S 7 KR 538/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 7 KR 538/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 333/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 25/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2016 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Krankengeld nach §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) für die Zeit vom 07. bis 12.05.2016 in Höhe von 71,42 EUR brutto bzw. 62,58 EUR netto kalendertäglich.

Der Kläger (geb. 1971) ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 28.07.2015 erkrankte er arbeitsunfähig. Ab dem 08.09.2015 bezog er – mit Ausnahme des streitigen Zeitraums – Krankengeld bis zum Ablauf der Höchstanspruchsdauer am 23.01.2017. Das Arbeitsverhältnis des Klägers bestand im streitigen Zeitraum fort.

Durchgehende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lagen zunächst bis zum 06.05.2016 vor, zuletzt festgestellt durch den behandelnden Hausarzt B. am 14.04.2016. Diese Bescheinigung ging am 21.04.2016 bei der Beklagten ein. Am 04.05.2016 attestierte der behandelnde Hausarzt weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.05.2016. Diese Bescheinigung ging gemäß Eingangsstempel am 13.05.2016 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 15.08.2016 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 ab unter Bewilligung für den übrigen Monat Mai 2016. Zur Begründung führte sie aus, die Meldung für den Zeitraum der Ablehnung sei nicht innerhalb einer Woche nach ärztlicher Feststellung am 04.05.2016 erfolgt. Der Anspruch auf Krankengeld ruhe deswegen bis zur Nachholung der Meldung am 13.05.2016.

Den am 14.09.2016 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass sich aus dem Gutachten des SMD in Bad Homburg vom 31.03.2016 eine fortbestehende erhebliche Gefährdung bzw. Minderung seiner Erwerbsfähigkeit ergebe. Mit Blick hierauf hätte der Beklagten die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bekannt sein müssen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2016 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 09.12.2016 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben. Er macht geltend, dass § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V dem Zweck diene, den Krankenkassen eine zeitnahe Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit bzw. Einleitung von Maßnahmen zur Wiederherstellung zu ermöglichen und Leistungsmissbrauch entgegenzutreten. Das Gutachten habe auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgesehen. Wegen der innerbetrieblichen Umsetzung habe die Beklagte den Arbeitgeber des Klägers angeschrieben und erst im Juli 2016 dessen abschließende Antwort erhalten. Deshalb habe die Beklagte durchgehend von Arbeitsunfähigkeit ausgehen müssen. Leistungsmissbrauch liege damit nicht vor.

Nach dem vom Gericht beigezogenen Gutachten des SMD vom 31.03.2016 konnte trotz erfolgter stationärer medizinischer Rehabilitation und versuchter stufenweiser Wiedereingliederung keine ausreichende Stabilisierung für die letzte Tätigkeit als Verwaltungsangestellter erreicht werden, so dass sich die Notwendigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne einer innerbetrieblichen Umsetzung ergebe.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2016 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag des Klägers war dahin auszulegen, dass der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2016 abgeändert anstatt aufgehoben werden soll. Denn der Kläger begehrt vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 Krankengeld, möchte dabei aber unzweifelhaft die mit den angegriffenen Bescheiden ebenfalls erfolgte Bewilligung für den übrigen Monat Mai 2016 nicht antasten. Deshalb war der versehentlich unter Aufhebung der fraglichen Bescheide formulierte Antrag tatsächlich auf Abänderung der Bescheide unter Zahlung von Krankengeld auch für die Zeit vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 gerichtet.

Der so verstandene Antrag ist zulässig und in vollem Umfang begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Krankengeld in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit vom 07.05.2016 bis 12.05.2016.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte – abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung – Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang sie Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das bei Entstehung des Krankengeldanspruchs vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 04.03.2014 – B 1 KR 17/13 R –, juris, Rn. 22).

Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der hier anzuwendenden, ab dem 23.07.2015 geltenden Fassung entsteht der Anspruch auf Krankengeld – außer in Fällen stationärer Behandlung – vom Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Der Anspruch bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage (§ 46 Satz 2 SGB V).

Für den Krankengeldanspruch ist mithin weder auf den Beginn der Krankheit noch auf den tatsächlichen Beginn der Arbeitsunfähigkeit, sondern auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2012 B 1 KR 19/11 R –, juris; Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 05/10, § 46 SGB V, Rn. 23).

Im streitigen Zeitraum vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 war der Kläger nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V als Arbeitnehmer mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Dass der Kläger in diesem Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V war, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; seitens des Gerichts besteht kein Anhalt, die Arbeitsunfähigkeit des Klägers anzuzweifeln. Für den fraglichen Zeitraum ist Arbeitsunfähigkeit auch ausweislich der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 04.05.2016 bis voraussichtlich zum 20.05.2016 festgestellt im Sinne von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Der mithin nach §§ 44 ff. SGB V entstandene Krankengeldanspruch des Klägers für die Zeit vom 07.05.2016 bis 12.05.2016 in gesetzlicher Höhe ruht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht.

Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.

Die Regelung ist auf den vorliegenden Fall grundsätzlich anwendbar, da der Kläger sich im streitigen Zeitraum nicht in stationärer Krankenbehandlung befand (vgl. zur fehlenden Anwendbarkeit im Falle stationärer Krankenbehandlung: Brinkhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 49 SGB V, Rn. 42).

Mit § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V soll – ebenso wie mit der Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V – sichergestellt werden, dass die Krankenkassen nicht die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären müssen und so die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch Einschaltung des MDK (§ 275 SGB V) überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegentreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R –, juris).

Entsprechend ihrem Zweck und ihrer Funktion bedarf es der Meldung nicht nur beim erstmaligen Eintritt von Arbeitsunfähigkeit, sondern auch für ihr Weiterbestehen (Noftz in: Hauck/Noftz, SGB, 08/15, § 49 SGB V, Rn. 59). Die Meldung ist auch nicht überflüssig, wenn die Arbeitsunfähigkeit objektiv zweifelsfrei vorliegt (BSGE 85, 271, 276). Die Versicherten können sich regelmäßig nicht darauf berufen, dass die Krankenkasse aus anderen Gründen die Arbeitsunfähigkeit habe prüfen müssen (vgl. BSGE 56, 13, 15). Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Krankenkasse die konkrete Arbeitsunfähigkeit bereits aufgrund einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bekannt ist und sie weiß, dass der Versicherte weiterhin Krankengeld beansprucht (BSGE 111, 18); in diesem Fall wäre das Berufen auf das formelle Fehlen der Meldung rechtsmissbräuchlich.

Soweit nach dem Gutachten des SMD vom 31.03.2016 eine erhebliche Gefährdung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit bestand, ist dies nicht zwingend mit Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen. Ein Versicherter kann z.B. aktuell arbeitsfähig sein, aber gleichzeitig in seiner Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet sein, weil etwa bestimmte Erkrankungen immer wieder auftreten und zu einer ungünstigen Prognose führen. Die Feststellung der erheblichen Gefährdung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit ersetzt also nicht die Feststellung und Meldung von Arbeitsunfähigkeit. Soweit es in dem Gutachten heißt, dass keine ausreichende Stabilisierung für die letzte Tätigkeit erreicht werden konnte und eine innerbetriebliche Umsetzung notwendig sei, trifft dies eine Feststellung in Bezug auf Arbeitsunfähigkeit. Es spricht manches dafür, dass die Beklagte dies als Arbeitsunfähigkeit bis auf Weiteres, zumindest aber bis zu einer erfolgreichen innerbetrieblichen Umsetzung interpretieren musste; dass eine solche Umsetzung im streitigen Zeitraum noch nicht erfolgt war, wusste die Beklagte, zumal sie selbst den Arbeitgeber angeschrieben hatte wegen der Umsetzung und dieser noch nicht reagiert hatte.

Ob im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Meldung obsolet war, kann jedoch offen bleiben. Denn die Meldung am 13.05.2016 ist vorliegend als fristgerecht anzusehen.

Zu melden ist nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V die Arbeitsunfähigkeit und zwar spätestens eine Woche nach ihrem "Beginn". Übertragen auf die hier vorliegende Situation einer abschnittsweisen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedeutet dies, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der bisher bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gemeldet werden muss, um das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld zu verhindern. Liegt der Krankenkasse eine ärztliche Bescheinigung vor, bedarf es keiner weiteren Meldung der Arbeitsunfähigkeit für den dort bescheinigten Zeitraum (vgl. Brinkhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 49 SGB V, Rn. 48).

Vorliegend hatte der Kläger die zunächst am 14.04.2016 bis zum 06.05.2016 ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit am 21.04.2016 bei der Beklagten gemeldet. Für diesen Zeitraum bedurfte es also keiner weiteren Meldung. Zu melden war demnach wieder die weitere Arbeitsunfähigkeit ab dem 07.05.2016. Dies erfolgte am 13.05.2016 durch Vorlage der weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 04.05.2016 bis 20.05.2016. Die Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ab Beginn der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit ist damit eingehalten.

Dem steht es nicht entgegen, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit ab dem 07.05.2016 schon am 04.05.2016 festgestellt wurde. Denn § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V stellt im Gegensatz zu § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nicht auf den – von der Beklagten zugrunde gelegten – Tag der ärztlichen Feststellung, sondern den Beginn der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit ab. Entscheidend ist damit – auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Ruhensvorschrift – allein, dass nach Ablauf der gemeldeten befristeten Arbeitsunfähigkeit spätestens binnen einer Woche weitere (ärztlich festgestellte) Arbeitsunfähigkeit gemeldet wird. Dies ist hier mit der Meldung weiterer Arbeitsunfähigkeit über den 06.05.2016 hinaus bis (zunächst) zum 20.05.2016 mit Einreichung des Attests am 13.05.2016 erfolgt. Würden die beiden ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zeitlich unmittelbar aneinander anschließen – anstatt wie hier überlappen – wäre über die Rechtzeitigkeit der Meldung ein Streit erst gar nicht entstanden. Mit Blick auf Wortlaut und Normzweck des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V kann für den Fall zeitlich überlappender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nichts anderes gelten.

Nach alledem war dem Klagebegehren in vollem Umfang zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das vollständige Obsiegen des Klägers.

Mit Blick auf den unter 750 EUR liegenden Beschwerdegegenstand (71,42 EUR pro Kalendertag x sechs Kalendertage) kann das Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden. Einen Zulassungsgrund im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG vermochte die Kammer nicht zu erkennen, zumal der Entscheidung die vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze zur Meldung von (weiterer) Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegen.
Rechtskraft
Aus
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