L 4 KA 16/00

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 16 KA 595/99
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 16/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 2000 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten für beide Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung unter den Beteiligten nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die bedarfsunabhängige Zulassung des Klägers als psychologischer Psychotherapeut zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung.

Der 1953 geborene Kläger ist Diplom-Psychologe. Die Approbationsurkunde legte er dem Beklagten am 30. März 1999 vor. Er führt seit 1983 eine eigene Praxis, die er 1987 von Bayern nach Steinburg-Eichede in Schleswig-Holstein verlegt hat. Daneben war der Kläger von 1987 bis 1992 für eine Therapieeinrichtung für erwachsene Suchtkranke tätig. Seit 1992 leitet er die Fachklinik COME IN der Therapiehilfe e. V. H für suchtkranke Kinder und Jugendliche. Hierbei handelt es sich nach seinen eigenen Angaben um eine 3/4 Stelle.

Den Antrag des Klägers auf bedarfsunabhängige Zulassung für den Ort seiner Praxis vom 22. Dezember 1998 lehnte der Zulassungsausschuss mit Bescheid vom 7. Juni 1999 mit der Begründung ab, der Fachkundenachweis sei nicht erbracht und der Kläger habe im maßgeblichen Zeitraum vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997 (sogenanntes "Zeitfenster") nicht in ausreichendem Maße an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilgenommen. Der vom Kläger hiergegen eingelegte Widerspruch wurde vom Beklagten durch Bescheid vom 30. September 1999 zurückgewiesen. Zwar sah der Beklagte den Fachkundenachweis als erbracht an, er verneinte jedoch eine schützenswerte Vortätigkeit im "Zeitfenster", da der Kläger in dieser Zeit nur 105 Stunden an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen habe. Unter Hinweis auf die Motive des Gesetzgebers verlangte er eine Mindeststundenzahl von 250.

Gegen diesen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Oktober 1999 zugestellten Bescheid hat er am 2. November 1999 Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben. Mit Urteil vom 9. Mai 2000 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, den Kläger zur bedarfsunabhängigen vertragsärztlichen Versorgung als psychologischer Psychotherapeut zuzulassen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Kläger im "Zeitfenster" an der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen habe. Die Auffassung des Beklagten, dass hierfür die erbrachten 105 Stunden nicht ausreichten, sondern mindestens 250 Stunden erforderlich seien, finde im Gesetz keine Stütze.

Gegen dieses dem Beklagten am 22. Mai 2000 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 29. Mai 2000 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung beruft sich der Beklagte auf mehrere Urteile des Bundessozialgerichts vom 8. November 2000 (z. B. B 6 KA 52/00 R), die seine Rechtsauffassung bestätigt hätten. Es sei nicht belegt, dass der Kläger im "Zeitfenster" in dem vom Bundessozialgericht geforderten Umfang an der Versorgung der Versicherten teilgenommen habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er ist der Auffassung, dass auch unter Berücksichtigung der oben genannten Urteile des Bundessozialgerichts davon auszugehen sei, dass er im "Zeitfenster" in ausreichendem Maße an der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen habe. Er legt weitere Bescheinigungen von Krankenkassen über von ihm durchgeführte psychotherapeutische Behandlungstätigkeiten vor, aus denen sich seiner Ansicht nach der geforderte Mindestumfang von 250 Behandlungsstunden ergebe. Unabhängig davon sei auch seine Tätigkeit als Leiter der Fachklinik COME IN anzuerkennen. Er habe dort eigenverantwortlich dafür Sorge getragen, dass psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt wurden.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Der Senat hat Auskünfte der Krankenkassen, deren Mitglieder vom Kläger ambulant psychotherapeutisch behandelt worden sind, über den Umfang der erbrachten Leistungen eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Akten des Beklagten und der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2001, in der der Kläger gehört worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist auch begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf bedarfsunabhängige Zulassung als psychologischer Psychotherapeut zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Dies hat der Beklagte zu Recht entschieden. Das Urteil des Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Nach § 95 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) setzt die Berechtigung zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen die Zulassung zur vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Versorgung voraus. Gemäß § 95 Abs. 10 SGB V können psychologische Psychotherapeuten unter bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Bedarf und der späteren Anordnung von Zulassungsbeschränkungen zur psychotherapeutischen Versorgung zugelassen werden. Im Hinblick auf die im begehrten Planungsbereich bestehende Zulassungssperre wegen Überversorgung könnte sich der Kläger dort nur auf Grund einer bedarfsunabhängigen Zulassung niederlassen. Er erfüllt jedoch nicht das Tatbestandsmerkmal des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V, nämlich der "Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung" der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen im so genannten "Zeitfenster".

Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung der im Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. November 2000 (B 6 KA 52/00 R) vertretenen Rechtsauffassung an, dass diese Regelung mit Verfassungsrecht im Einklang steht. Danach sind die Einbeziehung der Psychotherapeuten in die Bedarfsplanung und die Bindung der Privilegierung einer bedarfsunabhängigen Zulassung als Psychotherapeut an die Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung der Versicherten in der Vergangenheit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine gegen die Entscheidung des Bundessozialgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 22. März 2001, 1 BvR 409/01, in MedR 2001, 515).

Wie das Bundessozialgericht in der oben genannten Entschei- dung näher ausgeführt hat, ist ein Behandlungsumfang von ca. 250 Stunden in einem halben bis einem Jahr während des "Zeitfensters" zur Konkretisierung des Begriffs der Teilnahme zu fordern. Dies wird vom Kläger nicht erfüllt.

Der Senat schließt sich auch insoweit der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts im oben genannten Urteil an, dass der Behandlungsumfang gegenüber Versicherten der Krankenkassen annähernd einer halbtägigen Tätigkeit entsprochen haben muss und die Behandlungen in der eigenen Praxis nicht gegenüber anderen beruflichen Tätigkeiten, sei es in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sei es gegenüber anderen Kostenträgern, von nachrangiger Bedeutung gewesen sein dürfen. Die Verweisung auf eine bedarfsabhängige Zulassung und der damit verbundene Zwang zu einem beruflichen Neuanfang an einem anderen als dem bisherigen Ort der ambulanten Tätigkeit kann nur dann eine unzumutbare Härte darstellen, wenn der bisherige ambulante Behandlungsumfang die Berufstätigkeit des Psychotherapeuten mitgeprägt hat oder objektiv nachvollziehbar darauf ausgerichtet gewesen ist. Danach muss die ambulante Behandlungstätigkeit nicht die einzige einkommensrelevante berufliche Tätigkeit gewesen sein, andererseits muss sie aber vom Umfang her für das gesamte Erwerbseinkommen bedeutsam gewesen sein. Eine Teilnahme im Sinne des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V kann daher ausgeschlossen werden, wenn im Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Psychotherapeuten im Zeitfenster andere Tätigkeiten gestanden haben und die ambulanten Behandlungen den Charakter einer Nebentätigkeit von untergeordneter Bedeutung hatten.

Die vorgelegten Aufstellungen der Krankenkassen über die Praxistätigkeit des Klägers sind zwar hinsichtlich der Zeiträume ungenau. Aber selbst bei einer Interpretation im Sinne des Klägers ergeben sich daraus keine 250 Stunden in einem halben bis einem Jahr, sondern dies lediglich bezogen auf das ganze "Zeitfenster" unter Einbeziehung der vom Beklagten bereits anerkannten 105 Stunden. Diese 105 Stunden lassen sich jedoch - wie der Beklagte selbst einräumt - anhand der Akten nur begrenzt nachvollziehen. Es befinden sich in den Akten lediglich zwei Kostenzusagen der BKK POST über jeweils 40 Stunden vom 17. Mai 1994 und 25. Oktober 1995.

Im Einzelnen ergibt sich aus den vorliegenden Aufstellungen der Krankenkassen Folgendes:

BKK POST 80 Stunden (1994 bis 1997) HMK 50 Stunden (1996 bis 1997) KKH 55 Stunden (1996) HEK 25 Stunden (1996 bis 1997) TK 50 Stunden (1993 bis 1995) DAK 24 Stunden (1997) 284 Stunden

Dazu kommen die 105 bereits anerkannten Stunden, wobei darin dann die 80 Stunden der BKK POST enthalten sind. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass nur 56 der 80 Stunden abgerechnet wurden. Insgesamt ergeben sich also im gesamten "Zeitfenster" maximal 309 Stunden. Selbst bei einer für den Kläger günstigsten Auslegung der unklaren Zeitangaben auf den Bescheinigungen der Krankenkassen lässt sich nicht konstruieren, dass ca. 250 Stunden dieser 309 Stunden in einem halben bis einem Jahr erbracht wurden.

Eine Betrachtung des gesamten "Zeitfensters" zeigt hingegen deutlich den geringen Behandlungsumfang. Ausgehend von 309 Stunden bei durchschnittlich 43 Arbeitswochen pro Kalenderjahr ergibt sich, dass im Durchschnitt 2,3 Behandlungsstunden pro Woche erbracht wurden. Selbst unter Hinzurechnung einer erheblichen Vorbereitungszeit für die erbrachten Behandlungsstunden lässt sich keine annähernd halbtägige Beschäftigung daraus ableiten.

Demgegenüber hat der Kläger mit einer Dreiviertelstelle (also mit etwa 30 Stunden wöchentlich) in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Auch insoweit legt der Senat die eigenen Angaben des Klägers seiner Entscheidung zu Grunde. Nach einer Auskunft des Arbeitgebers des Klägers wurde die Tätigkeit im "COME IN" sogar in Vollzeit ausgeübt. Dass damit die Tätigkeit in eigener Praxis nicht annähernd halbtägig und gegenüber der anderweitigen Berufsausübung nachrangig war, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung. Die ambulante Behandlungstätigkeit hat die Berufsausübung des Klägers mithin nicht entscheidend mitgeprägt.

Aus diesen Gründen - auf die ausführlichen Darlegungen des Bundessozialgerichts in dem oben genannten Urteil wird insoweit ausdrücklich Bezug genommen - hat der Kläger keinen Anspruch auf bedarfsunabhängige Zulassung. Die Berufung des Beklagten ist daher begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor. Die der Entscheidung des Senats zu Grunde liegenden Rechtsfragen sind durch mehrere Urteile des Bundessozialgerichts vom 8. November 2000 geklärt. Hiervon wird nicht abgewichen. sgBAUSTEIN/RM NIN2.RTF Belehrung: NZB Inland 2.Instanz.
Rechtskraft
Aus
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