Land
Saarland
Sozialgericht
LSG für das Saarland
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG für das Saarland (SAA)
Aktenzeichen
S 18/17 Vg 187/91
Datum
2. Instanz
LSG für das Saarland
Aktenzeichen
L 2 Vg 2/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wer sich freiwillig auf ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer Zufallsbekanntschaft einläßt, hat eine dabei erworbene Aids-Infektion wesentlich mitverursacht und deshalb keinen Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Oktober 1993 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen. Streitig ist insbesondere, ob es wegen eines im eigenen Verhalten des Klägers liegenden Grundes unbillig wäre, eine Entschädigung zu gewähren.
Der Kläger ist mit dem HIV-Virus infiziert. Er leitet diese Infektion von einem gleichgeschlechtlichen Kontakt her, den er am 27. Juni 1987 und am 29. oder 30. Juni 1987 mit dem Schädiger hatte. Der Schädiger, der seinerseits mit dem HIV-Virus infiziert war und mittlerweile an AIDS verstorben ist, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen zu Lasten des Klägers, letztinstanzlich durch Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Oktober 1989 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Zu dem angeschuldigten Ereignis kam es nach den vom Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Klägers und nach den im erwähnten Strafverfahren getroffenen Feststellungen in der Weise, daß der Kläger am 27. Juni 1987 nach Beendigung seines Dienstes als Taxifahrer gegen 3.00 Uhr das ihm bekannte Homosexuellenlokal M. betrat, wo sich unter anderem der ihm bis dahin unbekannte Schädiger mit zwei Freunden aufhielt. Der Kläger machte auf sich aufmerksam, kam in Kontakt mit dem Schädiger, wobei es zu der Vereinbarung kam, daß der Kläger mit seinem Taxi den Schädiger nebst Begleitung zu dessen Wohnung nach B. fahren würde. Die zwei Freunde des Schädigers stiegen an dessen Wohnung aus, während der Kläger und der Schädiger zu einem Waldstück weiterfuhren, um an einer ihnen geeignet erscheinenden Stelle sexuelle Handlungen vorzunehmen. Zwischen dem Kläger und dem Schädiger kam es zum Analverkehr, wobei der Schädiger aktiv, der Kläger passiv beteiligt war. Zuvor hatte der Kläger dem Schädiger gegenüber sinngemäß erklärt: "Ich bin okay" oder "Ich bin sauber".
Der Schädiger hatte hierauf nichts erwidert und den Kläger auch nicht über die bei ihm bestehende und ihm bekannte HIV-Infektion informiert. Einen oder zwei Tage später, am 29. oder 30. Juni 1987, suchte der Kläger den Schädiger, von dem er auch jetzt nur den Vornamen wußte und dessen Wohnung er deshalb auch nicht sogleich fand, in dessen Wohnung auf, wo es erneut zum Analverkehr kam, wobei auch in diesem Fall der Schädier dem Kläger nichts von seiner HIV-Infektion mitteilte. Bei beiden Kontakten ist ein Kondom nicht benutzt worden.
Mit einem am 17. Oktober 1988 beim Beklagten eingegangenen Antrag begehrte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Mit Bescheid vom 21. März 1991 lehnte der Beklagte das Begehren des Klägers ab, da - wenn auch ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vorgelegen habe - eine Opferentschädigung wegen Unbilligkeit zu versagen sei; der Kläger habe sich in hohem Maße vernunftwidrig verhalten, indem er mit einem ihm völlig unbekannten Mann den ungeschützten Analverkehr ausgeführt habe, obwohl das Risiko eines solchen Kontaktes allgemein bekannt gewesen sei. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 14. August 1991 zurückgewiesen.
Durch Urteil vom 6. Oktober 1993 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß - insbesondere im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Schädigers - die Tatbestandvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG gegeben seien, wonach derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes erhält; es liege jedoch der Versagungsgrund des § 2 Abs. 1 OEG vor, wonach Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren; hierbei setze die Leistungsversagung aus Unbilligkeit voraus, daß das tatfördernde Verhalten des Geschädigten schwer wiege und vorwerfbar sei, was besonders dann der Fall sei, wenn der Geschädigte in hohem Maße unvernünftig handele und sich erkennbar in eine Gefahrenlage begebe, in der er mit einer Schädigung rechnen müsse; diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Falle gegeben; der Kläger habe mit einem ihm völlig unbekannten Mann ungeschützten Analverkehr ausgeübt; dem Kläger sei auch bewußt gewesen, daß er als Homosexueller zu den besonderen "Risikogruppen" für eine AIDS-Infizierung gehöre; das habe er dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er zu dem Schädiger vor dem ersten Verkehr gesagt habe, er sei "sauber" bzw. "okay". Obwohl der Schädiger hierauf nichts erwidert habe, habe sich der Kläger nicht nochmals vergewissert und habe nicht einmal auf der Benutzung eines Kondoms bestanden; dieses Verhalten verstoße gegen ein Mindestmaß an Vernunft und Selbstverantwortung, zumal dem Kläger klar gewesen sei, daß der ungeschützte Analverkehr mit einem ihm völlig unbekannten, der Risikogruppe der Homosexuellen zugehörigen Mann ein unkalkulierbares Risiko einer AIDS-Infizierung in sich geborgen habe; es sei unbillig, ein solch leichtsinniges und leichtfertiges Verhalten, das nahezu zwangsläufig zu einem Gesundheitsschaden führen müsse, durch eine Entschädigung zu honorieren; eine solche Leistung der Allgemeinheit widerspreche dem Zweck des OEG, unschuldigen Opfern von Gewalttaten zu helfen; die staatliche Gemeinschaft habe grundsätzlich keine Verantwortung für die Folgen von selbst herbeigeführten Schädigungen zu übernehmen; wer sich leichtfertig in eine solche Gefahrenlage wie der Kläger begebe, mache die staatliche Sicherung gegenüber kriminellen Übergriffen wirkungslos.
Gegen dieses ihm am 18. Oktober 1993 zugegangene Urteil hat der Kläger mit einem am 18. November 1993 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt er aus, das SG habe nicht näher dargetan, wieso Homosexuelle besonders gefährdert seien; es gebe keinen Erfahrungssatz dahingehend, daß Homosexuelle in besonderem Maße mit Straftaten gegen Leib und Leben rechnen müßten, wenn sie mit anderen Homosexuellen verkehren; nur wenn er, der Kläger, sich in eine Situation begeben hätte, in der er mit einer rechtswidrigen Straftat hätte rechnen müssen, könnten ihm Leistungen nach dem OEG verweigert werden; in vorliegendem Fall sei er, der Kläger, Opfer einer rechtswidrigen Straftat geworden, mit der er nicht habe zu rechnen brauchen, die er auch nicht herbeigeführt habe; das SG habe auch die gesundheitliche Gefahrenlage hinsichtlich seines, des Klägers, Verhalten nicht richtig gesehen; er habe sich in einer Situation befunden, in der eine Offenbarungspflicht des Schädigers bestanden habe, wenn ein gesundheitliches Risiko vorhanden gewesen wäre; die Festsstellung des SG, er sei ein Risiko eingegangen, weil er die Antwort des Schädigers nicht abgewartet habe, sei falsch und gehe an der gegebenen Situation vorbei; es habe eine Situation bestanden, in der mit einer Äußerung seitens des Schädigers nur dann zu rechnen gewesen wäre, wenn ein gesundheitliches Risiko bestanden hätte; gerade dies habe ja letztendlich auch zur strafrechtlichen Verurteilung des Schädigers geführt; schließlich führe die Begründung des SG zu einer Diskriminierung von homosexuellen Opfern gegenüber heterosexuellen Opfern, wenn man der Begründung des SG folge, daß der Homosexuelle beim Geschlechtsverkehr sich in eine Gefahrenlage begebe, bei der es nicht mehr darauf ankomme, ob der Schädiger eine rechtswidrige Straftat verübe oder nicht.
Darüber hinaus hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgebracht, daß er sich im Homosexuellen-Milieu aufgehalten habe, sei nicht vorwerfbar; sein Verhalten in diesem Milieu sei auch adäquat gewesen; subjektiv sei ihm kein Vorwurf zu machen.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Oktober 1993 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. März 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens und des sonstigen Verfahrensganges wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
Es wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten, die Beiakte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, bezüglich deren Zulässigkeit sich keine Bedenken ergeben, ist unbegründet.
Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gem. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab, da die Berufung aus den erschöpfenden und überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen war. Aus den Gründen des Urteils des SG vom 06.10.1993 - S8/17 Vg 187/91:
Die Versorgungsbehörde hat zu Recht in den angefochtenen Bescheiden einen Anspruch des Klägers nach dem OEG verneint.
Gemäß § 1 Abs. 1 OEG erhält derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tatsächlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 31.01.1989 i.V.m. dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.10.1989 - 4 StR 318/89 - ist der Schädiger, der inzwischen verstorbene xxxxxxx xxxxxxx, wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden. Dem rechtskräftig festgestellten Sachverhalt ist zu entnehmen, daß die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG erfüllt sind.
Nach § 2 Abs. 1 OEG sind jedoch Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Die Leistungsversagung aus Unbilligkeit setzt voraus, daß das tatfördernde Verhalten des Geschädigten schwer wiegt und vorwerfbar ist, was besonders dann der Fall ist, wenn der Geschädigte in hohem Maße unvernünftig handelt und sich erkennbar in eine Gefahrenlage begibt, in der er mit einer Schädigung rechnen mußte (vgl. BSG, Breithaupt 1986, 243; BSGE 50, 95 (98); BSG-Urteil vom 03.10.1984 - Az.: 9 a RVg 6/83).
Dies Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Kläger handelte in hohem Maße vernunftwidrig und leichtfertig. Er übte mit einem ihm völlig unbekannten Mann ungeschützten Analverkehr aus. Dem Kläger war auch bewußt, daß er als Homosexueller zu den besonderen "Risikogruppen" für eine AIDS-Infizierung gehörte. Das brachte er dadurch zum Ausdruck, daß er zu dem Schädiger vor dem 1. Verkehr sagte, ich bin "sauber" bzw. "okay". Obwohl der Schädiger hierauf nichts erwiderte, vergewisserte sich der Kläger nicht nochmals und bestand nicht einmal auf der Benutzung eines Kondoms. Dieses Verhalten verstößt gegen ein Mindestmaß an Vernunft und Selbstverantwortung, zumal dem Kläger klar war, daß der ungeschützte Analverkehr mit einem ihm völlig unbekannten, der Risikogruppe der Homosexuellen angehörigen Mann ein unkalkulierbares Risiko einer AIDS-Infizierung in sich barg. Es ist unbillig, ein solch leichsinniges und leichtfertiges Verhalten, das nahezu zwangsläufig zu einem Gesundheitsschaden führen muß, durch eine Entschädigung zu honorieren. Eine solche Leistung der Allgemeinheit widerspricht dem Zwecke des OEG, unschuldigen Opfern von Gewalttaten zu helfen.
Die staatliche Gemeinschaft hat grundsätzlich keine Verantwortung für die Folgen von selbst herbeigeführten Schädigungen zu übernehmen. Wer sich leichtfertig in eine solche Gefahrenlage begibt, macht die staatliche Sicherung gegenüber kriminellen Übergriffen wirkungslos. Die Versorgungsbehörde hat somit zutreffend eine Entschädigung an den Kläger abgelehnt.
Auch das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz führt zu keiner anderen Beurteilung. Es ist - nicht zuletzt infolge der massiven Öffentlichkeitsarbeit hiermit befaßter Behörden - allgemein bekannt, daß der ungeschützte Analverkehr zwischen Homosexuellen ein besonders hohes Risiko einer Ansteckung mit dem HIV-Virus in sich birgt. Wer sich sehenden Auges in eine derart gefahrenträchtige Situation begibt, handelt in einem Maße leichtfertig, daß Entschädigungsleistungen zu versagen sind. Hierin kann auch keine Diskriminierung Homosexueller erblickt werden, da ein vergleichbar unvorsichtiges Verhalten in gleicher Weise bei Heterosexuellen zum Leistungsausschluß führt. Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen. Streitig ist insbesondere, ob es wegen eines im eigenen Verhalten des Klägers liegenden Grundes unbillig wäre, eine Entschädigung zu gewähren.
Der Kläger ist mit dem HIV-Virus infiziert. Er leitet diese Infektion von einem gleichgeschlechtlichen Kontakt her, den er am 27. Juni 1987 und am 29. oder 30. Juni 1987 mit dem Schädiger hatte. Der Schädiger, der seinerseits mit dem HIV-Virus infiziert war und mittlerweile an AIDS verstorben ist, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen zu Lasten des Klägers, letztinstanzlich durch Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Oktober 1989 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Zu dem angeschuldigten Ereignis kam es nach den vom Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Klägers und nach den im erwähnten Strafverfahren getroffenen Feststellungen in der Weise, daß der Kläger am 27. Juni 1987 nach Beendigung seines Dienstes als Taxifahrer gegen 3.00 Uhr das ihm bekannte Homosexuellenlokal M. betrat, wo sich unter anderem der ihm bis dahin unbekannte Schädiger mit zwei Freunden aufhielt. Der Kläger machte auf sich aufmerksam, kam in Kontakt mit dem Schädiger, wobei es zu der Vereinbarung kam, daß der Kläger mit seinem Taxi den Schädiger nebst Begleitung zu dessen Wohnung nach B. fahren würde. Die zwei Freunde des Schädigers stiegen an dessen Wohnung aus, während der Kläger und der Schädiger zu einem Waldstück weiterfuhren, um an einer ihnen geeignet erscheinenden Stelle sexuelle Handlungen vorzunehmen. Zwischen dem Kläger und dem Schädiger kam es zum Analverkehr, wobei der Schädiger aktiv, der Kläger passiv beteiligt war. Zuvor hatte der Kläger dem Schädiger gegenüber sinngemäß erklärt: "Ich bin okay" oder "Ich bin sauber".
Der Schädiger hatte hierauf nichts erwidert und den Kläger auch nicht über die bei ihm bestehende und ihm bekannte HIV-Infektion informiert. Einen oder zwei Tage später, am 29. oder 30. Juni 1987, suchte der Kläger den Schädiger, von dem er auch jetzt nur den Vornamen wußte und dessen Wohnung er deshalb auch nicht sogleich fand, in dessen Wohnung auf, wo es erneut zum Analverkehr kam, wobei auch in diesem Fall der Schädier dem Kläger nichts von seiner HIV-Infektion mitteilte. Bei beiden Kontakten ist ein Kondom nicht benutzt worden.
Mit einem am 17. Oktober 1988 beim Beklagten eingegangenen Antrag begehrte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Mit Bescheid vom 21. März 1991 lehnte der Beklagte das Begehren des Klägers ab, da - wenn auch ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vorgelegen habe - eine Opferentschädigung wegen Unbilligkeit zu versagen sei; der Kläger habe sich in hohem Maße vernunftwidrig verhalten, indem er mit einem ihm völlig unbekannten Mann den ungeschützten Analverkehr ausgeführt habe, obwohl das Risiko eines solchen Kontaktes allgemein bekannt gewesen sei. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 14. August 1991 zurückgewiesen.
Durch Urteil vom 6. Oktober 1993 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß - insbesondere im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Schädigers - die Tatbestandvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG gegeben seien, wonach derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes erhält; es liege jedoch der Versagungsgrund des § 2 Abs. 1 OEG vor, wonach Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren; hierbei setze die Leistungsversagung aus Unbilligkeit voraus, daß das tatfördernde Verhalten des Geschädigten schwer wiege und vorwerfbar sei, was besonders dann der Fall sei, wenn der Geschädigte in hohem Maße unvernünftig handele und sich erkennbar in eine Gefahrenlage begebe, in der er mit einer Schädigung rechnen müsse; diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Falle gegeben; der Kläger habe mit einem ihm völlig unbekannten Mann ungeschützten Analverkehr ausgeübt; dem Kläger sei auch bewußt gewesen, daß er als Homosexueller zu den besonderen "Risikogruppen" für eine AIDS-Infizierung gehöre; das habe er dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er zu dem Schädiger vor dem ersten Verkehr gesagt habe, er sei "sauber" bzw. "okay". Obwohl der Schädiger hierauf nichts erwidert habe, habe sich der Kläger nicht nochmals vergewissert und habe nicht einmal auf der Benutzung eines Kondoms bestanden; dieses Verhalten verstoße gegen ein Mindestmaß an Vernunft und Selbstverantwortung, zumal dem Kläger klar gewesen sei, daß der ungeschützte Analverkehr mit einem ihm völlig unbekannten, der Risikogruppe der Homosexuellen zugehörigen Mann ein unkalkulierbares Risiko einer AIDS-Infizierung in sich geborgen habe; es sei unbillig, ein solch leichtsinniges und leichtfertiges Verhalten, das nahezu zwangsläufig zu einem Gesundheitsschaden führen müsse, durch eine Entschädigung zu honorieren; eine solche Leistung der Allgemeinheit widerspreche dem Zweck des OEG, unschuldigen Opfern von Gewalttaten zu helfen; die staatliche Gemeinschaft habe grundsätzlich keine Verantwortung für die Folgen von selbst herbeigeführten Schädigungen zu übernehmen; wer sich leichtfertig in eine solche Gefahrenlage wie der Kläger begebe, mache die staatliche Sicherung gegenüber kriminellen Übergriffen wirkungslos.
Gegen dieses ihm am 18. Oktober 1993 zugegangene Urteil hat der Kläger mit einem am 18. November 1993 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt er aus, das SG habe nicht näher dargetan, wieso Homosexuelle besonders gefährdert seien; es gebe keinen Erfahrungssatz dahingehend, daß Homosexuelle in besonderem Maße mit Straftaten gegen Leib und Leben rechnen müßten, wenn sie mit anderen Homosexuellen verkehren; nur wenn er, der Kläger, sich in eine Situation begeben hätte, in der er mit einer rechtswidrigen Straftat hätte rechnen müssen, könnten ihm Leistungen nach dem OEG verweigert werden; in vorliegendem Fall sei er, der Kläger, Opfer einer rechtswidrigen Straftat geworden, mit der er nicht habe zu rechnen brauchen, die er auch nicht herbeigeführt habe; das SG habe auch die gesundheitliche Gefahrenlage hinsichtlich seines, des Klägers, Verhalten nicht richtig gesehen; er habe sich in einer Situation befunden, in der eine Offenbarungspflicht des Schädigers bestanden habe, wenn ein gesundheitliches Risiko vorhanden gewesen wäre; die Festsstellung des SG, er sei ein Risiko eingegangen, weil er die Antwort des Schädigers nicht abgewartet habe, sei falsch und gehe an der gegebenen Situation vorbei; es habe eine Situation bestanden, in der mit einer Äußerung seitens des Schädigers nur dann zu rechnen gewesen wäre, wenn ein gesundheitliches Risiko bestanden hätte; gerade dies habe ja letztendlich auch zur strafrechtlichen Verurteilung des Schädigers geführt; schließlich führe die Begründung des SG zu einer Diskriminierung von homosexuellen Opfern gegenüber heterosexuellen Opfern, wenn man der Begründung des SG folge, daß der Homosexuelle beim Geschlechtsverkehr sich in eine Gefahrenlage begebe, bei der es nicht mehr darauf ankomme, ob der Schädiger eine rechtswidrige Straftat verübe oder nicht.
Darüber hinaus hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgebracht, daß er sich im Homosexuellen-Milieu aufgehalten habe, sei nicht vorwerfbar; sein Verhalten in diesem Milieu sei auch adäquat gewesen; subjektiv sei ihm kein Vorwurf zu machen.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Oktober 1993 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. März 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens und des sonstigen Verfahrensganges wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
Es wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten, die Beiakte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, bezüglich deren Zulässigkeit sich keine Bedenken ergeben, ist unbegründet.
Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gem. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab, da die Berufung aus den erschöpfenden und überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen war. Aus den Gründen des Urteils des SG vom 06.10.1993 - S8/17 Vg 187/91:
Die Versorgungsbehörde hat zu Recht in den angefochtenen Bescheiden einen Anspruch des Klägers nach dem OEG verneint.
Gemäß § 1 Abs. 1 OEG erhält derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tatsächlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 31.01.1989 i.V.m. dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.10.1989 - 4 StR 318/89 - ist der Schädiger, der inzwischen verstorbene xxxxxxx xxxxxxx, wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden. Dem rechtskräftig festgestellten Sachverhalt ist zu entnehmen, daß die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG erfüllt sind.
Nach § 2 Abs. 1 OEG sind jedoch Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Die Leistungsversagung aus Unbilligkeit setzt voraus, daß das tatfördernde Verhalten des Geschädigten schwer wiegt und vorwerfbar ist, was besonders dann der Fall ist, wenn der Geschädigte in hohem Maße unvernünftig handelt und sich erkennbar in eine Gefahrenlage begibt, in der er mit einer Schädigung rechnen mußte (vgl. BSG, Breithaupt 1986, 243; BSGE 50, 95 (98); BSG-Urteil vom 03.10.1984 - Az.: 9 a RVg 6/83).
Dies Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Kläger handelte in hohem Maße vernunftwidrig und leichtfertig. Er übte mit einem ihm völlig unbekannten Mann ungeschützten Analverkehr aus. Dem Kläger war auch bewußt, daß er als Homosexueller zu den besonderen "Risikogruppen" für eine AIDS-Infizierung gehörte. Das brachte er dadurch zum Ausdruck, daß er zu dem Schädiger vor dem 1. Verkehr sagte, ich bin "sauber" bzw. "okay". Obwohl der Schädiger hierauf nichts erwiderte, vergewisserte sich der Kläger nicht nochmals und bestand nicht einmal auf der Benutzung eines Kondoms. Dieses Verhalten verstößt gegen ein Mindestmaß an Vernunft und Selbstverantwortung, zumal dem Kläger klar war, daß der ungeschützte Analverkehr mit einem ihm völlig unbekannten, der Risikogruppe der Homosexuellen angehörigen Mann ein unkalkulierbares Risiko einer AIDS-Infizierung in sich barg. Es ist unbillig, ein solch leichsinniges und leichtfertiges Verhalten, das nahezu zwangsläufig zu einem Gesundheitsschaden führen muß, durch eine Entschädigung zu honorieren. Eine solche Leistung der Allgemeinheit widerspricht dem Zwecke des OEG, unschuldigen Opfern von Gewalttaten zu helfen.
Die staatliche Gemeinschaft hat grundsätzlich keine Verantwortung für die Folgen von selbst herbeigeführten Schädigungen zu übernehmen. Wer sich leichtfertig in eine solche Gefahrenlage begibt, macht die staatliche Sicherung gegenüber kriminellen Übergriffen wirkungslos. Die Versorgungsbehörde hat somit zutreffend eine Entschädigung an den Kläger abgelehnt.
Auch das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz führt zu keiner anderen Beurteilung. Es ist - nicht zuletzt infolge der massiven Öffentlichkeitsarbeit hiermit befaßter Behörden - allgemein bekannt, daß der ungeschützte Analverkehr zwischen Homosexuellen ein besonders hohes Risiko einer Ansteckung mit dem HIV-Virus in sich birgt. Wer sich sehenden Auges in eine derart gefahrenträchtige Situation begibt, handelt in einem Maße leichtfertig, daß Entschädigungsleistungen zu versagen sind. Hierin kann auch keine Diskriminierung Homosexueller erblickt werden, da ein vergleichbar unvorsichtiges Verhalten in gleicher Weise bei Heterosexuellen zum Leistungsausschluß führt. Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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