Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 10 KR 5/17 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 74/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur vorläufigen Übernahme der Kosten der Behandlung einer rezidivierenden Myelitis mit Rituximab im Off-Lable-Use im einstweiligen Rechtsschutz
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 12. April 2017 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Kosten für die Behandlung des Antragstellers mit dem Medikament Rituximab im ersten Jahr zu übernehmen. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Übernahme der Kosten der Behandlung am U mit dem Medikament Rituximab im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1969 geborene bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller leidet an einer rezidivierenden Myelitis. Die Erstdiagnose erfolgte im Frühjahr 2016. Mit Schreiben vom 14. Sep¬tember 2016 beantragte das U die Kostenübernahme und Verzicht auf Regressforderungen bezüglich einer Off-Label-Verordnung von Rituximab bei dem Antragsteller. Dieser leide an einer schweren rezidivierenden, immunvermittelten Myelitis, für die keine Therapie zugelassen sei. Passend zur entzündlichen Genese finde sich ein entzündliches Liquor-Syndrom mit entsprechenden Rückmarksbefunden im MRT. Die geplante Therapie sehe so aus, dass zunächst eine Initialtherapie mit einem Kostenaufwand in Höhe von 16.103,40 EUR notwendig sei und anschließenden Wiederholungstherapien (vermutlich alle 9 bis 12 Monate) von je 8.050,70 EUR für einen Zeitraum von vorerst drei Jahren (Gesamtkosten ca. 32.204,80 EUR über drei Jahre). Die Off-Label-Kriterien seien hier erfüllt, da es sich zweifellos um eine schwerwiegende Krankheit handele und zugelassene Alternativen nicht bestünden. Eine Medikation mit dem oralen Immuntherapeutikum Azathioprin (ebenfalls nicht zugelassen) sei eingeleitet, aber aus Sicht der Klinik bei Myelitiden nicht effektiv genug, Gleiches gelte für Mycophenolat Mofetil und MTX, die Cyclophosphamid-Stoßtherapie sei vermutlich ähnlich effektiv wie Rituximab, aber deutlich nebenwirkungsbelasteter und müsse alle vier Wochen stationär oder teilstationär infundiert werde. Isolierte Myelitiden seien sehr selten, Phase III-Studien dementsprechend schwierig. Vergleichbar sei sie mit der Neuromyelitis Optica und der Multiplen Sklerose mit spinalem Schwerpunkt, für die es gute Daten zu der Wirksamkeit einer Rituximab-Therapie gebe.
Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme ihrer Pharmazeutischen Beratung und Prüfung ein und lehnte mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 eine Kostenübernahme ab, weil Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Unter dem 8. Dezember 2016 wies das U darauf hin, dass zwischenzeitlich das Plasmaaustauschverfahren durchgeführt worden sei, allerdings ohne Besserung, und es sei bereits kurz nach der Immunadsorption zu einer erneuten Entzündungsaktivität im Myelon gekommen. Die Alternative der Cyclophosphamid Stoßtherapie sei wissenschaftlich weniger etabliert und deutlich nebenwirkungsbelasteter. Das U bleibe bei der Empfehlung einer Behandlung durch Rituximab.
Die Antragsgegnerin holte von der Pharmazeutischen Beratung und Prüfung eine weitere Stellungnahme ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2017 den Widerspruch des Antragstellers zurück, weil eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung bei dem Antragsteller bislang nicht erkennbar sei, die Diagnose einer am ehesten autoimmun bedingten Myelitis nicht näher spezifiziert werden konnte und auch nach der Datenlage nicht die begründete Aussicht einer Besserung bestehe.
Hiergegen hat der Antragsteller am 16. März 2017 beim Sozialgericht Kiel beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, die Kosten für die Behandlung des Antragstellers mit dem Medikament Rituximab zu übernehmen.
Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass die Kriterien für eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin im Rahmen des Off-Label-Use vorlägen. Er leide an einer seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. So sei die Erkrankung erst seit dem vergangenen Jahr bekannt, er aber wegen der in kurzer Abfolge aufgetretenen Rezidive im Alter von 47 Jahren bereits nachhaltig gehbehindert. Zudem leide er unter Störungen der Blasen-Mastdarmfunktion und des Schließmuskels. Bei Ausbleiben einer effektiven Rezidivprophylaxe entstünden höhere Myelitis-Manifestationen im zervikalen Mark und in der Folge in absehbarer Zukunft der vollständige Verlust seiner Gehfähigkeit bis hin zur Querschnittslähmung. Des Weiteren bestehe das erhebliche Risiko, dass Störungen der Handfunktionen einträten. Infolge der gestörten Harnblasensensibilität könne es zu einer Nierenerkrankung bis zur vollständigen Funktionsstörung der Niere kommen. Es bestünden auch keine Behandlungsalternativen. Die Therapie mit Azathioprin sei ohne Erfolg durchgeführt worden. Die Wirksamkeit von MTX und MMF, für die keine systematische Evidenz einer Wirksamkeit bestünde, sei im Übrigen mit der Wirksamkeit von Azathioprin vergleichbar. Hinsichtlich der Therapie mit Cyclophosphamid fehle jede systematische Evidenz und es bestünden erhebliche Nebenwirkungen mit den Risiken einer relevanten Infektneigung, Blasenkarzinome und Teratogenität etc ... Im Übrigen sei das Präparat ebenfalls im Off-Label zu verabreichen. Die Behauptung der Antragsgegnerin, es handele sich nicht um eine sehr seltene Erkrankung bei ihm, sei unzutreffend. Damit komme es auf andere Berichte über die Qualität und Wirksamkeit des Rituximab bei autoimmuner Myelitis an. Seine Erkrankung sei am ehesten mit der Neuromyelitis Optica vergleichbar. Hier existierten mehrere Off-Label-Studien, die die Effektivität der Indikation diesbezüglich bestätigten. Diese Studien werden von dem Antragsteller im Einzelnen aufgeführt. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen einer Verordnung von Rituximab gemäß § 2 Abs. 1a SGB V vor. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass es ohne Behandlung zu weiteren Rezidiven käme. Die Kosten der Therapie könne er, da er mittlerweile arbeitsunfähig sei, nicht aus eigenen Mitteln bezahlen. Am 16. März 2017 sei Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben worden. Das Aktenzeichen sei noch nicht bekannt.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen: Bei bislang unklarer diagnostischer Zuordnung bzw. einer lediglich als Verdachtsdiagnose geäußerten autoimmunen Genese der Myelitis sei der Antragsteller auf Medikamente zu verweisen, welche in ihrer Zulassung nicht auf ein enges Spektrum definierter Erkrankungen begrenzt seien. Dazu zähle Rituximab nicht. Die Voraussetzungen des Off-Label-Use lägen nicht vor. Dazu legt die Antragsgegnerin eine Beurteilung durch den MDK Nordrhein vom 11. Januar 2017 vor, die der Stellungnahme der Pharmazeutischen Beratung und Prüfung offensichtlich als Grundlage diente.
Der Antragsteller hat erwidert, bei der Diagnose einer autoimmunen rezidivierenden Myelitis handele es sich zwischenzeitlich um eine gesicherte Diagnose, wie den späteren Arztberichten zu entnehmen sei. Lediglich zu Beginn der stationären Abklärung im Juni 2016 sei als Diagnose "Myelitis, am ehesten autoimmune Ätiologie" angegeben worden. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass sowohl für die mit der seltenen Erkrankung am ehesten vergleichbare Neuromyelitis Optica als auch für die schubförmige Multiple Sklerose eine Therapie mit Rituximab indiziert sei, da sie effektiv und nebenwirkungsarm sei. Rituximab werde nach wie vor bei Neuromyelitica optica als "First-Line-Therapie" empfohlen. Es existierten auch entsprechende Empfehlungen der Fachgesellschaft NEMOS, wie sich aus der Anlage 7 ergebe. Es lägen mittlerweile auch überzeugende Daten zu der Wirksamkeit vor, die voraussichtlich dazu führten, dass der monoklonale Antikörper Ocrelizumab als ebenfalls B Zell depletierende Substanz (Nachfolgeantikörper zu Rituximab) im Laufe dieses Jahres für die Multiple Sklerose zugelassen werde, wie der Pressemitteilung in Anlage 8 der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu entnehmen sei. In einer Kohortenstudie sei Rituximab bei Multipler Sklerose und bei Sonderformen eingesetzt worden und werde gegenwärtig im mehreren Phase II- und Phase III-Studien eingesetzt. Zwar sei in einer Placebo-kontrollierten Phase III-Studie mit primär chronisch progredienter Multipler Sklerose ein Nutzen über zwei Jahre nicht festgestellt worden. Allerdings hätte sich für Patienten, die jünger als 50 Jahre alt seien sowie mit kurzem Krankheitsverlauf ein deutlicher Effekt in Subgruppenanalysen gezeigt. Er, der Antragsteller, sei im Übrigen dringend behandlungsbedürftig. So habe sich zur Bemessung der Behandlungsbedürftigkeit autoimmuner Erkrankungen des zentralen Nervensystems die Krankheitsaktivität, gemessen an klinischen Schubereignissen und MRT-morphologischen neuen Entzündungsläsionen, etabliert. Grundsätzlich gelte ein Patient mit mindestens zwei Schüben pro Jahr als hoch aktiv und bedürfe einer unmittelbaren hochaktiven Therapie. Das sei bei ihm der Fall.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 12. April 2017 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Arzneimittel werden mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§·2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V geleistet, wenn ihnen die arzneimittelrechtliche Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG fehlt (vgl. BSG vom 27. März 2007, Az. B 1 KR 17/06 R - juris). Das vom Antragsteller begehrte Medikament MabThera (Rituximab) ist nicht für die Behandlung der Autoimmunerkrankung des Antragstellers zugelassen. Vielmehr besteht lediglich eine Zulassung (z.T. in Kombination mit anderen Wirkstoffen) für die Behandlung bestimmter Krebserkrankungen, schwerer aktiver rheumatoider Arthritis und schwerer aktiver Granulomatose mit Polyangiitis.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine zulassungsüberschreitende Anwendung nach den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines ‚Off-Label-Use‘ auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kostenübernahme für einen solchen Off-Label-Use kommt nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl. BSG vom 27. März 2007 aaO.).
Es ist bereits fraglich, ob es sich bei der Erkrankung des Antragstellers an einer rezidivierenden autoimmunen Myelitis um eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit im Sinne der ersten Voraussetzung handelt. Bei dieser Erkrankung handelt es sich unstreitig nicht um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung. Das alternative Kriterium der dauerhaften und nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität ist hingegen nicht bereits dann erfüllt, wenn mit einer Erkrankung dauerhaft Einschränkungen der Lebensführung einhergehen. Denn dies ist grundsätzlich bei jeder chronischen Erkrankung der Fall. Vielmehr ist dieses Merkmal nur dann erfüllt, wenn eine mit der Lebensbedrohlichkeit vergleichbare Notstandssituation gegeben ist, also etwa der Verlust einer wesentlichen Körperfunktion konkret kurzfristig droht. Der Einsatz von Medikamenten außerhalb ihres Zulassungsbereiches soll nämlich grundsätzlich nur ausnahmsweise erfolgen können, da ansonsten das Zulassungserfordernis praktisch entwertet würde. Dieses verfolgt aber den Zweck, Medikamente nur dann zur Behandlung der Patienten zur Verfügung zu stellen, wenn sie in einem geordneten Prüfverfahren auf ihre Wirksamkeit, sowie ihre Risiken und Nebenwirkungen getestet worden sind. Eine Ausnahme von diesem Prüfverfahren - das in erster Linie auch dem Schutz der Patienten dient - kann daher nur bei ganz erheblichen Erkrankungen in Frage kommen. Denn nur dann tritt der Schutzgedanke des Zulassungsverfahrens gegenüber dem individuellen Hilfsanspruch in den Hintergrund. Ob die gegenwärtig schubweise auftretenden Taubheitsempfindungen, Gleichgewichtsstörungen und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen für die Annahme einer solchen Notstandssituation ausreichen, ist fraglich, kann jedoch im Ergebnis offen bleiben.
Denn jedenfalls stehen alternative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, auf die der Antragsteller zumutbar verwiesen werden kann. Insofern ist der Antragsteller nach der nicht ausreichend erfolgreichen Behandlung mit Azathioprin zumindest auf einen vorrangigen Therapieversuch mit dem von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Wirkstoff Cyclophosphamid zu verweisen. Einer solchen Therapie spricht auch der behandelnde Arzt Dr. L. in dem Arztbrief vom 14. September 2016 prognostisch ausdrücklich eine ähnliche Wirksamkeit wie einer Rituximab-Behandlung zu. Die spätere Einlassung, diese Behandlung sei wissenschaftlich weniger etabliert (Arztbrief vom 8. Dezember 2016) ist offensichtlich der zwischenzeitlich erfolgten Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin geschuldet und kann daher keine Berücksichtigung finden.
Der Umstand, dass es sich auch bei einer Behandlung mit Cyclophosphamid um einen Off-Label-Use handeln würde, steht der Vorrangigkeit dieser Alternative nicht entgegen. Denn insoweit ist auch beim Fehlen einer zugelassenen Behandlungsalternative unter mehreren in Frage kommenden Off-Label-Medikamenten insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu beachten. Während für eine Rituximab-Behandlung über einen Drei-Jah¬reszeitraum Medikamentenkosten in Höhe von rund 32.000,- Euro anfallen würden, lägen diese beim Einsatz von Cyclophosphamid im selben Zeitraum bei weniger als 3.000,- Euro.
Bei einer vergleichbaren Wirksamkeitserwartung (siehe Arztbrief vom 14. September 2016) und Mehrkosten bei der Verwendung von Rituximab von rund 1.000 Prozent, steht auch die vom behandelnden Arzt vermutete stärkere Belastung mit Nebenwirkungen dem Vorrang einer Cyclophospha¬mid-Behandlung nicht im Wege, zumal beide in Rede stehenden Medikamente Nebenwirkungen haben können und nicht im Ansatz ersichtlich ist, dass der Antragsteller konkret bei Verwendung des einen oder anderen Wirkstoffs mehr Nebenwirkungen erfahren würde und ihm dies unzumutbar wäre.
Im Ergebnis ist dem Antragsteller daher eine Behandlung mit Cyclophosphamid möglich und I zumutbar."
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Sozialgericht Kiel am 8. Mai 2017. Zur Begründung trägt er vor: Wie dem aktuellen Bericht des U vom 2. Juni 2017, in der Anlage beigefügt, zu entnehmen sei, sei es zu einer erneuten ambulanten notfallmäßigen Vorstellung in der neuroimmunologischen Ambulanz gekommen. Bei der Untersuchung seien eine Reflexdifferenz an den Beinen sowie suspekte Babinskizeichen links und ein leicht spastisch ataktisches Gangbild aufgefallen. Die erneute Zunahme der Parese des linken Beines sei bis zum Beweis des Gegenteils als erneutes Rezidiv zu interpretieren. Dieses untermauere erneut die nicht ausreichende Effektivität der Azathioprin-Therapie. Nunmehr sei es bei ihm innerhalb eines Jahres zu vier, insgesamt zu fünf Schüben gekommen. Die Erkrankung sei damit als hoch aktiv zu kategorisieren. Die in den Auswirkungen vergleichbare Multiple Sklerose ist im Übrigen in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19. März 2012 – B 1 KR 37/00 R) hinsichtlich ihrer Schwere als Voraussetzung für einen Off-Label-Use anerkannt worden. Es fehlten auch die Behandlungsalternativen. Die mitgeteilten Erkenntnisquellen seien offensichtlich nicht geprüft worden. Zugelassene Behandlungsalternativen gebe es nicht. Die ebenfalls im Off-Label von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Therapie mit Ciclophosphamid erreiche nach Auffassung der behandelnden Ärzte bei Weitem nicht die Effektivität von Rituximab. Insoweit bestehe in der neurologischen Gemeinschaft Einigkeit, dass ein großer phänomenologischer Überlapp zwischen autoimmunen Enzephalitiden, Neuromyelitis Optica-Erkrankun¬gen und der Multiplen Sklerose bestehe. Dies könne mit entsprechenden Nachweisen belegt werden. Kontrollierte Studien zu autoimmunen Myelitiden fehlten. Für die vergleichbare Neuromyelitis Optica und die schubförmige Multiple Sklerose sei eine Therapie mit Rituximab nachgewiesenermaßen effektiv und nebenwirkungsarm. Der monoklonale Antikörper Rituximab, der sich gegen ein Oberflächenmolekül der B Lymphozyten richte und eine B Zellelemination bewirke, habe sich als wirksam bei entzündlichen Erkrankungen des peripheren Nervensystems und verschiedenen rheumatischen Erkrankungen erwiesen. Demgegenüber existiere keinerlei systematische Evidenz bei der Multiplen Sklerose oder der Neuromyelitis Optica bezüglich des Einsatzes von Cyclophosphamid. Auf das Nebenwirkungsspektrum sei bereits hingewiesen worden. Der Kostenvergleich zwischen den Therapien, wie vom Sozialgericht vorgenommen, sei im Übrigen nicht überzeugend. Die Jahreskosten für die Behandlung mit Rituximab lägen bei 8.220,00 EUR, die für Cyclophosphamid mit allen Nebenkosten bei 6.280,00 EUR. Er sehe sich finanziell nicht in der Lage, die Kosten zu übenehmen. Dazu verweist er auf die vom Senat angeforderte Aufstellung seiner finanziellen Situation. Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und teilweise begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin besteht ein Anspruch auf die Behandlung mit Rituximab vorläufig im Wege des einstweiligen Rechtschutzes für ein Jahr. Zu diesem Ergebnis kommt der Senat aufgrund folgender Überlegungen:
Hinsichtlich der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung verweist der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts, wonach ein Anordnungsanspruch im Sinne eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung und ein Anordnungsgrund in Form der Eilbedürftigkeit der Leistung vorliegen müssen.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, da der Antragsteller finanziell nicht in der Lage ist, die Therapiekosten im ersten Jahr von über 16.000 EUR zu übernehmen. Ausreichendes verwertbares Vermögen besteht nicht und die laufenden Einnahmen reichen unter Berücksichtigung der laufenden Kosten nicht aus.
Ein Anordnungsanspruch liegt ebenfalls vor. Die Kostenübernahme für einen hier unstreitigen Off-Label-Use, in dessen Rahmen die Behandlung mit Rituximab vom Antragsteller begehrt wird, kommt, insoweit besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, nur in Betracht, wenn es
1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Le- bensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betref- fenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
Ob diese Voraussetzungen letztlich vorliegen, kann in der vorläufigen Prüfung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, in der aufgrund der Eilbedürftigkeit eine umfassende Prüfung komplexer medizinischer Sachverhalte nicht möglich ist, nicht getroffen werden. Das hat letztlich im Hauptsacheverfahren zu geschehen. Vor diesem Hintergrund sind nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO die insbesondere für Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund notwendigen Angaben zum Sachverhalt (lediglich) glaubhaft zu machen. Gleichwohl gilt auch im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich die Pflicht des Gerichts nach § 103 SGG zur Amtsermittlung, sich also die notwendigen Tatsachengrundlagen selbst zu beschaffen. Es besteht aber keine Verpflichtung des Gerichts, alle Mittel zur Sachaufklärung einzusetzen. Diese Pflicht reduziert sich vielmehr im Hinblick auf das Eilbedürfnis auf die Mittel, die in angemessener Zeit zu beschaffen sind. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig nicht möglich, umfassende medizinische Sachverhalte durch ein medizinisches Gutachten zu klären. Bleiben vor diesem Hintergrund noch Unklarheiten, gehen diese nicht zwingend zu Lasten des Antragstellers. Vielmehr hat eine Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten zu erfolgen.
Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die verminderte Anforderung an die Feststellung von Tatsachen setzt sich hinsichtlich der Klärung von Rechtsfragen im Rahmen des Anordnungsanspruchs fort. In diesem Zusammenhang wird allgemein von der "summarischen Prüfung", die sich wegen der Eilbedürftigkeit durch das gesamte Verfahren zieht, gesprochen. Dieser nicht im Gesetz definierte Begriff bedeutet, dass das Gericht sich mit einer überschlägigen "vorläufigen Prüfung" begnügen darf, die es nicht erfordert, schwierige und umfassende Sachverhalte und Rechtsfragen bis ins Einzelne zu klären. Dies hat insbesondere dann Bedeutung, wenn es darum geht, erhebliche Nachteile für den Betroffenen abzuwehren. Auch hier verdeutlicht sich das Wechselspiel zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund. Hängen von der Entscheidung erhebliche gesundheitliche Auswirkungen ab, versucht der Antragsteller insbesondere durch die begehrte Anordnung nachvollziehbar Lebensgefahr oder die Gefahr einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes von sich abzuwenden, kann selbst bei erheblichen Zweifeln an der Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund die begehrte Anordnung zu erteilen sein (vgl. etwa LSG Berlin, Beschluss vom 28. Januar 2003 – L 9 B 20/02 KR ER WO 21 - ergangen, nachdem die zunächst für den Antragsteller negative Entscheidung durch das BVerfG mit Beschluss vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 – aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen worden war). Das BVerfG hat dann eine Ausnahme von der summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht zugunsten einer abschließenden Prüfung wie im Hauptsacheverfahren gefordert, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, so etwa wenn es nach dem Vortrag des Antragstellers um die Behandlung einer akuten Erkrankung mit einem gewissen Morbiditätsrisiko und irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geht (NZS 2004, 527). Ist in solchen Fällen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, hat das Gericht anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden und dabei die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Dabei hat sich das Gericht "schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen und eine bereits mögliche oder zeitweise Verletzung zu verhindern".
Vor diesem Hintergrund ist der Anspruch des Antragstellers auf die vorläufige Übernahme der Kosten für die Behandlung mit Retuximab durch die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutz für das erste Jahr in Form der vom U bezeichneten Initialtherapie gegeben. Der Senat geht davon aus, dass im Anschluss daran die aktuelle Befundlage Aufschluss darüber bringt, ob eine Fortsetzung dieser Behandlung medizinisch indiziert ist.
Das Vorliegen der oben genannten drei Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer "Off-Label-Use"-Therapie kann, worauf bereits oben hingewiesen wurde, erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Allerdings geht der Senat nach der derzeit vorliegenden Datenlage davon aus, dass diese vom Antragsteller glaubhaft gemacht wurden. Er leidet danach an einer schwerwiegenden, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung in Form einer rezidivierenden autoimmunen Myelitis. Zutreffend weist der Antragsteller darauf hin, dass die anfängliche Unsicherheit bei der Diagnose sich in den nachfolgenden Befundberichten des U nicht mehr findet. So wird dort durchgehend von der Diagnose (nicht Verdachtsdiagnose) einer schweren rezidivierenden, immunvermittelnden Myelitis ausgegangen.
Den Berichten und dem Vortrag des Antragstellers ist weiter zu entnehmen, dass diese Erkrankung mit einer hohen Rezidivaktivität einhergeht, wenn innerhalb eines Jahres vier Anfälle zu verzeichnen sind. Diese haben auch zu einer durchgehenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes beim Antragsteller auf mehreren Gebieten geführt und lassen konkret weitere Beeinträchtigungen befürchten. Zutreffend hat der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf die Parallele zur Multiplen Sklerose hingewiesen, die ein ähnliches Erscheinungsbild zeigt und bei der vom Bundessozialgericht von einer schweren Erkrankung im Rahmen der Voraussetzungen des Off-Label-Use ausgegangen wird (Urteil vom 19. März 2012 – B 1 KR 37/00 R).
Ebenfalls geht der Senat davon aus, dass eine allgemein anerkannte Therapie dieser Erkrankung nicht existiert, worauf das U mehrfach hingewiesen hat. Die Beklagte hat zwar auf andere Therapien verwiesen, die aber sämtlich ebenfalls im Off-Label-Use angewendet werden bzw (betr. Plasmaaustauschverfahren) durchgeführt wurden. Dabei ist die Behandlung mit Azathioprin, die beim Antragsteller durchgeführt wird, offensichtlich nur von geringem Erfolg, wie die auch unter dieser Therapie entstandenen Anfälle zeigen.
Zwar stehen sämtliche Therapien auch unter dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Darauf hat sich offensichtlich das Sozialgericht bei seiner ablehnenden Entscheidung gestützt und auf die preisgünstigere Behandlung mit Cyclophosphamid (ebenfalls im Off-Label) verwiesen. Gleichwohl bestehen gerade im Off-Label-Use, also in dem Bereich, in dem es an eindeutigen medizinischen Vorgaben bei den möglichen Behandlungen mangelt, weitere Spielräume im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit als bei den Verfahren, wo die Schulmedizin regelmäßig zur Anwendung kommt und ein Vergleich der Wirksamkeit zwischen den verschiedenen Therapieformen eher vorgenommen werden kann. Die insoweit von dem Antragsteller und unterstützt vom U vorgetragenen Parallelen zu ähnlichen Erkrankungen und die nachgewiesene Wirkweise der hier streitigen Behandlung auf diese Erkrankungen werden von der Antragsgegnerin zudem durch eine medizinisch Argumentation bzw. durch entsprechende Studien, bezogen auf die von ihr vorgeschlagene Therapieform, nicht widerlegt.
Damit sieht der Senat das dritte Erfordernis für die Kostenübernahme eines Off-Label-Use ebenfalls als glaubhaft gemacht an, wonach aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Auch hier wird letztlich erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens eine umfassende medizinische Abklärung erfolgen können. Es ist dem Senat aber aus anderen Verfahren bekannt, dass das Medikament Rituximab nicht selten im Rahmen des Off-Label-Use, gerade bei Autoimmunerkrankungen, Anwendung findet.
Da nach dem Dargelegten in diesem Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sachlage nicht möglich erscheint, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens somit offen ist, bedarf es nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Folgenabwägung. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen, da, so das Bundesverfassungsgericht, "die Gerichte sich schützend vor die Grundrechte des Einzelnen stellen müssen".
Im Rahmen dieser Abwägung kommt der Senat zu einem vorläufigen Anspruch des Antragstellers auf Kostenübernahem der Behandlung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Senat hat die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme auf die streitige Behandlung allerdings auf den Zeitraum von einem Jahr begrenzt. Diese Begrenzung erfolgt auch im Rahmen der Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Interessen der Antragsgegnerin. Nach der dann durchgeführten Behandlung ist erneut zu klären, ob diese zu einer Besserung bzw. zumindest einem Stillstand der Erkrankung beim Antragsteller geführt hat. Gegebenenfalls ist dann, sollte das Hauptsacheverfahren noch nicht abgeschlossen sein, von der Antragsgegnerin eine neue Entscheidung darüber zu treffen, ob auch für die nachfolgende Therapie Kosten zu übernehmen sind. Eine ablehnende Entscheidung wird gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu überprüfen sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog und berücksichtigt, dass der Antragsteller lediglich einen Teilerfolg erzielt hat. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Übernahme der Kosten der Behandlung am U mit dem Medikament Rituximab im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1969 geborene bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller leidet an einer rezidivierenden Myelitis. Die Erstdiagnose erfolgte im Frühjahr 2016. Mit Schreiben vom 14. Sep¬tember 2016 beantragte das U die Kostenübernahme und Verzicht auf Regressforderungen bezüglich einer Off-Label-Verordnung von Rituximab bei dem Antragsteller. Dieser leide an einer schweren rezidivierenden, immunvermittelten Myelitis, für die keine Therapie zugelassen sei. Passend zur entzündlichen Genese finde sich ein entzündliches Liquor-Syndrom mit entsprechenden Rückmarksbefunden im MRT. Die geplante Therapie sehe so aus, dass zunächst eine Initialtherapie mit einem Kostenaufwand in Höhe von 16.103,40 EUR notwendig sei und anschließenden Wiederholungstherapien (vermutlich alle 9 bis 12 Monate) von je 8.050,70 EUR für einen Zeitraum von vorerst drei Jahren (Gesamtkosten ca. 32.204,80 EUR über drei Jahre). Die Off-Label-Kriterien seien hier erfüllt, da es sich zweifellos um eine schwerwiegende Krankheit handele und zugelassene Alternativen nicht bestünden. Eine Medikation mit dem oralen Immuntherapeutikum Azathioprin (ebenfalls nicht zugelassen) sei eingeleitet, aber aus Sicht der Klinik bei Myelitiden nicht effektiv genug, Gleiches gelte für Mycophenolat Mofetil und MTX, die Cyclophosphamid-Stoßtherapie sei vermutlich ähnlich effektiv wie Rituximab, aber deutlich nebenwirkungsbelasteter und müsse alle vier Wochen stationär oder teilstationär infundiert werde. Isolierte Myelitiden seien sehr selten, Phase III-Studien dementsprechend schwierig. Vergleichbar sei sie mit der Neuromyelitis Optica und der Multiplen Sklerose mit spinalem Schwerpunkt, für die es gute Daten zu der Wirksamkeit einer Rituximab-Therapie gebe.
Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme ihrer Pharmazeutischen Beratung und Prüfung ein und lehnte mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 eine Kostenübernahme ab, weil Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Unter dem 8. Dezember 2016 wies das U darauf hin, dass zwischenzeitlich das Plasmaaustauschverfahren durchgeführt worden sei, allerdings ohne Besserung, und es sei bereits kurz nach der Immunadsorption zu einer erneuten Entzündungsaktivität im Myelon gekommen. Die Alternative der Cyclophosphamid Stoßtherapie sei wissenschaftlich weniger etabliert und deutlich nebenwirkungsbelasteter. Das U bleibe bei der Empfehlung einer Behandlung durch Rituximab.
Die Antragsgegnerin holte von der Pharmazeutischen Beratung und Prüfung eine weitere Stellungnahme ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2017 den Widerspruch des Antragstellers zurück, weil eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung bei dem Antragsteller bislang nicht erkennbar sei, die Diagnose einer am ehesten autoimmun bedingten Myelitis nicht näher spezifiziert werden konnte und auch nach der Datenlage nicht die begründete Aussicht einer Besserung bestehe.
Hiergegen hat der Antragsteller am 16. März 2017 beim Sozialgericht Kiel beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, die Kosten für die Behandlung des Antragstellers mit dem Medikament Rituximab zu übernehmen.
Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass die Kriterien für eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin im Rahmen des Off-Label-Use vorlägen. Er leide an einer seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. So sei die Erkrankung erst seit dem vergangenen Jahr bekannt, er aber wegen der in kurzer Abfolge aufgetretenen Rezidive im Alter von 47 Jahren bereits nachhaltig gehbehindert. Zudem leide er unter Störungen der Blasen-Mastdarmfunktion und des Schließmuskels. Bei Ausbleiben einer effektiven Rezidivprophylaxe entstünden höhere Myelitis-Manifestationen im zervikalen Mark und in der Folge in absehbarer Zukunft der vollständige Verlust seiner Gehfähigkeit bis hin zur Querschnittslähmung. Des Weiteren bestehe das erhebliche Risiko, dass Störungen der Handfunktionen einträten. Infolge der gestörten Harnblasensensibilität könne es zu einer Nierenerkrankung bis zur vollständigen Funktionsstörung der Niere kommen. Es bestünden auch keine Behandlungsalternativen. Die Therapie mit Azathioprin sei ohne Erfolg durchgeführt worden. Die Wirksamkeit von MTX und MMF, für die keine systematische Evidenz einer Wirksamkeit bestünde, sei im Übrigen mit der Wirksamkeit von Azathioprin vergleichbar. Hinsichtlich der Therapie mit Cyclophosphamid fehle jede systematische Evidenz und es bestünden erhebliche Nebenwirkungen mit den Risiken einer relevanten Infektneigung, Blasenkarzinome und Teratogenität etc ... Im Übrigen sei das Präparat ebenfalls im Off-Label zu verabreichen. Die Behauptung der Antragsgegnerin, es handele sich nicht um eine sehr seltene Erkrankung bei ihm, sei unzutreffend. Damit komme es auf andere Berichte über die Qualität und Wirksamkeit des Rituximab bei autoimmuner Myelitis an. Seine Erkrankung sei am ehesten mit der Neuromyelitis Optica vergleichbar. Hier existierten mehrere Off-Label-Studien, die die Effektivität der Indikation diesbezüglich bestätigten. Diese Studien werden von dem Antragsteller im Einzelnen aufgeführt. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen einer Verordnung von Rituximab gemäß § 2 Abs. 1a SGB V vor. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass es ohne Behandlung zu weiteren Rezidiven käme. Die Kosten der Therapie könne er, da er mittlerweile arbeitsunfähig sei, nicht aus eigenen Mitteln bezahlen. Am 16. März 2017 sei Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben worden. Das Aktenzeichen sei noch nicht bekannt.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen: Bei bislang unklarer diagnostischer Zuordnung bzw. einer lediglich als Verdachtsdiagnose geäußerten autoimmunen Genese der Myelitis sei der Antragsteller auf Medikamente zu verweisen, welche in ihrer Zulassung nicht auf ein enges Spektrum definierter Erkrankungen begrenzt seien. Dazu zähle Rituximab nicht. Die Voraussetzungen des Off-Label-Use lägen nicht vor. Dazu legt die Antragsgegnerin eine Beurteilung durch den MDK Nordrhein vom 11. Januar 2017 vor, die der Stellungnahme der Pharmazeutischen Beratung und Prüfung offensichtlich als Grundlage diente.
Der Antragsteller hat erwidert, bei der Diagnose einer autoimmunen rezidivierenden Myelitis handele es sich zwischenzeitlich um eine gesicherte Diagnose, wie den späteren Arztberichten zu entnehmen sei. Lediglich zu Beginn der stationären Abklärung im Juni 2016 sei als Diagnose "Myelitis, am ehesten autoimmune Ätiologie" angegeben worden. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass sowohl für die mit der seltenen Erkrankung am ehesten vergleichbare Neuromyelitis Optica als auch für die schubförmige Multiple Sklerose eine Therapie mit Rituximab indiziert sei, da sie effektiv und nebenwirkungsarm sei. Rituximab werde nach wie vor bei Neuromyelitica optica als "First-Line-Therapie" empfohlen. Es existierten auch entsprechende Empfehlungen der Fachgesellschaft NEMOS, wie sich aus der Anlage 7 ergebe. Es lägen mittlerweile auch überzeugende Daten zu der Wirksamkeit vor, die voraussichtlich dazu führten, dass der monoklonale Antikörper Ocrelizumab als ebenfalls B Zell depletierende Substanz (Nachfolgeantikörper zu Rituximab) im Laufe dieses Jahres für die Multiple Sklerose zugelassen werde, wie der Pressemitteilung in Anlage 8 der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu entnehmen sei. In einer Kohortenstudie sei Rituximab bei Multipler Sklerose und bei Sonderformen eingesetzt worden und werde gegenwärtig im mehreren Phase II- und Phase III-Studien eingesetzt. Zwar sei in einer Placebo-kontrollierten Phase III-Studie mit primär chronisch progredienter Multipler Sklerose ein Nutzen über zwei Jahre nicht festgestellt worden. Allerdings hätte sich für Patienten, die jünger als 50 Jahre alt seien sowie mit kurzem Krankheitsverlauf ein deutlicher Effekt in Subgruppenanalysen gezeigt. Er, der Antragsteller, sei im Übrigen dringend behandlungsbedürftig. So habe sich zur Bemessung der Behandlungsbedürftigkeit autoimmuner Erkrankungen des zentralen Nervensystems die Krankheitsaktivität, gemessen an klinischen Schubereignissen und MRT-morphologischen neuen Entzündungsläsionen, etabliert. Grundsätzlich gelte ein Patient mit mindestens zwei Schüben pro Jahr als hoch aktiv und bedürfe einer unmittelbaren hochaktiven Therapie. Das sei bei ihm der Fall.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 12. April 2017 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Arzneimittel werden mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§·2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V geleistet, wenn ihnen die arzneimittelrechtliche Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG fehlt (vgl. BSG vom 27. März 2007, Az. B 1 KR 17/06 R - juris). Das vom Antragsteller begehrte Medikament MabThera (Rituximab) ist nicht für die Behandlung der Autoimmunerkrankung des Antragstellers zugelassen. Vielmehr besteht lediglich eine Zulassung (z.T. in Kombination mit anderen Wirkstoffen) für die Behandlung bestimmter Krebserkrankungen, schwerer aktiver rheumatoider Arthritis und schwerer aktiver Granulomatose mit Polyangiitis.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine zulassungsüberschreitende Anwendung nach den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines ‚Off-Label-Use‘ auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kostenübernahme für einen solchen Off-Label-Use kommt nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl. BSG vom 27. März 2007 aaO.).
Es ist bereits fraglich, ob es sich bei der Erkrankung des Antragstellers an einer rezidivierenden autoimmunen Myelitis um eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit im Sinne der ersten Voraussetzung handelt. Bei dieser Erkrankung handelt es sich unstreitig nicht um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung. Das alternative Kriterium der dauerhaften und nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität ist hingegen nicht bereits dann erfüllt, wenn mit einer Erkrankung dauerhaft Einschränkungen der Lebensführung einhergehen. Denn dies ist grundsätzlich bei jeder chronischen Erkrankung der Fall. Vielmehr ist dieses Merkmal nur dann erfüllt, wenn eine mit der Lebensbedrohlichkeit vergleichbare Notstandssituation gegeben ist, also etwa der Verlust einer wesentlichen Körperfunktion konkret kurzfristig droht. Der Einsatz von Medikamenten außerhalb ihres Zulassungsbereiches soll nämlich grundsätzlich nur ausnahmsweise erfolgen können, da ansonsten das Zulassungserfordernis praktisch entwertet würde. Dieses verfolgt aber den Zweck, Medikamente nur dann zur Behandlung der Patienten zur Verfügung zu stellen, wenn sie in einem geordneten Prüfverfahren auf ihre Wirksamkeit, sowie ihre Risiken und Nebenwirkungen getestet worden sind. Eine Ausnahme von diesem Prüfverfahren - das in erster Linie auch dem Schutz der Patienten dient - kann daher nur bei ganz erheblichen Erkrankungen in Frage kommen. Denn nur dann tritt der Schutzgedanke des Zulassungsverfahrens gegenüber dem individuellen Hilfsanspruch in den Hintergrund. Ob die gegenwärtig schubweise auftretenden Taubheitsempfindungen, Gleichgewichtsstörungen und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen für die Annahme einer solchen Notstandssituation ausreichen, ist fraglich, kann jedoch im Ergebnis offen bleiben.
Denn jedenfalls stehen alternative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, auf die der Antragsteller zumutbar verwiesen werden kann. Insofern ist der Antragsteller nach der nicht ausreichend erfolgreichen Behandlung mit Azathioprin zumindest auf einen vorrangigen Therapieversuch mit dem von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Wirkstoff Cyclophosphamid zu verweisen. Einer solchen Therapie spricht auch der behandelnde Arzt Dr. L. in dem Arztbrief vom 14. September 2016 prognostisch ausdrücklich eine ähnliche Wirksamkeit wie einer Rituximab-Behandlung zu. Die spätere Einlassung, diese Behandlung sei wissenschaftlich weniger etabliert (Arztbrief vom 8. Dezember 2016) ist offensichtlich der zwischenzeitlich erfolgten Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin geschuldet und kann daher keine Berücksichtigung finden.
Der Umstand, dass es sich auch bei einer Behandlung mit Cyclophosphamid um einen Off-Label-Use handeln würde, steht der Vorrangigkeit dieser Alternative nicht entgegen. Denn insoweit ist auch beim Fehlen einer zugelassenen Behandlungsalternative unter mehreren in Frage kommenden Off-Label-Medikamenten insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu beachten. Während für eine Rituximab-Behandlung über einen Drei-Jah¬reszeitraum Medikamentenkosten in Höhe von rund 32.000,- Euro anfallen würden, lägen diese beim Einsatz von Cyclophosphamid im selben Zeitraum bei weniger als 3.000,- Euro.
Bei einer vergleichbaren Wirksamkeitserwartung (siehe Arztbrief vom 14. September 2016) und Mehrkosten bei der Verwendung von Rituximab von rund 1.000 Prozent, steht auch die vom behandelnden Arzt vermutete stärkere Belastung mit Nebenwirkungen dem Vorrang einer Cyclophospha¬mid-Behandlung nicht im Wege, zumal beide in Rede stehenden Medikamente Nebenwirkungen haben können und nicht im Ansatz ersichtlich ist, dass der Antragsteller konkret bei Verwendung des einen oder anderen Wirkstoffs mehr Nebenwirkungen erfahren würde und ihm dies unzumutbar wäre.
Im Ergebnis ist dem Antragsteller daher eine Behandlung mit Cyclophosphamid möglich und I zumutbar."
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Sozialgericht Kiel am 8. Mai 2017. Zur Begründung trägt er vor: Wie dem aktuellen Bericht des U vom 2. Juni 2017, in der Anlage beigefügt, zu entnehmen sei, sei es zu einer erneuten ambulanten notfallmäßigen Vorstellung in der neuroimmunologischen Ambulanz gekommen. Bei der Untersuchung seien eine Reflexdifferenz an den Beinen sowie suspekte Babinskizeichen links und ein leicht spastisch ataktisches Gangbild aufgefallen. Die erneute Zunahme der Parese des linken Beines sei bis zum Beweis des Gegenteils als erneutes Rezidiv zu interpretieren. Dieses untermauere erneut die nicht ausreichende Effektivität der Azathioprin-Therapie. Nunmehr sei es bei ihm innerhalb eines Jahres zu vier, insgesamt zu fünf Schüben gekommen. Die Erkrankung sei damit als hoch aktiv zu kategorisieren. Die in den Auswirkungen vergleichbare Multiple Sklerose ist im Übrigen in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19. März 2012 – B 1 KR 37/00 R) hinsichtlich ihrer Schwere als Voraussetzung für einen Off-Label-Use anerkannt worden. Es fehlten auch die Behandlungsalternativen. Die mitgeteilten Erkenntnisquellen seien offensichtlich nicht geprüft worden. Zugelassene Behandlungsalternativen gebe es nicht. Die ebenfalls im Off-Label von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Therapie mit Ciclophosphamid erreiche nach Auffassung der behandelnden Ärzte bei Weitem nicht die Effektivität von Rituximab. Insoweit bestehe in der neurologischen Gemeinschaft Einigkeit, dass ein großer phänomenologischer Überlapp zwischen autoimmunen Enzephalitiden, Neuromyelitis Optica-Erkrankun¬gen und der Multiplen Sklerose bestehe. Dies könne mit entsprechenden Nachweisen belegt werden. Kontrollierte Studien zu autoimmunen Myelitiden fehlten. Für die vergleichbare Neuromyelitis Optica und die schubförmige Multiple Sklerose sei eine Therapie mit Rituximab nachgewiesenermaßen effektiv und nebenwirkungsarm. Der monoklonale Antikörper Rituximab, der sich gegen ein Oberflächenmolekül der B Lymphozyten richte und eine B Zellelemination bewirke, habe sich als wirksam bei entzündlichen Erkrankungen des peripheren Nervensystems und verschiedenen rheumatischen Erkrankungen erwiesen. Demgegenüber existiere keinerlei systematische Evidenz bei der Multiplen Sklerose oder der Neuromyelitis Optica bezüglich des Einsatzes von Cyclophosphamid. Auf das Nebenwirkungsspektrum sei bereits hingewiesen worden. Der Kostenvergleich zwischen den Therapien, wie vom Sozialgericht vorgenommen, sei im Übrigen nicht überzeugend. Die Jahreskosten für die Behandlung mit Rituximab lägen bei 8.220,00 EUR, die für Cyclophosphamid mit allen Nebenkosten bei 6.280,00 EUR. Er sehe sich finanziell nicht in der Lage, die Kosten zu übenehmen. Dazu verweist er auf die vom Senat angeforderte Aufstellung seiner finanziellen Situation. Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und teilweise begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin besteht ein Anspruch auf die Behandlung mit Rituximab vorläufig im Wege des einstweiligen Rechtschutzes für ein Jahr. Zu diesem Ergebnis kommt der Senat aufgrund folgender Überlegungen:
Hinsichtlich der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung verweist der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts, wonach ein Anordnungsanspruch im Sinne eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung und ein Anordnungsgrund in Form der Eilbedürftigkeit der Leistung vorliegen müssen.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, da der Antragsteller finanziell nicht in der Lage ist, die Therapiekosten im ersten Jahr von über 16.000 EUR zu übernehmen. Ausreichendes verwertbares Vermögen besteht nicht und die laufenden Einnahmen reichen unter Berücksichtigung der laufenden Kosten nicht aus.
Ein Anordnungsanspruch liegt ebenfalls vor. Die Kostenübernahme für einen hier unstreitigen Off-Label-Use, in dessen Rahmen die Behandlung mit Rituximab vom Antragsteller begehrt wird, kommt, insoweit besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, nur in Betracht, wenn es
1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Le- bensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betref- fenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
Ob diese Voraussetzungen letztlich vorliegen, kann in der vorläufigen Prüfung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, in der aufgrund der Eilbedürftigkeit eine umfassende Prüfung komplexer medizinischer Sachverhalte nicht möglich ist, nicht getroffen werden. Das hat letztlich im Hauptsacheverfahren zu geschehen. Vor diesem Hintergrund sind nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO die insbesondere für Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund notwendigen Angaben zum Sachverhalt (lediglich) glaubhaft zu machen. Gleichwohl gilt auch im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich die Pflicht des Gerichts nach § 103 SGG zur Amtsermittlung, sich also die notwendigen Tatsachengrundlagen selbst zu beschaffen. Es besteht aber keine Verpflichtung des Gerichts, alle Mittel zur Sachaufklärung einzusetzen. Diese Pflicht reduziert sich vielmehr im Hinblick auf das Eilbedürfnis auf die Mittel, die in angemessener Zeit zu beschaffen sind. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig nicht möglich, umfassende medizinische Sachverhalte durch ein medizinisches Gutachten zu klären. Bleiben vor diesem Hintergrund noch Unklarheiten, gehen diese nicht zwingend zu Lasten des Antragstellers. Vielmehr hat eine Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten zu erfolgen.
Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die verminderte Anforderung an die Feststellung von Tatsachen setzt sich hinsichtlich der Klärung von Rechtsfragen im Rahmen des Anordnungsanspruchs fort. In diesem Zusammenhang wird allgemein von der "summarischen Prüfung", die sich wegen der Eilbedürftigkeit durch das gesamte Verfahren zieht, gesprochen. Dieser nicht im Gesetz definierte Begriff bedeutet, dass das Gericht sich mit einer überschlägigen "vorläufigen Prüfung" begnügen darf, die es nicht erfordert, schwierige und umfassende Sachverhalte und Rechtsfragen bis ins Einzelne zu klären. Dies hat insbesondere dann Bedeutung, wenn es darum geht, erhebliche Nachteile für den Betroffenen abzuwehren. Auch hier verdeutlicht sich das Wechselspiel zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund. Hängen von der Entscheidung erhebliche gesundheitliche Auswirkungen ab, versucht der Antragsteller insbesondere durch die begehrte Anordnung nachvollziehbar Lebensgefahr oder die Gefahr einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes von sich abzuwenden, kann selbst bei erheblichen Zweifeln an der Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund die begehrte Anordnung zu erteilen sein (vgl. etwa LSG Berlin, Beschluss vom 28. Januar 2003 – L 9 B 20/02 KR ER WO 21 - ergangen, nachdem die zunächst für den Antragsteller negative Entscheidung durch das BVerfG mit Beschluss vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 – aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen worden war). Das BVerfG hat dann eine Ausnahme von der summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht zugunsten einer abschließenden Prüfung wie im Hauptsacheverfahren gefordert, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, so etwa wenn es nach dem Vortrag des Antragstellers um die Behandlung einer akuten Erkrankung mit einem gewissen Morbiditätsrisiko und irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geht (NZS 2004, 527). Ist in solchen Fällen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, hat das Gericht anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden und dabei die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Dabei hat sich das Gericht "schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen und eine bereits mögliche oder zeitweise Verletzung zu verhindern".
Vor diesem Hintergrund ist der Anspruch des Antragstellers auf die vorläufige Übernahme der Kosten für die Behandlung mit Retuximab durch die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutz für das erste Jahr in Form der vom U bezeichneten Initialtherapie gegeben. Der Senat geht davon aus, dass im Anschluss daran die aktuelle Befundlage Aufschluss darüber bringt, ob eine Fortsetzung dieser Behandlung medizinisch indiziert ist.
Das Vorliegen der oben genannten drei Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer "Off-Label-Use"-Therapie kann, worauf bereits oben hingewiesen wurde, erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Allerdings geht der Senat nach der derzeit vorliegenden Datenlage davon aus, dass diese vom Antragsteller glaubhaft gemacht wurden. Er leidet danach an einer schwerwiegenden, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung in Form einer rezidivierenden autoimmunen Myelitis. Zutreffend weist der Antragsteller darauf hin, dass die anfängliche Unsicherheit bei der Diagnose sich in den nachfolgenden Befundberichten des U nicht mehr findet. So wird dort durchgehend von der Diagnose (nicht Verdachtsdiagnose) einer schweren rezidivierenden, immunvermittelnden Myelitis ausgegangen.
Den Berichten und dem Vortrag des Antragstellers ist weiter zu entnehmen, dass diese Erkrankung mit einer hohen Rezidivaktivität einhergeht, wenn innerhalb eines Jahres vier Anfälle zu verzeichnen sind. Diese haben auch zu einer durchgehenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes beim Antragsteller auf mehreren Gebieten geführt und lassen konkret weitere Beeinträchtigungen befürchten. Zutreffend hat der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf die Parallele zur Multiplen Sklerose hingewiesen, die ein ähnliches Erscheinungsbild zeigt und bei der vom Bundessozialgericht von einer schweren Erkrankung im Rahmen der Voraussetzungen des Off-Label-Use ausgegangen wird (Urteil vom 19. März 2012 – B 1 KR 37/00 R).
Ebenfalls geht der Senat davon aus, dass eine allgemein anerkannte Therapie dieser Erkrankung nicht existiert, worauf das U mehrfach hingewiesen hat. Die Beklagte hat zwar auf andere Therapien verwiesen, die aber sämtlich ebenfalls im Off-Label-Use angewendet werden bzw (betr. Plasmaaustauschverfahren) durchgeführt wurden. Dabei ist die Behandlung mit Azathioprin, die beim Antragsteller durchgeführt wird, offensichtlich nur von geringem Erfolg, wie die auch unter dieser Therapie entstandenen Anfälle zeigen.
Zwar stehen sämtliche Therapien auch unter dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Darauf hat sich offensichtlich das Sozialgericht bei seiner ablehnenden Entscheidung gestützt und auf die preisgünstigere Behandlung mit Cyclophosphamid (ebenfalls im Off-Label) verwiesen. Gleichwohl bestehen gerade im Off-Label-Use, also in dem Bereich, in dem es an eindeutigen medizinischen Vorgaben bei den möglichen Behandlungen mangelt, weitere Spielräume im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit als bei den Verfahren, wo die Schulmedizin regelmäßig zur Anwendung kommt und ein Vergleich der Wirksamkeit zwischen den verschiedenen Therapieformen eher vorgenommen werden kann. Die insoweit von dem Antragsteller und unterstützt vom U vorgetragenen Parallelen zu ähnlichen Erkrankungen und die nachgewiesene Wirkweise der hier streitigen Behandlung auf diese Erkrankungen werden von der Antragsgegnerin zudem durch eine medizinisch Argumentation bzw. durch entsprechende Studien, bezogen auf die von ihr vorgeschlagene Therapieform, nicht widerlegt.
Damit sieht der Senat das dritte Erfordernis für die Kostenübernahme eines Off-Label-Use ebenfalls als glaubhaft gemacht an, wonach aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Auch hier wird letztlich erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens eine umfassende medizinische Abklärung erfolgen können. Es ist dem Senat aber aus anderen Verfahren bekannt, dass das Medikament Rituximab nicht selten im Rahmen des Off-Label-Use, gerade bei Autoimmunerkrankungen, Anwendung findet.
Da nach dem Dargelegten in diesem Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sachlage nicht möglich erscheint, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens somit offen ist, bedarf es nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Folgenabwägung. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen, da, so das Bundesverfassungsgericht, "die Gerichte sich schützend vor die Grundrechte des Einzelnen stellen müssen".
Im Rahmen dieser Abwägung kommt der Senat zu einem vorläufigen Anspruch des Antragstellers auf Kostenübernahem der Behandlung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Senat hat die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme auf die streitige Behandlung allerdings auf den Zeitraum von einem Jahr begrenzt. Diese Begrenzung erfolgt auch im Rahmen der Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Interessen der Antragsgegnerin. Nach der dann durchgeführten Behandlung ist erneut zu klären, ob diese zu einer Besserung bzw. zumindest einem Stillstand der Erkrankung beim Antragsteller geführt hat. Gegebenenfalls ist dann, sollte das Hauptsacheverfahren noch nicht abgeschlossen sein, von der Antragsgegnerin eine neue Entscheidung darüber zu treffen, ob auch für die nachfolgende Therapie Kosten zu übernehmen sind. Eine ablehnende Entscheidung wird gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu überprüfen sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog und berücksichtigt, dass der Antragsteller lediglich einen Teilerfolg erzielt hat. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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