondere den genauen Verlauf der Fahrspuren, wie sie die Beklagte mit einem Ausdruck von Google Maps in der Verwaltungsakte dokumentiert hat. Auf die Niederschrift wird insoweit ausdrücklich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2015 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall abgelehnt, denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen nicht vor.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 Rdnr. 9 m. w. N.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
Hierbei hat die Beklagte ihren angegriffenen Bescheid vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2015 zu Unrecht hauptsächlich damit begründet, dass im Rahmen der Kausalität der konkurrierenden Ursache des Cannabis-Konsums überragende Bedeutung zukommt. Letztendlich ist hier auch zur Überzeugung der Kammer nicht erwiesen, warum der Kläger den Unfall verursacht hat. Fahrfehler, im Sinne eines Fahrens in Schlangenlinien oder sonstige drogen- bzw. alkoholbedingte Ausfälle, sind nicht dokumentiert. Es kann somit nicht darauf abgestellt werden, dass die Fahrfähigkeit des Klägers aufgrund des erheblichen Cannabis-Konsums eingeschränkt gewesen ist. Auch ist es nicht richtig, dass der Cannabis-Konsum in Wechselwirkung mit den vom Kläger wegen seiner Epilepsieerkrankung einzunehmenden Medikamenten das Ereignis ausgelöst hat. Dies haben schon die im Strafverfahren bei Prof. M. und Prof. J. eingeholten Gutachten erbracht. Deshalb ist auch letztlich das Strafverfahren eingestellt worden. Diese Gutachten werden eindrucksvoll durch das im Gerichtsverfahren von Amts wegen bei Dr. N., N-Stadt, eingeholte Gutachten bestätigt. Dr. N. kommt hier in ihrem Gutachten vom 14. September 2016 sogar zu dem Ergebnis, dass der Cannabis-Konsum keine Auslösung von Krampfanfällen bewirkt sondern eher eine Reduktion der Anfallsfrequenz beobachtet werden kann. Diese auch für die Kammer neue wissenschaftliche Ansicht wurde insoweit auch von Prof. J. in seinem im Strafverfahren erstatteten Gutachten bestätigt. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass der Cannabis-Konsum Allein oder überwiegend die wesentliche Ursache für den Unfall gewesen ist.
Dennoch kann das Ereignis nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden, denn die Unfallkausalität (vgl. hierzu grundsätzlich BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 26/07 R) liegt nicht vor. Der Begriff der Unfallkausalität kennzeichnet die Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R). Die Unfallkausalität ist danach notwendigerweise in den Fällen einer inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr zu klären, da bei diesen Fallgestaltungen gerade nicht ausgeschlossen werden kann, dass neben der im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzugetreten ist (vgl. BSG, a. a. O.). Insgesamt hat das Bundessozialgericht hier den Begriff der "Handlungstendenz" geprägt und damit nur diejenigen Handlungen dem Unfall zugerechnet, die auf eine versicherte Tätigkeit hinsteuern. In Anwendung dieser Grundsätze muss im vorliegenden Fall ein Zusammenhang bestehen zwischen dem Abweg des Klägers von der BAB 45 und seiner versicherten Tätigkeit. Fest steht nach den Ermittlungen, dass der Kläger auf der Rastanlage keinen Arbeitsauftrag auszuführen hatte. Auch gibt es wohl keine Vereinbarung zwischen dem Firmeninhaber und der Raststätte, dass hier ausschließlich das Betanken der Betriebswagen durchgeführt wird. Dies scheint bei lebensnaher Betrachtungsweise auch geradezu ausgeschlossen, da an den Tank- und Rastanlagen der Bundesautobahnen die Kraftstoffpreise regelmäßig höher sind. Auch weitere Gründe für das Abbiegen auf die Rastanlage konnten nicht ermittelt werden. Der Kläger hat insoweit sowohl im Verwaltungsverfahren aber auch nochmals in der mündlichen Verhandlung angegeben, er könne sich an praktisch nichts mehr erinnern.
Letztlich steht damit auch nicht fest, in welchem Zeitpunkt der Fahrt der Kläger wahrscheinlich einen Krampfanfall mit Bewusstlosigkeit erlitten hat. Prof. J. hat in seinem im Strafverfahren erstatteten Gutachten darauf verwiesen, dass das Unfallgutachten des Kfz-Sachverständigen erbracht habe, nach dem Unfallzeitpunkt sei im Schaltgetriebe des verunglückten Fahrzeuges der Leerlauf eingelegt gewesen. Dies spreche seines Erachtens dafür, dass der Kläger noch selbst den Gang herausgenommen habe. Letztlich ist dies für die Kammer nur ein Indiz dafür, dass der Kläger bewusst und gewollt die A45 verlassen hat, um auf die Rastanlage abzubiegen. Es ist dennoch hier mit fast gleicher Wahrscheinlichkeit möglich, dass der Kläger durch den Krampfanfall ggf. noch um sich geschlagen hat und dabei den Gang herausgerissen hat. Allerdings kommt nach Ansicht des Gerichts einem anderen Indiz entscheidende Bedeutung zu. Fest steht nämlich, dass der Kläger auf geradem Weg und völlig ungebremst in das Kassenhäuschen der Tank- und Rastanlage gefahren ist. Er hat also willentlich keine Lenkbewegungen mehr durchgeführt. Wichtig dazu ist der Straßenverlauf der Ausfahrt zur Tank- und Rastanlage. Dieser ergibt sich eindeutig aus dem Google-Maps-Ausdruck der Beklagten (vgl. Bl. 177 Verwaltungsakte). Danach muss zum Aufsuchen der Ausfahrt eine bewusste Lenkbewegung erfolgen. Die Ausfahrtsspur bewegt sich dann in einer leichten Rechtskurve auf die Tank- und Rastanlage zu. Eine Kollision mit dem Kassenhäuschen kommt nur in Betracht, wenn der Kläger erst etliche Meter nach Verlassen der Fahrspuren der BAB im Ausfahrtsstreifen die Hauptspur verlassen hat und gerade weitergefahren ist. Dies wird anhand des Lichtbildes deutlich an den klar erkennbaren Hauptspuren in der Ausfahrt, die sich halblinks und halbrechts abteilen und nur die gerade Linie über den Tankbereich zum Kassenhäuschen führt. Demgegenüber erscheint es unmöglich, dass der Kläger schon auf der Autobahn selbst bewusstlos geworden ist, denn dann hätte er einen anderen Weg genommen. Er wäre entweder in die die Autobahn begrenzenden Büsche gefahren oder in einem wesentlich steileren Winkel in die Tank- und Rastanlage. Hier hätte er unmöglich das Kassenhäuschen treffen können. Nur wenn der Kläger noch bewusst von der Autobahn abgefahren ist und erst bei Aufteilung der Hauptspuren um die Tankstelle herum das Bewusstsein verloren hat, ist die Kollision überhaupt zu erklären. Das bedeutet im Ergebnis, dass eine Handlungstendenz des Klägers zum Aufsuchen der Tank- und Rastanlage nachgewiesen ist.
Nicht nachgewiesen ist, warum er vom versicherten Weg abgebogen ist und ob es hierzu vielleicht dennoch dem Versicherungsschutz zuzurechnende Gründe gibt. Dies lässt sich nicht mehr aufklären. Die Beweislast hierfür als anspruchsbegründende Tatsache hat aber der Kläger zu tragen. Gerade zu den Fragen der Beweislast hat das BSG ausdrücklich mit Urteil vom 17. Dezember 2017 (Az. B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55) nochmals ausgeführt, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen der Beweislast des Versicherten obliegen. Diese Entscheidung, die in Rechtsprechung und Literatur ausführlich und streitig diskutiert wird, hat die Anspruchsvoraussetzungen insbesondere bei der Zurücklegung von Wegen verschärft. Scheinbar hat damit das Bundessozialgericht auch seine Ansichten zur Beweislastumkehr bei Unfällen am Arbeitsplatz (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - sogenannter: "Kranführerfall") aufgehoben oder zumindest für Wege im öffentlichen Raum stark modifiziert. Hierzu hat das Bundessozialgericht im Weiteren noch nicht endgültig Stellung bezogen. Nach Ansicht der Kammer ist diese Rechtsprechung zumindest weiter anwendbar bei Unfällen an einem (stationären) Arbeitsplatz. Bei der Zurücklegung von Wegen, egal ob es sich um Wege zur Erreichung des Arbeitsplatzes (Wegeunfälle) oder um Wege im Außendienst (bei versicherter Tätigkeit) handelt, können diese Grundsätze nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Dezember 2015 (a. a. O.) wohl nicht mehr angewandt werden. Die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt damit uneingeschränkt der Versicherte. Da hier kein Grund für das Verlassen der A45 aus versicherter Tätigkeit nachgewiesen ist, kann das Ereignis somit nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII anerkannt werden. Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved