S 2 R 457/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 2 R 457/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 226/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 16/19 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 17.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2014, geändert durch Bescheid vom 09.02.2016, verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.12.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI).

Der Kläger (geb. 1959) absolvierte eine Berufsausbildung zum Bauzeichner (1975 bis 1978). Seitdem hat er (unterbrochen durch den Grundwehrdienst von 1980 bis 1981) eine Festanstellung beim C.-Kreis inne, seit 1984 als Sachbearbeiter Bauunterhaltung Schulbauten in Vollschicht. Der Kläger war dort mit folgenden Aufgaben betraut:

- Assistenz Bauunterhaltung: Unterstützung der Objektmanager (z.B. Rechnungsprüfung, Durchführung von Angebotsöffnungen, Angebotsprüfung etc.) - - Erfassung und Dokumentation von Verbrauchsdaten der Schulen im Kreisgebiet - Mitarbeit bei der monatlichen Prüfung der Turnhallenbücher auf dokumentierte Mängel, Beanstandungen oder Schäden und Weitergabe der Informationen an den zuständigen Objektmanager zur Veranlassung von Reparaturen etc. - Zuletzt absolvierte er nur noch reine Bürotätigkeiten ohne Außendienst. Im Bereich Bauzeichnung war er dabei nicht mehr eingesetzt.

Seit Ende 2007 ist der Kläger in psychiatrischer Behandlung. Mit Bescheid vom 22.04.2008 erkannte das Versorgungsamt Gießen einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 ohne Merkzeichen an (Depressive Störung, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit mit Ohrengeräuschen rechts). Eine ambulante Psychotherapie mit 50 Sitzungen wurde bei Frau D. ab 2009 durchgeführt.

Im Dezember 2012 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig und erhielt vom 13.01.2013 bis 19.05.2014 Krankengeld. Bis November 2015 bezog er ALG I. Es besteht nur noch ein faktisches Arbeitsverhältnis beim C.-Kreis mit ruhenden Ansprüchen. Am 12.02.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Erwerbsminderungsrente.

Nach Anforderung ärztlicher Befundberichte holte die Beklagte ein Gutachten bei Dr. med. E. ein, der nach Untersuchung des Klägers am 11.09.2013 folgende Diagnosen stellte: 1. Mittelgradiger depressiver Verstimmungszustand mit deutlichen Angstgefühlen; 2. Bluthochdruck mit Linksherzhypertrophie; 3. Paroxysmale Tachykardien; 4. Übergewicht; 5. Chronisches Ohrgeräusch rechts. Nach dem Gutachten besteht ein Leistungsvermögen von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Einschränkungen, nicht aber für die bisher ausgeübte berufliche Tätigkeit. Die Erwerbsfähigkeit wurde als deutlich gefährdet eingestuft und eine Reha-Maßnahme in einer psychosomatischen Klinik befürwortet.

Mit Bescheid vom 17.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung verwies sie auf das Gutachten. Zwar sei eine Tätigkeit im bisherigen Beruf als Bauzeichner/Sachbearbeiter nicht mehr vollschichtig möglich. Als Aushilfe im Büro, Registrator oder Poststellenmitarbeiter könne er jedoch in diesem Umfang arbeiten.

Den am 13.11.2013 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er nicht mehr in der Lage sei, vollschichtig zu arbeiten. Er sei seit 2008 schon öfters arbeitsunfähig gewesen für sechs, acht bzw. zwölf Wochen, je nach Dauer der depressiven Phase. Die Dauer dieser Phasen werde immer länger. Trotz seit 2007 bestehender Behandlung hätten sich die Depressionen verschlimmert. Er sitze am Tisch und sei nicht fähig aufzustehen. Der Kopf sei voller Gedanken, die er nicht verarbeiten könne. Er sei nicht fähig, anderen zuzuhören und andere Gedanken in den Kopf zu bekommen. An Arbeitstagen sei er ab 10:00 Uhr nicht mehr in der Lage, sich zu konzentrieren. Hinzukämen Herzrhythmusstörungen, teils in nächtlichen Attacken. Ohne psychologische Unterstützung und Psychopharmaka sei kein auch nur halbwegs geregeltes Leben mehr möglich.

Vom 14.04.2014 bis 19.05.2014 erfolgte eine Rehabilitation in der Klinik Am Sprudelhof in Bad Nauheim (Diagnosen: Mittelgradige depressive Episode, rezidivierende tachykarde Rhythmusstörungen, essentielle Hypertonie, Adipositas, Nikotinabusus). Nach dem Entlassungsbericht kann der Kläger täglich zumindest sechs Stunden sowohl seine letzte berufliche Tätigkeit als technischer Angestellter als auch mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig für die nächsten acht Wochen, ggf. sei eine Anschlussbehandlung in einer psychiatrischen Tagesklinik sinnvoll. Nach dem Rehabilitationsergebnis (Punkt 9.1) reichte die erzielte Besserung nicht aus, um ernsthaft an einer beruflichen Reintegration zu arbeiten.

Vom 08.09.2014 bis 07.11.2014 befand sich der Kläger in tagesklinischer Behandlung in der Vitosklinik Wetzlar. Diagnostiziert wurde eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2). Die Entlassung erfolgte nach teilweisem Erreichen der Behandlungsziele als arbeitsunfähig.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2014 zurück. Nach dem Gutachten könne der Kläger noch leichte Arbeiten mit Einschränkungen zumindest sechs Stunden täglich verrichten. Zuletzt sei er bis 2012 als technischer Angestellter beschäftigt gewesen; die Lehre als Bauzeichner habe er nicht abgeschlossen. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei der Gruppe der Angestellten mit einer länger als zweijährigen Ausbildung zuzuordnen. Der Kläger dürfe damit auf alle Tätigkeiten verwiesen werden, die zu dieser Berufsgruppe oder der Gruppe der Angestellten mit einer Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten bzw. mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren gehörten. Zudem sei er auf Tätigkeiten der Gruppe der Angestellten ohne Ausbildung bzw. mit einer Anlernzeit von weniger als drei Monaten verweisbar, wenn sich die Tätigkeiten besonders herausheben (z.B. Poststellenmitarbeiter, Büro- oder Verwaltungshilfskraft oder Pförtner).

Am 14.10.2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben. Zur Begründung verweist er auf sein Vorbringen im Vorverfahren. Ergänzend führt er aus, die Entlassung aus der stationären Rehabilitation im Mai 2014 sei wegen der Schwere der Erkrankung als arbeitsunfähig für acht weitere Wochen erfolgt. Ein eingeschränktes Leistungsvermögen sei nur bejaht worden nach "erfolgter Behandlung".

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2014, geändert durch Bescheid vom 09.02.2016, zu verurteilen, dem Kläger in der Zeit vom 01.01.2016 bis 31.12.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide.

Nach Anforderung von Befundberichten der behandelnden Ärzte hat die Kammer ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. med. F. vom 21.06.2015 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 02.06.2015 folgende Diagnose stellte: Rezidivierende depressive Störung, z.Zt. schwergradige Ausprägung, teilchronifiziert. Der Kläger kann demnach auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte, mittelschwere aber auch schwere Arbeiten verrichten, allerdings nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich. Die quantitative Einschränkung ergebe sich aus der erhöhten Erschöpfbarkeit und der Antriebsstörung. Die Tätigkeiten dürften das Konzentrationsvermögen nicht wesentlich beanspruchen. Ausgeschlossen werden Akkordarbeit und Arbeiten unter Zeitdruck. Derzeit bestünden zudem Anpassungs- und Umstellungsschwierigkeiten. Unter der Voraussetzung einer etwas langsameren Arbeitsweise bestünden betriebsunübliche Einschränkungen nicht. Eine Tätigkeit von regelmäßig mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag sei unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit nicht möglich aufgrund des deutlich verminderten Antriebs, der nicht ausreichenden Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne und der erhöhten Erschöpfbarkeit. Nach Abklingen einer depressiven Episode, was Monate bis Jahre dauern könne, sei wieder eine vollschichtige Tätigkeit in jedem Bereich möglich. Eine positive Veränderung sei nicht unwahrscheinlich. Eine Stabilisierung sei erreichbar durch Wiederaufnahme der ambulanten Psychotherapie und Modifikation der antidepressiven Medikation. Von dem festgestellten Leistungsvermögen sei ab September 2014 auszugehen. Für den Zeitraum vorher gebe es zwar Hinweise auf eine schwere depressive Symptomatik, es fehlt jedoch eine ausreichende Befundlage.

Mit Bescheid vom 09.02.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine vom 01.01.2016 bis 31.12.2017 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalls vom 12.06.2015, die zwischenzeitlich mit weiterem hier nicht streitgegenständlichem Bescheid bis zum 31.12.2020 verlängert wurde.

Die Beklagte führt aus, ein weitergehender Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe nur, wenn der Arbeitsmarkt verschlossen sei. Der Kläger habe jedoch nach § 8 Teilzeitbefristungsgesetz sowie nach § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB IX einen Rechtsanspruch auf Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit.

Mit Schreiben vom 14.09.2015 führte der Kreisausschuss des C.-Kreises aus, eine Teilzeitbeschäftigung des Klägers sei wegen der äußerst restriktiven Stellenbewirtschaftungsvorgaben nicht möglich. Im Schreiben vom 13.10.2015 heißt es, im günstigsten Falle sei eine leichte bis mittelschwere Arbeit ohne Zeit- oder Termindruck und hohe Anforderungen an das Konzentrationsvermögen möglich im Rahmen eines nicht vollschichtigen Arbeitsplatzes. Ein derart leidensgerechter Arbeitsplatz sei nicht vorhanden und könne aus den bereits genannten Gründen auch nicht geschaffen werden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.11.2016 wurde dem Kläger aufgegeben, eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung seines Arbeitgebers vorzulegen. Diese erklärte mit Schreiben vom 15.12.2016, unter Berücksichtigung der beschriebenen Einschränkungen sei kein leidensgerechter Arbeitsplatz verfügbar.

Gemäß der weiteren Stellungnahme des Kreisausschusses des C.-Kreises vom 01.06.2017 kann die bisher ausgeübte Tätigkeit grundsätzlich auch halbtags ausgeübt werden; im Übrigen bleibe es bei den bisherigen Ausführungen.

Nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.01.2018 befragte das Gericht den Kreisausschuss des C.-Kreises dazu, ob - einen Teilzeitantrag des Klägers unterstellt - ab September 2014 bzw. zukünftig eine dem Leistungsvermögen des Klägers angepasste Tätigkeit (bisherige bzw. ähnliche Tätigkeit; Tätigkeit als Verwaltungshilfskraft, Poststellenmitarbeiter, Pförtner oder Telefonist) konkret hätte angeboten werden können bzw. angeboten werden kann. Mit Schreiben vom 29.01.2018 wurde dies verneint.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 17.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2014, geändert durch Bescheid vom 09.02.2016, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.12.2017.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und

2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), ist hier jedenfalls seit Juni 2015 durch verschiedene Gesundheitseinschränkungen, im Wesentlichen auf psychiatrischem Fachgebiet, beeinträchtigt. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Kläger zumindest ab diesem Zeitpunkt wegen Krankheit bzw. Behinderung nur noch in der Lage gewesen ist, drei bis unter sechs Stunden täglich leichte, mittelschwere und schwere Arbeiten mit Einschränkungen (nur das Konzentrationsvermögen nicht wesentlich beanspruchende Tätigkeiten, keine Akkordarbeit und Arbeiten unter Zeitdruck) zu verrichten.

Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten.

Das Leistungsvermögen des derzeit 59-jährigen Klägers ist im gerichtlichen Verfahren durch Einholung eines von Dr. med. F. erstatteten psychiatrischen Gutachtens vom 21.06.2015 überprüft worden. Demnach ergibt sich bei dem Kläger seit September 2014 nicht nur in qualitativer, sondern auch in quantitativer Hinsicht eine bedeutsame Leistungseinschränkung. Seine Erwerbsfähigkeit ist damit jedenfalls seit Juni 2015 in rentenberechtigendem Grade herabgemindert gewesen. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass Dr. med. F. die medizinischen Befunde zutreffend erhoben und aus ihnen die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hat. Die von ihm gezogenen Schlussfolgerung entsprechen allgemein anerkannten Begutachtungsmaßstäben und stehen insbesondere auch in Übereinstimmung mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen und Leitlinienempfehlungen der einschlägigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

Die Kammer legt als rentenerhebliche Diagnose eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwergradige Ausprägung, teilchronifiziert, zugrunde. Nach Auswertung des bei der Begutachtung erhobenen Befundes und der in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen ist Dr. med. F. zur Überzeugung der Kammer schlüssig und widerspruchsfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nur noch in der Lage gewesen ist, drei bis unter sechs Stunden täglich (körperlich) leichte, mittelschwere aber auch schwere Arbeiten zu verrichten, die das Konzentrationsvermögen nicht wesentlich beanspruchen unter Ausschluss von Akkordarbeit und Arbeiten unter Zeitdruck.

Dem entspricht der bei der Begutachtung erhobene psychische Befund. Demnach waren bei eingeschränkter Modulationsfähigkeit und affektiv schwergradiger depressiver Stimmungslage Aufmerksamkeit und Konzentration im Explorationsverlauf eingeschränkt und der formale Gedankengang etwas verlangsamt. Festgestellt wurden Grübeln und Gedankenkreisen, ein reduziertes Selbstwertgefühl, eine Verminderung der psychischen Spannkraft sowie eine deutliche Verminderung des Antriebs während der Untersuchung (S. 26 des Gutachtens, Bl. 72 der Gerichtsakte). Die quantitative Einschränkung wird nachvollziehbar aus der erhöhten Erschöpfbarkeit und dem deutlich verminderten Antrieb in Verbindung mit der nicht ausreichenden Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne abgeleitet (vgl. S. 37 des Gutachtens, Bl. 83 der Gerichtsakte).

Die Kammer ist daher überzeugt, dass der Leistungsfall einer teilweisen Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI jedenfalls zum Zeitpunkt der Begutachtung im Juni 2015 eingetreten war. Dies ist letztlich auch zwischen den Beteiligten unstreitig, da die Beklagte ausgehend von einem Leistungsfall im Juni 2015 eine vom 01.01.2016 bis 31.12.2017 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung anerkannt hat.

Offen kann bleiben, ob der Leistungsfall tatsächlich bereits im September 2014 eingetreten ist. Denn neben der allgemeinen Wartezeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) liegen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) sowohl bei Annahme eines Leistungsfalls im September 2014 als auch bei Annahme eines Leistungsfalls im Juni 2015 vor. Denn in den jeweils maßgeblichen Zeiträumen von fünf Jahren vor Eintritt des Leistungsfalls hat der Kläger jeweils zumindest 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Im Übrigen hat der Kläger seinen auf Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente gerichteten Klageantrag der von der Beklagten vorgenommenen Befristung vom 01.01.2016 bis 31.12.2017 und damit einem Leistungsfall im Juni 2015 angepasst.

Mit dem Leistungsfall einer teilweisen Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind im vorliegenden Fall zugleich die Voraussetzungen des Leistungsfalles einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erfüllt.

Für die Beurteilung, ob ein Versicherter, der aufgrund seines Gesundheitszustands in quantitativer Hinsicht nur noch weniger als täglich sechs Stunden und mindestens täglich drei Stunden arbeiten kann, voll erwerbsgemindert ist, kommt es darauf an, ob für entsprechende Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann. Der Versicherte darf auf Tätigkeiten für Teilzeitarbeit nicht verwiesen werden, wenn ihm für diese Tätigkeiten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist. Dem Versicherten ist der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen, wenn ihm weder der Rentenversicherungsträger noch das zuständige Arbeitsamt innerhalb eines Jahres seit Stellung des Rentenantrages einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz anbieten kann. Der Versicherte darf in der Regel nur auf Teilzeitarbeitsplätze verwiesen werden, die er täglich von seiner Wohnung aus erreichen kann (BSG, Beschluss vom 10.12.1976 – GS 2/75 –, juris).

Einen den verbliebenen Kräften und Fähigkeiten des Klägers entsprechenden Arbeitsplatz haben weder der Rentenversicherungsträger noch das zuständige Arbeitsamt innerhalb eines Jahres angeboten, so dass grundsätzlich von der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes auszugehen ist (BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -).

Zwischen den Beteiligten ist allerdings streitig, ob das bei dem Kläger rein faktisch noch bestehende Arbeitsverhältnis in Verbindung mit einem Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Teilzeitbeschäftigung den Arbeitsmarkt für ihn dennoch offen erscheinen lässt.

Zwar verneint die Rechtsprechung einen verschlossenen Arbeitsmarkt, wenn der Versicherte einen seinem geminderten Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich innehat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1974 – 1 RA 33/74 –). Dabei ist allerdings nur an Arbeitsplätze gedacht, auf denen der Versicherte auch tatsächlich Erwerbseinkünfte erzielt. Eine Verweisung auf bloß "formale" Arbeitsplätze ist mit der zugrunde liegenden konkreten Betrachtungsweise unvereinbar (BSG, Urteil vom 07.05.1975 – 11 RA 50/74 –, juris, Rn. 9). Einen Arbeitsplatz mit tatsächlich gezahltem Arbeitsentgelt hat der Kläger aber jedenfalls ab Mai 2014 nicht mehr innegehabt.

Ein offener Arbeitsmarkt wird außerdem bejaht, wenn ein Versicherter einen seiner Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeitsplatz ohne triftigen Grund ablehnt. Dem ist der Fall gleichgestellt worden, dass die Arbeitsverwaltung dem Versicherten bei entsprechendem Bemühen einen geeigneten Teilzeitarbeitsplatz vermittelt hätte (BSG, Urteil vom 07.05.1975 – 11 RA 50/74 –, juris, Rn. 10). Für Versicherte kommt insbesondere grundsätzlich der Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Reduzierung der Arbeitszeit nach § 8 Abs. 1 TzBfG in Betracht. Darüber hinaus haben schwerbehinderte Menschen einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist (§ 81 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). In diesen Fällen muss der Rentenversicherungsträger ermitteln, ob der Arbeitgeber bereit ist, dem Versicherten einen leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatz zuzuweisen. Dem Versicherten kann indessen nicht zugemutet werden, einen solchen Anspruch klageweise gegen seinen Arbeitgeber durchzusetzen (Ulrich Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 SGB VI, Rn. 231; BSG, Urteil vom 07.05.1975 – 11 RA 50/74 –, juris, Rn. 11).

Derartige Ermittlungen hat die Beklagte selbst nicht vorgenommen. Auf Anfrage des Gerichts hat der C.-Kreises als Arbeitgeber des Klägers - wie insbesondere auch die dortige Schwerbehindertenvertretung - verneint, dass ein dem Leistungsvermögen des Klägers angepasster Arbeitsplatz vorhanden ist oder geschaffen werden kann. Ebenso wurde ausgeführt, dass bei entsprechendem Antrag des Klägers auf einen Teilzeitarbeitsplatz auch in der Vergangenheit kein dem Leistungsvermögen des Klägers angepasster Arbeitsplatz vorhanden gewesen wäre oder hätte geschaffen werden können (vgl. Bl. 137, 142, 153 f. und 172 f. der Gerichtsakte). Dem Kläger hätte damit selbst bei entsprechendem Bemühen (Stellung eines Antrags auf Teilzeitbeschäftigung) kein angemessener Teilzeitarbeitsplatz vermittelt werden können. Dem Kläger wäre damit nur der Klageweg offen gewesen, der ihm jedoch – wie ausgeführt – unzumutbar war.

Nach alledem ist wegen der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes neben dem Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung zugleich auch der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten.

Die dem Kläger zuerkannte Rente war nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zu befristen. Demnach werden u.a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Rentengewährung erfolgt nur unbefristet, wenn sie nicht von der Arbeitsmarktlage abhängt und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Hier kam von vornherein nur eine befristete Rente in Betracht, da dem Kläger der Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nur wegen der Verschlossenheit des (Teilzeit-)Arbeitsmarktes zusteht und im Übrigen der Sachverständige Dr. med. F. Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt hat, die zumindest längerfristig zu einer Besserung der Leistungsfähigkeit des Klägers führen können.

Die Befristung erfolgt nach § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Mit der Befristung der Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.01.2016 bis 31.12.2017 folgt die Kammer in Abweichung von der für den Regelfall vorgegebenen Befristungsdauer von drei Jahren dem Klageantrag, der sich wiederum der von der Beklagten mit streitgegenständlichem Bescheid vom 09.02.2016 vorgenommenen Befristung anpasst. Die inzwischen mit weiterem Bescheid der Beklagten erfolgte Fortgewährung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 01.01.2018 bis 31.12.2020 ist dagegen in diesem Verfahren nicht streitgegenständlich.

Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Ausgehend von einem Leistungsfall im Juni 2015 ist frühester Leistungszeitpunkt der 01.01.2016.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das vollständige Obsiegen des Klägers.
Rechtskraft
Aus
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