L 4 U 203/13

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 12 U 58/13
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 U 203/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 18.07.2013 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung weiterer Berufskrankheiten bzw. Berufskrankheiten-Folgen und die Gewährung einer höheren Verletztenrente nach dem Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VII).
Der im Jahre 1946 geborene Kläger war Berufstubist und übte eine Lehrtätigkeit an einer Musikhochschule aus. Am 03.06.2005 beantragte er die Anerkennung einer Berufskrankheit sowie die Gewährung von Entschädigung nach dem SGB VII. Er übergab ärztliche Unterlagen des Städtischen Klinikums K vom 05.10.2004. Die Ärzte diagnostizierten den Verdacht auf eine tätigkeitsspezifische Dystonie. Außerdem bestehe eine leichte depressive Verstimmung mit Affektlabilität bis Affektinkontinenz. Des Weiteren führte der Kläger aus, sein Kieferknochen sei auf Grund der langjährigen Tätigkeit als Bläser ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden.
Der Beklagte nahm Arztbriefe der Spezialambulanz für Musiker-Erkrankungen an der Hochschule für Musik und Theater H (Prof. Dr. A ) vom 20.12.2004 und 10.01.2006 zu den Akten. Danach handelt es sich bei dem jetzt vorliegenden Krankheitsbild um eine tätigkeitsspezifische fokale Dystonie der Ansatzmuskulatur, die auch "Embouchure Dystonie" genannt werde. Die Ursachen der Erkrankungen würden in einer Störung der sensomotorischen Steuerprogramme im ZNS gesehen, wobei die Erkrankung besonders bei erfolgreichen Musikern nach jahrzehntelangem intensiven Instrumentalspiel beobachtet werde und eine berufliche Mitbedingtheit einschließe. Der Kläger sei im gegenwärtigen Zustand mit Sicherheit nicht in der Lage, in einem Orchester zu spielen. Nach Beiziehung weiterer Befundberichte veranlasste die Beklagte ein Gutachten von Prof. Dr. Dr. D und Oberarzt Dr. R vom 18.07.2006. Die Sachverständigen gelangten zu dem Ergebnis, der Kläger leide auf neurologischem Fachgebiet an einer tätigkeitsspezifischen Dystonie (Ansatzdystonie) bei Berufstubisten, die als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII gewertet werden könne. Diese Störung bedinge eine Berufsunfähigkeit als Tubist seit dem 01.10.2004. Weitere neurologische Störungen bestünden nicht. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2006 führten die Sachverständigen aus, auf Grund der tätigkeitsspezifischen Dystonie bestehe beim Kläger als Berufstubist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H ... Der Zeitpunkt des Beginns dieser Berufskrankheit sei auf dem 01.10.2004 festzulegen, da es zu diesem Zeitpunkt erstmals zu einer Krankschreibung gekommen sei.
Die Beklagte zog daraufhin für die Deutsche Rentenversicherung erstattete Gut-achten des Neurologen/Psychiaters Dr. P vom 26.10.2006 und des Orthopäden Dr. N vom 10.11.2006 bei. Dr. P gelangte zu dem Ergebnis, für alle Tätigkeiten, bei denen regelmäßiges Tubaspielen notwendig sei, bestehe auf Grund der Dystonie auch stundenweise keine ausreichende Belastbarkeit. Weitere Einschränkungen seien durch die Dystonie und Depression derzeit nicht gegeben. In seinem Gutachten vom 18.07.2006 sei Prof. Dr. Dr. D zu der gleichen diagnostischen und therapeutischen Einschätzung gekommen und habe daher eine Berufsunfähigkeit als Tubist für gegeben gesehen. Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. O (Arzt für Neurologie/Psychiatrie/Rehabilitationswesen) aus W vom 22.12.2006 ein. Der Beratungsarzt führte aus, am Vorliegen einer Berufskrankheit nach Ziff. 2106 bestehe auf Grund der aktenkundigen Informationen über den medizinischen Sachverhalt, die Einschätzung von Prof. Dr. A und auf Grund des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. D kein Zweifel. Bei der Erkrankung handele es sich um eine extrapyramidale Erkrankung, die auf der Grundlage jahrelanger speziellen Übungen mit besonderen Fertigkeiten entstehe. Die Verursachung der Erkrankung sei eindeutig beruflicher Natur. Eine Veranlagung hierzu sei wahrscheinlich erforderlich, jedoch nicht die alleinige bzw. wesentliche Teilursache zur Ausprägung dieses Krankheitsbildes. Das wesentliche Merkmal zur Entstehung der Erkrankung sei die berufliche Tätigkeit mit jahrzehntelanger hochspezifischer Übung an einem Blasinstrument. Eine weitere gesundheitsgefährdende Eigenschaft gehe von dem Erkrankungsbild nicht aus. Mit einer Verschlechterung des Gesundheitsschadens durch weiteres Üben sei an sich nicht zu rechnen, jedoch sei die weitere Beschäftigung mit dem Instrument sinnlos, da keine professionelle Leistung mehr erbracht werden könne. Die MdE für die Fähigkeitsstörungen auf Grund des Störungsbildes entsprechend den Kriterien des allgemeinen Arbeitsmarktes betrage weniger als 10 v.H ... Bei dem Erkrankten liege jedoch eine besondere berufliche Betroffenheit vor. Diese sei bei der Bildung der MdE zu berücksichtigen. Die MdE betrage des-halb 20 v.H ...
Der staatliche Gewerbearzt führte in einer Stellungnahme vom 02.02.2007 aus, gewerbeärztlicherseits werde von einer entschädigungspflichtigen beruflichen verursachten Erkrankung nach § 9 Abs. 2 SGB VII ausgegangen. Es handele sich um eine tätigkeitsspezifische fokale Dystonie im Lippenbereich links (Ansatzdystonie). Dies ergebe sich aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es handele sich jedoch nicht um eine Druckschädigung von peripheren Nerven im Sinne einer Berufskrankheit gemäß Nr. 2106 der BKV. Zur Höhe der hierdurch bedingten MdE könne noch keine Aussage getroffen werden. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger wegen der Ansatzdystonie in Verbindung mit einer hochgradigen destruktiven Arthrose im Bereich der Kiefergelenke seit dem 01.10.2004 als Berufstubist berufsunfähig sei. Im Übrigen sei er der Meinung, dass auch die hochgradige destruktive Arthrose im Bereich der Kiefergelenke, welche Kopf- und Nackenschmerzen auslöse, durch seinen Beruf als Tubist verursacht worden sei. Auch dies müsse im Rahmen eines Feststellungsverfahrens weiter abgeklärt werden.
Mit Bescheid vom 14.02.2007 erkannte die Beklagte eine Druckschädigung der Nerven als Berufskrankheit nach Nr. 2106 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) an. Wegen der Folgen dieser Berufskrankheit und unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit habe der Kläger Anspruch auf Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 20.04.2006. Als wesentliche Folgen der Berufskrankheit wurden anerkannt:
"tätigkeitsspezifische fokale Dystonie der Ansatzmuskulatur (Ansatzdystonie)".
Weitere Gesundheitsstörungen seien nicht anzuerkennen.
Am 16.02. und 01.03.2007 gab der staatliche Gewerbearzt weitere Stellungnahmen ab. Dort führte er aus, eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit gemäß Nr. 2106 der BKV werde zur Anerkennung vorgeschlagen. Die dadurch bedingte MdE werde auf 20 v.H. geschätzt. Im Hinblick auf die beidseitige hochgradige Kiefergelenksarthrose sei gewerbeärztlicherseits noch die Einleitung eines besonderen Feststellungsverfahrens angezeigt, und zwar insbesondere zu einer Berufskrankheit nach Nr. 2101 der BKV.
Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger auf die Stellungnahme des Gewerbearztes. Ohne weitere Ermittlungen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2007 den Widerspruch zurück. Die fokale Dystonie sei unter Zugrundelegung des Merkblattes zur BK 2106 sowie der dazugehörigen wissenschaftlichen Begründung zu Recht als Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Nr. 2106 der Anlage zur BKV anerkannt worden. Hinsichtlich der festgestellten MdE sei anzuführen, dass eine tätigkeitsspezifische Ansatzdystonie, wie sie hier vorliege, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Relevanz habe und sich somit eine MdE insbesondere in rentenberechtigendem Grade nicht ergebe. Auf Grund der Tätigkeitsaufgabe und im Hinblick auf den Spezialberuf des Klägers, sein Alter und fehlende Verweisungstätigkeiten liege eine besondere berufliche Betroffenheit vor. Dies führe zu einer Höherbewertung der MdE. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung betrage die Erhöhung der MdE 10 bis 20 v.H. Eine darüber hinausgehende MdE sei nicht begründbar. Bezüglich der Anerkennung der beid-seitigen hochgradigen Kiefergelenksarthrose sei festzustellen, dass eine solche weder gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Anlage zur BKV mangels Bezeichnung in der Anlage zur BKV, noch gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII in Betracht komme. Neue medizinische Erkenntnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII lägen nicht vor. Daher komme, ungeachtet eines eventuell ursächlichen Zusammenhangs im Einzelfall, eine Entschädigung des Krankheitsbildes wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht in Betracht.
Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Speyer hat der Kläger ärztliche Unterlagen vorgelegt, unter anderem des Zahnarztes Dr. B vom 03.11.2005, der ein Kiefergelenksknacken links stärker als rechts diagnostizierte. Die Beweglichkeit des Unterkiefers sei nicht eingeschränkt. Die Öffnungsbewegung leicht asymmetrisch. Des Weiteren nahm das Sozialgericht Arztbriefe des Zahnarztes Dr. K vom 26.09.2005, des Facharztes für Orthopädie L vom 10.03.2006 sowie von Dr. S vom 26.05.2006 zu den Akten. Dr. B teilte in einem Arztbrief vom 02.09.2007 mit, dass sich der Kläger seit Juli 2007 bei ihm in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Der Kläger könne seinen Beruf als Tubist nicht mehr ausüben. Für einen Vollblutmusiker stelle eine solche Diagnose eine Katastrophe dar. Aus psychotherapeutischer Sicht leide der Kläger an massiven somatischen Beschwerden sowie weiteren psychischen Einschränkungen. Hierzu zähle auch die mittelgradige depressive Episode. Des Weiteren hat der Kläger einen ärztlichen Bericht von Prof. Dr. M (Facharzt für allgemeine Stomatologie, Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie, Sprechstunde für Musikerkrankungen) vom 08.12.2007 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, durch die jahrelange Fehlhaltung vom Ansatz sei es zu einer Kiefergelenkerkrankung mit Beteiligung der Kau-, Hals-, Rücken-, Brust- und Beckenmuskulatur gekommen. Es habe sich das typische Bild einer craniosakralen und craniomandibulären Dysfunktion mit Zerstörung der Ansatzfunktion entwickelt.
Das Sozialgericht hat daraufhin ein Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Frau Dr. E vom 28.02.2008 eingeholt. Die Sachverständige hat ausgeführt, der Kläger leide an einem Tinnitus aurium rechts sowie an Anpassungsstörungen mit längerer depressiver Reaktion, aktuell mittelschwer. Bei dem Tinnitus sei von einer oromandibulären Dystonie auszugehen, die möglicherweise in Folge der Kiefergelenksarthrose bereits vor der Manifestierung der Ansatzdystonie vorgelegen haben könnte. Ein Zusammenhang mit der Ansatzdystonie könne diskutiert werden. Es gebe jedoch in der Literatur keine sicheren Hinweise auf einen tatsächlichen Zusammenhang. Die Anpassungsstörung sei Folge der Unfähigkeit der bisherigen beruflichen Tätigkeit und des daraus resultierenden Verlustes des Lebensinhaltes. Es sei nicht davon auszugehen, dass ohne die anerkannte Berufskrankheit die psychischen Folgeerscheinungen aufgetreten wären. Als weitere BK Folgen seien der Tinnitus aurium und die Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion anzuerkennen (Einzel-MdE 20 v.H.). Unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Ansatzdystonie (Teil-MdE 20 v.H.) betrage der Gesamt-MdE 30 v.H ...
Der Beratungsarzt Dr. O hat Einwände gegen das Gutachten von Frau Dr. E erhoben (Stellungnahme vom 28.03.2008). Daraufhin hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen vom 09.10.2008 eingeholt. Diese hat ausgeführt, die Anpassungsstörung sei nicht als Folge des Tinnitus zu sehen. Sie habe sich durch den Verlust der Fähigkeit, Tuba zu spielen, herausgebildet. Es sei davon auszugehen, dass es zu einer depressiven Symptomatik ohne die Berufskrankheit nicht gekommen wäre.
Der Kläger hat sodann eine Stellungnahme des Arztes für Orthopädie Dr. R aus F vom 17.06.2008 übersandt. Der Orthopäde hat ausgeführt, die Fehlfunktion im Bereich der Kiefergelenke könne nicht nur zu einem veränderten Tonus der Muskulatur führen, sondern auch zu Fehlstellungen der Gelenke. Dies bedeute auch, dass es zu der Entwicklung von segmentalen Funktionsstörungen der Wirbelsäule kommen könne, wie dies bei dem Kläger der Fall sei. Man wisse heute durch etliche schulmedizinisch gut fundierte Forschungsarbeiten, dass auch bei kieferorthopädischen Behandlungen es zu skoliotischen Veränderungen der Wirbelsäule und Beckenverringungen kommen könne. Dies scheine bei dem Kläger der Fall zu sein.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellte der Facharzt für allgemeine Stomatologie Prof. Dr. M ein Gutachten vom 11.01.2009. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, folgende Gesundheitsstörungen sei mit Wahrscheinlichkeit allein oder teilursächlich durch das Tubaspielen herbeigeführt worden:
1. Craniomandibuläre bzw. craniosakrale Dysfunktion;
2. Spannungskopfschmerz;
3. Tinnitus aurium;
4. Muskelverspannungen und –dysbalancen;
5. Schwindel;
6. Psychische Alterationen.
Bei der tätigkeitsspezifischen fokalen Ansatzdystonie (BK 2106) handele es sich um eine ausgeprägte orofaziale Muskelfehlfunktion, die MdE betrage 30 v.H. Die psychischen Alterationen seien mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten. Der Tinnitus aurium beeinflusse wesentlich die bläserische Tätigkeit und werde deshalb auf 40 v.H. eingeschätzt. Die craniosakrale Dysfunktion mit ihren Folgen und den Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane seien mit einer MdE von 50 v.H. einzuschätzen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde deshalb insgesamt die Gesamt-MdE mit 50 v.H. bewertet.
Die Beklagte hat Einwände gegen dieses Gutachten erhoben und beratungsärztliche Stellungnahmen vorgelegt. Der HNO-Arzt Dr. H hat in seiner Stellungnahme vom 25.03.2009 ausgeführt, bei Durchsicht der Akte falle auf, dass bei dem Kläger bereits seit Mitte der 70er Jahre (konkret seit 1976) ein Tinnitus diagnostiziert worden sei. Der Kläger sei zum damaligen Zeitpunkt 30 Jahre alt gewesen. Der Tinnitus habe sich somit bereits 20 Jahre vor der Berufsaufgabe manifestiert. Über die Ursache des Tinnitus könne nur spekuliert werden. Der Orthopäde Prof. Dr. med. Dr. hc. mult. H hat in seiner Stellungnahme vom 24.03.2009 ausgeführt, es gebe kein wissenschaftlich begründbarer Anknüpfungstatbestand, dass die bei dem Kläger klar nachgewiesenen strukturell degenerativen und konstitutionell stoffwechselassoziierten Veränderungen im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule vorrangig in Form von polytopen altersvorauseilenden Bandscheibendegenerationen, Spondylosen und einschränkender Spondylarthrosen ebenso auch die Coxarthrose beidseits und die Schulterarthrose links mit Defektarthropatie mit Wahrscheinlichkeit und rechtlich wesentlicher Bedingung auf die craniomandibuläre Dysfunktion mit sekundärer Kiefergelenksarthrose zurückgeführt werden könnten. Insofern bleibe als Folge der craniomandibulären Dysfunktion/Kiefergelenksarthrose im Sinne einer wahrscheinlichen Teilursächlichkeit lediglich ein ortsnah unterhaltener, muskulär dysbalancierter Spannungszustand mit anteiligem Triggerpunkt-Syndrom, segmental erschwert ausgleichbarer Fehlhaltungsstatik und cervikocephal mit unterhaltener Kopfschmerzkomponente als allenfalls zur Hälfte teilursächliche Folgepathologie der CMD mit dem Höchstmaß diesbezüglich anrechenbarer MdE von 10 v.H ...
Nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen hat das Sozialgericht ein Gutachten von Prof. Dr. K (Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der J -Universität F ) vom 31.08.2011 eingeholt. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, der Kläger leide an einer schweren arthrogenen wie myogenen CMD mit absteigenden funktionellen Ketten bzw. Interdependenzen bis hinab zur Fußsohle. Außerdem bestehe eine schwere orofaziale Dyskinese, eine craniocervikale Dysfunktion und eine milde psychosomatische Angst – bzw. Depressivitätsstörung. Bei der CMD handele es sich keinesfalls wesentlich oder teilursächlich um eine Folge der bereits anerkannten Berufskrankheit. Es handele sich hierbei aber um eine Berufskrankheit im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII. Die Gesamt-MdE werde auf der Basis der aktuellen Befundlage auf 60 v.H. eingeschätzt. Weiteres könne sicherlich in der mündlichen Verhandlung erläutert werden.
Hierzu hat die Beklagte eine wissenschaftlich begründete, arbeitsmedizinische beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. K (Institut für Medizinische Begutachtung und Prävention) aus K vom 11.12.2011 vorgelegt. Der Arbeitsmediziner hat ausgeführt, das Erkrankungsbild einer craniomandibulären Dysfunktion bei einem Tubisten erfülle nicht die Kriterien einer "Wie-Berufskrankheit" gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII. Bei der craniomandibulären Dysfunktion handele es sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht um die Folge der als Berufskrankheit gemäß BK Nr. 2106 anerkannten fokalen Dystonie.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 01.12.2012 hat Prof. Dr. K ausgeführt, es sei zwischenzeitlich mit zahnärztlich-kieferorthopädischen Methoden gesichert, dass bei den meisten Blech- und Holzbläsern eine statistisch höchstsignifikante Rücklage der Kiefergelenke in Funktion – nicht unbedingt skelettale Lage – des Unterkiefers vorliege und dass es zu statistisch höchstsignifikanten Veränderungen der Kondylenlage komme. Darüber hinaus sei mit 4D-Oberflächenuntersuchungen statistisch gesichert, dass es bei Blech- und Holzbläsern unter Funktion zu teils extremen Veränderungen der Topologie der Wirbelsäule und des gesamten Bewegungsapparates komme. Diese Tatsache korreliere mit manualmedizinischen Befunden. Aktuell seien allerdings keine Daten in "peer-review-Literatur" vorhanden. Ein Umstand, der sich zeitnah ändern werde. Die Datenlage decke sich ohne Einschränkung mit den Befunden aus dem Gutachten vom 31.08.2011. Im Falle des Klägers bestünden die dokumentierten Befunde als Folge seiner Tätigkeit, nicht als Folge des Vorliegens einer fokalen Dystonie. Der Bewegungsapparat des Klägers sei insgesamt als Folge seiner Tätigkeit funktionell schwer gestört. Es entspreche der eigenen Erkenntnislage, dass aus Sicht das Verordnungsgebers derzeit keine Änderung der Berufskrankheitenliste angestrebt werde. Nach Rücksprache mit Medizinaldirektor Dr. M im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) habe aber für die Zusammenhänge grundlegendes Verständnis geschaffen werden können. Er habe seine beratende Mitarbeit bei künftigen Studien zugesagt.
Das Sozialgericht hat daraufhin weiter Beweis erhoben durch Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. K in einem Beweisaufnahmetermin vom 20.02.2013. Der Sachverständige hat vorgetragen:
"Ich habe schon in meinem Gutachten eindeutige Befunde für die Annahme besonderer Einwirkungen dargestellt. Genau diese spezifische Tätigkeit als Tubaspieler stellt eine besondere Einwirkung auf die Craniomandibulärgelenke dar. Inzwischen gebe es dazu weitere wissenschaftliche Bemühungen, angestoßen durch den vorliegenden Fall. Es seien insgesamt vier Doktorarbeiten damit be-fasst. Diese Arbeiten seien aber noch nicht abgeschlossen; dies werde wohl noch längere Zeit brauchen. Dies bedeute, dass neuere wissenschaftliche Ergebnisse insoweit noch nicht veröffentlicht seien. Allerdings gebe es eine Veröffentlichung von Prof. Dr. S aus dem Jahre 2005. In der eigenen Kohorte sei das relative Risiko zur Entwicklung einer CMD bei Tubabläsern doch höchstsignifikant höher einzustufen als in der nicht tubablasenden Allgemeinbevölkerung. Aber auch hierzu gebe es keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen. In meiner MdE von 60 v.H. ist alles drin, auch die Funktionsbeeinträchtigungen bezüglich Wirbelsäule, Tinnitus usw.; die Situation der Kiefergelenke könne nicht losgelöst von der Gesamtheit des Körpers beurteilt werden. Vergleichbar sei die Situation mit einer Kieferklemme und dadurch bedingter Notwendigkeit der Aufnahme flüssiger Nahrung. Prof. Dr. Dr. K habe zwar zum Teil Recht. Aber im Falle des Klägers gelte dies nicht. Durch die jahrelange schädigende Einwirkung des Tubablasens sei es beim Kläger zu einer chronifizierten posterioren Kapsulitis gekommen. Bei dem Kläger bestehe eine außergewöhnliche Schmerzsituation, besonders im Bereich der Kie-fergelenke. Von dort habe sich die Schmerzsymptomatik ausgebreitet bzw. fortgesetzt über die Nackenmuskulatur und die Halswirbelsäule zu den Rippen usw ... Diese Schmerzhaftigkeit besteht auch bei Ruhe, erst Recht bei Beanspruchungen der Kiefergelenke und der betreffenden Muskulatur durch das Tubaspielen. Damit hänge auch die Kopfschmerzhaftigkeit des Klägers zusammen. Wenn wir nicht den Mut haben, in einem solchen Fall die CMD als Berufskrankheit anzuerkennen, halte ich dies für ein definitives Vergehen an jungen Menschen, die solche Instrumente ernsthaft spielen. Alles andere ist Formaljuristerei, zu der ich als ärztlicher Sachverständiger natürlich nichts sage. Ich werde weiterhin für diese Sache kämpfen bzw. den begonnenen Kampf fortsetzen."
Die Beklagte hat zu den Ausführungen von Prof. Dr. K Stellung genommen und dargelegt, wenngleich auch mehrere Doktorarbeiten derzeit mit dem Thema befasst seien, ändere dies nichts an der Tatsache, dass der Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Soziales und Arbeit sich aktuell nicht mit dem Thema befasse.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat das BMAS mit Schreiben vom 21.03.2013 mit-geteilt, das BMAS, beraten durch den Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" habe die Fragestellung der Kausalzusammenhänge zwischen einer craniomandibulären Dysfunktion und der Tätigkeit eines Tubaspielers bisher nicht geprüft. Eine Prüfung sei auch nicht beabsichtigt. Insoweit seien keine entsprechenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII vorhanden. Die Frage, ob in der der gesamten nationalen oder internationalen Wissenschaft neuere Erkenntnisse vorlägen, könne nicht beantwortet werden.
Mit Urteil vom 18.07.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zu Recht habe es die Beklagte abgelehnt, weitere Berufskrankheiten bzw. Berufskrankheitenfolgen anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 20 v.H. zu gewähren. Die beim Kläger bereits anerkannte Listen-BK bedinge nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII keine messbare MdE. Die Auswirkungen seien weniger gravierend als zum Beispiel eine einseitige, kosmetisch wenig störende Gesichtsnervenlähmung, wofür die MdE nach den Erfahrungswerten 10 v.H. betrage. Nur angesichts der besonderen Situation des Klägers sei es im angefochtenen Bescheid zu Recht unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu einer MdE von 20 v.H. gekommen. Was weitere Folgen der bereits anerkannten Listen-Berufskrankheit angehe, erschöpfe sich der Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide in der Feststellung, dass keine weiteren neurologischen Störungen vorliegen bzw. bekannt seien. Nur weitere Folgen der anerkannten Berufskrankheit auf neurologischem Fachgebiet seien daher Gegenstand der angefochtenen Bescheide, damit auch zulässigerweise auch Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Solche Berufskrankheitenfolgen seien nicht feststellbar. Die fachärztliche Sachverständige Frau Dr. E habe einen Tinnitus und eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion festgestellt. Diese Erkrankung gehöre nicht zum neuro-logischen Fachgebiet. Auf diesem Fachgebiet habe Dr. E keine Gesundheitsstörungen festzustellen vermocht, die wahrscheinlich wesentlich ursächlich durch die bereits anerkannte Berufskrankheit herbeigeführt worden seien. Dem Kläger bleibe es unbenommen, wegen der von Dr. E festgestellten weiteren Berufskrankheitenfolgen bei der Beklagten ein Feststellungsverfahren zu betreiben. Erst nach dessen Abschluss könnte dann insoweit zulässigerweise Klage erhoben werden. Bei der Kiefergelenksarthrose bzw. CMD handele es sich um ein Krankheitsbild, welches vom Regelungsgehalt des angefochtenen Widerspruchsbescheids erfasst werde. Insoweit erweise sich die Klage als zulässig, jedoch ebenfalls als unbegründet. Dieses Krankheitsbild sei unstreitig und nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. K nicht Folge der bereits anerkannten Listen-Berufskrankheit, aber auch keine eigenständige Berufskrankheit nach der Anlage zur BKV. Es handele sich hierbei jedoch auch nicht um eine "Wie-Berufskrankheit" im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII. Für die Feststellung einer "Wie-Berufskrankheit" genüge es nämlich nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Berufskrankheitenliste bezeichneten Krankheit seien. Vielmehr dürfe die Anerkennung einer "Wie-Berufskrankheit" nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII erfüllt seien, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BVK einfügen dürfe, aber noch nicht tätig geworden sei. Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft seien nicht vorhanden. Dies ergebe sich aus der Auskunft des BMAS vom 21.03.2013. Selbst Prof. Dr. K habe im Beweisaufnahmetermin vom 20.02.2013 bestätigt, dass zwar insgesamt vier Doktorarbeiten mit der Problematik befasst seien, neuere Erkenntnisse aber noch nicht publiziert worden seien. Dies bestätige, dass derzeit eine Anerkennung der CMD als "Wie-Berufskrankheit" nicht begründet sei. Dass einzelne Mediziner ein durch eine Fehlbelastung bedingte Krankheitsverursachung für wahrscheinlich hielten, genüge noch nicht. Vielmehr müsse eine Mehrheit der Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erkenntnisse und Erfahrungen verfügten, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sein. Im Übrigen habe der Gesetzgeber die Einführung einer Sonderregelung zum Schutz kleiner Berufsgruppen im Berufskrankheitenrecht ausdrücklich abgelehnt (BSG, Urteile vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R und B 2 U 6/12 R). Bei diesen BSG-Entscheidungen habe es sich um die Anerkennung von Halswirbelsäulenerkrankungen bei Berufsgeigern als "Wie-Berufskrankheit" gehandelt. Alle weiteren vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen stellten eindeutig Begleit- bzw. Folgeerkrankungen der CMD dar. Dies ergebe sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K im Beweisaufnahmetermin vom 20.02.2013. Die CMD sei der medizinische Überbegriff und beinhalte unter Anderem die Kiefergelenksarthrose.
Am 02.10.2013 hat der Kläger gegen das am 19.09.2013 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
Der Senat hat ein Gutachten der Frau PD Dr. med. habil. (Dipl. Mus.) A S (Universitätsklinikum H ) vom 03.07.2015 eingeholt. Die Sachverständige hat ausgeführt, die aktuelle Literaturlage demonstriere, dass CMD bei Musikern häufiger vorkomme als in der Allgemeinbevölkerung. Hierfür seien ins-besondere die direkten Einwirkungen des Instrumentalspiels auf das craniomandibuläre System verantwortlich zu machen. Um für das Tubaspiel einen adä-quaten Ansatz herstellen zu können, müsse der Musiker den Unterkiefer um diese Distanz nach vorne schieben, um beide Zahnreihen in eine vertikale Ebene zu bringen. Dies führe zur Ermüdung des M. pterygoideus lateralis und zu Beschwerden im Kiefergelenk. Von besonderer Wichtigkeit sei in diesem Zusammenhang, die Berücksichtigung der verstärkten Bemühungen des Patienten zur Kompensation der Ansatzstörung (Üben von bis zu acht Stunden täglich). Darüber hinaus seien bei dem Kläger typischerweise ebenfalls Beschwerden im craniocervikalen Bereich sowie im lumbosakralen Bereich mit dokumentierten massiven Beschwerden nachgewiesen. Diese seien zusammen mit der CMD erstmalig 1998 dokumentiert. Der Zusammenhang der Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule sowie des Tinnitus mit der CMD und dem Instrumentalspiel werde dadurch untermauert, dass das Instrumentalspiel auf den Tinnitus rechts sowie die Schmerzen im Kopf, Nacken und Rücken verstärkend wirke. Für die CMD und die Auswirkung auf die Hals- und Lendenwirbelsäule wäre insgesamt eine MdE von 60 v.H. angemessen. Der Morbus Forrestier, welcher mit spangenartigen Verknöcherungen der Wirbelsäule einhergehe, sei nach dem aktuell bekannten Wissensstand nicht mit einer CMD in Einklang zu bringen und daher als Vorschaden aus der MdE-Berechnung abzuziehen. Die MdE sei deshalb auf 40 v.H. zu reduzieren. Die MdE durch den mit der CMD assoziierten Tinnitus-Erkrankung sowie die psychischen Alterationen seien durch entsprechende Fachkollegen zu bewerten.
Die Beklagte hat Einwände gegen dieses Gutachten erhoben und eine Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. K vom 27.08.2015 vorgelegt. Der Arbeitsmediziner hat ausgeführt, es existierten keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse dahingehend, dass durch das professionelle Tubaspielen eine craniomandibuläre Dysfunktion wesentlich verursacht oder verschlimmert werde. Die angeführten Studien stellten lediglich Befragungsstudien dar, bei denen es regelhaft zu einer Recall-Bias komme. Hierbei würden berufliche Faktoren in der Verursachung von Beschwerden und Erkrankungen regelmäßig übergewichtet. Die craniomandibuläre Dysfunktion stelle eigentlich keine Erkrankungsentität dar. Sie sei vielmehr ein Oberbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Symptomen. Darüber hinaus könne die craniomandibuläre Dysfunktion durch unterschiedliche Verursachungsfaktoren hervorgerufen werden. Weil sowohl auf der Verursachungsseite, als auch der Wirkungsseite keine exakten Zuordnungen möglich seien, komme eine Anerkennung als Wie-Berufskrankheit nicht in Betracht. Bei der CMD bestehe eine ähnliche Ausgangssituation wie bei der multiplen Chemikalien-Überempfindlichkeit (MCS), die auch nie den Status einer Berufskrankheit erlangt habe.
Der Senat hat schließlich ein nervenfachärztliches Gutachten von Prof. Dr. N aus M vom 10.12.2015 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die craniomandibuläre Dysfunktion sei ein Überbegriff für strukturelle, funktionelle, biochemische und psychische Fehlregulationen der Muskel- oder Gelenkfunktion der Kiefergelenke. Es handele sich somit um keinen fest definierten diagnostischen Begriff, es sei vielmehr eine mit vielen Symptomen einhergehende Krankheitsbeschreibung. In der zur Problematik in den Akten angeführten und ausgewerteten Literatur gebe es keinen Hinweis darauf, dass mit Wahrscheinlichkeit Veränderungen am Kiefergelenk eine Ansatzdystonie einerseits oder einen Tinnitus und Schwindel andererseits auslösen könnten. Auch habe sich kein Hinweis gefunden, dass bei Berufsmusikern eine Ansatzdystonie als Erstsymptom mit Wahrscheinlichkeit oder wesentlich teilursächlich in der Folge Veränderungen am Kiefergelenk oder anderen craniomandibulären Dysfunktionen nach sich ziehe. Es seien keine auf die anerkannte Berufskrankheit zurückzuführende Gesundheitsstörungen vorhanden.
In einem Nachtrag zu seinem Gutachten vom 30.12.2015 hat Prof. Dr. N eine Übersichtsarbeit mit dem Titel "Aufgabenspezifische Dystonie bei professionellen Musikern" (Deutsches Ärzteblatt vom 21.12.2015, S. 871 ff.) übersandt. In der Arbeit sind 866 Publikationen zum Thema zwischen 1950 und 2013 kritisch bearbeitet worden. Die Qualität einzelner Studien erlaubte nicht deren Einschluss in die Studie, sodass letztlich nur 68 Publikationen berücksichtigt werden konnten. Als Ergebnis zeigt sich, dass Dystonien, wie die Ansatzdystonie bei dem Kläger, fast ausschließlich bei professionellen Musikern vorkommt und die Entstehungsursache multifaktoriell ist. Eine genetische Disposition zusammen mit externen Triggern löst die Erkrankung aus. Die Literatur zeige, dass intensives Musizieren, wie dies ganz besonders bei dem Kläger der Fall war, ein sehr relevanter Risiko- und damit Manifestationsfaktor darstellt. Personen der Allgemeinbevölkerung, die nur gelegentlich musizierten, seien kaum betroffen. Die Dystonie bewirke bei Berufsmusikern in der Regel eine Berufsunfähigkeit. Der ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe am 01.12.2015 beschlossen, dem Verordnungsgeber eine neue Berufskrankheit zu empfehlen "fokale Dystonie als Erkrankung des zentralen Nervensystems bei Instrumentalmusikern durch feinmotorische Tätigkeit hoher Intensität". Des Weiteren hat der Sachverständige Prof. Dr. N ausgeführt, der Inhalt des Artikels habe jedoch keinen Einfluss auf das von ihm erstellte Gutachten. Es zeige, dass viele Publikationen zum Thema wissenschaftlichen Qualitätsansprüchen nicht genügten. Außerdem belege der Artikel, dass das Thema international wissenschaftlich bearbeitet werde und feinmotorische Tätigkeit hoher Intensität als der wesentliche Co-Faktor zur Auslösung der Dystonie zu betrachten sei.
Der Kläger trägt vor, das Gutachten von Frau Dr. S sei überzeugend. Die Sachverständige verweise auf zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. Auf Grund jahrelanger Dauerbelastung der orofazialen Muskulatur komme es bei Musikern häufiger zu CMD als in der Allgemeinbevölkerung. Die Ausführungen von Prof. Dr. K überzeugten nicht. Die Ausführungen von Prof. Dr. K zu der Kausalität des Tinnitus seien ebenfalls nicht überzeugend. Prof. Dr. K habe zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Zerstörungen des linken Gelenks meist die Spannung auf der rechten Seite auftrete. Die Auffassung von Prof. Dr. K , dass die CMD nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Ansatzdystonie zurückzuführen sei, widerspreche der Beurteilung des Kieferorthopäden Dr. K. Letztlich widerspreche sich Prof. Dr. K selbst, wenn er darauf aufmerksam mache, dass eine "aufsteigende und absteigende Symptomatik" mit Übertragungen auf Schultern und Wirbelsäule bestehe. Die mehrfach attestierte reaktive Depression sei zumindest teilursächlich durch die anerkannte Berufskrankheit verursacht worden. Gesichert sei, dass er auf Grund der Berufskrankheit nicht mehr sicher sein könne, alle Töne ordnungsgemäß zu treffen. Dies belaste ihn so sehr, dass sich psychische Störungen eingestellt hätten. Schließlich verkenne Prof. Dr. K , dass es unter allen Musikern ohnehin nur wenige Berufstubisten gebe. Längst nicht alle Symphonieorchester beschäftigten einen Tubisten. Hinzu trete die Besonderheit, dass von dieser Problematik stärker diejenigen Tubisten betroffen seien, welche – wie er selbst – einen kleinen Unterkiefer hätten. Es sei daher kein allzu strenger Maßstab an bestehende Erkenntnisse und Veröffentlichungen zu stellen. Im Übrigen habe Frau Dr. S hinreichend Bezug auf Literaturquellen genommen. Alle Fachärzte stützten seine Argumentation, so zum Beispiel Prof. Dr. M , Prof. Dr. K , Prof. Dr. Dr. V , Dr. L. Das Gutachten des Herrn Prof. Dr. K gehe somit an der Sache vorbei und sei nicht geeignet, den Gegenbeweis zu führen. Das Gutachten von Prof. Dr. N sei fehlerhaft.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 18.07.2013 aufzuheben, den Bescheid vom 14.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folgen der bereits anerkannten Berufskrankheit "Tinnitus aurium rechts, Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, Kiefergelenksarthrose bzw. craniomandibuläre Dysfunktion mit schwerer orofazialer Dyskinese, craniocervikaler Dysfunktion und Folgeschäden im Bewegungsapparat" anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE von min-destens 60 v.H. zu gewähren,
hilfsweise,
"Tinnitus aurium rechts, Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, Kiefergelenksarthrose bzw. craniomandibuläre Dysfunktion mit schwerer orofazialer Dyskinese, craniocervikaler Dysfunktion und Folgeschäden im Bewegungsapparat" als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 60 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Gutachter Prof. Dr. N bestätige, dass keine Gesundheitsstörungen bei dem Kläger vorliegen, die mit Wahrscheinlichkeit zumindest wesentlich teilursächlich durch die anerkannte BK Nr. 2106 verursacht worden seien. Die weitere Fragestellung, ob Gesundheitsstörungen auf psychischem Fachgebiet ursächlich auf die anerkannte Berufskrankheit oder die CMD zurückzuführen seien, verneine der Sachverständige. Er begründe seine Bewertung schlüssig mit der Feststellung, dass zwar im Rahmen seiner testpsychologischen Untersuchungen Hinweise für Depressivität und Angst sowie eine Traurigkeit im Sinne einer "psychischen Alteration" ermittelt worden seien, die jedoch im Kontrast zu den Ausführungen des Klägers in der anamnestischen Befragung stehe. Die abweichende Bewertung der erstinstanzlichen Gutachterin Frau Dr. E in Bezug auf eine Anpassungsstörung sei mit dem zutreffenden Hinweis auf die Diagnosekriterien des ICD 10 in Frage gestellt. Eine Verursachung eines chronischen Tinnitus durch die CMD oder die anerkannte Berufskrankheit werde auf der Grundlage der AWF-Leitlinie Seite 3, 017 – 064 (Stand 2/2015) verneint. Die im Nachtrag von Prof. Dr. N mitgeteilte Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats zur Aufnahme einer neuen Berufskrankheit der fokalen Dystonie bezogen auf die Berufsgruppe der Instrumentalmusiker ändere das Ergebnis der Bewertung des Gutachtens nicht, da dieses Leiden bereits als Berufskrankheit im Rahmen der BK Nr. 2106 erfolgt sei und die Beweisfragen der medizinischen Beurteilung von weiteren im Zusammenhang stehenden Gesundheitsstörungen verneint worden seien.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Folge der anerkannten Berufskrankheit "fokale Dystonie der Ansatzmuskulatur". Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung einer craniomandibulären Dysfunktion (CMD) mit schwerer orofazialer Dyskinese sowie Folgeschäden im Bewegungsapparat als "Wie-Berufskrankheit". Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v.H. sind ebenfalls nicht erfüllt.
Gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Gemäß § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch im vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.
Bei dem Kläger wurde mit Bescheid vom 14.02.2007 eine tätigkeitsspezifische fokale Dystonie der Ansatzmuskulatur (Ansatzdystonie) als Berufskrankheit Nr. 2106 der Anlage zur BKV anerkannt. Es ist dabei unerheblich, ob die BK Nr. 2106 der Anlage zur BKV im vorliegenden Fall zutreffend ist oder ob die Ansatzdystonie als "Wie-Berufskrankheit" hätte anerkannt werden müssen. Hie-raus ergeben sich keine rechtlichen Unterschiede. Eine Erkrankung, für welche Musiker besonders anfällig sind, ist die sogenannte tätigkeitsspezifische fokale Dystonie. Hierbei handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, die durch unwillkürliche, also nicht mehr willentlich steuerbare Muskelspannungen und Fehlhaltungen charakterisiert ist. Tätigkeitsspezifisch bedeutet, dass die Dystonie nur im Zusammenhang mit einer typischen Tätigkeit vorkommt. Dies ist bei dem Kläger der Fall. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fällt diese Erkrankung nicht nennenswert ins Gewicht. Nach den MdE-Erfahrungswerten (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 25/05 R) ist hierfür eine messbare MdE nicht vorgesehen. Das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Situation des Klägers, was die Funktionsbeeinträchtigung durch die fokale Dystonie anbetrifft, weniger gravierend ist als zum Beispiel eine einseitige, kosmetisch wenig störende Gesichtsnervenlähmung, wofür die MdE nach den MdE-Erfahrungswerten 10 v.H. beträgt. Dies wird auch durch das fachärztliche Gutachten von Prof. Dr. Dr. D vom 18.07.2006 und dem Befundbericht von Prof. Dr. A vom 10.01.2006 bestätigt.
Bei der Bemessung der MdE werden jedoch nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII Nach-teile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Die Vorschrift erfordert das Vorliegen einer unbilligen Härte. Diese ist beim Kläger gegeben, da er besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat und diese nicht mehr nutzen kann. Unter Berücksichtigung des Lebensalters des Klägers, der Dauer seiner Ausbildung und der Eigenart seines Berufs sowie der erworbenen Spezialkenntnisse ist es angemessen, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Weitere Gesundheitsstörungen, die auf diese anerkannte Berufskrankheit zurückgeführt werden können, liegen nicht vor. Der Kläger macht zwar als weitere Folgen der anerkannten Berufskrankheit geltend: "Tinnitus aurium rechts, Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, tiefer Gelenksarthrose bzw. craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) mit schwerer orofazialer Dyskinese, craniocervikale Dysfunktion, Folgeschäden am Bewegungsapparat". Bei diesen Gesundheitsstörungen handelt es sich indessen nicht um Folgen der anerkannten fokalen Dystonie. Nach der das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung beherrschenden Lehre von der wesentlichen Bedingung sind ursächlich im Rechtssinne nur diejenigen Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei sind die tatsächlichen Grundlagen der Ursachenzusammenhänge im Vollbeweis zu sichern. Zur Feststellung des kausalen Zusammenhangs reicht indessen nach allgemeiner Auffassung die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG vom 20.01.1987, 2 R U 27/86). An einer derartigen Kausalität zwischen der anerkannten fokalen Dystonie und den weiteren vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen fehlt es. Selbst der Sachverständige Prof. Dr. K weist in seinem Gutachten vom 01.12.2012 ausdrücklich darauf hin, dass im Falle des Klägers die dokumentierten Befunde nicht als Folge des Vorliegens einer fokalen Dystonie anzusehen sind. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. N vom 10.12.2015 ergibt sich zudem, dass wesentliche Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet nicht vorlägen. Der Kläger zeigte sich zeitlich, örtlich und zur Person voll orientiert. Die Stimmung war anlässlich der Begutachtung unauffällig, im Affekt schwingungsfähig. Gedächtnis, Merkfähigkeit und Konzentrationsleistungen lagen im Normbereich. Aufmerksamkeitsstörungen konnte der Sachverständige nicht nachweisen. Die Gedankeninhalte waren geordnet, keine Produktion wahnhafter Gedanken. Hinweise auf formale oder inhaltliche Denkstörungen lagen nicht vor. Im Gespräch zeigte sich zwar immer wieder eine nachvollziehbare Fixierung auf die Schilderung der ärztlichen Vorbefunde und Beschwerden im Kieferbereich und andererseits das Bemühen nachzuweisen, dass keine eigene Schuld an der Erkrankung bestehe. Psychomotorisch war nur eine geringe, der Begutachtungssituation angemessene Anspannung zu beobachten. Der Kläger berichtete, dass er früher stark unter Nahrungsmittelallergien gelitten habe. Jetzt habe er mit diesen Allergien aber keine Probleme mehr. Er führte dies teilweise darauf zurück, dass er jetzt auch nicht mehr unter dem psychischen Stress stünde. Er fühle sich mit der Natur verbunden. Er kümmere sich um den Haushalt und koche auch gerne. Er bestelle sein ländliches Anwesen und seinen Garten, dazu benutze er einen kleinen Traktor. Seine Kinder seien aus dem Hause und würden ihren Weg machen, auch dies erfülle ihn mit Zufriedenheit. Er führe eine glückliche Ehe und könne zufrieden das Leben genießen. Traurigkeit erfülle ihn aber immer dann, wenn er an seine Musik denke und ihm wieder bewusst werde, dass er nicht mehr das Instrument spielen könne, aus dem er seine tiefste Lebensfreude bezogen habe. Er führe das Verfahren auch nicht nur eigennützig sondern hoffe, dass die im Laufe des Prozesses gewonnenen Erkenntnisse geeignet seien, auf die Erziehung von Musikern Einfluss zu nehmen. Der psychische Befund lässt – worauf Prof. Dr. N zutreffend hinweist – keine wesentlichen psychischen Störungen erkennen.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen der anerkannten Ansatzdystonie und einem Tinnitus lässt sich – worauf Prof. Dr. N ebenfalls hinweist – nicht nachweisen. Das gleiche gilt für die craniomandibuläre Dysfunktion sowie für die Gesundheitsstörungen im Bewegungsapparat.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung einer craniomandibulären Dysfunktion mit Folgeschäden im Bereich des Bewegungsapparates als "Wie-Berufskrankheit".
Es kann offen bleiben, seit wann die craniomandibuläre Dysfunktion bei dem Kläger besteht und ob sich der geltend gemachte Anspruch noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder den am 01.01.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII richtet. Aktenkundig sind derartige Beschwerden seit einer oralchirurgischen Untersuchung bei Dr. Dr. V im Juli 1998.
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII (§ 551 Abs. 2 RVO) haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist, oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII erfüllt sind (Öffnungsklausel). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen.
Der Kläger war auf Grund seiner versicherten Tätigkeit als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und seiner Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Bläser besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG, aaO, Rn. 19). Beim Spielen der Tuba wird zwischen der oberen und unteren Frontzahnreihe eine Beziehung aufgebaut, bei der der Unterkiefer keinen Kontakt zum Oberkiefer hat, die Lippenmuskulatur und das Mundstück gegenüber dem Kieferknochen und Zähnen abpolstert und dabei in ihrer Mitte schwingt. Diese Schwingungen übertragen sich im Kessel des Mundstücks auf die Luftsäule des Instruments (mechanisch-akustische Umformung) und erzeugen einen über das Instrument abgestrahlten Ton. Der Abstand zwischen Unterkiefer und Oberkiefer verändert sich mit steigender oder sinkender Tonhöhe. Normalerweise werden dabei der Unterkiefer und damit auch dessen in der Kiefergelenkgrube liegendes Gelenkköpfchen leicht nach vorn bewegt, ohne jedoch diese Grube zu verlassen. Dies hat der Facharzt für allgemeine Stomatologie Prof. Dr. M in seinem Gutachten vom 11.01.2009 für den Senat überzeugend dargelegt. Auch Prof. Dr. K berücksichtigt diese besonderen Einwirkungen in seiner Stellungnahme vom 11.12.2011. Der Kläger leidet auch an einer craniomandibulären Dysfunktion. Allerdings fehlt es am generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen Einwirkung.
Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangen. Dies ist vorliegend – unter Berücksichtigung der vielfältigen Gutachten und Stellungnahmen – nicht der Fall.
Prof. Dr. Dr. D geht in seinen neurologischen Gutachten vom 18.07. und 07.10.2006 lediglich von einer tätigkeitsspezifischen fokalen Dystonie aus. Diese bedingt im Falle des Klägers zwar eine Berufsunfähigkeit als Tubaspieler. Der Sachverständige bewertet diese Berufsunfähigkeit jedoch ungerechtfertigterweise mit einer Gesamt-MdE von 100 v.H ... Dabei berücksichtigt er nicht die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Höhe der berufsbedingten MdE.
Dr. O führt in seinen neurologischen Stellungnahme vom 11.12.2006 und 28.03.2008 für den Senat überzeugend aus, dass für die tätigkeitsspezifische fokale Dystonie eine MdE zwischen 10 und 20 v.H. ausreicht. Hierbei handelt es sich um eine Bemessung, welche die Auswirkungen der – damals – vorliegenden depressiven Störung bzw. Anpassungsstörung wegen Berufsunfähigkeit mit abdeckt. Einen Zusammenhang der craniomandibulären Dysfunktion mit dem Tubaspielen des Klägers sieht Dr. O nicht. Prof. Dr. Dr. K weist in seiner Stellungnahme vom 11.12.2011 für den Senat überzeugend darauf hin, dass für das Tubaspielen kein belastungskonformes Schadensbild im Bereich der Kiefergelenke existiert. Die CMD des Klägers mit hochgradiger destruktiver Arthrose im linken Kiefergelenk und leichter Arthrose im rechten Kniegelenk ist – nach Ansicht von Prof. Dr. K – vielmehr im Rahmen einer diffusen ediopathischen Skeletthyperosthose zu sehen. Unter biomechanischen Gesichtspunkten gibt es keine plausible Erklärung dafür, dass durch das Tubaspielen eine nicht reponierbare Antiluxion beider Diski verursacht werden kann. Prof. Dr. K führt in seinem Gutachten vom 12.01.2012 aus, dass aus der Sicht der Verordnungsgebers derzeit keine Änderung der BK-Liste angestrebt wird. Dies – darauf weist der Sachverständige hin – entspricht auch seiner Erkenntnislage. Nach Rücksprache mit Medizinaldirektor Dr. M (Referatsleiter "Arbeitsmedizin" im Bundesministerium für Arbeit und Soziales) konnte aber für die Zusammenhänge – so Prof. Dr. K – grundlegendes Verständnis geschaffen werden. Dr. M habe zukünftige Studien zugesagt. Dies zeigt bereits, dass derzeit mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen noch nicht begründbar ist, dass bestimmte Einwirkungen eines Tubabläsers die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Wenn der Sachverständige trotzdem die Anerkennung der CMD als "Wie-Berufskrankheit" vorschlägt, so verkennt die hierfür erforderlichen Voraussetzungen.
Frau Prof. Dr. S gelangte in ihrem Gutachten vom 03.07.2015 zunächst zu dem Ergebnis, dass zum Zusammenhang einer Ansatzdystonie und einer CMD bisher keine wissenschaftlich fundierten oder publizierten Erkenntnisse verfügbar sind. Sie weist allerdings darauf hin, dass die aktuelle Literaturlage demonstriere, dass CMD bei Musikern häufiger vorkomme als in der Allgemeinbevölkerung. Hier seien insbesondere die direkten Einwirkungen des Instrumentalspiels auf das craniomandibuläre System verantwortlich zu machen. Für die CMD und ihre Auswirkung auf die Hals- und Lendenwirbelsäule wäre – nach ihrer Auffassung - insgesamt eine MdE von 60 v.H. angemessen. Unter Berücksichtigung dieses Gutachtens gelangt Prof. Dr. Dr. K in seiner zweiten beratungsfachärztlichen, arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 27.08.2015 zu dem Ergebnis, die Analyse aller medizinisch wissenschaftlichen Literatur ergebe, dass keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse dahingehend, dass durch das professionelle Tubaspielen eine craniomandibuläre Dysfunktion wesentlich verursacht oder verschlimmert werde, existierten. Die von Frau Prof. Dr. S angeführten Studien stellten lediglich Befragungsstudien dar, bei denen es regelhaft zu einem Recall-Bias komme. Hierbei würden berufliche Faktoren in der Verursachung von Beschwerden und Erkrankungen regelmäßig übergewichtet. Prof. Dr. Dr. K weist zudem darauf hin, dass die craniomandibuläre Dysfunktion eigentlich keine Erkrankungsentität darstellt. Es handele sich vielmehr um einen Oberbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Symptomen. Darüber hinaus könne die craniomandibuläre Dysfunktion durch unterschiedliche Verursachungsfaktoren hervorgerufen werden. Abschließend gelangt er zu dem Ergebnis, da sowohl auf der Verursachungsseite als auch auf der Wirkungsseite keine exakte Zuordnung möglich sei, seien die Kriterien für die Anerkennung einer "Wie-Berufskrankheit" nicht erfüllt. Es handele sich um eine vergleichbare Situation wie bei der multiplen Chemikalien-Überempfindlichkeit (MCS), die auch nie den Status einer Berufskrankheit habe erlangen können. Der Kläger hat selbst einen Beitrag von G (Manuelle Medizin 2005, S. 243 ff.) übersandt, wonach die craniomandibulären Dysbalancen scheinbar eine Voraussetzung für professionelle Leistungen im Instrument seien. Die CMD ist somit – obwohl sie unter Umständen bei Bläsern häufiger zu beobachten ist – nicht Ursache der Berufstätigkeit, sondern Voraussetzung. Ob diese Ausführungen zutreffen kann indessen dahingestellt bleiben, da auch hierdurch nicht belegt wird, dass die CMD als "Wie-BK" bei Tubabläsern anzuerkennen ist. Dies ergibt sich auch aus der vom Sozialgericht eingeholten Auskunft des BMAS vom 21.03.2013 und den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. K. Dieser hat im Beweisaufnahmetermin vor dem Sozialgericht zwar bestätigt, inzwischen gebe es zu diesem Thema weitere wissenschaftliche Bemühungen, angestoßen durch den vorliegenden Fall. Es seien insgesamt vier Doktorarbeiten damit befasst. Diese Arbeiten seien aber noch nicht abgeschlossen; das werde wohl noch längere Zeit brauchen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Einführung einer Sonderregelung zum Schutz kleiner Berufsgruppen im Berufskrankheitenrecht ausdrücklich abgelehnt (BSG; Urteile vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R und B 2 U 6/12 R). Bei diesen BSG-Entscheidungen ging es um die Anerkennung von Halswirbelsäulenerkrankungen bei Berufsgeigern als "Wie-BK".
Auch der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. N gelangte in Übereinstimmung mit Prof. Dr. K zu dem Ergebnis, dass die craniomandibuläre Dysfunktion einen übergeordneten Krankheitsbegriff darstellt unter den eine Vielzahl von Beschwerden subsummiert werden. Hinsichtlich der Auslösung dieser Dysfunktion würden in der Literatur eine Vielfalt an unterschiedlichsten Ursachen benannt. Prof. Dr. N stimmt insgesamt den Ausführungen von Prof. Dr. K zu.
Das Sozialgericht weist im angefochtenen Urteil abschließend zutreffend darauf hin, dass die vom Kläger geltend gemachten sonstigen Gesundheitsstörungen eindeutig Begleit- bzw. Folgeerkrankungen der CMD sind. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K im Beweisaufnahmetermin vom 20.02.2013. Da die CMD jedoch nicht als "Wie-Berufskrankheit" festgestellt werden kann gilt dies auch bezüglich der Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule und des Tinnitus. Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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