L 1 U 168/03

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 20 U 307/01
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 U 168/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der am 1954 geborene Kläger ist gelernter Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfe, jedoch als Bankkaufmann tätig und bei der Beklagten versichert. Am 11. Mai 1999 erlitt er morgens auf dem Weg zu seinem Arbeitsort einen Verkehrsunfall. Hierzu äußerte er sich wie folgt: Er habe sich am Unfalltag gegen 7:38 Uhr stadteinwärts in Richtung Lübeck auf der stark befahrenen Ratzeburger Allee befunden. Es habe Stop-and-go-Verkehr geherrscht mit ampelbedingten Auflockerungen von bis zu 40 m zwischen den Fahrzeugen. Er habe nach ca. 50 m freier Fahrt verkehrsbedingt wieder stoppen müssen. Die Unfallgegnerin sei mit einer Annäherungsgeschwindigkeit, die er subjektiv auf 40-45 km/h schätze, auf sein Fahrzeug aufgefahren. Sie habe ihre Unachtsamkeit eingeräumt. Polizei sei nicht hinzugezogen worden.

Der Kläger begab sich am Unfalltag in die Behandlung der Fachärztin für Allgemeinmedizin M , G. In deren ärztlicher Unfallmeldung vom gleichen Tage sind als Befund angegeben beginnende Nackenmyogelosen und schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Kopfes in alle Richtungen. Es wurde die Diagnose eines HWS-Schleudertraumas gestellt. Röntgenaufnahmen hielt sie nicht für erforderlich. Auf dem ebenfalls zur Akte gelangten grünen Durchschlag dieser Meldung findet sich außerdem die handschriftliche Eintragung "Tinnitus bds.". Nach der Vorstellung bei Frau M fuhr der Kläger mit dem beschädigten PKW und nachfolgend öffentlichen Verkehrsmitteln zu seiner Arbeitsstelle. Er ging auch in der Folgezeit ununterbrochen seiner Arbeitstätigkeit nach.

In einem weiteren ärztlichen Unfallbericht des Orthopäden Dr. v. T , L , vom 28. Juni 1999 wurden außer dem bereits festgestellten HWS-Syndrom mit Rotationsfehlstellung, Rotationseinschränkung, Kopfgelenksblockierung und Streckhaltung der Befund eines zeitweiligen Tinnitus bds. erhoben. Knöcherne Verletzungen der Halswirbelsäule ergaben sich anhand von Röntgenaufnahmen nicht. Dies wurde auch bestätigt durch Berichte des Radiologen Dr. Ma , L , vom 9. September 1999 und des Dr. v. T vom 7. September 1999, in dem allerdings von einer am 28. Juni 1999 "extrem schmerzhaften" HWS die Rede ist. Der Tinnitus sei nunmehr zeitweise aufgehoben. Der Kläger sei aber mit der Tinnitussituation, bei der er einen Unfallzusammenhang sehe, nicht zufrieden. Zum Tinnitus gab Dr. v. T in einem abschließenden Bericht an die Beklagte vom 23. November 1999 an, der Kläger habe noch wechselnde Ohrgeräusche.

Der Kläger selber hatte mit Schreiben vom 31. Juli 1999 gegenüber der Beklagten erklärt, der Tinnitus sei 1 bis 2 Tage nach dem Unfall erstmals aufgetreten.

In einem Attest des HNO-Arztes Dr. K , L , vom 9. Juli 1999 heißt es, das zwischen 4000 und 6000 Hz liegende Ohrgeräusch des Klägers sei möglicherweise Folge des Schleudertraumas. Der otoskopische Befund sei unauffällig.

Die Beklagte holte ein chirurgisches Fachgutachten des Dr. Ka , H , vom 6. Dezember 2000 ein, in welchem es hieß: es lägen dauerhafte unfallbedingte Schädigungsfolgen beim Kläger nicht vor. Insbesondere sei der wechselhaft aufgetretene Tinnitus nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Hierfür bedürfe es zumindest eines verletzungsspezifischen Erstbefundes im oberen Abschnitt der HWS im Bereich der Kopfgelenke. Dieser sei zu keinem Zeitpunkt erhoben worden. Auch die Kernspintomographie habe keine Anhaltspunkte für eine Verletzung ergeben. Bei dem Tinnitus handele es sich um ein unspezifisches Symptom, das differentialdiagnostisch zahlreichen Gesundheitsstörungen zuzuordnen sei. Insbesondere der wechselhafte Verlauf des Tinnitus lasse eine Verletzungsspezifität nicht erkennen. Eine Streckhaltung der Halswirbelsäule des Klägers sei im übrigen anhand eines Röntgenbefundes bereits im Jahr 1998 nachweisbar.

Mit Bescheid vom 17. Januar 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen des Unfalls vom 11. Mai 1999 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Als Unfallfolge sei eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule anzuerkennen. Die weiteren Beschwerden des Klägers (Streckhaltung der Halswirbelsäule, Tinnitus) mit über den 28. Juni 1999 hinausgehender Behandlungsbedürftigkeit seien unfallunabhängig.

Der Kläger erhob rechtzeitig Widerspruch. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das Gutachten des Dr. Ka sei unrichtig. Der Unfall sei nicht, wie von Dr. Ka angenommen, im Stop-and-go-Verkehr erfolgt, sondern bei einer Aufprallgeschwindigkeit von geschätzt 40-45 km/h. Der Tinnitus sei, worauf er stets hingewiesen habe, in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall erstmals aufgetreten und auch nicht erst am 28. Juni 1999 beschrieben worden. Unmittelbar nach dem Unfall seien Kopfschmerzen und Kopfdruck, verbunden mit dem Gefühl einer brillenformartigen Schwellung um die Augen aufgetreten, außerdem Zittern, Schweißausbrüche und eine Spannung im Nacken. Der Tinnitus sei nicht zeitweilig vorhanden, sondern überwiegend und verschwinde immer nur kurzzeitig. Die medizinischen Bewertungen des Gutachters hinsichtlich des Tinnitus seien nicht belegt und unplausibel. So habe er den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Auffahrunfall und erstmaligem Auftreten des Tinnitus nicht beachtet und sich mit den Ausführungen des Dr. K und des Dr. v. T nicht auseinandergesetzt. Ein neues Gutachten sei erforderlich.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2001 – ohne Zustellnachweis - zurück. Dem Gutachten des Dr. Ka sei zu folgen. Darin seien die Angaben des Klägers in tatsächlicher Hinsicht berücksichtigt worden. Gleichwohl bestehe nicht die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Unfallereignis den Tinnitus verursacht habe. Der zeitliche Zusammenhang reiche nicht aus. Ohrgeräusche träten nicht nur als Folge von Halswirbeltraumen, sondern auch im Rahmen allgemeiner Missempfindungen und des Unwohlseins auf sowie nach strenger Bettruhe und nach Verletzungen. Im Fall des Klägers sei angesichts der geringen Schwere der Unfallschäden schon fraglich, ob überhaupt Ohrgeräusche entstanden sein könnten. Eine wesentliche Schwerhörigkeit sei beim Kläger nicht festgestellt worden. Auch andere objektivierbare pathologische Befunde seien von Dr. K nicht erhoben worden.

Mit seiner am 4. Oktober 2001 bei dem Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Widerspruchsbescheid sei seinen Prozessbevollmächtigten am 4. September 2001 zugegangen. Das Gutachten des Dr. Ka sei aus den im Widerspruchsverfahren dargelegten Gründen unbrauchbar. Das Unfallgeschehen habe nicht nur, wie vom Gutachter angenommen, zu einer geringen Schädigung in Gestalt einer leichten Zerrung, sondern zu einer extrem schmerzhaften Situation im Bereich der HWS geführt. Ärztlicherseits sei eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestätigt worden; er habe sich dennoch nicht krankschreiben lassen. Der unfallbedingte Ursachenzusammenhang sei im Zivilgerichtsverfahren von der Gutachterin Dr. E bestätigt worden.

Zwischenzeitlich hatte der Kläger erfolgreich zivilrechtliche Ansprüche gegen die Unfallgegnerin und deren Versicherung geltend gemacht. Im Gegensatz zum Amtsgericht war das Landgericht Lübeck auf der Grundlage eines HNO-ärztlichen Gutachtens der Frau Dr. E , Lübeck, vom 28. Mai 2001 zu der Auffassung gelangt, in Anlehnung an die Grundsätze über den Anscheinsbeweis müsse bei Verkehrsunfällen, bei denen wie vorliegend die objektiv feststellbaren Gegebenheiten den Eintritt eines Tinnitus als Folge eines Zusammenstoßes naheliegend erscheinen ließen, die Beweislast dafür, dass dies nicht eingetreten sei, beim Unfallverursacher liegen, da anderenfalls ein – objektiv schwer feststellbarer – Tinnitus nie zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen könne (Urteil vom 27. Februar 2003 – 14 S 352/02 -).

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MdE von zumindest 20 v. H. wegen der Folgen des Wegeunfalles vom 11. Mai 1999 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts das genannte Gutachten von Frau Dr. E sowie das im Verfahren des SG Lübeck S 2 U 8/98 erstattete Gutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. R , K , beigezogen. Ferner hat es ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. F , L , vom 27. August 2003 eingeholt.

Mit Urteil vom 4. November 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rentengewährung gem. § 56 SGB VII lägen nicht vor, weil eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v. H. infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus beim Kläger nicht eingetreten sei. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Tinnitus sei nicht beweisbar. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen solchen Ursachenzusammenhang bestehe nicht. Diese Beweisanforderung seien im Unfallversicherungsrecht allgemein und auch im konkreten Fall maßgeblich; die Erwägungen des LG Lübeck seien daher jedenfalls nicht übertragbar. Nach wissenschaftlicher Lehrmeinung könnten Ohrgeräusche grundsätzlich als Folge von HWS-Schleudertraumen auftreten, wobei die Wahrscheinlichkeit mit der Schwere der primären Schädigung zunehme. Bei einer nur leichten HWS-Distorsion wie hier sei die Möglichkeit der Entstehung von Ohrgeräuschen umstritten. Jedenfalls müssten dann gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten sein, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Solche Befunde fehlten im Fall des Klägers vollständig, wie sich in HNO-ärztlicher Hinsicht den Stellungnahmen von Dr. K und Dr. E entnehmen lasse. Die Ursächlichkeit des Unfallereignisses für den vom Kläger nur subjektiv wahrgenommenen Tinnitus werde von Frau Dr. E nur behauptet, nicht aber belegt. Sie entspreche nicht der wissenschaftlichen Lehrmeinung. Das ergebe sich aus den Gutachten von Dr. F und Prof. Dr. R. Überdies fehlten auch chirurgisch- orthopädische Verletzungsfolgen. Die Kammer folge insoweit dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. Ka. Auch aus dem übrigen Akteninhalt ergäben sich keine Anhaltspunkte für Verletzungen im Bereich der HWS. Das werde auch durch den verhältnismäßig geringen Schaden und die Tatsache bestätigt, dass der Kläger seine Fahrt habe fortsetzen können. Schließlich stehe dem geltend gemachten Rentenanspruch entgegen, dass, wie dem Gutachten von Dr. F zu entnehmen sei, in keinem Fall eine MdE von 20 v. H. erreicht werde.

Gegen dieses am 20. November 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die am Montag, den 22. Dezember 2003 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Er hält der Entscheidung unter Hinweis auf die Ansicht des LG Lübeck entgegen, die in ihr aufgestellten Kausalitätsanforderungen führten zur Entrechtung der unter einem – nicht objektivierbaren – Tinnitus leidenden Versicherten, da der Beweis so gut wie nie zu führen sein werde. Das Sozialgericht sei überdies dem unschlüssigen und auf unrichtigen Annahmen basierenden Gutachten von Dr. F zu Unrecht gefolgt und habe demjenigen von Dr. E , das in der fachärztlichen Literatur nicht allein stehe, keine ausreichende Bedeutung beigemessen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MdE von zumindest 20 v. H. wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. Mai 1999 zu gewähren, hilfsweise, einen Tinnitus als Unfallfolge anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf ihre Bescheide.

Der Senat hat einen Befund- und Behandlungsbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. J vom 15. Juni 2004 sowie des HNO-Arztes Prof. Dr. S vom 24. Mai 2004 beigezogen. Auf Antrag des Klägers hat er gem. § 109 SGG das Gutachten der Frau Dr. E vom 12. August 2004 eingeholt.

Abschließend hat der Senat den HNO-Arzt Dr. La gehört, der sein Gutachten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. April 2005 näher erläutert hat. Das Ermittlungs- und Beweisergebnis ist den Beteiligten bekannt.

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte und die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht seine Klage abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch weder auf Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung noch auf Feststellung des Tinnitus als Folge des Wegeunfalls vom 11. Mai 1999.

Der Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente setzt nach § 56 SGB VII voraus, dass infolge eines Versicherungsfalls eine Erwerbsminderung über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus in Höhe von wenigsten 20 v. H. eingetreten ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Eine versicherte Tätigkeit liegt - wie hier - auch beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit vor (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen ist somit die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne, d. h. der Unfall muss eine nicht hinweg zu denkende Bedingung für den Eintritt des Schadens gewesen sein. Bereits dieser Ursachenzusammenhang besteht hier nicht.

Der Senat geht allerdings aufgrund der insoweit übereinstimmenden Stellungnahmen der Hals-, Nasen- und Ohrenärzte Dr. v. T , Dr. K , Frau Dr. E und Dr. La davon aus, dass der Kläger tatsächlich unter Tinnitus leidet. Das von den Betroffenen wahrgenommene Ohrgeräusch ist zwar nicht objektivierbar. Dr. La hat jedoch überzeugend ausgeführt, dass durch das sog. Tinnitusmatching eine verlässliche Testmethode zur Verfügung steht, wobei das Ohrgeräusch vom Probanden selbst anhand von Verdeckungsgeräuschen bestimmten Frequenzen zugeordnet wird. Diese sind beim Kläger beidseitig annähernd gleich. Es hat danach keine Anhaltspunkte für Aggravation oder gar Simulation gegeben. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Feststellungen, die bis auf eine nunmehr geringfügig erhöhte Frequenz des Ohrgeräuschs mit denjenigen von Frau Dr. E in ihrem für das Amtsgericht Lübeck erstellten Gutachten übereinstimmen, in Zweifel zu ziehen.

Wie für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen angeschuldigtem Ereignis und eingetretener Verletzungsfolge erforderlich ist (BSGE 58, 76), muss es mindestens hinreichend wahrscheinlich sein, dass das Unfallereignis vom 11. Mai 1999 ursächlich für den bei dem Kläger aufgetretenen Tinnitus geworden ist. Das wäre dann der Fall, wenn die Gründe für eine solche Kausalität die dagegen sprechenden deutlich überwögen (BSG, Urteil vom 2. Februar 1978, Az: 8 RU 66/77BSGE 45, 285 -). Nach Auswertung aller fachärztlicher Stellungnahmen und Unterlagen kommt der Senat jedoch zum gegenteiligen Ergebnis.

Bei der Anerkennung eines Tinnitus als Folge eines HWS-Traumas ist folgendes zu bedenken: HWS-Traumata können einen Tinnitus auslösen; ob auch in ihrer leichtesten Erscheinungsform, ist allerdings stark umstritten. Ein Ohrgeräusch als Folge einer Halswirbelsäulendistorsion ist um so wahrscheinlicher, je schwerer die Primärschädigung sei. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang muss nicht bestehen. Im Vordergrund unfallbedingter Schädigungen des Hör- und Gleichgewichtsorgans stehen Gleichgewichtsstörungen. Sie gehen typischerweise einher mit einseitigen Schallempfindungsstörungen mit flachem Kurvenverlauf, also unter Beteiligung aller Frequenzen. Dementsprechend sollte das Ohrgeräusch nach Halswirbelsäulenschädigungen auch tief- bis mittelfrequent sein (Gutachten Prof. Dr. R vom 12. Februar 1999).

Feldmann, Gutachten des HNO-Arztes, 1997, zitiert im Gutachten von Prof. R , führt zusätzlich folgendes aus: Tinnitus als Folge eines Traumas könne nur dann ausreichend wahrscheinlich gemacht werden, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten seien, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Tinnitus als alleiniges Symptom lasse sich in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen.

Nach diesen ärztlichen Meinungen spricht für einen unfallbedingten Tinnitus nur der zeitliche Zusammenhang mit dem angeschuldigten Unfallgeschehen. Dagegen spricht die fehlende Schädigung des Hör- und Gleichgewichtsorgans. Das gilt angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. R zur Bedeutung der Primärschädigung für die Eintrittswahrscheinlichkeit des Tinnitus erst recht deswegen, weil auch die unmittelbaren Unfallfolgen nicht sehr bedeutsam waren und folgenlos abgeheilt sind. Die nach dem Unfall erstatteten Befundberichte von Frau M und Dr. v. T wie auch das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. Ka ergeben, dass knöcherne Verletzungen der Halswirbelsäule sicher nicht vorlagen. Welches Ausmaß die unfallbedingte Streckung erreicht hat, ist dagegen nicht eindeutig. Dr. v. T hat erst nachträglich von einer "extrem schmerzhaften" Halswirbelsäule gesprochen; am Untersuchungstag selbst befundete er lediglich ein HWS-Syndrom mit Rotationsfehlstellung, Rotationseinschränkung, Kopfgelenksblockierung und Streckhaltung, ohne auf die Schmerzintensität einzugehen. Am 7. September 1999 soll nach mehrfacher manueller Deblockierung eine "deutlichste" Beschwerdelinderung im Bereich der HWS eingetreten sein. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Unfall weiter gefahren und ununterbrochen seiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Aus diesen Umständen entnimmt der Senat, dass eine nur leichte HWS-Distorsion (Schweregrad I nach Erdmann) vorgelegen hat, bei der ein traumatisch bedingter Tinnitus gar nicht (Dr. Ka ) oder nur im Zusammenhang mit hier nicht vorliegenden Schäden der Hör- und Gleichgewichtsorgane bzw. neurologischen Ausfällen (Dr. F , Prof. Dr. R , F , Dr. La ) auftreten kann. Dafür spricht auch der nach den vorliegenden Unfallfotos nur sehr geringe Schaden am Fahrzeug des Klägers, der sich auf eine Deformierung des Stoßfängers und leichte Eindellungen an der Karosserie unterhalb der Heckklappe beschränkt.

Hinzu kommt, dass nach Prof. Dr. R typischerweise nur Ohrgeräusche mittel- und niederfrequenter Art unfallbedingt sein können. Auch diese liegt beim Kläger nicht vor.

Mit diesen Feststellungen folgt der Senat den Gutachten von Prof. Dr. R , Dr. F , Dr. Ka und Dr. La , die ihn in vollem Umfang überzeugt haben. Dadurch ist die Auffassung von Dr. E widerlegt.

Frau Dr. E zitiert Claußen mit Beobachtungen an HWS-Patienten, wonach 14 % von ihnen über Tinnitus klagen, obwohl nur 5 % eine nachweisbare Hörminderung hätten. Sie ist der Auffassung, im Rahmen von HWS-Schleudertraumata könne eine Tinnitussymptomatik auch ohne begleitende Innenohrhörstörung auftreten.

Dem ist Dr. La in seinem Gutachten mit dem Hinweis entgegengetreten, die Studie von Oosterveld et al. 1992, auf die sich auch Claußen stütze, sei methodisch mangelhaft. Es habe sich um selektiertes Patientengut gehandelt. Zum Teil hätten sich die Patienten aufgrund von Begutachtungen in der Klinik eingefunden. Nach möglichen Vorschäden vor dem Unfall sei nicht gefragt worden. Im übrigen hat sich Dr. La der Meinung angeschlossen, für das Entstehen eines isolierten chronischen Tinnitus nach einem Unfallereignis mit Halswirbelsäulendistorsionstrauma gebe es keinen hinreichenden Beleg.

Nach alledem ist der beim Kläger aufgetretene Tinnitus nicht mit Wahrscheinlichkeit durch das Unfallereignis vom 11. Mai 1999 verursacht worden. Die mit dem Hauptantrag begehrte Gewährung einer Verletztenrente scheitert - von den obigen tragenden Gründen abgesehen - überdies, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat und durch das Gutachten von Dr. La bestätigt wird, an der gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII erforderlichen Intensität der Erwerbsminderung von wenigstens 20 v. H.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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