L 5 KR 59/10

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 16 KR 557/08
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 59/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Muss das wegen einer Brustvergrößerungsoperation, welche die gesetzliche Krankenkasse der Versicherten als Sachleistung gewährt hatte, eingesetzte Implantat aus medizinischen Gründen entfernt werden, hat die Versicherte nur Anspruch auf Entfernung des Implantats, aber nicht auf Einsetzung eines neuen, nicht aus medizinischen Gründen notwendigen Implantats.
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 8.2.2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Anspruch auf Gewährung einer Operation zum Wechsel eines bei einer früheren Brustvergrößerungsoperation eingesetzten Implantats.

Bei der 1978 geborenen Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, wurde 1997 wegen einer kongenitalen Mammaasymmetrie eine Brustvergrößerungsoperation links durchgeführt. Die Beklagte übernahm deren Kosten. Zuvor war 1996 operativ ein Gewebeexpander in die linke Brust eingesetzt worden.

Im Januar 2008 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Operation zur Auswechslung des in der linken Brust eingesetzten Implantats. In einem beigefügten Attest des Gynäkologen Dr J vom Dezember 2007 hieß es, aufgrund der früheren Operation sei es zu einer Kapselfibrose dritten Grades und infolgedessen im oberen Teil der linken Brust zu einer deutlichen Verwölbung gekommen, welche zu einer Asymmetrie geführt habe und auch durch den BH zu erkennen sei. Phasenweise träten Schmerzen im Bereich der linken Brust auf. Aus diesem Grund sei ein Implantatwechsel und Austausch des mit Silikongel gefüllten Implantats notwendig.

Die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Sozialmedizin Dr H vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte in ihrem Gutachten vom April 2008 aus, die Klägerin habe bei der Untersuchung angegeben: Sie habe seit einem Jahr Beschwerden in Form von Stechen und zunehmenden Druckschmerzen im Bereich der linken Brust; die eingesetzte Prothese habe sich verschoben und liege jetzt eher im oberen Teil der Brust. Dies sei störend. Sie könne nicht mehr auf dem Bauch schlafen, und auch Berührungen seien sehr unangenehm. Die Ärztin Dr H legte dar: Palpatorisch entstehe der Eindruck, dass unterhalb der Prothese genügend Brustgewebe vorhanden sei. Es sei somit fraglich, ob die Neuimplantierung einer Prothese erforderlich sei. Es empfehle sich daher zunächst eine weitere Abklärung mittels Ultraschall und Angabe anderer Therapieoptionen. In Anbetracht des jungen Alters der Klägerin und der bisher durchgeführten Operationen solle die Indikation überdacht werden.

Dr J führte in seiner weiteren Stellungnahme vom April 2008 aus: Bei beidseitiger Implantateinlage und ausreichendem Restdrüsenkörper sei manchmal die Entfernung des Implantats und Rekonstruktion eines kleineren Drüsenkörpers durch autologe Konversion, also durch innere Gewebslappenbildung, möglich. Dieses Vorgehen könne aber nur gewählt werden, wenn beiderseits symmetrisch eine kleinere Brust nach Implantatentfernung konstruiert werden könne, was vorliegend nicht der Fall sei. Die einseitige Entfernung eines 280 cc großen Implantates mit autologer Konversion würde zu stark asymmetrischen Brustverhältnissen führen.

Die Ärztin im MDK H hielt in ihrer Stellungnahme vom Mai 2008 fest: Es solle zumindest der Versuch unternommen werden, bei inzwischen vermutlich ausreichend vorhandenem Brustgewebe eine Prothesenneuimplantation mit den bekannten Risiken und erforderlichen Reoperationen zu vermeiden. Die Asymmetrie der Brüste sei nicht krankheitswertig. Durch Bescheid vom 26.5.2008 lehnte die Beklagte darauf gestützt die beantragte Leistung ab.

Zur Begründung ihres Widerspruchs legte die Klägerin eine Stellungnahme des Dr K (Chefarzt der Abteilung für Plastische Chirurgie des S K ) vom Juni 2008 vor, der ausführte: Der Implantatwechsel sei mit dem geringsten medizinischen Risiko verbunden und damit das Verfahren der Wahl. Durch alleinige Entfernung des Implantats sei es bei dessen Größe (280 cc) lokaltechnisch nicht möglich, eine Symmetrie der Brüste zu erreichen. Die einzige Alternative wäre eine Verkleinerung der rechten Brust mit gleichzeitiger Bruststraffung links. Bei grenzwertigem Volumen der linken Seite würde dann aber immer noch eine Asymmetrie verbleiben. Zudem wäre bei dem vorhandenen Hautbild mit einer verstärkten Narbenbildung zu rechnen.

Dazu äußerte sich die Ärztin H vom MDK in einer weiteren Stellungnahme vom Juli 2008: Bei Durchführung der Operation in der gewünschten Form wäre in Anbetracht des Alters der Klägerin später mit mindestens vier Reoperationen zu rechnen. Sowohl wegen der Operationsrisiken als auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sei lediglich eine operative Entfernung der Prothese angezeigt. Die Behauptung von Dr K , der Prothesenwechsel sei für die Klägerin mit dem geringsten Risiko verbunden, sei in keinster Weise nachvollziehbar.

Durch Widerspruchsbescheid vom 31.10.2008 (der Klägerin zugestellt am 4.11.2008) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, eine Brustasymmetrie stelle keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung dar (Hinweis auf BSG 28.2.2008 B 1 KR 19/07 R).

Mit ihrer am 3.12.2008 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht (SG) hat von Amts wegen ein Gutachten von PD Dr W (Konsiliararzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde des U B ) vom November 2009 eingeholt, der dargelegt hat: Bei der Klägerin liege eine Kapselkontraktur Grad IV nach Baker bei deutlich tastbaren und wahrnehmbaren Kapselverhärtungen und zusätzlichen Schmerzen vor. Aufgrund der Kapselkontraktur ergebe sich eine erneute Mammaasymmetrie. Zur Korrektur der Kapselkontraktur sei eine sog Kapsulotomie (Einschneiden der Kapsel und damit verbundenes Lösen der Kapselverhärtungen) möglich; in ausgeprägteren Fällen könne die Kapsel komplett entfernt werden. Nach Durchführung beider Maßnahmen komme es zu einer deutlichen Aufweichung des Gewebes und zur Korrektur der kapselbedingten Dislokation des Implantats. Bei länger zurückliegender Einlage des Implantats, wie bei der Klägerin, solle das Implantat ausgetauscht werden. Die alleinige Entfernung des Implantats und Kapsellösung sei nicht ausreichend, um ein korrektes Ergebnis zu erzielen. Nach der Entfernung eines Implantats von 280 cc ohne Einsetzen eines neuen Implantats sei mit einer Größendifferenz der Brüste von ein bis zwei Körbchengrößen zu rechnen. Der Hinweis der Ärztin H , dass bei Implantatwechsel noch mehrere Korrektureingriffe im Laufe des Lebens notwendig würden, sei nach dem heutigen Wissensstand nicht korrekt. Bei der neuesten Generation von Implantaten könne mittlerweise von einem lebenslangen Verbleib ausgegangen werden, falls keine Komplikationen aufträten. Aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte die Erstoperation als medizinisch indiziert erachtet habe, sei auch die Korrektur der nach diesem Eingriff entstandenen Komplikation medizinisch indiziert.

Dazu hat sich die Ärztin im MDK Dr H in einer Stellungnahme vom Dezember 2009 geäußert: Die Auffassung des PD Dr W , die Implantation einer neuen Prothese sei erforderlich, sei nicht nachvollziehbar. Eine Asymmetrie der Brüste, wie sie nach Entfernung der vorhandenen Prothese ohne Implatation einer neuen Prothese verbleiben würde, stelle keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Eine Neuimplantation wäre rein ästhetisch-korrigierend.

Durch Urteil vom 8.2.2010 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des angefochenen Bescheides verurteilt, die Kosten einer Brustoperation zum Implantatwechsel zu übernehmen, und zur Begründung ausgeführt: Bei der Klägerin liege eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung vor, weil im Bereich ihrer linken Brust eine Hyposensibilität bestehe und sie über Schmerzen klage. Nach dem Gutachten des PD Dr W sei die bloße Entfernung des Implantats nicht ausreichend, um einen regelgerechten körperlichen Zustand wiederherzustellen. Ohne Einsatz eines neuen Implantats würde es nämlich zu einer Größendifferenz beider Brüste von ein bis zwei BH-Körbchengrößen kommen. Der Auffassung der Beklagten, vorliegend seien die Grundsätze der Rechtsprechung zur Leistungspflicht bei einer Brustvergrößerungsoperation maßgebend, könne nicht gefolgt werden. Bei der Klägerin gehe es nämlich nicht um eine erstmalige kosmetische Brustkorrektur, sondern darum, einen seit nunmehr 13 Jahren bestehenden Istzustand zu erhalten. Die von der Klägerin beantragte Operation im Bereich der linken Brust stelle keinen Eingriff in ein gesundes Organ, sondern die Behandlung eines kranken Organs dar.

Gegen dieses ihr am 25.2.2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 25.3.2010 eingelegte Berufung der Beklagten, die vorträgt: Das SG habe systemfremde Überlegungen angestellt. Ausgehend von der Rechtsprechung zur Behandlung gesunder Körperorgane habe die Klägerin keinen Anspruch auf Einsetzung eines neuen Brustimplantats.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 8.2.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz SGG zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte operative Versorgung. Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Versicherte haben nach § 27 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine "Krankheit" voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert im Rechtssinne zu. Vielmehr liegt eine Krankheit nur vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG 28.2.2008 B 1 KR 19/07 R Rn 14).

Eine Krankheit im Sinne einer körperlichen Funktionsbeeinträchtigung liegt bei der Klägerin vor, soweit das in die linke Brust eingesetzte Implantat zu Schmerzen führt. Zur Behandlung dieser Krankheit ist die Entfernung des Implantats erforderlich. Die Beklagte hat die Gewährung der zu diesem Zweck notwendigen Krankenbehandlung nicht abgelehnt, sondern ihre Verpflichtung hierzu ausdrücklich anerkannt. Dies führt aber nicht dazu, dass die von der Beklagten als Sachleistung zu gewährende operative Behandlung auch das Einsetzen eines neuen Brustimplantats einschließen würde. Hierzu ist die Beklagte nicht schon deshalb verpflichtet, weil sie die Kosten der 1997 durchgeführten Brustvergrößerungsoperation übernommen hatte. Denn bei jeder weiteren Leistung ist ohne Bindung an die frühere Entscheidung erneut zu prüfen, ob die Krankenkasse zur Leistung verpflichtet ist (BSG 3.9.2003 B 1 KR 9/02 R Rn 17).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem neuen Brustimplantat, weil dieses nicht aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Dass bei der Klägerin aus medizinischen Gründen eine Operation im Bereich der linken Brust notwendig ist (Entfernung des vorhandenen Implantats), begründet keinen Anspruch auf eine Operation in der von der Klägerin gewünschten Art (zusätzliches Einsetzen eines neuen Implantats). Eine dahingehende Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass bei der Klägerin nach Entfernung des jetzigen Implantats ohne Einsetzen eines neuen Implantats erneut eine Asymmetrie der Brüste entstünde. Denn es handelt sich nicht um eine Entstellung, die ausnahmsweise ohne funktionelle Beeinträchtigung eine Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers begründet. Eine Entstellung setzt eine erhebliche Auffälligkeit voraus, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet ist (BSG 28.2.2008 B 1 KR 19/07 R Rn 13). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Das körperliche Defizit muss bereits bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorübergehen" bemerkbar sein und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führen (BSG 28.2.2008 aaO Rn 14). Dies ist bei der Klägerin nicht zu befürchten, wenn an der linken Brust kein Implantat eingesetzt wird, weil die Brüste regelmäßig durch Kleidung bedeckt sind. Notfalls kann die Klägerin an der linken Brust eine Prothese verwenden, die zB auch unter einem Badeanzug getragen werden kann (vgl BSG 28.2.2008 aaO Rn 15).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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