L 6 B 200/05 AS ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 9 AS 209/05 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 200/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 8. Juli 2005 geändert. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller in Abänderung des Bescheides vom 4. Mai 2005 ab 1. April 2005 Grundsicherungsleistungen nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 1 SGB II zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten. Dem Antagsteller wird für beide Instanzen Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwältin S , B S , beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die die Antragsgegnerin durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mai 2005 seit dem 1. April 2005 eingestellt hat. Hintergrund ist, dass der drogenabhängige Antragsteller eine am 30. März 2005 empfangene Erbschaft in Höhe von 24.000,00 EUR laut eingereichten Quittungen dazu verwendet hat, Schulden aus den Jahren 1992, 1994 und 2002 zu begleichen. Er hat den genannten Bescheid angefochten und vor dem Sozialgericht beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hält den Eilantrag für unbegründet. Die behaupteten Darlehnsrückzahlungen seien nicht nachgewiesen. Sie hat sinngemäß beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und - mangels hinreichender Erfolgsaussicht - den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 8. Juli 2005 abgelehnt und im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe ein Anordnungsgrund, aber kein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hätte die Erbschaft für seinen Lebensunterhalt einsetzen müssen.

Mit seiner dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde hat der Antragsteller sinngemäß geltend gemacht, er habe keine Mittel zum Lebensunterhalt mehr. Der Verweigerung von Grundsicherungsleistungen fehle die gesetzliche Grundlage.

Er beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 8. Juli 2005 zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für die Zeit ab dem 1. April 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen. Die Akten der Antragsgegnerin und des Verfahrens S 9 AS 209/05 ER liegen vor. Auf ihren Inhalt, auf den Beschluss des Sozialgerichts vom 8. Juli 2005 und auf die gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat teilweise Erfolg. Ein Anordnungsgrund liegt aus den vom Sozialgericht ausgeführten Gründen vor. Der Antragsteller hat darüber hinaus auch einen Anordnungsanspruch auf abgesenkte Leistungen glaubhaft gemacht.

Der Grundsicherungsbedarf des erwerbsfähigen Antragstellers beträgt 345,00 EUR (§ 20 Abs. 2 SGB II). Er ist ungedeckt, da Einkommen oder Vermögen nicht vorhanden sind. Die ihm am 30. März 2005 ausgezahlte Erbschaft in Höhe von 24.000,00 EUR ist, wie der Sachvortrag und die hierzu vom Antragsteller vorgelegten umfangreichen Unterlagen glaubhaft belegen, für die Rückzahlung von Altschulden verbraucht worden. Diese Mittel stehen dem Antragsteller daher unabhängig davon, ob sie als Vermögen oder als Einnahme im März 2005 zu betrachten sind, nicht mehr zur Verfügung. Sie können dem Antragsteller auch nicht fiktiv zugerechnet werden. Das Gesetz bietet hierfür keine Handhabe. Der Antragsteller steht somit vor der Situation, dass er hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II ist.

In dieser Lage könnte die Antragsgegnerin Sachleistungen nach § 23 Abs. 2 SGB II erbringen. Hierüber hat jedoch der Senat nicht zu entscheiden, da insofern keine überprüfbaren Verwaltungsakte vorliegen. Anders ist es mit der Regelleistung im Sinne des § 20 SGB II. Diese ist in Geld zu erbringen und kann die volle Regelleistung oder einen nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II abgesenkten Geldbetrag umfassen. Über die Regelleistung in Geld hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. Mai 2005 entschieden. Der Senat sieht sich deshalb rechtlich in der Lage, auch über die abgesenkte Regelleistung zu entscheiden.

Nach Ansicht des Senats liegen die Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 1 SGB II vor. Der Antragsteller ist ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger. Er hat das 18. Lebensjahr vollendet. Der Antragsteller hat auch sein Vermögen in der Absicht vermindert, die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg II herbeizuführen. Legt man § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II seinem Wortlaut nach aus, könnten die Voraussetzungen dieser Bestimmung nur ganz selten bejaht werden. Die Vorschrift verliert dann aber ihren Sinn. Sie soll nämlich sicherstellen, dass der Hilfebedürftige seinen Lebensunterhalt zunächst aus eigenem Einkommen und eigenem Vermögen deckt. Dieser Grundgedanke zieht sich - wie schon früher durch das Bundessozialhilfegesetz - auch durch das gesamte SGB II. Für den Fall, dass der Hilfebedürftige Einkommen oder Vermögen nicht für seinen laufenden Unterhalt benutzt, müssen daher Sanktionen greifen. Einerseits muss sich die Allgemeinheit davor schützen, dass ein Bürger unberechtigt auf ihre Kosten lebt. Das gilt besonders in der jetzigen Situation, in der die finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Kassen äußerst angespannt sind. Andererseits kann es unter dem Sozialstaatsgedanken des Grundgesetzes nicht hingenommen werden, dass hilfebedürftige Personen ohne jegliche Unterstützung bleiben, selbst wenn sie sich durch eigenes Verhalten in die Notlage gebracht haben. Vor diesem Interessenkonflikt ist die Vorschrift des § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen. Danach genügt es, wenn der Hilfebedürftige nach einer Wertung in der Laiensphäre hätte wissen müssen, dass er das vorhandene Einkommen oder Vermögen zur Deckung seines Lebensunterhalts einsetzen musste.

Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Antragsteller war bei der Antragstellung belehrt worden, dass er während des Alg-II-Bezuges jede Änderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse unaufgefordert und unverzüglich der Antragsgegnerin mitzuteilen hat. Die Kenntnis dieser Verpflichtung hat der Antragsteller durch seine Unterschrift vom 19. Januar 2005 bekundet. Am selben Tag hat er einen Fragebogen zur "Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" ausgefüllt und auch hierbei nochmals zugesichert, Änderungen "unverzüglich" mitzuteilen. Aus diesen Vorgängen hätte der Antragsteller durch eine Wertung in der Laiensphäre den Schluss ziehen müssen, dass jeder während des Leistungsbezuges zugeflossene Geldbetrag in erster Linie zur Bestreitung seines laufenden Lebensunterhaltes eingesetzt werden musste. Diese Wertung war dem Antragsteller als ehemaligem Verwaltungsangestellten auch geistig zumutbar. Es gibt in den Akten keinerlei Hinweise auf eine Minderung seiner geistigen Fähigkeiten. Insbesondere kann ihm deshalb auch die Behauptung, er habe die gesamte Summe als Freibetrag und daher als frei verwertbar angesehen, nicht geglaubt werden. Selbst bei dieser Annahme hätte er sich nach den Vorgängen bei der Antragstellung vor der Bezahlung seiner Schulden bei der Antragsgegnerin rückversichern müssen, dass er das gesamte Geld frei verwerten durfte. Er hatte sich nämlich auch zur unverzüglichen Mitteilung von Vermögensänderungen verpflichtet. Er hat diese Verpflichtung nicht erfüllt. Aus alldem kann nur der Schluss gezogen werden, dass es dem Antragsteller wesentlich darauf angekommen ist, trotz der empfangenen Erbschaft seinen Anspruch auf Alg II zu erhalten. Gerade das will aber § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II sanktionieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Da nach den vorstehenden Ausführungen der Eilantrag hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte und der Antragsteller bedürftig war, stand ihm auch für beide Instanzen Prozesskostenhilfe zu.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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