S 17 R 939/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 17 R 939/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 76/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RS 1/18 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (AAÜG).

Der Kläger stellte einen Antrag auf Kontenklärung am 21. Dezember 2006. Er gab an, dass er vom 15. August 1974 bis 31. Mai 1990 zum Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz gehörte. Er war als Konstrukteur im Sondermaschinenbau, als Grpltr. Rationalisierung und als Inspektor tätig. Die letzte Tätigkeit ab dem 1. Juni 1990 übte er bei der staatlichen Versicherung der DDR aus. Die Beklagte ermittelte, dass keine Beiträge zur FZR verrichtet wurden. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 20. März 2007 die Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit in einem Sonderversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab, da das AAÜG für den Kläger keine Anwendung finde. Er habe am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft gehabt.

Der Kläger legte hiergegen am 19. April 2007 Widerspruch ein und verwies darauf, dass die Stichtagsregelung vor dem EGMR überprüft werde. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2007 zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 30. Juli 2007 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Durch Beschluss vom 15. März 2010 ist das Ruhen des Verfahrens wegen einer anhängigen Revision beim BSG angeordnet worden. Das Verfahren ist am 8. Dezember 2011 wieder aufgerufen worden.

Der Kläger behauptet, dass er in der gesamten geltend gemachten Zeit eine Beschäftigung innehatte, auf Grund welcher ihm zwingend eine Versorgungszusage zu erteilen gewesen wäre. Er ist der Ansicht, dass er von den Versorgungssystemen der AVltech (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) und des Zusatzversorgungssystems der hauptamtlichen Mitarbeiter Staatsapparat (Anlage 1 Nr. 19 zum AAÜG) umfasst sei. Dabei sei die Tätigkeit bei der Versicherung als Tätigkeit im Staatsapparat zu berücksichtigen. Für die Einbeziehung sei es nicht maßgeblich, dass kein Einbeziehungsakt vorliege und keine Beiträge gezahlt worden seien. Maßgeblich sei nur, dass er einen Anspruch auf Einbeziehung gehabt habe.

Er beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Versorgungsberechtigung des Klägers zum 1. August 1991 und damit die Anwendung des AAÜG sowie den Monat Juni 1990 als Beschäftigungszeit des Klägers zum Zusatzversorgungssystem gemäß Anlage 1 Nr. 19 des AAÜG sowie das dabei erzielte tatsächliche Arbeitsentgelt festzustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die begehrte Feststellung nicht getroffen werden könne, da die Regelungen des Zusatzversorgungssystems eine Beitrittserklärung und eine Beitragszahlung vorgesehen hätten, die bei dem Kläger nicht vorlägen.

Es wird zum weiteren Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Klägers bei der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2007 war nicht aufzuheben, da er rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung durch die Beklagte, dass für ihn zum 1. August 1991 eine Versorgungsberechtigung bestand und damit die Anwendung des AAÜG gegeben ist.

Nach § 1 AAÜG gilt das AAÜG für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV)) erworben worden sind. Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten. Nach § 1 Abs. 2 AAÜG sind Zusatzversorgungssysteme, die in Anlage 1 genannten Systeme.

Der Kläger hatte zum 1. August 1991 keinen Versorgungsanspruch und auch keine Versorgungsanwartschaft.

Eine im Sinne von Artikel 19 des Einigungsvertrages bundesrechtlich bindende Einzelfallregelung, durch welche ihm eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden sein könnte (Versorgungszusage, Einzelfallentscheidung, Einzelvertrag), lag nicht vor.

Der somit nicht einbezogene Kläger konnte also nur dann bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 eine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gehabt haben, wenn aufgrund der zu diesem Zeitpunkt als partielles und sekundäres Bundesrecht weiter anzuwendenden Regelung der Versorgungssysteme nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nur noch der Versorgungsfall (z. B. Invalidität) hätte eintreten müssen, so dass ihm aus bundesrechtlicher Sicht Versorgung hätte geleistet werden müssen. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt hätte, aufgrund welcher ihm nach Bundesrecht zwingend eine Versorgungszusage zu erteilen gewesen wäre, die dann - aus bundesrechtlicher Sicht rückschauend - keine rechtsbegründende, sondern nur noch rechtsfeststellende Bedeutung gehabt hätte (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az. B 4 RA 36/01 - Juris). Dies war bei dem Kläger nicht der Fall. Die von 1974 bis 31. Mai 1990 ausgeübten Tätigkeiten entsprachen zwar den Anforderungen der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG, jedoch wurde eine entsprechende Tätigkeit nicht mehr im Juni 1990 ausgeübt. Darüber hinaus hat er auch keine Versorgungsanwartschaft aus seiner Tätigkeit als Mitarbeiter der staatlichen Versicherung im Juni 1990 begründet. Die Tätigkeit fällt unter den sachlichen Anwendungsbereich der Zweiten Richtlinie zur Durchführung der Ordnung über die freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates (2. FZAVR-StMitarb) vom 14. Juni 1975. Er war daher – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und hat die Beklagte durch entsprechende Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung anerkannt - Mitarbeiter des Staatsapparates im Sinne des Zusatzversorgungssystems der Anlage 1 Nr. 19 zum AAÜG. Es sind jedoch für den Kläger aus dieser Tätigkeit keine Ansprüche und Anwartschaften in diesem Zusatzversorgungssystem entstanden. Es handelte sich nämlich bei der 2. FZAVR-StMitarb um eine freiwillige zusätzliche Altersversorgung, die einen Beitritt zur Versorgung und ggf. eine Beitragszahlung vorsahen. Es wird unter II. zur Durchführung der zusätzlichen Altersversorgung in der maßgeblichen Richtlinie geregelt, dass eine Beitrittserklärung mittels eines Vordruckes vorzubereiten und auszufüllen war. Der Mitarbeiter sollte sodann eine Beitrittsbestätigung mittels eines Vordruckes erhalten. Der Kläger hat einen solchen Beitritt nicht erklärt und auch keine Bestätigung eines Beitritts erhalten. Nach Auffassung des Gerichtes ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG (vgl. zB BSG, Urteil vom 23. Juni 1998, Az. B 4 RA 61/97 R, SozR 3-8570 § 5 Nr. 4), dass aufgrund des fehlenden Beitritts des Klägers keine Versorgungsanwartschaft in dem Sinne entstanden sein kann, dass zum 1. August 1991 dem Kläger bei Eintritt eines Leistungsfalles ein Versorgungsanspruch zugestanden hätte. Voraussetzung ist nämlich auch, dass eine Position bestand, bei der ohne erteilte Versorgungszusage mit einer Bewilligung eines Versorgungsanspruchs zum 1. Juli 1990 gerechnet werden durfte, falls der Leistungsfall bis Ende Juni 1990 eintrat oder eingetreten wäre. Dies konnte nur der Fall sein, wenn jemand noch im Juni 1990 eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hatte, die ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war, und wenn er gemessen an den allgemeinen Regelungen der Versorgungsordnung der DDR, ersatzweise gemessen an einer ständigen gleichartigen Verwaltungspraxis der DDR, noch darauf vertrauen durfte, ihm (oder seinen Hinterbliebenen) werde eine Versorgungsrente im Leistungsfall bewilligt werden. In diesem Fall ist ausnahmsweise anhand der Versorgungsregelungen (oder der Verwaltungspraxis) der DDR zu prüfen, ob zum 1. Juli 1990 eine (von der DDR noch nicht wirksam zuerkannte) Versorgungsanwartschaft bestand. Dies war im Fall des Klägers nicht gegeben. Er konnte mangels Beitritt nicht damit rechnen, dass ihm ein entsprechender Versorgungsanspruch zugebilligt würde aufgrund der Tätigkeit als Mitarbeiter des Staatsapparates.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das BSG mit Urteil vom 19. Juli 2011 (Az.: B 5 RS 7/09 R, SGb 2011, 518) entschieden hat, dass es im Rahmen von § 5 AAÜG nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen der Beitrittserklärung und Beitragszahlung nach dem entsprechenden Versorgungssystem der DDR erfüllt waren. § 5 AAÜG regelt, welche Zeiten von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem als Pflichtbeitragszeiten nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) gelten. § 5 AAÜG setzt jedoch die Anwendbarkeit des AAÜG voraus. Abgestellt wird nach § 5 AAÜG nur auf die Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem. Hierbei kommt es nach der Rechtsprechung des BSG nur darauf an, dass die betroffene Person vom sachlichen Anwendungsbereich des Versorgungssystems erfasst war. § 1 AAÜG differenziert demgegenüber nicht nach der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem. Vielmehr setzt § 1 AAÜG voraus, dass aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem ein Anspruch oder eine Anwartschaft erworben wurde. Maßgeblich ist somit nach § 1 AAÜG nicht allein die Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, sondern die Entstehung eines Anspruchs oder einer Anwartschaft. Die Rechtsprechung des BSG zu § 5 AAÜG kann daher nicht auf den Anwendungsbereich von § 1 AAÜG übertragen werden. Dies hat das BSG auch schon in der Entscheidung vom 9. April 2002 (Az. B 4 RA 3/02 R, Juris) deutlich gemacht, wenn ausgeführt wird, dass zum einen zu prüfen ist, ob der Anwendungsbereich des AAÜG eröffnet ist, zum andern "demgegenüber - worauf beiläufig hingewiesen wird - bei der rentenversicherungsrechtlichen Prüfung der Voraussetzungen gleichgestellter Pflichtbeitragszeiten nach § 5 AAÜG die abstrakt generellen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme keine rechtsmaßstäbliche Bedeutung haben. Bei § 5 AAÜG geht es nur um die Frage, ob ein im Sinne von § 1 AAÜG Versorgungsberechtigter früher entgeltliche Beschäftigung oder selbständige Tätigkeiten verrichtet hat, die ihrer Art nach (also nach abstrakt generellen Merkmalen) von einem (grundsätzlich) am 30. Juni 1990 in der DDR bestehenden Versorgungssystem erfasst war. Bei § 1 Abs. 1 AAÜG kommt es hingegen auf eine nach Bundesrecht am 1. August 1991 bestehende Versorgungsberechtigung des Einzelnen an, bei § 5 AAÜG demgegenüber bundesrechtlich darauf, ob die von ihm ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach, d. h. in abstrakt genereller Sicht, zu dem Ausschnitt der Arbeitswelt gehörte, für welchen die DDR am 30. Juni 1990 ein besonderes, im AAÜG aufgelistetes Versorgungssystem eingerichtet hatte. Insoweit (§ 5 AAÜG) haben die Versorgungsregelungen nicht die Bedeutung von maßstäblichem Bundesrecht, sondern sind als rechtshistorische Tatsachen zur Beantwortung dieser vom Bundesrecht aufgeworfenen Frage heranzuziehen."

Es verbleibt daher dabei, dass der Kläger am 1. August 1991 durch seine Tätigkeit keinen Versorgunganspruch erhalten und auch keine Anwartschaft zum 30. Juni 1990 erlangt hatte, die ihm im Fall des Eintretens eines Versorgungsfalls einen Leistungsanspruch ermöglicht hätte.

Der Anwendungsbereich des AAÜG ist damit nicht eröffnet.

Ein Anspruch auf Feststellung der übrigen beantragten Tatsachen besteht damit ebenfalls nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved