L 2 SB 73/16

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 8 SB 169/13 (SG Itzehoe)
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 2 SB 73/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 22. September 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 1969 geborene Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung ihres Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 30 bzw. 40.

Mit Bescheid vom 4. August 2008 hatte der Kreis D als damals örtlich zuständiger Träger der Klägerin einen GdB von 50 ab 23. September 2005 zuerkannt. Der Bescheid ging dabei in Ausführung eines Anerkenntnisses welches der Kreis D am 7. Juli 2008 in mündlicher Verhandlung vor dem Sozialgericht A im damaligen Verfahren S SB /06 auf Anregung des Gerichts abgegeben hat. Grundlage der richterlichen Anregung war dabei die von dem Sozialgericht A durchgeführte sozialmedizinische Sachverhaltsaufklärung.

Dieses hatte ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten der Sachverständigen Dr. K vom 5. März 2008 eingeholt, in dem diese Sachverständige insgesamt einen GdB von 50 vorgeschlagen hatte. Dabei hatte sie eine seelische Beeinträchtigung mit stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit bei mittelgradiger ausgeprägte depressiver Störung und Ausprägung einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit einem Einzel-GdB von 40 diagnostiziert, sowie Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule mit leichten bis mittelgradigen funktionellen Auswirkungen mit Schwerpunkt der HWS und LWS mit Nachweis von Bandscheibenprotusion L4/L5 ohne Hinweis auf Nervenwurzelkompression, ohne sensormotorische Ausfälle mit einem Einzel-GdB von 30. Neben einer mit einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Funktionseinschränkung der Verdauungsorgane hat die Sachverständige noch weitere leichtgradige Behinderungen mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet.

Bereits zuvor hatte das Sozialgericht A ein orthopädisches Fachgutachten vom 5. September 2007 von dem Sachverständigen Dr. M eingeholt. Dieser hatte auf seinem Fachgebiet für die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule ebenfalls einen Einzel-GdB von 30 angenommen und ausgeführt, es handele sich um mittelgradiger bis leichte funktionelle Auswirkungen in 3 Wirbelsäulenabschnitten, vordergründig die HWS betreffend.

2011 leitete der durch Umzug der Klägerin zwischenzeitlich örtlich zuständig gewordene Beklagte das Nachprüfungsverfahren von Amts wegen ein und zog einen Rehabilitations-Entlassungsbericht aus der klinik S über den dortigen Aufenthalt der Klägerin vom 4. Januar bis 8. Februar 2012 bei. Dort wurde eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig limitiert, ein HWS- und LWS- Syndrom sowie eine unter Medikation stabile asthmatische Erkrankung der Klägerin diagnostiziert.

Nach Anhörung der Klägerin hob der Beklagte den Bescheid vom 4. August 2008 mit Bescheid vom 29. Januar 2013 gestützt auf § 48 Sozialgesetzbuch, 10. Buch Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) teilweise auf und bewertete die Behinderungen der Klägerin nur noch mit einem GdB von 30. Dieser Bewertung lag verwaltungsintern die Bewertung sowohl der seelischen Störung als auch der Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit Einzel-GdB von jeweils 20 zugrunde.

Der dagegen von der Klägerin am 5. Februar 2013 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2013 zurückgewiesen.

Mit der am 6. August 2013 bei dem Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Sie hat vorgetragen, weder die Wirbelsäulenerkrankung noch die seelischen Beschwerden hätten sich gebessert, so dass der Beklagte zu niedrige Einzel-GdB angenommen habe. Vielmehr seien die 2008 angenommenen Einzel-GdB nach wie vor gerechtfertigt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 29. Januar 2013 Erfassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2013 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat zunächst an seiner Bewertung festgehalten und sodann unter dem Eindruck der von dem Sozialgericht vorgenommenen sozialmedizinische Sachverhaltsaufklärung angeboten, den GdB auch über den Zeitpunkt des Herabsetzungsbescheides hinaus mit einem GdB von 40 zu bewerten.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie des Gutachtens der Sachverständigen K von dem Neurologen und Psychiater Dr. H ein Sachverständigengutachten eingeholt. In diesem Gutachten vom 22. September 2016 gelangte der Sachverständige aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 11. August 2016 zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin nach wie vor eine mittelgradig ausgeprägte depressive Symptomatik mit greifbarer hirnorganischer Leistungsbeeinträchtigung vorliege, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sei. Eine schwere depressive Symptomatik sei aber nicht anzunehmen. Daneben bestehe ein Lendenwirbelsäulensyndrom, welches mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Weitere geringwertige Behinderungen sein nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB liege bei 40.

Mit Urteil vom 22. September 2016 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 29. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2013 insoweit aufgehoben, als ein GdB von weniger als 40 festgestellt wird und die Klage im Übrigen abgewiesen. In der Begründung hat es eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen, hier gesundheitlichen Verhältnissen gegenüber den Verhältnissen die bei Erlass des Bescheides vom August 2008 vorgelegen haben angenommen. Gebessert habe sich das Wirbelsäulenleiden, das 2008 noch mit einem GdB von 30 bewertet worden sei, wenngleich dieser Wert im oberen Ermessensbereich gelegen habe. Nunmehr sei nur noch ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt.

Gegen dieses ihrem Bevollmächtigten am 21. Oktober 2016 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 27 Oktober 2016.

Sie trägt vor, der Beklagte habe die fortbestehende psychische Behinderung nicht hinreichend berücksichtigt, sondern sich ausschließlich auf orthopädische Gesichtspunkte gestützt. In diesem Verfahren trage ausschließlich der Beklagte die Beweislast für eine Verbesserung im Gesundheitszustand und nicht die Klägerin. Aus dem Entlassungsbericht aus S könne der Beklagte eine durchgreifende Änderung auf psychiatrischem Gebiet nicht ableiten. Sofern der Beklagte nur von einer leichten Funktionseinschränkung ohne neurologische Defizite und ohne Erfordernis einer Schmerzmedikation hinsichtlich der Wirbelsäule ausgehe, habe sich gegenüber der ursprünglichen Einstufung durch das Sozialgericht A nichts geändert. Eine wesentliche Änderung der Tatsachen im Sinne des § 48 SGB X sei nicht eingetreten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 22. September 2016 abzuändern und den Bescheid vom 29. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2013 vollständig aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Berufungsverfahren hat der Senat von dem Chirurgen Dr. T ein chirurgisch - orthopädisches Sachverständigengutachten vom 10. Oktober 2017 nach Aktenlage eingeholt. Der Sachverständige T bewertete die Funktionsstörung der Wirbelsäule für den Juli 2013 mit einem GdB von 10-20 und den Gesamt-GdB mit 40.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat nach Aktenlage noch ein Gutachten des Orthopäden B vom 9. September 2018 eingeholt. Dieser Sachverständige bewertete den Gesamt-GdB der Klägerin ebenfalls mit 40 und führte aus, aufgrund der Aktenlage sei eine Beeinträchtigung der Wirbelsäulenfunktion, die mit einem GdB von 30 zu bemessen wäre nicht nachvollziehbar gewesen.

Der Senat hat ein Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen B wegen der Besorgnis der Befangenheit mit Beschluss vom 12. November 2018 abgelehnt.

Der Senat hat noch Befundberichte der die Klägerin aktuell behandelnden Ärzte, namentlich des Internisten J , des Orthopäden R , des Psychiaters N sowie des Allgemeinmediziners und Psychotherapeuten F und des Allgemeinmediziner FA eingeholt.

Nachdem das Gericht in Hinblick auf einen diesen Befundberichten beigefügten Rehabilitationsentlassungsbericht aus S über den dortigen Aufenthalt der Klägerin Jahr 2017 Zweifel daran geäußert hat, ob das psychische Leiden der Klägerin nach wie vor mit einem GdB von 40 zu bewerten sei, hat die Klägerin noch ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten aus einem Rentenverfahren des Sachverständigen Dr. FB eingereicht, in dem dieser ein hirnorganisches Psychosyndrom mit einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert hat.

Der Senat hat ferner noch das Gutachten des Orthopäden Dr. M vom 5. September 2007 aus dem Verfahren des Sozialgerichts A beigezogen.

Mit Schriftsätzen vom 7. August und 15. August 2017 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt.

Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 155 Abs. 3, Abs. 4 SGG durch den bestellten Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden, weil die Beteiligten dieser Verfahrensweise zuvor schriftsätzlich zugestimmt haben.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG, gerechnet ab Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung, bei dem Landessozialgericht eingegangen. Einer gesonderten Zulassung gemäß § 144 SGG bedurfte die Berufung schon deswegen nicht, weil nicht um eine wertmäßig bezifferbare Sach-, Dienst-, oder Geldleistung gestritten wird.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, soweit mit ihr auch die Beibehaltung eines GdB von mehr als 40 über den Erlass der angefochtenen Verwaltungsentscheidung hinaus begehrt wird. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen erweisen sich nur insoweit als rechtswidrig und die Klägerin in ihren Rechten verletzend, als sie der Klägerin nur noch einen GdB von 30 und keinen mehr von 40 zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klägerin durch die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen nicht in ihren Rechten verletzt.

Zulässig ist gegen die hier streitgegenständliche GdB-Herabsetzung aber nur die reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG. Abzustellen ist daher im Rahmen der Prüfung auf die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, hier vor allem die gesundheitlichen Verhältnisse, die zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2013 vorgelegen haben. (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a. Sozialgerichtsgesetz 11. Aufl. § 54 Rn.32). Spätere Änderungen der Sach- und Rechtslage sind daher unbeachtlich (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, § 54 Rdn. 33 m.w.N.). Dies gilt auch in der hier vorliegenden Konstellation der Herabsetzung des GdB im Hinblick auf eine (vermeintliche) Verbesserung des Gesundheitszustandes. Auch in dieser Konstellation kommt es allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an. Spätere Änderungen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt (vgl. BSG, Urteil vom 15. August 1996, 9 RVs 10/94). Auch im Wege einer Klageänderung kann das Begehren der Berücksichtigung späterer Änderungen im Gesundheitszustand nicht zulässiger Streitgegenstand werden, denn es fehlt insoweit an den Sachurteilsvoraussetzungen. Ein auf Erhöhung des GdB wegen erneuter Verschlechterungen im Gesundheitszustand gerichtetes Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren hat nämlich nicht stattgefunden. Dieses ist zur Überzeugung des Gerichts auch nicht entbehrlich (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.09.2006, L 11 SB 24/05.).

Ihre rechtliche Grundlage finden die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen in § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Als wesentliche Änderung gilt im Bereich schwerbehindertenrechtlicher Feststellungen eine Veränderung im Gesundheitszustand eines behinderten Menschen, die zu einer Änderung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 oder zur Zu- bzw. Aberkennung eines Nachteilsausgleichs im Sinne von § 152 Abs.4 Sozialgesetzbuch, 9. Buch, Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX) (bis 31. Dezember 2017 69 Abs. 4 SGB IX) führt.

Schwerbehindertenrechtliche Feststellungen haben folgende Grundlage.

Gemäß §152 Abs.1 SGB XI (bis zum 31. Dezember 2017 § 69 Abs. 1 SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden – in Schleswig-Holstein das Landesamt für soziale Dienste – das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Eine Behinderung liegt nach § 2 Abs. 1 SGB IX vor, wenn Menschen körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinn liegt vor, wenn der Körper und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Der Grad der Behinderung ist nach 10er-Graden abgestuft festzustellen. Gemäß § 153 Abs. 2 (bis 31. Dezember 2017 § 70 Abs.2 SGB IX) ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für das soziale Entschädigungsrecht enthält § 30 Abs.16 BVG (zuvor § 30 Abs.17 BVG). Das Bundessministerium für Arbeit und Soziales hat auf Grundlage des damaligen § 30 Abs. 17 BVG mit Wirkung ab 1.1.2009 die Versorgungsmedizin–Verordnung (VersMedV) erlassen. Diese enthält in ihrer Anlage zu § 2 die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG), in denen u.a. die Einzelheiten der GdB-Bemessung, zum Teil der Voraussetzungen der Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen und der Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Behinderungen geregelt sind. Für den Zeitraum bis zum 31.12.2008 wurden statt der VmG die ebenfalls vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) angewandt. Diesem kam im Gegensatz zu den VmG keine Rechtsnormqualität zu. Nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes waren sie aber als antizipiertes Sachverständigengutachten anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 18.9.2003, B 9 SB 3/02 R). Ein Abweichen von den Maßstäben der AHP war somit auch für den Zeitraum bis zum 31.12.2008 nur bei Besonderheiten im Einzelfall indiziert. Im Folgenden werden die AHP nur zitiert, wenn sie gegenüber den weitgehend inhaltsgleichen VmG Abweichungen enthalten und diese für den streitgegenständlichen Zeitraum relevant sind.

Liegen mehrere Behinderungen vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs.3 SGB IX (bis 31.12.2017 § 69 Abs.3 SGB IX) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei ist nach Teil A Nr. 3 der VmG zu beachten, dass leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen führen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen. Eine Addition oder andere Rechenmethoden sind zur Ermittlung des Gesamt-GdB ungeeignet. Ausgangsbasis für die Bildung des Gesamt-GdB ist nach Teil A Nr. 3 c VmG vielmehr die Funktionsbeeinträchtigung, die für sich genommen den höchsten Einzel-GdB bedingt. Es ist dann zu prüfen, ob und inwieweit weitere Funktionsbeeinträchtigungen den GdB insgesamt erhöhen. Dabei sind verschiedene Fallgruppen zu beachten. So können Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sein und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere aber auch ganz besonders nachteilig auswirken. Dieses ist vor allem der Fall, wenn Funktionsbeeinträchtigungen an paarigen Gliedmaßen oder Organen vorliegen. Ferner können sich die Auswirkungen von Behinderungen überschneiden. Es gibt auch Fälle, in denen die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung gar nicht verstärkt werden.

Bei Behinderungen, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, ist im Hinblick auf die nach Teil A Nr. 3 d) ee) VmG mögliche, in vielen Fällen aber auch nicht anzunehmende erhöhende Wirkung auf den Gesamt-GdB auch zu berücksichtigen, ob es sich um sogenannte "schwache" oder "starke" 20er-Werte handelt, also solche die eher zu einem GdB von 10 oder eher zu einem GdB von 30 tendieren.

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass zwischen dem Erlass des Bescheides vom 4. August 2008 und dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2013 in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin eine wesentliche Änderung eingetreten ist, die die Herabsetzung des GdB auf 40 rechtfertigt.

Dabei ist eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen entgegen der ursprünglichen Ansicht des Beklagten nicht eingetreten, soweit die psychischen Einschränkungen der Klägerin betroffen sind.

Nach Teil B Nr. 3.7 der VmG werden Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen wie folgt bewertet: Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen bedingen einen GdB von 0 bis 20. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive, hypchondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) bedingen einen GdB von 30-40. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten bedingen einen GdB von 50 bis 70, soweit schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten bestehen, kommt ein GdB von 80 bis 100 in Betracht.

Diesbezüglich ergibt sich aus den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. K aus ihrem Gutachten vom 5. März 2008, dass seinerzeit bei der Klägerin stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bei mittelgradig ausgeprägter depressiver Störung und anhaltender somatoformer Schmerzstörung vorgelegen haben. Die von ihr vorgeschlagene Berücksichtigung dieses Leidens mit einem GdB von 40 entspricht den rechtlichen Vorgaben der VmG.

Aus dem ebenso überzeugenden Gutachten des Sachverständigen H vom 22. September 2016 ergibt sich, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen bei der Klägerin nach wie vor eine deutlich ausgeprägte depressive Symptomatik mit erheblicher antrieb Störung und unzureichender Konzentration und Merkfähigkeit bei greifbarer hirnorganischer Leistungsbeeinträchtigung vorgelegen hat. Für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend ist der Sachverständige H im Längsschnitt von einer mittelgradigen depressiven Symptomatik ausgegangen. Die psychische Störung infolge dieser Befunde unverändert mit einem GdB von 40 zu bewerten entspricht ebenfalls den rechtlichen Vorgaben der VmG.

Eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin ist aber hinsichtlich ihrer Wirbelsäulenerkrankung eingetreten.

Nach Teil B Nr. 18.9 VmG sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mit einem GdB von 0 zu bewerten. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene oder kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 10 zu bewerten. Für mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 zu bewerten. Bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltenden Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 30 zu bewerten. Liegen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, so kommt ein GdB von 30 bis 40 in Betracht. Besonders schwere Auswirkungen und Wirbelsäulenschäden (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst oder schwere Skoliosen mit einem Grad von ca. 70 nach Cobb) sind mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit kommt ein GdB von 80 bis 100 in Betracht.

Durch die im Laufe des Verfahrens gehörten Sachverständigen ist das Wirbelsäulenleiden der Klägerin 2007/2008 mit einem GdB von 30 bewertet worden und im Zeitraum ab 2012 durchgängig nur noch mit einem GdB von 20 bzw. 10-20. Unter Berücksichtigung der oben genannten Maßstäbe der Gesamt-GdB-Bildung ist es zur Bestimmung der Frage ob diesbezüglich eine wesentliche Änderung eingetreten ist allerdings nicht ausschließlich entscheidend, ob diese GdB Bewertungen zutreffend sind, vielmehr ist entscheidend, ob zu den unterschiedlichen Zeitpunkten eine Wirbelsäulenerkrankung in einem solchen Ausmaß vorlag, dass sie geeignet war den GdB für die psychische Erkrankung zu erhöhen. Dies wäre nach den oben zitierten Maßstäben auch bei einem starken 20er Wert der Fall, bei einem schwachen 20er Wert hingegen nicht.

Aus dem fachspezifischen Gutachten des Sachverständigen M vom 5. September 2007 ergibt sich, dass zum damaligen Zeitpunkt bei der Klägerin Funktionsbeeinträchtigungen der gesamten Wirbelsäule vorlagen, wobei der Schwerpunkt in der Halswirbelsäule lag. Diese war mittelgradig in der Beweglichkeit eingeschränkt. Isoliert betrachtet, wäre daher ein Einzel-GdB von 20 für die Halswirbelsäule gerechtfertigt gewesen. Die Brust – und Lendenwirbelsäule zeigten nicht entsprechende Einschränkungen. Die Beweglichkeit war vielmehr nahezu frei. Allerdings gab es auch hier Einschränkungen, so war der Muskeltonus mittelgradig erhöht und es fanden sich isolierte Druckschmerzpunkte. Zudem fanden sich in allen Wirbelsäulenabschnitten radiologisch feststellbare, mäßiggradige degenerative Veränderungen. Eine relevante Funktionseinschränkung auch von Seiten der unteren Wirbelsäule korrespondiert auch mit den Leidensschilderungen der Klägerin, die gegenüber dem Sachverständigen M angegeben hatte, das frühere Hobby Reiten nicht mehr ausüben zu können, aber noch Golfspielen und Fahrradfahren zu können. Gegenüber der Sachverständigen K hatte die Klägerin dann ein halbes Jahr später angegeben. jegliche Form von Laufen oder Ausübung von Sport sei ihr schmerzbedingt nicht mehr möglich. Insgesamt erscheint es daher berechtigt, die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule 2007/2008 mit einem Einzel-GdB zu bemessen, der sich erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt.

Die bei Erlass der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen vorliegenden Befunde sind am zeitnächsten durch den Entlassungsbericht aus der klinik S über den dortigen Aufenthalt der Klägerin im Januar/Februar 2012 dokumentiert. Auch hier ist sowohl ein HWS-Syndrom als auch ein LWS-Syndrom diagnostiziert worden, der Schwerpunkt der Beschwerden bestand aber nun in der Lendenwirbelsäule. Die Klägerin klagte über rezidivierende Schmerzen in dieser Region und es waren auch leichte Bewegungseinschränkungen in der Lendenwirbelsäule feststellbar. Demgegenüber zeigte sich die Halswirbelsäule anlässlich des Rehaaufenthaltes in der Beweglichkeit uneingeschränkt. Auch die Fähigkeit zur vor sportlicher Betätigung hat sich nach Angaben der Klägerin zum Zeitpunkt des Rehaaufenthaltes deutlich verbessert. Sie hat insbesondere angegeben, dass es ihr unter regelmäßiger sportlicher Betätigung, namentlich Jogging, körperliche gut gehe. Diese sportliche Betätigung war demgegenüer 2007/2008 nicht möglich. Auch die durch Dr. H im Klageverfahren erfolgte Untersuchung - alle weiteren Gutachten erfolgten nach Aktenlage- ergab keine stärkeren Beeinträchtigungen der Wirbelsäule, insbesondere war die Halswirbelsäule frei beweglich. Unter Berücksichtigung dieser Befunde war 2013 nicht mehr von Wirbelsäulenbeeinträchtigungen auszugehen, die mit einem GdB von 20-30 zu bewerten waren, sondern nur noch von solchen, die mit einem GdB von 10-20 zu bewerten waren. Die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin waren daher 2012/2013 nicht mehr geeignet sich erhöhend auf ihren Gesamt-GdB auszuwirken. Insoweit ist in ihren gesundheitlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des Bescheides aus dem Jahr 2008 auszugehen.

Die weiteren bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen sind jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt nur geringgradig ausgeprägt und waren weder 2007/2008 noch 2012/2013 geeignet, sich erhöhend auf den Gesamt-GdB der Klägerin auszuwirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG und folgt der Sachentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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