L 5 U 158/03

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 5 U 200/01
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 U 158/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. August 2003 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat dem Beigeladenen die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Beigeladene Max R am 13. Januar 2001 einen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall erlitten hat.

Der Kläger (geboren 1940) war gelernter Klempner und Installateur und später als Kesselbauer beschäftigt. Der Beigeladene Herr R (geboren 1937) hatte den Beruf eines Müllers erlernt, war später als Kraftfahrer tätig und im Zeitpunkt des Unfalls Rentner. Beide wohnen drei Häuser voneinander entfernt in dem Ortsteil F (90 Einwohner) 3 bis 4 km außerhalb des Dorfes N (Kreis D ). Sie kennen sich seit 1994, als der Kläger dorthin zog. Zwischen beiden herrschte ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis. Beide duzten sich und hatten sich in der Vergangenheit verschiedentlich gegenseitig geholfen, z.B. auf dem Grundstück des Klägers beim Bau eines Gewächshauses (2 x 3 x 2,5 m), beim Anbringen von Dachverblendungen und beim Anschrauben von 5 m langen Aluminiumplatten auf dem Dach sowie auf dem Grundstück von Herrn R beim Zusammenbau eines Gartenhaus-Sets und bei der Reparatur einer Wasserleitung. Diese Hilfeleistungen geschahen auf Grund des Nachbarschaftsverhältnisses und stets unentgeltlich. Es gehörte dazu, bei längeren Hilfeleistungen gemeinschaftlich Kaffee zu trinken oder zusammen Mittag zu essen. Anschließend setzten sie die Arbeit fort, wie sie Lust und Zeit hatten.

Das Grundstück des Klägers ist 1.900 qm groß. Er bewohnt dort ein Einfamilienhaus und nutzt die übrige Fläche als Hausgarten. Auf dem Nachbargrundstück standen drei Bäume, deren Äste auf das Grundstück des Klägers ragten. Diese Äste drohten auf sein Grundstück zu fallen und dort Schäden anzurichten. Der Kläger hatte mit seinem Nachbarn ausdrücklich vereinbart, dass er die herüberragenden Äste absägen durfte. Die hierzu nötigen Arbeiten sollten mehrere Tage dauern, das verwertbare Holz verschenkt werden. Herr R hatte früher schon Ausästungsarbeiten bei Verwandten vorgenommen. Er erbot sich, auch dem Kläger unentgeltlich bei diesen Arbeiten zu helfen. Die benötigte Kettensäge und die Leiter stellte der Kläger zur Verfügung. Es war nicht verabredet, wer welche Arbeiten ausführen sollte. Jeder packte dort an, wo Arbeit war. Am 12. Januar 2001 hatten der Kläger und Herr R bereits zwei Bäume ausgesägt und dafür 5 bis 6 Stunden gebraucht. Zwischendurch hatten sie Kaffee-, Mittags- und Frühstückspausen gemacht und sich im Haus des Klägers aufgewärmt. Am 13. Januar 2001 wollten sie den dritten Baum ausästen, dessen Stamm in 1 m Höhe einen Umfang von 2 m hatte. In etwa 5 m Höhe befand sich ein Ast, der am Stamm 27 cm Durchmesser hatte. Herr R sägte diesen Ast halb an und wollte dann mit Hilfe der Leiter vom Baum steigen. Während des Absteigens brach dieser mit einem Sicherungsseil gesicherte Ast ab. Ob er gegen Herrn R oder die Leiter schlug, ist nicht geklärt. Jedenfalls stürzte Herr R aus etwa 4 m Höhe kopfüber von der Leiter und zog sich dabei eine Querschnittslähmung zu.

Mit Bescheid vom 27. März 2001 und Widerspruchsbescheid vom 28. September 2002, die an Herrn R gerichtet waren, lehnte es die Beklagte ab, den Unfall zu entschädigen. Es liege nach den Äußerungen des Klägers vom 14. März und 22. August 2001 und einer Ortsbesichtigung kein Arbeitsunfall vor. Herr R habe am 13. Januar 2001 aufgrund des besonderen nachbarschaftlichen Verhältnisses geholfen. Diese nachbarschaftlichen Beziehungen hätten die Hilfe geprägt. Deshalb liege auch keine versicherte arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Siebentes Buch (SGB VII) vor.

Der Kläger, der am 29. Mai 2001 ebenfalls Widerspruch erhoben hatte, erhielt von dem Widerspruchsbescheid Kenntnis. Daraufhin hat er am 31. Oktober 2001 Klage beim Sozialgericht Itzehoe erhoben und vorgetragen: Es habe sich sehr wohl um einen Arbeitsunfall gehandelt. Die von Herrn R versicherte Arbeit sei nach § 2 Abs. 2 SGB VII versichert gewesen. Denn solche Baumarbeiten würden üblicherweise von Facharbeitern ausgeführt.

Er hat beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Sep- tember 2001 aufzuheben, 2. festzustellen, dass die durch das Unfallgeschehen vom 13. Januar 2001 beim Geschädigten Max R eingetretenen Gesundheitsstörungen die Folge eines Arbeitsunfalls gewesen sind.

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten und hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat Herrn R beigeladen, diesen und den Kläger persönlich angehört und mit Urteil vom 7. August 2003 festgestellt, dass die am 13. Januar 2001 eingetretenen Gesundheitsstörungen Folge eines Arbeitsunfalls sind. In den Entscheidungsgründen ist im Wesentlichen ausgeführt: Es liege eine verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage vor. Sie sei begründet, weil die ergangenen Bescheide rechtswidrig seien. Herr R habe eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII verrichtet, als er am 13. Januar 2001 verunglückte. Nach dem Gesamtbild der Tätigkeit habe das Ausästen der Kastanie wirtschaftlichen Wert für den Kläger gehabt. Solche Arbeiten würden normalerweise von Arbeitnehmern in Gartenbaubetrieben verrichtet. Die Mithilfe habe dem Willen des Klägers entsprochen. Die Gefährlichkeit und die Dauer der Arbeiten über zwei Tage sprächen gegen eine Gefälligkeitshandlung, wie sie die Beklagte annehme. Diese habe durch einen Mitarbeiter festgestellt, dass die Arbeiten auch fachgerecht ausgeführt worden seien. Die Beklagte habe Herrn R Entschädigungsleistungen zu erbringen.

Gegen dieses der Beklagten am 12. November 2003 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die bereits am 8. Dezember 2003 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Sie trägt vor: Die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Herrn R und dem Kläger seien sehr gut gewesen. Das ergebe sich aus den vorangegangenen umfangreichen Hilfeleistungen. Dabei habe es sich auch um gefährliche Arbeiten wie Dachdeckerarbeiten gehandelt. Deshalb sei es nicht überzeugend, aus der Dauer und der Gefährlichkeit auf eine arbeitnehmerähnliche Arbeit am 13. Januar 2001 zu schließen. Es habe ein unversichertes Gefälligkeitsverhältnis vorgelegen. Die Definition eines Gefälligkeitsverhältnisses ergebe sich aus den Richtlinien für die Durchführung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (Amtsblatt für Schleswig-Holstein 1996, S. 609). Diese Voraussetzungen seien erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. August 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Er werde von Herrn R auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Dessen Anwälte hätten bereits mit Klage gedroht, da Herr R die Auffassung vertrete, der Kläger habe fahrlässig das Sicherungsseil zu früh losgelassen. Entsprechenden Schriftwechsel lege er vor.

Der Beigeladene stellt den Antrag:

Das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Dem Senat liegen die Herrn R betreffenden Unfallakten sowie die Gerichtsakten vor. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf ihren Inhalt wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Das sozialgerichtliche Urteil vom 7. August 2003 hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Der Kläger ist zwar nach § 109 SGB VII klagebefugt. Danach kann derjenige ein Sozialgerichtsverfahren betreiben, der in der Haftung nach §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist und gegen den der Versicherte Schadensersatzforderungen erhebt. Die Vorschrift geht von eigenen schutzwürdigen Interessen der haftungsprivilegierten Person aus. Sie kann das Verfahren auch gegen den Willen des Geschädigten betreiben und in jedem Stand fortsetzen. Das bedeutet, dass der Haftungsprivilegierte auch berechtigt ist, die an den Verletzten ergangenen Bescheide aufheben zu lassen. Er kann alle Feststellungen nach § 108 SGB VII treffen lassen. Dazu gehört auch die Feststellung, dass ein Arbeitsunfall vorliegt. Eine solche Aufhebungs- und Feststellungsklage hat der Kläger erhoben. Wie seine aktenkundigen Schreiben an den Kläger vom 7. Februar, 27. April und 10. Mai 2001 sowie vom 4. und 25. Juli 2002 belegen, erhebt Herr R auch Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen gegen den Kläger, weil dieser den Unfall fahrlässig verursacht habe.

Die erhobene Klage scheitert aber daran, dass der Kläger von der Haftung nicht nach § 104 SGB VII befreit ist. Dazu müsste ein versicherter Arbeitsunfall gemäß § 8 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 SGB VII vorliegen. Das ist aber nicht der Fall.

Herr R hat am 13. Januar 2001 keinen nach SGB VII versicherten Unfall erlitten. Nach § 8 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 müssen für einen versicherten Arbeitsunfall folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein:

1. Die Tätigkeit, bei der der Unfall eingetreten ist, muss wirtschaftlichen Wert für das unterstützte Unternehmen haben. Als Unternehmen definiert § 121 Abs. 1 Satz 1 SGB VII unter anderem jede Tätigkeit, die ohne jegliche Anforderung an Organisation, sächliche, persönliche und finanzielle Mittel, Dauer und Umfang durch ein zielgerichtetes Handeln charakterisiert ist (Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 121 SGB VII Rdz. 4).

2. Die unfallbringende Tätigkeit muss dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen.

3. Die Tätigkeit muss der Art sein, dass sie auch ein Arbeitnehmer verrichten würde.

4. Schließlich muss sie konkret unter arbeitnehmerähnlichen Umständen ausgeführt werden.

Bei der Prüfung dieser Tatbestandsmerkmale ist nicht auf die einzelne Handlung abzustellen, sondern auf das Gesamtbild der Tätigkeit (Kasseler Kommentar, a.a.O., § 2 SGB VII Rdz. 105 ff.; BSG, Breithaupt 1992, S. 903). Die obigen Voraussetzungen sind nicht alle erfüllt.

Die Arbeiten am 12. und 13. Januar 2001 hatten wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen des Klägers. Unternehmen des Klägers war sein Haushalt und speziell hier die Bearbeitung seines Grundstücks. Dazu gehörte auch das Abschneiden der überhängenden Äste. Obwohl diese überhängenden Äste nach § 910 BGB von seinem Nachbarn hätten abgesägt werden müssen, hatte auch der Kläger ein massives eigenes Interesse an deren Beseitigung. Er befürchtete, sie könnten auf sein Grundstück fallen und hier Schaden anrichten. Wenn er die Äste absägte, betrieb er nicht ein Unternehmen für den Nachbarn, sondern ein eigenes. Außerdem hatte er durch die Einigung mit seinem Nachbarn diese Arbeit zu seiner eigenen gemacht.

Die Ausästungsarbeiten entsprachen auch dem Willen des Klägers und waren von der Art, dass sie auch ein Arbeitnehmer verrichten würde. Solche Ausästungen werden von Arbeitnehmern in Gartenbaubetrieben oder in Firmen der Landschaftspflege gewerblich ausgeführt.

Die Arbeiten entsprachen aber ihrem Gesamtbild nach nicht einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit. Schon das freiwillige Anerbieten, beim Ausästen unentgeltlich zu helfen, spricht gegen eine arbeitnehmerähnliche Arbeit. Denn Arbeitnehmer handeln im Allgemeinen nur nach Aufforderung und nur gegen Entgelt oder sonstige materielle Vorteile. Davon war hier jedoch nicht die Rede. Das gemeinsame Frühstück und Essen im Haus des Klägers war kein Entgelt. Es erfolgte, weil es unter guten Nachbarn eine gesellschaftliche Gepflogenheit ist, wenigstens für das leibliche Wohl zu sorgen, wenn man schon unentgeltlich Hilfe bei länger dauernden Arbeiten erhält. Zwar stellte der Kläger das Arbeitsgerät. Herr R war aber ansonsten in keiner Weise in das Unternehmen des Klägers eingegliedert. Ein arbeitnehmerähnliches Über-Unterordnungsverhältnis zwischen dem Kläger und Herrn R fehlte völlig. Beide waren handwerklich erfahren und konnten mit einer Kettensäge umgehen. Der Kläger hatte dies beim Holzsägen für seinen Kamin erlernt und Herr R beim Ausästen von Bäumen bei seinen Verwandten. Es gab keinen Einsatzplan, wonach der Geschicktere oder Erfahrenere auf den Baum steigen sollte. Jeder machte das, was an Arbeit anfiel. Deshalb arbeiteten sie auch nach den Pausen dann weiter, wenn sie wieder Lust und Zeit hatten. All dies sind Arbeitsweisen, die in einem Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnis unüblich sind. Schließlich spricht auch die Tatsache, dass der Kläger schon öfter bei Herrn R unentgeltlich geholfen hatte, für eine Arbeit aus nachbarlicher Hilfsbereitschaft. Es versteht sich unter guten Nachbarn, dass man selbst hilft, wenn man schon einmal Hilfe bekommen hat oder in Zukunft erwartet.

Die Dauer der Arbeit über zwei Tage ist kein Argument für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. März 1992 - 2 RU 6/91 - kann die Dauer der Arbeit zwar eines von vielen Indizien sein, eine arbeitnehmerähnliche Verrichtung anzunehmen. Unter Nachbarn sind aber auch länger andauernde Hilfeleistungen nicht ungewöhnlich. Das zeigt sich gerade in dem vorliegenden Nachbarschaftsverhältnis, das auch vor dem Unfall schon von längeren Hilfeleistungen wie z.B. beim Dachdecken oder beim Aufbau eines Gartenhaus-Sets geführt hatte. Größere Bedeutung als der Arbeitsdauer kommt der Willensrichtung der Beteiligten zu. Diese war aber insgesamt von nachbarlicher Hilfeleistung geprägt.

Aus dem gleichen Grunde lässt sich auch nicht aus der Gefährlichkeit der Ausästungsarbeiten auf eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit schließen. Gefährliche Arbeiten in Haus und Garten wird ein Grundstückseigentümer normalerweise durch einen Werkvertrag an einen fremden Unternehmer vergeben. Dieser muss dann selbst oder mit seinen Arbeitnehmern den gefährlichen Auftrag in eigener Verantwortung ausführen. Würde der Grundstückseigentümer für gefährliche Arbeiten einen Arbeitnehmer einstellen, träfen ihn weiterhin Aufsichts- und Fürsorgepflichten. Diese will er aber gerade wegen der Gefährlichkeit der Arbeiten abwälzen. Die Gefährlichkeit der Arbeit wird deshalb in aller Regel nur ein sehr schwaches Argument für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit sein. Im vorliegenden Fall ist das schlagkräftigste Argument im Gesamtbild und in der Handlungstendenz zu sehen. Diese waren aber von den lang andauernden guten nachbarschaftlichen Beziehungen beherrscht.

Nach alldem liegt kein Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Es besteht kein Grund, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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