S 3 R 510/12 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 510/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. März 2012 wird insoweit angeordnet, als Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2007 nachgefordert werden.
II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin trägt 7/10, die Antragsgegnerin 3/10 der Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird auf 25.152,44 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen eine Beitragsnachforderung in Höhe von 100.609,76 EUR. Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.03.2012.

1. Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH die Einstellung, den Einsatz und die Beschäftigung gewerblicher und kaufmännischer Arbeitnehmer als Zeitpersonal bei Betrieben und Unternehmen aller Art. Die Antragstellerin verfügt über eine Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Die bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer waren für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 auf der Basis des Tarifvertrages zwischen Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und dem Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister (AMP) beschäftigt.

2. Die Antragsgegnerin hatte zuletzt mit Bescheid vom 18.09.2008 das Ergebnis einer bei der Antragstellerin durchgeführten Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum 01.01.2004 bis 31.12.2007 festgehalten und eine Nachforderung auf Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 348,13 EUR festgesetzt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

In der Zeit vom 19.12.2011 bis 03.02.2012 fand erneut eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin statt. Prüfzeitraum war die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2009. Anlass hierfür war die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 (Az: 1 ABR 19/10), mit der das Gericht die Feststellungen der Vorinstanzen bestätigte, wonach die CGZP nicht tariffähig gewesen sei.

Mit Bescheid vom 13.03.2012 stellte die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin Beitragsforderungen in Höhe von 100.609,76 EUR fest. Mit der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 sei die Unwirksamkeit der durch die CGZP geschlossenen Tarifverträge festgestellt. Damit komme es zur Anwendung des § 10 Abs. 4 AÜG. Es seien deshalb Beiträge zur Sozialversicherung auf Grundlage der Differenz zwischen dem gemeldeten und dem Beitragsanspruch zugrunde gelegten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleihbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Leiharbeitnehmer individuell nachzuerheben. Hieraus hätten sich folgende prozentuale Lohnabstände zu den vergleichbaren Stammarbeitnehmern ergeben: Gruppe Helfer 8,00 % Gruppe Fachhelfer 10,70 % Gruppe Facharbeiter 2,05 % Gruppe Bürohilfen 5,20 % Gruppe Sachbearbeiter 1,10 % Gruppe Ingenieure 2,50 %

Hiergegen legte die Antragstellerin am 02.04.2012 Widerspruch ein. Auf der Grundlage der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 stehe lediglich fest, dass die CGZP ab dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LAG Berlin-Brandenburg am 07.12.2009 nicht tariffähig sei. Eine die Tariffähigkeit der CGZP auch für die Vergangenheit feststellende Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.05.2011 sei nicht rechtskräftig. Das BAG habe seine im Verfahren 1 ABR 19/10 getroffene Entscheidung ausdrücklich nur gegenwarts bezogen verstanden. Dies schließe eine rückwirkende Rechtswirkung dieser Entscheidung auf den hier maßgeblichen Prüfungszeitraum ab Januar 2006 aus. Bereits mit der Entscheidung vom 18.11.1980, Az: 12 RK 59/79, habe das Bundessozialgericht (BSG) klargestellt, dass zum einen die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung für Arbeitgeber zum Vertrauensschutz führen könne, und zum anderen, dass auch ein vorausgegangenes nachhaltiges Verhalten der Verwaltung einen Vertrauensschutz für den Schuldner begründen könne, sodass eine Beitragsnachforderung für zurückliegende Zeiten ausgeschlossen sei. Des Weiteren hätten die Sozialversicherungsträger trotz nachweisbarer Kenntnisse über die Problematik der Tariffähigkeit und der vorangegangenen Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg vom 19.12.2009 keine Beitragsnachforderungen erhoben und es versäumt, in Prüfbescheide entsprechende Vorbehalte aufzunehmen. Dies sei aber der Grund, warum die betroffenen Unternehmen die CGZP-Tarifverträge angewendet hatten. Zumindest bis zum 21.12.2010, also zum Zeitpunkt der Pressemitteilung zur Entscheidung des BAG habe Vertrauensschutz bestanden. Dieses Vertrauen habe insbesondere auch für diejenigen Zeiträume bestanden, die durch die Antragsgegnerin durch entsprechende Prüfungsbescheide bestandskräftig beschieden sind. Die Zeiträume 2006 bis 2007 seien nicht mehr bescheidungsfähig. Sie seien durch entsprechenden Bescheid vom 18.09.2008 abschließend erledigt (Bayer. Landessozialgericht - BayLSG -; Urteil vom 18.01.2011, Az: L 5 R 752/08). Streitig sei auch die Frage, ob sich die Tarifunfähigkeit einer Gewerkschaft überhaupt rückwirkend auf die Wirksamkeit der durch sie geschlossenen Tarifverträge auswirken könne.

Ebenfalls mit Schreiben vom 02.04.2012 hat die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin den Antrag gestellt, die Vollziehung des Beitragsbescheides vom 13.03.2012 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines eventuell nachfolgenden Klageverfahrens auszusetzen. Dieser Antrag wurde von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23.04.2012 zurückgewiesen.

Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.05.2012 beim Sozialgericht Augsburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 13.03.2012 beantragt und vorgetragen, es bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 13.03.2012. Hinsichtlich des Beitragszeitraumes vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 werde auf die Entscheidung des BayLSG vom 22.03.2012, Az: L 5 R 138/12 B ER, verwiesen. Danach sei eine Nachforderung von Beiträgen nur nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) möglich. Hinsichtlich des Beitragszeitraums 01.01.2008 bis 31.12.2009 bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nachforderung. Es sei praktisch einhellige Auffassung in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte, dass die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 keine vergangenheitsbezogene Wirkung entfalte. Auch bestünden Anhaltspunkte für das Vorliegen von Verjährung der behaupteten Beitragsforderungen.

Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass die von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge von Anfang an unwirksam seien mit der Rechtsfolge, dass die betroffenen Arbeitnehmer nunmehr für diese Zeiträume Lohnansprüche nach dem sogenannten "EqualPay"-Prinzip hätten. Die Entscheidung des BAG habe aber erhebliche Öffentlichkeitswirksamkeit entfaltet, so dass die Antragstellerin von den Inhalten und Wirkungen der Entscheidung Kenntnis hatte.

Mit Beschluss vom 23.05.2012, Az: 1 AZB 58/11, hat das BAG entschieden, dass nach der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des LAG Berling-Brandenburg vom 09.01.2012 durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22.05.2012 nunmehr rechtskräftig feststehe, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11.12.2002 und vom 05.12.2005 nicht tariffähig war.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.03.2012 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Der Antrag der Antragstellerin ist teilweise begründet. Für den Beitragszeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2007 ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Laut Auskunft der Antragsgegnerin vom 01.06.2012 beträgt die Höhe der Nachforderung für diesen Zeitraum 31.495,50 EUR.

Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen Abgaben einschließlich darauf entfallender Nebenkosten die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Es steht nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG im Ermessen des Gerichts, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder eine Klage herzustellen. Dabei hat eine Interessenabwägung stattzufinden zwischen den Belangen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin. Das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihrer Beitragsnachforderung ist dem Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung vor endgültiger Klärung des Rechtsstreits gegenüber zu stellen. Entscheidend ist, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des BayLSG vom 22.03.2012, L 5 R 138/12 B ER).

Für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2007 ist die aufschiebende Wirkung für die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen anzuordnen. Insoweit wird den überzeugenden Ausführungen des BayLSG in seinem Beschluss vom 22.03.2012, a.a.O., gefolgt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das BAG inzwischen rechtskräftig festgestellt hat, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen auch im zeitlichen Geltungsbereich vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 tarifunfähig war. Das BayLSG hat in seinen überzeugenden Ausführungen darauf abgestellt, dass eine Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vor dem 01.01.2008 es erfordert, den ursprünglichen Beitragsbescheid nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzunehmen. Dies ist nicht geschehen. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Bescheid vom 13.03.2012 nicht auf den Bescheid vom 18.09.2008 Bezug genommen. Sie hat vielmehr in ihrem Schreiben vom 18.05.2012 ausdrücklich die Rechtsansicht vertreten, dass eine solche Prüfung nicht vorgenommen werden muss.

Damit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung der Antragsgegnerin soweit die Beitragsjahre 2006 und 2007 erfasst sind. Insoweit wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin angeordnet.

Dagegen können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin erhobenen Nachforderungen im Rahmen der hier angezeigten summarischen Prüfung nicht auch für den Prüfzeitraum vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2009 festgestellt werden. Inzwischen hat das BAG rechtskräftig darüber entschieden, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen auch im zeitlichen Geltungsbereich des hier gegenständlichen Entgelttarifvertrages tarifunfähig war. Grundsätzlich ist deshalb die Beitragsforderung der Beklagten unter dieser Voraussetzung festzustellen. Eine abschließende Prüfung der weiteren aufgeworfenen Rechtsfragen, so der behaupteten Verjährung von Beitragsforderungen, ist im hiesigen summarischen Verfahren nicht angezeigt. Auch ein Vertrauensschutz wird nicht zuzugestehen sein. Der gute Glaube an die Tariffähigkeit einer Vereinigung wird wohl nicht geschützt (BAG, Urteil vom 15.11.2006, Az: 10 AZR 665/05).

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Vollziehung der Beitragsnachforderung für die Antragstellerin als die Schuldnerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Von der Antragstellerin wurde dazu nichts vorgetragen. Entsprechende Anhaltspunkte sind auch nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Feststellung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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