S 17 AS 2792/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 17 AS 2792/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Erklärt ein gerichtskostenprivilegierter Kläger das Klageverfahren einseitig für erledigt und bleibt die Erledigung streitig, sind wegen einer Kostengrundentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG Ermittlungen zum Vorliegen der materiellen Erledigung nicht ausgeschlossen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am 27. Mai 2011 erhobene Klage richtete sich gegen die angenommene Untätigkeit des Beklagten, über einen sog. Überprüfungsantrag (§ 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz [SGB X]) vom 10. September 2009 für das der Klägerin im Bewilligungszeitraum vom Januar bis Juni 2006 gezahlte Arbeitslosengeld II zu entscheiden.

Der Beklagte hat behauptet, über den Antrag der Klägerin bereits mit Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 entschieden zu haben, worin mehrere Überprüfungsanträge der Klägerin für die Bewilligungsabschnitte von Januar 2005 bis Dezember 2006 abgelehnt wurden, weil über die Leistungen für den betreffenden Bewilligungsabschnitt bereits ein gerichtlicher Vergleich im Verfahren S 16 AS 4156/06 geschlossen wurde. Der Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 sei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugesandt worden. Hierzu hat er eine Fotokopie des an die Rechtsanwaltskanzlei der Prozessbevollmächtigten gerichteten Verwaltungsakts vom 4. Mai 2010 mit einem handschriftlichen Postausgangsvermerk, der Unterschrift und dem Namensstempel des Sachbearbeiters vorgelegt. Das Schreiben trägt den zusätzlichen Vermerk "vorab per Fax" und es folgt die auf den Briefköpfen verwendete Faxanschlussnummer der Rechtsanwaltskanzlei. Hierzu trägt das Schreiben den gesonderten handschriftlichen Vermerk "erl.". Am 1. März 2012 hat der Beklagte sodann eine Ablichtung des Faxsendeprotokolls an den Anschluss der Rechtsanwaltskanzlei vom 4. Mai 2010 mit einem auszugsweisen Abdruck der ersten Seite des Verwaltungsakts vom 4. Mai 2010 und dem durch das Faxgerät erzeugten Vermerk zur Übertragung "OK" vorgelegt.

Mit Schreiben vom 20. März 2012 (Eingang 21. März 2012) hat die Prozessbevollmächtigte für die Klägerin das Verfahren für erledigt erklärt und einen Antrag auf Kostengrundentscheidung gestellt: Der Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 befinde sich nicht in ihren Akten und sie bestreite, dass der Überprüfungsantrag entschieden sei. Eine Faxübermittlung könne technisch fehlerhaft gewesen sein. Bestritten werde auch, dass der Sendebericht ein "OK" trage. Jedenfalls sei aber nicht bewiesen, dass der Zugang erfolgt sei. Der Sendebericht sei kein Anscheinsbeweis.

Der Beklagte ist der Meinung, er sei nicht untätig gewesen. Über den Überprüfungsantrag sei bereits vor Erhebung der Klage entschieden worden. Nachfolgend hat er vorgetragen, es sei kein Postrücklauf zu verzeichnen gewesen. Ein schlichtes Bestreiten des Zugangs durch die Klägerin sei angesichts der von der Prozessbevollmächtigen in der Vergangenheit in anderen Verfahren wiederholt bestrittenen Bekanntgabe und der vorgenommenen Faxübermittlung nicht ausreichend.

Der Vorsitzende hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass nicht nachvollziehbar sei, ob das Empfangsgerät der Prozessbevollmächtigten defekt war und wie im Büro eingehende Faxe erfasst werden. Schließlich hat er mit Schreiben vom 17. September 2012 im hiesigen und in einer Anzahl weiterer Verfahren beiden Beteiligten ein Schreiben mit folgendem Inhalt übersandt: In mehreren Verfahren der Kammer sei von Seiten des Beklagten mitgeteilt, dass die begehrten Entscheidungen bereits vor Erhebung der Untätigkeitsklagen oder während des laufenden Verfahrens erlassen und an die Prozessbevollmächtigten übersandt seien. Demgegenüber haben sich die Prozessbevollmächtigten der Kläger, bei denen es sich ausnahmslos um die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten handele, dahin eingelassen, der betreffende Bescheid befinde sich nicht in den Akten oder sei nicht vorhanden und dies trotz vorhandener Fax-Übertragungsprotokolle. Die Häufigkeit, mit der von ein und derselben Rechtsanwaltskanzlei in Verfahren gegen denselben Beklagten vorgetragen sei, Bescheide fänden sich nicht in der Akte bzw. seien nicht vorhanden, stelle eine nicht mehr mit gewöhnlichen Versäumnissen eines Beteiligten erklärbare Auffälligkeit dar, die so nicht hingenommen werden könne und werde und deshalb sei eine weitergehende Klärung veranlasst. Zuallererst dahingehend, ob es weitere Verfahren vor dem hiesigen Gericht gebe, in denen so oder ähnlich von den Prozessbevollmächtigten und dem Beklagten vorgetragen werde. Dass dies so sein könne, ließen erste Informationen vermuten. Die Prozessbevollmächtigten und der Beklagte seien deshalb zur Mitwirkung und entsprechenden Informationen aufzufordern. Das Gericht sei derzeit nicht in der Lage, die Gründe für die skizzierten Einlassungen der Beteiligten nachzuvollziehen. Denkbar erschienen erhebliche Störungen in den Verwaltungsabläufen bei den Prozessbevollmächtigten oder dem Beklagten. Angesichts dieser offenen Fragen und weil es mindestens bei den Kostenentscheidungen um Vermögensverfügungen gehe, die das Gericht möglicherweise auf falscher Tatsachengrundlage zu Lasten eines Beteiligten treffen würde, bitte er die Beteiligten unabhängig von der obigen Aufforderung zur Mitwirkung an der Aufklärung und nachdrücklich um eine unverzügliche und eingehende Überprüfung der internen Abläufe und des bisherigen Tatsachenvortrages. Ungeachtet dessen weise er darauf hin, dass nach dem bisherigen Tatsachenvortrag der Beklagte nicht mehr verpflichtet sei, den Beweis des Zugangs zu erbringen.

Die Klägerin hat beantragt, den Vorsitzenden abzulehnen, weil er nicht geneigt sei, ihrem Sachvortrag nachzugehen, sie habe die Bescheide nicht erhalten. Auch beim Beklagten seien verschiedene Schreiben der Prozessbevollmächtigten nicht auffindbar. Das Gericht wolle ihr keinen Glauben mehr schenken. Die Prozessbevollmächtigte bearbeite seit Jahren SGB II-Fälle und es habe nie Differenzen mit dem Gericht wegen des Zugangs von Schreiben gegeben. Das Gericht gebe keine Gelegenheit zur Äußerung, sondern drohe damit, dass die Erklärung zum mangelnden Zugang nicht hingenommen werde. Der Vorsitzende stehe dem Sachvortrag der Prozessbevollmächtigten nicht neutral gegenüber und lege nicht offen, welche Informationen er habe. Hierzu sei eine Stellungnahme nicht möglich. Der Hinweis sei eine einzige Anschuldigung gegen die Prozessbevollmächtigte. Die Aufforderung zur Mitwirkung habe keine Rechtsgrundlage. Faxprotokolle belegten nicht den Zugang. Die Aufforderung zur Aufklärung sei nicht konkret genug, um sie zu erfüllen und es müssten fremde Verfahren unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen bekannt gegeben werden. Auch nach nochmaliger Suche sei der Bescheid nicht vorhanden.

Mit Beschluss vom 21. November 2012 hat die 4. Kammer dem Ablehnungsgesuch der Klägerin entsprochen: Bei objektiver Würdigung des Schreibens vom 17. September 2012 ergebe sich für die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigte der Eindruck, dass der Vorsitzende der Angelegenheit nicht unvoreingenommen gegenüberstehe. Dies ergebe sich bereits aus der Aussage, der er den Vortrag hinsichtlich der Bescheide, die sich nicht in der Akte befinden oder nicht vorhanden seien, nicht hinnehme. Damit werde pauschal der Vortrag eines Beteiligten ohne konkreten Bezug zum Einzelfall von vornherein abgelehnt, was bereits die Besorgnis der Befangenheit begründe. Es komme nicht darauf an, was der Vorsitzende zum Ausdruck bringen wollte. Die Aufforderung zur Aufklärung entbehre jeglicher Grundlage und stehe in keinem Zusammenhang mit den im konkreten Rechtsstreit zu entscheidenden Fragen. Es gehe nach Erledigung der Hauptsache um die Frage, ob und in welchem Umfang der Beklagte die Kosten der Klägerin zu erstatten habe. Aufgabe des Vorsitzenden sei, unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes hierüber zu befinden und nicht, Auffälligkeiten in anderen Verfahren oder Daten zu bzw. aus anderen Verfahren zu ermitteln. Auch die internen Abläufe bei der Prozessbevollmächtigten bzw. dem Beklagten bedürften zum Erlass der Kostengrundentscheidung keiner Aufklärung. Die Art der Verfahrensführung habe sich so weit von dem entfernt, was üblicherweise im Rahmen einer Kostenentscheidung praktiziert werde, dass aus Sicht eines Betroffenen eine sachwidrige Benachteiligung nicht ausgeschlossen sei.

Die Kammer hat die Klägerin unter dem 23. Januar 2013 (Empfangsbekenntnis am 31. Januar 2013 gezeichnet) aufgefordert, binnen zwei Wochen weiteren Vortrag oder Nachweise beizubringen, dass der vom Beklagten abgesandte Bescheid bzw. Fax nicht in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten eingegangen sei. Hierauf ist ohne Begründung Fristverlängerung von drei Monaten beantragt. Auf den Hinweis vom 15. Februar 2013, dass keine Gründe für die begehrte Fristverlängerung erkennbar seien, ist keine Reaktion erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Die nach dem Geschäftsverteilungsplan zur Vertretung berufene Kammer entscheidet aufgrund des Antrags der Klägerin nach Beendigung des Verfahrens durch den Vorsitzenden (§ 12 Abs. 1 S. 2 SGG) über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss, weil es sich um ein gerichtskostenprivilegiertes Verfahren nach § 193 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) handelt. Die Klägerin klagt in ihrer Eigenschaft als Empfängerin von Sozialleistungen – hier Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), § 183 Satz 1 SGG.

Gründe, der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten noch drei Monate für die Suche nach dem strittigen Verwaltungsakt der ähnliches einzuräumen, bestehen nicht. Es sind keine Gründe vorgebracht und die Frist von zwei Wochen für eine nochmalige Durchschau der Handakten und des Posteingangsbuchs/Faxjournals erscheint ausreichend.

Der Rechtsstreit ist nach der Erledigungserklärung der Klägerin in der Hauptsache seit dem 21. März 2012 erledigt und beendet, ohne dass es hier darauf ankommt, ob tatsächlich Erledigung eingetreten ist. Das SGG regelt die prozessualen Folgen einer einseitigen oder übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten nicht. Nur für die Klagerücknahme enthält § 102 Abs. 1 SGG die Bestimmung, dass sie bis zur Rechtskraft der Entscheidung möglich ist und den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Analog hierzu wirkt die einseitige Erledigungserklärung des Rechtstreits und hat in den Verfahren vor den Sozialgerichten prozessbeendigende Wirkung, soweit es sich um ein gerichtskostenprivilegiertes Verfahren nach § 183 SGG handelt. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte – wie hier – der Erledigung widerspricht. Denn im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen bedarf es für die prozessuale Erledigung von Verfahren nach § 183 SGG keiner Zustimmung durch die Beklagtenseite. Folglich kommt es für die prozessuale Erledigung auch nicht darauf an, ob es sich nur der Form nach um eine Erledigungserklärung und in Wirklichkeit um eine Klagerücknahme handelt. Die Erledigungserklärung kann in gerichtskostenprivilegierten Verfahren im Sinne des § 183 SGG als Klagerücknahme ausgelegt werden, zumal hieraus wegen der Anwendbarkeit des § 193 SGG nicht zwingend Nachteile bei der Kostengrundentscheidung erwachsen.

Die gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG an den Antrag nach Beendigung des Verfahrens ohne Urteil geknüpfte isolierte Kostenentscheidung ist wegen der Erledigung ohne Entscheidung der Kammer in der Hauptsache grundsätzlich i.S.d. § 91a der Zivilprozessordnung (ZPO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen.

Zwar ist der Bestimmung des § 193 Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich zu entnehmen, unter welchen Maßgaben eine Kostengrundentscheidung zu ergehen hat. Allerdings sind die nicht unmittelbar geltenden §§ 91 ff. ZPO unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Kostenentscheidung heranzuziehen. Das SGG hat beruhend auf der Gerichtskostenprivilegierung nach § 183 SGG für Sozialleistungsempfänger bzw. Versicherte keine eigenen Maßstäbe für die Kostengrundentscheidung aufgestellt. Fehlen solche, sind über die Verweisungsnorm des § 202 SGG die zivilprozessualen Verfahrensregeln anwendbar, soweit das besondere verwaltungsgerichtliche Verfahren nach dem SGG (vgl. § 1 SGG) keine vom Zivilprozess abweichenden Eigenheiten aufweist. Maßgeblich ist deshalb zunächst der wahrscheinliche Verfahrensausgang. Die Einräumung eines Ermessens beinhaltet aber auch die Möglichkeit, den tatsächlich oder voraussichtlich Obsiegenden eine Kostenerstattung aufzuerlegen, wenn sie Anlass für die Klageerhebung gegeben haben oder den Obsiegenden keine Kostenerstattung zu gewähren, wenn sich die Sachlage nach Erlass des streitigen Verwaltungsakts geändert und der Unterlegene dem durch sofortiges Anerkenntnis entsprochen hat.

Vertreten wird, dass das Gericht im Rahmen dieser Grundsätze keine weiteren Ermittlungen anstellen dürfe, wohingegen neues unstreitiges Vorbringen zu berücksichtigen sei (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 193 Rn. 13d). Die Kammer schließt sich dieser Meinung bzw. Praxis nicht in vollem Umfang an und hält bei streitig bleibender einseitiger Erledigungserklärung weitere Ermittlungen für zulässig.

Nach zivilprozessualen Grundsätzen sind weitere Ermittlungen im Rahmen des § 91a ZPO allerdings nicht völlig ausgeschlossen, weil solche nur grundsätzlich nicht durchzuführen sind (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. § 91a Rn. 13d). Aus der Entstehung der Vorschrift ist zu folgern, dass es sich bei der Vorschrift nur um eine Verfahrenserleichterung handelt, ansonsten aber die allgemeinen Grundsätze des Urteilsverfahrens bzw. Verhandlungsmaximen gelten, so dass Ermittlungen nicht etwa untersagt sind (vgl. BGH, Urt. v. 26.4.1954, III ZR 6/53NJW 1954, 1283; Urt. v. 14.7.1956, III ZR 29/55NJW 1956, 1517).

Vor allem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass mit der entsprechenden Anwendung von § 91a ZPO Grundsätze übernommen werden, die im Zivilprozess nur dann gelten, wenn die von § 91a ZPO vorausgesetzte prozessuale Lage einer beiderseitigen Erledigungserklärung vorliegt. Davon zu unterscheiden ist die tatsächliche Erledigung der Klage, die nur dann eintreten kann, wenn eine ursprünglich zulässige und begründete Klage erfüllt wird (vgl. BVerfG v. 18.9.1992 - 1 BvR 1074/92 - NJW 1993, 1060). Liegt aus Sicht des Beklagten keine Erledigung vor, weil er etwa die ursprüngliche Klage auch weiterhin für unbegründet hält, hat er die Möglichkeit, der Erledigungserklärung der Klägerseite zu widersprechen. Dann ist zivilprozessual eine streitige Entscheidung einschließlich einer Beweisaufnahme über die Frage möglich, ob eine Erledigung eingetreten ist. Die Kostenentscheidung ist sodann nach Obsiegen bzw. Unterliegen in dieser Frage zu treffen.

Hingegen ist, wie bereits ausgeführt, eine prozessuale Erledigung der Hauptsache nach dem SGG bereits dann gegeben, wenn die Klägerseite die Klage zurücknimmt oder bei Verfahren nach § 183 SGG schlicht für erledigt erklärt. Für diese prozessuale Wirkung der Erledigungserklärung ist unerheblich, ob der Klageanspruch erfüllt und die Klage tatsächlich erledigt ist. Daraus folgt, dass dann dem Beklagten des Sozialgerichtsprozesses die Möglichkeit genommen ist, den tatsächlichen Eintritt der Erledigung zu bestreiten und hierüber Beweis erheben zu lassen. In dieser Konstellation der einseitig bleibenden Erledigungserklärung der Klägerseite erscheint es angezeigt, im sozialgerichtlichen Verfahren bei einer Entscheidung nach § 193 SGG nicht unbesehen die Grundsätze des § 91a ZPO heranzuziehen. Stattdessen müssen im Rahmen der Kostenentscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung durch die Klägerseite und nachfolgendem Bestreiten der Erledigung Ermittlungen möglich bleiben, ob und wann ein den Klageanspruch tatsächlich erledigendes Ereignis eingetreten ist.

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte die nach § 193 Abs. 2 SGG in den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bestehenden außergerichtlichen Kosten der Klägerin nicht zu erstatten.

Das im Rahmen des § 193 Abs. 1 SGG unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes auszuübende Ermessen gebietet grundsätzlich eine Kostenerstattung bei wahrscheinlich erfolgreichem Verfahrensausgang.

Hier wäre die Klägerin mit ihrer Untätigkeitsklage unterlegen, weil sie unter Berücksichtigung des Streitstandes bereits unzulässig und zudem unbegründet war.

Eine Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG ist zulässig, wenn 1) ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts vorliegt, 2) hierzu noch keine Entscheidung ergangen ist und 3) seit Antragstellung sechs Monate verstrichen sind (sog. Sperrfrist),. Maßgeblich für die Einhaltung der Sperrfrist ist die Bekanntgabe des angestrebten Verwaltungsakts an den Antragsteller (vgl. SG Berlin vom 20.01.2012, S 174 AS 31567/11). Wie bei jeder sozialgerichtlichen Klage muss zudem ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, das dann fehlt, wenn die Klage lediglich in Ausnutzung einer formalen Rechtsposition erhoben wird, weil völlig ausgeschlossen ist, dass in der Sache ein materiell-rechtlicher Anspruch besteht. Begründet ist die Untätigkeitsklage, wenn nicht binnen angemessener Frist entschieden ist und kein ein sachlicher Grund für das Zuwarten vorliegt.

Ein Antrag der Klägerin auf Erlass eines Verwaltungsaktes liegt unstreitig vor. Die Klägerin hat die Überprüfung vorausgegangener Bewilligungen nach dem SGB II beantragt. Eine Entscheidung hierzu ist nur als Verwaltungsakt auf der Grundlage von § 44 SGB X möglich.

Eine solche Entscheidung hatte der Beklagte bereits vor Erhebung der Klage am 27. Mai 2011 durch den Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 getroffen und unter Berücksichtigung des Streitstandes auch bekannt gegeben.

Die Klägerseite trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für die zulässigkeitsbegründenden Umstände der Untätigkeitsklage (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. März 2007, L 20 B 324/06 AS), wozu die hier streitige Tatsache gehört, dass noch keine Bescheidung erfolgt ist. Dabei ist zu beachten, dass zugunsten des Beklagten zunächst die Zugangsvermutungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X wirken. Danach gelten ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post und ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt am dritten Tag nach Absendung als bekanntgegeben, d.h. zugegangen. Dies gilt nach Satz 3 der Vorschrift dann nicht, wenn der Verwaltungsakt (nachweislich) nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Nachweis des Zugangs und dessen Zeitpunkts zu erbringen.

Solche Zweifel liegen hier nicht vor. Zwar bestreitet die Klägerseite sowohl den Zugang eines Briefes wie auch des Faxschreibens. Bei der Versendung mit einem einfachen Brief genügt in der Regel einfaches Bestreiten, Zweifel am Zugang zu bewirken, so dass die Vermutung entkräftet und über den Zugang Beweis zu führen ist.

Allerdings genügt nach den hier zu würdigenden Umständen einfaches Bestreiten des Zugangs nicht, Zweifel am Zugang zu bewirken, weil der Beklagte das hierzu gefertigte Schreiben und zusätzlich einen Faxsendebericht samt Absendevermerken vorgelegt hat.

Wenn ein Faxsendeprotokoll nicht bereits den vollen Beweis für den Zugang des Verwaltungsaktes erbringt (vgl. SG Berlin vom 28.11.2012, S 204 AS 22071/11), ist es zumindest ein starkes Indiz für den Zugang, dem noch durch weitere Ermittlungen (z.B. durch Vorlage des Eingangsjournals) nachgegangen werden kann oder muss (vgl. BSG vom 20.10.2009, B 5 R 84/09 B; SG Köln vom 31.01.2012, S 36 AS 392/10).

Im hier zu entscheidenden Fall ist der Beweis des Zugangs auch ohne solche – hier zulässigen – Ermittlungen bzw. Beweiserhebung erbracht, weil der Beklagte sämtliche ihm möglichen Nachweise für die ordnungsgemäße Absendung des Verwaltungsakts vom 4. Mai 2010 erbracht hat, während sich die Klägerseite auf schlichtes Bestreiten zurückzieht, obwohl sie die Pflicht und aufgrund der Betreuung durch eine Rechtsanwaltskanzlei die Möglichkeiten hat, weiter an der Aufklärung des Zugangs mitzuwirken.

Zunächst beweist das Sendeprotokoll, dass eine Verbindung zwischen den Faxgeräten zustande gekommen ist und dass hierbei der Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 an die Prozessbevollmächtigte versandt werden sollte und versandt worden ist. Eine Fälschung bzw. Manipulation des Sendeberichts kann ausgeschlossen werden, weil nicht nur die technischen Details der Faxübertragung ausgedruckt sind, sondern auch das Schreiben selbst kopiert ist. Es besteht kaum eine Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Faxsendebericht, der mit einem sog. "OK-Vermerk" endet, die Übertragung und der Empfang gestört war (vgl. OLG Karlsruhe vom 30.09.2008, 12 U 65/08; OLG Celle vom 19.06.2008, 8 U 80/07).

Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es zudem wegen der technischen Gegebenheiten beim Faxversand für den Zugang nicht mehr auf den Ausdruck, sondern den vollständigen Empfang (d.h. die Speicherung) der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät an (BGH vom 25.04.2006, IV ZB 20/05 - NJW 2006, 2263, 2264 f.). Ein Sendebericht über eine ordnungsgemäß abgelaufene Übertragung indiziert damit einen Zugang jedenfalls im Speicher des empfangenden Faxgerätes.

Im Hinblick darauf, dass der Beklagte die für den Zugang von ihm zu wesentlich zu bewirkenden Handlungen nachgewiesen hat und keine Fehlerquellen auf seiner Seite ersichtlich sind, genügt dementsprechend einfaches Bestreiten des Zugangs nicht. Denn auch die Klägerin ist zur Aufklärung des Sachverhalts mit verpflichtet (§ 103 Satz 1 SGG) und unterliegt hierbei der Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO). Die Klägerin ist dem durch einfaches Bestreiten nicht nachgekommen, sondern hätte auf den substantiierten Vortrag des Beklagten zur erfolgreichen Übersendung die ihr zumutbaren Angaben über ihre Empfangsnachweise machen müssen. Auch wenn die Beweislast für den Zugang beim Beklagten liegt, muss der Prozessgegner auf substantiierten Vortrag seinerseits substantiiert erwidern, wenn dem Beweisverpflichteten der Beweis nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGH vom 7.12.1998, II ZR 266/97 - NJW 1999, 579). Hier hat nur die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Zugriff auf das Empfangsfaxgerät. Wegen der Befassung einer Rechtsanwaltskanzlei bestünden noch die Möglichkeiten, die Beschäftigten zum Zugang zu befragen sowie die technischen Aufzeichnungen des Gerätes über die empfangenen Sendungen vorzulegen. Hierzu hat die Klägerseite allerdings keine Angaben gemacht. Mit dem Vortrag, der Verwaltungsakt befinde sich nicht in den Handakten, sind die Anforderungen an die prozessuale Mitwirkung also nicht erfüllt, so dass kein hinreichend substanzieller Vortrag vorliegt.

Es sind keine weiteren und verfügbaren Beweismittel ersichtlich, die einen Zugang des konkreten Verwaltungsaktes an die Prozessbevollmächtigte belegen oder widerlegen könnten. Stattdessen hat die Prozessbevollmächtigte in ihrer Eigenschaft als Zeugin und zugleich für die Klägerin auftretend den Zugang bestritten und auf die Aufforderung des Vorsitzenden weder durch substanziellen Vortrag noch durch Nennung von Beweismitteln zur weiteren Aufklärung der Vorgänge beigetragen. Darüber hinaus hat sie auch keine Angaben über das üblicherweise in einer Rechtsanwaltskanzlei geführte Posteingangsbuch bzw. dessen Inhalt gemacht. Mithin ist wegen der durch den Beklagten nachgewiesenen Absendung und der fehlenden Mitwirkung der Klägerseite bei der Aufklärung über die von ihr als fehlend behauptete Bekanntgabe davon auszugehen, dass der Beklagte den Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 an die Klägerin bekanntgegeben hat.

Im Übrigen wäre die Untätigkeitsklage jedenfalls als unbegründet abzuweisen gewesen. Untätigkeit der Behörde lag nicht vor. Untätigkeit liegt nicht allein dann vor, wenn eine Behörde objektiv untätig bleibt. Die Behörde müsste untätig sein und hierfür keinen ausreichenden sachlichen Grund haben.

Der Beklagte hatte unter den gegebenen Umständen aber einen sachlichen Grund, der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten keinen weiteren Bescheid zuzustellen. Dies gilt selbst unter der Annahme, dass der Verwaltungsakt vom 4. Mai 2010 sowohl als Brief als auch als Fax an die Prozessbevollmächtigte nicht erfolgreich bekannt gegeben worden sein sollte. Der Verwaltungsakt war sowohl mit einfachem Brief als auch durch Fax versandt worden. Ein Postrücklauf oder Mahnung der Klägerin lag unbestritten nicht vor. Das Sendeprotokoll wies keine Fehler der Übertragung aus. Danach musste der Beklagte davon ausgehen, dass die Entscheidung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bekannt gegeben war und dass eine erneute Bekanntgabe der Entscheidung nicht notwendig war. Mithin war der Beklagte weder untätig noch hat er die Klage veranlasst.

Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG.
Rechtskraft
Aus
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